In öffentlichen Workshops rund um das Gesetz über digitale Märkte tauscht sich die EU-Kommission mit der Branche aus. Doch ein guter Teil der Teilnehmenden hat dabei seine Verbindungen zu Google, Apple & Co. nicht offengelegt. Das haben mehrere NGOs in einer Untersuchung festgestellt.
Tech-Giganten wie Google, Apple und Amazon konnten in den vergangenen Jahrzehnten fast ungehindert florieren. Einschränkungen ihrer Marktmacht versuchen sie immer wieder durch erhebliche Lobbyarbeit zu verhindern oder mindestens zu verwässern. Eine Recherche der NGOs Corporate Europe Observatory (CEO), SOMO und LobbyControl legt nun einen neuen Fall offen. Demnach sollen viele Teilnehmende bei Workshops der Europäischen Kommission zum Digital Markets Act (DMA) Verbindungen zu „Big Tech“-Unternehmen gehabt haben, ohne dies offenzulegen.
Im Rahmen des DMA veranstaltet die EU-Kommission öffentliche Workshops, um Feedback von Unternehmen und Endverbraucher:innen einzuholen, die von der Macht der Digitalkonzerne betroffen sind. Der Andrang auf die Workshops war groß: Den NGOs zufolge meldeten sich fast 4.000 Interessierte an, darunter Firmen, Anwaltskanzleien, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Akademiker:innen.
Gatekeeper verzerren Diskussionen
Der Auswertung von Corporate Europe Observatory (CEO), LobbyControl und SOMO nach soll jedoch jeder fünfte der registrierten Teilnehmenden eine Verbindung zu Tech-Giganten gehabt haben – viele von ihnen nicht offengelegt. Zusammen mit offiziell bei den sogenannten Gatekeepern angestellten Mitarbeitenden standen mehr als ein Viertel der Teilnehmenden in einer Verbindung zu den Unternehmen. Als Gatekeeper gelten ein halbes Dutzend an IT-Unternehmen mit überragender Marktmacht, seit dem DMA müssen sie sich an strengere Regeln halten.
Dass die großen Plattformen ihre Mitarbeitenden zu solchen Veranstaltungen schicken, ist erst mal nicht verwerflich. Auf ihrer Webseite lädt die Kommission interessierte Stakeholder zur Teilnahme ein – die Gatekeeper zählen dazu. Problematisch ist jedoch, dass die Unternehmen dabei offenbar nicht mit offenen Karten gespielt haben. Dadurch konnten sie die Debatten in ihrem Sinne beeinflussen und kritische Argumente durch vermeintlich neutrale Teilnehmende entkräften lassen, argumentieren die Organisationen hinter der Untersuchung.
Aus den Enthüllungen geht hervor, welche Teilnehmenden für welche Unternehmen in den Workshops saßen. Neben den „Big Five“, also Amazon, Google (Alphabet), Apple, Microsoft und Facebook (Meta), waren auch für TikTok (Bytedance) Teilnehmende ungekennzeichnet vertreten. Dabei handelte es sich um Akteure, die finanziell und/oder vertraglich abhängig von den Unternehmen waren. Das waren zum Beispiel Kanzleien, die die Gatekeeper in der EU vor Gericht vertreten, oder Lobbygruppen, die die Gesetzgebung für sie beeinflussen. Aber auch von Big-Tech finanzierte Interessenverbände und Thinktanks saßen in den Workshops und erzeugten den Anschein, sie würden breite Interessen und Expert:innen-Meinungen vertreten.
Interessenkonflikte und mangelnde Transparenz
„Interessenkonflikte und mangelnde Transparenz haben dazu beigetragen, dass die Unterscheidung zwischen Fachwissen und Interessenvertretung in der Wettbewerbspolitik und der Regulierung nicht mehr gewährleistet ist“, kommentiert der ehemalige Chef-Wettbewerbsexperte der EU-Kommission, Tommaso Valletti, die Enthüllungen. „Sie müssen im Vorfeld beseitigt werden, um eine angemessene Diskussion über die digitale Zukunft Europas führen zu können“.
Die Organisationen hinter den Enthüllungen fordern deshalb die Kommission auf, für zukünftige Veranstaltungen klarere Registrierungsprozesse einzusetzen, um mögliche Interessenkonflikte offenzulegen. Um einem Ressourcenungleichgewicht zwischen den Aufsichtsbehörden und Gatekeepern entgegenzuwirken, verlangen sie außerdem mehr Mittel für die zuständige Abteilung in der EU-Kommission.
Die Tech-Giganten versuchen seit Jahren durch erhebliche Lobby-Anstrengungen, die EU-Gesetzgebung und deren Auslegung zu ihren Gunsten zu beeinflussen: Jährlich gibt die Digitalbranche mehr als 100 Millionen Euro für Lobbykampagnen aus. Manchmal wechseln hohe EU-Beamte sogar die Seite und fangen bei großen Tech-Unternehmen an. Die EU und ihre Institutionen werden von der Zivilgesellschaft immer wieder dafür kritisiert, nicht genug gegen solch massive Einflussnahme zu tun.
Der DMA soll sogenannte Gatekeeper wie Google, Apple und Amazon zum fairen Umgang mit kleineren Marktteilnehmer:innen zwingen. Außerdem soll er ihre monopol-ähnliche Entscheidungsmacht gegenüber privaten und Firmenkund:innen einschränken. Google darf dadurch zum Beispiel Handyherstellern nicht vorschreiben, welche Apps sie vorinstallieren müssen und Apple muss auf ihren Geräten andere App Stores zulassen als ihren eigenen. Die Unternehmen hatten bis Anfang März Zeit, die neuen Regeln umzusetzen. Zumindest bei einigen Produkten vermutete die EU dann aber, dass die Plattformen zu wenig unternommen hätten und leitete Untersuchungen ein.
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