Dass Correctiv mit ihrer Geheimtreffen-Recherche Recht hatte, zeigt sich nicht nur durch ihre juristischen Erfolge, sondern auch darin, dass der Rechtsextremist Martin Sellner vor Kurzem versehentlich alles zugegeben hat und es nicht einmal merkte.
Das rechtsextreme Treffen in Potsdam, an dem neben AfD-Politikern auch Mitglieder der Union und der Rechtsextremist Sellner teilgenommen hat, wurde von Correctiv in ihren Kernpunkten in ihrer bekannten Recherche korrekt wiedergeben und Correctiv darf auch nach vielen juristischen Attacken sagen, dass die “Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland” geplant wurde.
Auch das Landgericht Hamburg hat in einem Urteil festgestellt, dass bei den Punkten rund um Remigration, Staatsbürger und Ausbürgerung alles korrekt war. Zitat vom Gericht dazu: “Die Darstellung entspricht der prozessualen Wahrheit”. Die AfD und ihre rechten Vorfeld-Medien versuchen seit Wochen erfolglos, Correctiv durch Propaganda in Verruf zu bringen und sind gescheitert. Sprich: In Potsdam wurde auch besprochen, deutsche Staatsbürger aus dem Land zu vertreiben.
Hintergrund
Das Treffen, das Ende November 2023 in Potsdam stattfand, hatte das Ziel verfolgt, Pläne zu besprechen, wie man Millionen von Menschen, darunter auch deutsche Staatsbürger, aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertreiben könnte. Das ist das, was die AfD und andere extreme Rechte unter dem Euphemismus “Remigration” verstehen. So hatte Correctiv das auch beschrieben – und darf das auch weiterhin tun. Erinnern wir uns an die Fakten, die extreme Rechte leugnen wollen:
Correctiv hat ein Geheimtreffen von hochrangigen AfD-Politikern, unter anderem dem persönlichen Referenten von Alice Weidel, anderen Neonazis, Werte-Union und Unternehmern enthüllt, das im letzten November in Potsdam stattfand. Darin besprechen die Rechtsextremen, wie man Millionen von Menschen vertreiben könne und auch in Lager (!) in Afrika stecken könne. Und zwar auch deutsche Staatsbürger – diejenigen mit „falscher“ Herkunft oder Andersdenkende. Buchstäblich.
Zu den Plänen der millionenfachen Massen-Vertreibungen auch deutscher Staatsbürger haben „die anwesenden AfD-Mitglieder keine Einwände, im Gegenteil. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy betont, dass sie das skizzierte Ziel schon länger verfolge.“ Die AfD gab es zu: Das sind ihre geheimen Ziele!
Vertreibung von Deutschen wurde bisher geleugnet
Um diese Tatsache zu verschleiern, wurde via AfD-Anwalt und Geheimtreffen-Teilnehmer Vosgerau massiv Litigation-PR betrieben. Sprich: Er ging neben Correctiv gegen so ziemlich alle juristisch vor, die über das Treffen berichtet haben, um für potenzielle AfD-Wähler den Eindruck zu erwecken, die Correctiv-Enthüllungen seien im Wesentlichen falsch.
AfD-Anwalt Vosgerau hatte ein größtenteils erfolgloses Gerichtsverfahren gegen Correctiv angestrengt und erhielt dafür viel Aufmerksamkeit. Vosgerau forderte die Unterlassung bestimmter Aussagen des Berichts. Bemerkenswert dabei: In keinem dieser Verfahren ging es um die zentralen Fragen aus dem Bericht, sondern es wurden Nebensächlichkeiten angegriffen, die Vosgerau persönlich betrafen. In zwei von drei Dingen unterlag Vosgerau auch vor Gericht, rechte Medien inszenierten das jedoch trotzdem als die große Widerlegung des Correctiv-Berichts.
Und auch das Gericht stellte explizit fest:
“Alle weiteren Inhalte der Correctiv-Berichterstattung, insbesondere ob, durch wen und in welchem Umfang die in dem Artikel thematisierte „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auf der Veranstaltung in Potsdam diskutiert wurde, sind nicht Gegenstand der Entscheidung.”
Rechte versicherten vor Gericht, nicht über Vertreibung von Deutschen gesprochen zu haben
Zu den zentralen Fragen rund um Vertreibungen und deutschen Staatsbürgern wurden von einigen Teilnehmern stattdessen eidesstattliche Versicherungen abgegeben. “Wer eine solche Erklärung zur Vorlage bei Gericht abgibt und darin lügt, wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft (§ 156 StGB). Daher besteht die im Grundsatz berechtigte Erwartung, dass keine falschen Versicherungen abgegeben werden”, erklärte “Legal Tribune Online”. LTO hat zu der “Schlacht der eidesstattlichen Versicherungen” einen guten Artikel veröffentlicht, den wir an dieser Stelle empfehlen und noch einmal zitieren:
“In den Versicherungen heißt es u.a., dass auf dem Treffen “weder über eine Ausweisung von Staatsbürgern mit deutschem Pass gesprochen oder gar diese geplant” wurde, noch sei besprochen worden, „Menschen anhand rassistischer Kriterien, wie Hautfarbe oder Herkunft, auszuwählen und aus Deutschland auszuweisen“. Und ganz wichtig: Die Teilnehmer hätten “zu keinem Zeitpunkt eine Remigration von Menschen mit deutschem Pass gefordert oder geplant“.“
Während Vosgerau und weitere Treffensteilnehmer die Richtigkeit des Berichts via eidesstattliche Versicherungen anzweifeln, legten Correctiv-Mitarbeiter im Gegenzug selbst eidesstattliche Versicherungen vor, die ihre Recherchen und Quellen als zutreffend bestätigen sollen. So fasst LTO zusammen, welche Aussagen das betrifft:
“Insbesondere habe der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner gesagt, es gäbe drei Zielgruppen der “Remigration”: “Asylanten”, “Nicht-Staatsbürger” und die “Staatsbürger, die nicht assimiliert” seien, letztere seien laut Sellner das größte Problem. Hier habe Sellner die Lösung vorgeschlagen, man könne diese Menschen durch „maßgeschneiderte Gesetze“ und „hohen Assimilations- und Anpassungsdruck“ dazu bewegen, das Land zu verlassen. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy habe den Vorschlag eingebracht, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche wieder wegzunehmen.”
Das ist relevant, weil Vosgerau damit unter anderem gegen den NDR gewonnen hatte, dem untersagt wurde, zu schreiben, dass eine Ausweisung von Staatsbürgern Thema des Treffens war.
Sellner: Es ging doch um deutsche Staatsbürger
“Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland”, fasste Correctiv das Treffen zusammen. “Wichtigstes Ziel” sei es, Menschen “aufgrund rassistischer Kriterien” aus Deutschland zu vertreiben. Und zwar: “egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.” Dieser Satz steht weiterhin im Text, weil Correctiv ihn sagen darf, weil er wahr ist.
Die Rechten und Rechtsextremen haben das jedoch bisher wider alle bekannten Tatsachen geleugnet. Na ja, das stimmt auch nicht so ganz. Der rechtsextreme AfD-Politiker René Springer (der auch schon persönlicher Referent von Gauland war) nimmt kein Blatt vor dem Mund. Er gab nämlich zu, dass er „Millionen“ vertreiben möchte. Springer nennt das sogar ein “Versprechen”. Kurzer Realitätscheck: In Deutschland sind aktuell etwa 54.000 Menschen unmittelbar ausreisepflichtig. Die AfD will nicht diese Leute abschieben, das wurde auch auf der geheimen Konferenz klar. Sie will offenbar ALLE abschieben, die nicht weiß sind oder eine andere Meinung haben. Sie spricht ja nicht zufällig von “Millionen”.
Viel gravierender für das rechte Narrativ ist jedoch, dass der Rechtsextremist Martin Sellner vor Kurzem versehentlich zugegeben hat, dass es in Potsdam sehr wohl um deutsche Staatsbürger ging. In einem Tweet zur angeblichen Migrationspolitik Schwedens schreibt der Faschist, er habe in Potsdam vorgeschlagen, dass Staatsbürger von jener “Remigration” betroffen seien.
Sellner hat damit Eidesstattlichen Versicherungen widersprochen
Also ging es sehr wohl in Potsdam um “Remigration” von deutschen Staatsbürgern. In den eidesstattlichen Erklärungen hieß es buchstäblich: Die Teilnehmer hätten “zu keinem Zeitpunkt eine Remigration von Menschen mit deutschem Pass gefordert oder geplant“. Der Rechtsextremist hat nicht einmal gemerkt, dass er hier versehentlich die zentrale Behauptung auffliegen hatte lassen. Hier gibt es den wesentlichen Knackpunkt: Plötzlich ging es doch um deutsche Staatsbürger, aber jetzt solle “Remigration” nicht die zwangsweise Ausweisung umfassen – Deportationen – sondern nur die Vertreibung mit anderen Mitteln. Also er meint, er möchte Staatsbürger zwar nicht deportieren, aber mit anderen Maßnahmen zur Ausreise drängen.
Klar, er tut so, als gebe es einen wesentlichen Unterschied dazwischen, “Anreize” zu setzen, dass die Menschen “freiwillig” aus dem Land fliehen, der aktiven Ausweisung und zum Beispiel Deportation und er stört sich dennoch an den Begriffen wie “Vertreibung”. Jedoch war laut Correctiv buchstäblich auch von Lagern in Afrika die Rede, in die man Menschen “hinbewegen” könne. Sie geben quasi alles zu, nur distanzieren sie sich von den erzwungenen Ausweisungen (von Staatsbürgern).
Wir sollten nicht auf rechte Selbstverharmlosung hereinfallen
Es ist klar, dass diese Unterscheidung nur eine Propagandataktik ist, um etwas harmloser zu wirken. Wer das nicht glauben will, kann die Rechtsextremen ja einmal fragen, was sie als Nächstes tun werden, wenn steigende Diskriminierung nicht dazu führt, dass auch “Staatsbürger” freiwillig das Land zu Millionen verlassen. Deshalb haben sie ja den Begriff “Remigration” genutzt, um ihn selbst neu zu definieren. Ob sie damit auch gewaltsame Deportationen meinen – der AfD-Faschist Höcke spricht in dem Kontext in seinem Buch von “wohltemperierter Grausamkeit”, “Aderlass” und dass man “einige Volksteile verlieren werde” – wird bewusst verschleiert.
Der Holocaust begann nicht mit Deportationen, sondern zuerst mit Druck, dass Juden das Land zunächst “freiwillig” verlassen und später nach Madagaskar ausgesiedelt werden würden. Was “nichtassimiliert” heißen soll und wer das am Ende bestimmt, bleibt nämlich völlig offen. Anzunehmen, es ginge nicht um rassistische Kriterien bei den offenen Rassisten bei AfD und Sellner, wäre naiv. Das, was sie “Remigration” nennen, kann man auch einfach vor dem historischen Kontext “Vertreibungen” nennen. Den Potsdam-Teilnehmern nachzuweisen, dass es um zwangsweise Ausweisungen wie “Deportationen” geht, kann man nicht. An diesem Punkt setzen die juristischen Angriffe (erfolgreich) an. Dass es bei “Remigration” um “Vertreibungen” von deutschen Staatsbürgern ging, hat Sellner jetzt aber selbst zugegeben.
Hat Sellner-Tweet rechtliche Konsequenzen?
Was Sellner oder die AfD letztlich unter ihrem Euphemismus “Remigration” verstehen oder nicht, ist dann jetzt zweitrangig. Aber obwohl sogar vor Gericht versichert wurde, dass es in keinem Fall um deutsche Staatsbürger gegangen sei, gibt Sellner jetzt öffentlich zu, dass es doch so war. Das steht im Widerspruch zu den eidesstattlichen Versicherungen, die beim Landgericht Hamburg eingegangen sind. Dass Rechtsradikale lügen, ist an sich keine Neuigkeit, dass aber vor Gericht getan zu haben, könnte juristische Folgen haben. Eine Volksverpetzer-Anfrage, ob Anzeigen zu den falschen Aussagen eingegangen sind und ob ermittelt wurde, blieb unbeantwortet.
Anwalt Chan-jo Jun, der ebenso Ziel von (bisher ebenfalls erfolglosen) juristischen Attacken durch Vosgerau ist, ist der Meinung, dass die ganze “Remigrations”-Forderung von Mitgliedern und Teilen der AfD sogar ein weiterer Baustein für ein AfD-Verbotsverfahren sein könnte:
“Jeder sollte sich bewusst sein, dass die von Teilen der AfD angestrebte Remigration vor allem dafür steht, nicht Bio-Deutsche aus dem Volk zu verdrängen. Gerade diese Absicht ist wegen der innewohnenden Verletzung der diskriminierungsfreien Menschenwürde einer der wichtigsten Verbotsgründe.”
Fest steht: Correctiv hatte Recht. Und auch Volksverpetzer darf das schreiben – Vosgerau ging auch gegen uns juristisch vor und hat verloren. Wir dürfen weiterhin sagen, dass Correctiv aufgedeckt hat, dass die “Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland” beim Geheimtreffen in Potsdam geplant wurde. Correctiv berichtet, dass sie massiv bedroht und angegriffen wurden durch die rechten Anfeindungen. Außerdem haben sie die vielen juristischen Auseinandersetzungen viel Geld gekostet. Hier kann man Correctiv dabei unterstützen, sich nicht mundtot machen zu lassen. Correctiv hatte Recht – das hat jetzt Sellner versehentlich selbst zugegeben. Trotzdem attackieren Rechtsextreme sie dafür. Ob sie die Scharade weiter aufrechterhalten können, wenn das jetzt juristische Folgen für sie hat, kommt auch darauf an, ob die Medien ihren Job machen und darüber berichten.
Artikelbild: Sebastian Willnow/dpa / Screenshot twitter.com
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