Digitale-Dienste-Gesetz: Unsicherheit für kleine Anbieter

Das Internet besteht nicht nur aus Google und Meta, sondern auch aus Hobby-Foren und Back-Blogs mit Kommentarspalte. Doch welche Regeln des europäischen Digitale-Dienste-Gesetzes für sie gelten, ist nicht vollständig klar. Dabei ist das Gesetz bereits seit Februar in Kraft.

Illustration von einem Mann mit Megaphon. Er kämpft darum, zwischen vielen Sprechblasen gehört zu werden
Kommentarspalten gibt es an vielen Orten im Netz. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Ikon Images

Der Digital Services Act (DSA) gilt seit Februar. Dieses Digitale-Dienste-Gesetz der EU regelt, welche Pflichten Online-Diensteanbieter haben, wie sie mit rechtswidrigen Inhalten umgehen sollen und welche Rechte Nutzer:innen etwa bei Moderationsentscheidungen haben. Besonders hohe Anforderungen gelten dabei für die ganz Großen: also für Google, Meta und Co. Aber wie es für manche der „Kleinen“ aussieht und an welche Regeln sie sich genau und wie halten müssen, ist an vielen Punkten noch ungeklärt.

Eine konkrete Auskunft zu bekommen, ist schwer, wie Versuche von netzpolitik.org zeigen. Weder mit dem Thema vertraute Fachleute noch die EU-Kommission oder die Bundesnetzagentur (BNetzA) als künftige deutsche Koordinierungsbehörde konnten klare Informationen dazu geben, was kleinere Anbieter fortan beachten müssen. Das gilt besonders für Online-Angebote, für deren Kernangebot der Digital Services Act keinerlei Bedeutung hat, die aber beispielsweise eine Kommentarfunktion bieten. Also: Angebote wie netzpolitik.org, ein beliebiges Hobby-Back-Blog oder andere Nachrichtenmedien.

Vermittlung, Hosting oder Plattform?

Es ergeben sich vor allem zwei Fragen. Die erste: Gelten die Regeln des DSA für diese kleinen Anbieter überhaupt? Und wenn ja: Welche sind das? Im DSA gibt es drei verschiedene Kategorien von Diensten, die hier relevant sind: Vermittlungsdienste, Hostingdienste und Online-Plattformen. Letztere haben besonders viele Pflichten, die ersten beiden etwas weniger. Welche das sind, baut aufeinander auf. Ein Hostingdienst hat also alle Pflichten, die ein Vermittlungsdienst auch hat – plus weitere. Eine Online-Plattform wiederum hat alle Pflichten eines Hostingdienstes sowie weitere.

Zu den Basis-Pflichten für Vermittlungsdiensten gehört es unter anderem, klare Kontaktinformationen für Behörden und Nutzende bereitzustellen. Hosting-Dienste müssen zusätzlich etwa Meldeverfahren für rechtswidrige Inhalte anbieten. Online-Plattformen haben dazu noch Transparenzberichtspflichten. Und je nach Größe des dahinterstehenden Unternehmens müssen sie auch ein Beschwerdemanagement einrichten.

Informationen speichern und öffentlich verbreiten

Eine Online-Plattform ist nach dem DSA ein Dienst, der im „Auftrag eines Nutzers Informationen speichert und öffentlich verbreitet“. Diese Einstufung ist vergleichsweise einfach, auf jeden Fall gehören Facebook oder Twitter dazu. Aber auch eine Kommentarfunktion des oben bemühten Back-Blogs würde dazu passen. Oder ein Forum für Hobby-Aquarianer:innen. Denn die Nutzer:innen geben Beiträge in ein Feld ein, schicken sie ab und die werden dann – direkt oder nach Freigabe – veröffentlicht. Immerhin soweit ist das Gesetz klar: Nicht jede Kommentierfunktionalität macht einen Dienst automatisch zur Online-Plattform.

In den Begriffsbestimmungen des DSA heißt es dazu: „sofern es sich bei dieser Tätigkeit nicht nur um eine unbedeutende und reine Nebenfunktion eines anderen Dienstes oder um eine unbedeutende Funktion des Hauptdienstes handelt, die aus objektiven und technischen Gründen nicht ohne diesen anderen Dienst genutzt werden kann“.

In anderen Worten: Ohne die kuratierten Back-Tipps auf dem Blog wäre die Kommentarfunktion gar nicht da.

Was ist eine Nebenfunktion?

Einen weiteren Hinweis, wie das Gesetz gemeint ist, geben die Erwägungsgründe des DSA. Dort heißt es:

Ein Kommentarbereich einer Online-Zeitung etwa könnte eine solche Funktion darstellen, die eindeutig eine Nebenfunktion des Hauptdienstes ist, nämlich der Veröffentlichung von Nachrichten unter der redaktionellen Verantwortung des Verlegers.

Also: Keine Einstufung als Online-Plattform, aber als Hostingdienst. Rechtlich bindend sind solche Erwägungsgründe jedoch im Ernstfall nicht.

In einer Studie, die die Bundesnetzagentur in Auftrag gab, heißt es hingegen: „Die Nebenfunktion hat keinen Einfluss auf die Typologisierung eines Anbieters, sofern nicht ihr einziger Zweck ist, die Verordnung zu umgehen.“ Also doch gar keine Geltung des DSA, weil der Hauptdienst trumpft? Der Gesetzestext selbst lässt diese Deutung unwahrscheinlich wirken.

Die Frage ist bekannt, die Antwort wird gesucht

Eine Nachfrage bei der BNetzA blieb ohne konkretes Ergebnis. „Die von Ihnen gestellten Fragen nach der Auslegung der Definitionen im DSA wurden auch schon von Branchenverbänden an die Bundesnetzagentur herangetragen.“ Man bespreche sie in einem informellen Netzwerk aus designierten Koordinierungsstellen in der EU. „In diesem Netzwerk wird momentan auch die Frage diskutiert, was eine Nebenfunktion ist und wann ein Dienst unter welche Regelungen des DSA fällt.“

Momentan ist die BNetzA formell noch nicht für den DSA zuständig, sie soll es aber bald sein. Das liegt daran, dass das deutsche Gesetz zur Umsetzung des DSA zum Stichtag im Februar noch nicht fertig war. Der Bundestag beschloss es Ende März, am 26. April soll es dann die finale Runde im Bundesrat drehen. Ganz offiziell zuständig wäre die BNetzA dann einen Tag nach Verkündung des Regelwerks.

Ob es dann Klarheit gibt? Die BnetzA macht wenig Hoffnung: „Ob bis dahin auf europäischer Ebene eine einheitliche Auslegung der Definitionen erzielt werden kann, ist noch nicht absehbar“, heißt es in der Antwort auf unsere Anfrage. Man will aber auf der eigenen Website „alle hilfreichen Inhalte oder Hinweise für Unternehmen und Verbraucher veröffentlichen“.

Es kommt drauf an. Aber worauf eigentlich?

Im Gegensatz zur BNetzA ist die EU-Kommission schon länger für die Aufsicht über die ganz großen Anbieter zuständig, zudem kommt das Ursprungsgesetz aus ihrer Feder. Aber auch hier brachte eine Nachfrage nach der konkreten Anwendung bei der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland keine zufriedenstellende Antwort: Eine Sprecherin teilt uns mit, dass „der Kommentarbereich in einer Online-Zeitung als Hosting-Dienst angesehen werden könnte, wenn klar ist, dass er eine Ergänzung zu dem Hauptdienst darstellt“.

Bei einem Angebot wie dem erwähnten Hobby-Back-Blog „müsste eine Bewertung des Kommentarbereichs im Einzelfall vorgenommen werden, um die Art der angebotenen Dienstleistung zu bestimmen“, so die Kommission. Es kommt also drauf an. Worauf, das bleibt schwer zu sagen.

Aber auch wenn man einfach annimmt, dass ein Backblog unter die Regeln für Hostingdienste fällt: Nicht alle passen zur Realität eines solchen Angebots. So sollen sie etwa in ihren „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ angeben, welche „Leitlinien, Verfahren, Maßnahmen und Werkzeuge“zur Moderation von Inhalten eingesetzt werden. Doch Geschäftsbedingungen sucht man oft vergeblich, wenn es kein Geschäft gibt. Was passiert in diesem Fall? Erfüllen eine „Netiquette“ oder Kommentarregeln die Vorgaben auch?

Regulierung nur für die Großen führt zu einem Internet nur mit Großen

Es bleibt ungewiss, fast zwei Jahre nach Verabschiedung des DSA im EU-Parlament und zwei Monate nach Inkrafttreten aller Regeln. Das bringt für die betroffenen Dienste, die wohl teilweise von ihrer Betroffenheit noch gar nichts wissen, Unsicherheit mit sich.

Svea Windwehr leitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Center for User Rights, das sich besonders mit dem DSA beschäftigt. Sie sieht die Unschärfen der Regulierung als Ausdruck eines größeren Problems: „Die vielen offenen Fragen, die gerade kleine Anbieter zu ihren Pflichten unter dem Digital Services Act haben, zeigt einmal mehr, dass der DSA und ähnliche Gesetze oft in erster Linie anhand der Produkte und Probleme der größten Player wie Google, Meta und Co. entwickelt werden“, so die Expertin für Nutzerrechte.

Das führe zu Rechtsunsicherheiten, vor allem für „Blogs, kleine Foren oder andere Projekte, die oft von Freiwilligen mit limitierten Ressourcen unterhalten werden“. Was laut Windwehr ein Folgeproblem schafft: „Wenn es kleinen Anbieter schwer gemacht wird, sich rechtssicher zu verhalten, ist das auch ein Problem für diejenigen, die Alternativen zu den großen und etablierten Akteuren schaffen wollen – und damit für die Diversität und Wettbewerbsfähigkeit des digitalen Raums.“


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