Günter Verheugen: "Bei diesem Krieg wird so getan, als hätte es keine Vorgeschichte gegeben"

Mit Petra Erler und Günter Verheugen haben sich zwei Politikerpersönlichkeiten für ein gemeinsames Buchprojekt zusammengetan. Schon der Titel "Der lange Weg zum Krieg" macht deutlich, dass Erler und Verheugen eine andere Sicht auf den Ukraine-Konflikt haben, als dies in der deutschen Politik und den ihr angeschlossenen Medien derzeit üblich ist. 

In einem Interview mit dem Online-Portal Telepolis legten die erfahrenen Politiker ihre Sicht dar und wiesen nach, dass Deutschland mindestens eine Mitschuld an der Eskalation des Ukraine-Konflikts hin zum Krieg trifft. Die einseitigen Schuldzuweisungen an Russland durch hochrangige deutsche Politiker wiesen sie entschieden zurück. Ebenso den aggressiven Ton, der eine erneute deutsche Vernichtungsabsicht gegenüber Russland belegt.  

"Russland hat zu Recht das Gefühl entwickelt, dass wir es ruinieren, zerschlagen, klein machen, in den Staub der Geschichte treten wollen. Das ist keine angemessene Politik",

sagte Petra Erler mit Blick auf Äußerungen deutscher Politiker.

Verheugen nannte als sein Motiv für die Umsetzung des Buchprojekts, es müsse in Deutschland wieder ein um Objektivität bemühter Blick auf die Abläufe geworfen werden. Um diese Objektivität bemühten sich derzeit weder der deutsche Mainstream noch die deutsche Politik. Verheugen bescheinigte dem öffentlichen Diskurs in Deutschland einen bedenklichen Zustand. 

"Mein Hauptmotiv war, nicht hinzunehmen, dass in unserem Land eine Mauer des Schweigens errichtet wird. Ich habe es in meinem langen politischen Leben noch nicht erlebt, dass öffentliche Meinung so einseitig gesteuert wird, wie das im Fall des Ukrainekrieges geschieht. Hier wird eine Erzählung verbreitet, die einfach nicht stimmt."

Die Erzählung, die von der Bundesregierung, von Politikern der Ampel-Parteien, der CDU-Opposition, von deutschen Medien, von politischen Stiftungen und von staatlichen Vorfeldorganisationen wie der "Amadeu Antonio Stiftung" und der sogenannten Rechercheplattform Correctiv ausgeht, lautet, dass Russland aus imperialistischen Interessen am 24. Februar 2022 die Ukraine überfallen hat. In Russland herrscht mit Putin ein Diktator, dem Freiheit und Demokratie verhasst sind. Neben den imperialen Bestrebungen der Landnahme ist dieser Hass auf Freiheit und Demokratie zentrales Motiv für den Überfall auf eine unschuldige, sich nach Demokratie und Unabhängigkeit sehnenden Ukraine. 

Mit der Realität habe diese Verschwörungserzählung nichts zu tun, geht aus den Ausführungen von Erler und Verheugen hervor. Russland versuche in der Ukraine seine Sicherheitsinteressen auf militärischem Weg durchzusetzen, nachdem es zuvor auf diplomatischem Weg nicht funktioniert habe. Zum Scheitern dieser diplomatischen Bemühungen und damit zur Eskalation des Konflikts habe Deutschland unter anderem durch die Sabotage von Minsk II beigetragen. Die deutsche Politik trage damit mindestens eine Mitverantwortung für das Entstehen von Krieg in Europa. Minsk II sei der Versuch gewesen, nach dem Maidan-Putsch und dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Osten des Landes die territoriale Integrität der Ukraine zu erhalten. Letztlich hätten weder die Ukraine noch die Garantiemächte Deutschland und Frankreich ein Interesse an der Umsetzung der Vereinbarung gehabt. Man habe den Krieg gewollt. Verheugen führte dazu aus:

"Wenn man betrachtet, wann, wie und wo die Krise, in der wir uns heute befinden, wirklich heiß und explosiv wurde, dann kommen wir in die Jahre 2013 und 2014. Dann sind wir beim sogenannten Maidan, der von vielen jubelnd begrüßt wurde, aber in Wahrheit nichts anderes war als eine Regime-Change-Operation. Man kann auch sagen, ein von außen gelenkter Staatsstreich.
Und dieser Staatsstreich, dieser Putsch in der Ukraine, war der Ausgangspunkt eines Bürgerkriegs in diesem Land. Wir haben Krieg in der Ukraine, nicht erst seit 2022. Wir haben diesen Krieg seit Frühjahr 2014, seit der sogenannten Anti-Terror-Operation gegen die russischen Separatisten im Donbass. 2022 gab es eine Eskalation dieses Krieges, der bereits andauerte."

Die beiden Autoren ordneten auch diese Ereignisse noch weiter ein. Dass Krieg in Europa möglich geworden sei, gehe auf das absichtliche Zerstören der europäischen Sicherheitsarchitektur durch die USA und ihre westlichen Vasallen zurück. 

Petra Erler sagte hierzu:

"Wir wissen dank Wikileaks, dass die Amerikaner – und damit wohl alle anderen auch – gewusst haben, dass die dickste aller roten Linien Russlands darin bestand, die Ukraine in die NATO einzuladen."

Diese rote Linie sei mit der Einladung an die Ukraine, der NATO beizutreten, überschritten worden. Doch auch dieses Ereignis sei nicht vom Himmel gefallen. Es sei der Entwicklung geschuldet, dass sich der Westen, allen voran die USA, als eigentlicher Sieger des Kalten Krieges sahen. Der Westen wolle die Bedingungen in Europa diktieren. In dem Konflikt, so Petra Erler, gehe es eben nicht vorrangig um die Ukraine, sondern darum, ob Russland als gleichwertiger Partner wahrgenommen werde. 

"Der Kern des Konfliktes ist ja nicht die Ukraine, sondern es geht darum, ob Russland in Europa eine gleichberechtigte Stimme hat, ob wir bereit sind, elementare russische Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen."

Dass das derzeit nicht der Fall sei, mache auch der Ton deutlich, der in Deutschland gegenüber Russland angeschlagen werde. Außerhalb des Westens nehme man die Rolle Deutschlands in diesem Konflikt wahr. 

"Es wäre gut, wenn die deutsche und europäische Politik sich mal angucken würden, was der Rest der Welt denkt und was das für die Sicherheit Europas bedeutet."

Der "Rest der Welt" teile den deutschen Blick und die moralische Hybris deutscher Politik nicht, in der er wurzele. 

Im Frühjahr 2022 habe bereits ein Verhandlungsergebnis vorgelegen, mit dem der Konflikt hätte beendet werden können. Auch das sei von westlicher Seite hintertrieben worden: 

"Wir wollten es ausgekämpft haben, und das verändert natürlich die Natur des Kampfes. Das bedeutet, wir haben die Strategie 'Siegfrieden' und haben uns der ukrainischen Gesetzeslage angeschlossen, wonach mit Putin nicht verhandelt wird",

erinnerte Petra Erler. 

Die Aggression geht im Gegensatz zu der in Deutschland verbreiteten Verschwörungserzählung nicht von Russland aus, legten die Ausführungen als Schlussfolgerung nahe. Sie legten auch nahe, dass dies für Deutschland absehbar Konsequenzen nach sich ziehen wird. Verheugen wies darauf hin, dass die Deutsche Einigung nicht überall Freunde habe. Der Wille Deutschlands, bei der westlichen Machtergreifung mitzumachen und Russland auszutricksen, gebe denen recht, die einer Einigung ablehnend gegenüberstanden. Deutschland erkenne das Prinzip der Gleichwertigkeit nicht an, sondern strebe erneut nach Macht in und über Europa. 

"Schon kurz nach der deutschen Einigung gab es keine Bereitschaft mehr, kooperative Strukturen zu schaffen, sondern die Weichen waren auf Konfrontation gestellt."

In der Konsequenz stellt sich die Frage – wenn die deutsche Einigung Ausgangspunkt der Entwicklung ist, die Krieg in Europa wieder möglich gemacht hat – wie viel Deutschland verträgt dann Europa? Die Vernichtungsabsichten gegenüber Russland, die gerade in Deutschland offen geäußert werden, haben alle Befürchtungen der Gegner der Wiedervereinigung wahr werden lassen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass am Ende der Entwicklung – sollte Deutschland seinen aggressiven Kurs nicht korrigieren – eine erneute Teilung Deutschlands steht. Diese Schlussfolgerung ergibt sich nicht nur aus dem Interview, sondern auch aus Diskussionen in Russland, in denen der 2+4-Vertrag, die Grundlage der deutschen Einigung infrage gestellt wird.

Mehr zum Thema – Nebensja: Wir rufen den Westen auf, den Weg des Friedens einzuschlagen, bevor es zu spät ist

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