Viele zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland sind abhängig von öffentlicher Förderung. Wenn es für das nächste Jahr keinen Bundeshaushalt gibt, fehlt ihnen Sicherheit – nicht zum ersten Mal.
Selbsthilfegruppen, Demokratieaufklärung, Kulturzentren, Jugendräume – ohne das Geld vom Bund wären viele solcher Projekte nicht oder kaum möglich. Neben Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Finanzierung durch Stiftungen und Co. sind öffentliche Förderungen eine tragende Säule für zahlreiche gemeinnützige Vereine und Gesellschaften. Mehrere hundert von ihnen bekommen öffentliche Gelder. Doch weil es keinen Haushalt für das nächste Jahr gibt, sind viele verunsichert.
Eines der größten und bekanntesten Förderprogramme ist „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium, 182 Millionen Euro standen dafür zuletzt pro Jahr zur Verfügung. Unter den Geförderten: mehrere Initiativen, die sich für eine demokratische Gesellschaft im Digitalen einsetzen – etwa durch Programme zu mehr Medienkompetenz, durch Aufklärungsarbeit und Beratung für Betroffene von Anfeindungen im Netz.
Der ursprüngliche Haushaltsentwurf für 2025 hatte zunächst keine Kürzungen für das Programm vorgesehen. Dennoch waren die Geförderten bereits im Juli besorgt: „Demokratie leben!“ und andere Programme zur Stärkung von Demokratie und zivilgesellschaftlichem Engagement standen immer wieder auf den Kürzungslisten der Verhandlungsparteien, wenn das Geld knapp wurde. Zusätzlich attackierten wiederholt Politiker:innen vor allem der AfD die Demokratieförderung. Die Folge: Betroffene Organisationen mussten zum Jahresende schon oft zittern, wie es weitergeht. Mehr als ein Jahr verlässliche Planung? Unter diesen Umständen kaum möglich.
Verlässliche Förderung ist gescheitert
Die kürzlich zerbrochene Ampel-Koalition hatte sich eigentlich vorgenommen, diese prekäre Lage zu ändern. Sie wollte zum Beispiel zivilgesellschaftliche Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit stärken und verstetigen. Ein dazu vorgesehenes Demokratiefördergesetz legten Innen- und Familienministerium zwar bereits im Dezember 2022 vor, seitdem steckte es jedoch ohne nennenswerte Fortschritte im Bundestag fest. Es sollte unter anderem längerfristige Förderung ermöglichen. Doch das passte neben der oppositionellen Union auch der damaligen Koalitionspartnerin FDP nicht, die außerdem eine Extremismusklausel forderte, um nicht vermeintlich linksradikale Organisationen zu fördern.
Mit der geplatzten Koalition zerschlägt sich aber nicht nur die ohnehin geringe Hoffnung auf eine gesetzlich festgeschriebene, langfristige Sicherung. Weil es so kurz vor Ende des Jahres keinen Haushalt gibt und auch keiner absehbar ist, fürchten viele Organisationen um ihre Finanzierung fürs nächste Jahr. Werden all die Projekte am 1. Januar noch Geld erhalten?
In trockenen Tüchern ist das nicht. Heiko Klare ist Fachreferent beim Bundesverband Mobile Beratung und kennt die regelmäßige Unsicherheit, wie es weitergeht. Der Verband fördert die Vernetzung bundesweiter Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und bekam 2024 mehr als 600.000 Euro über „Demokratie leben!“.
Demokratie ist wie eine Baustelle
„Neue Förderungen wird es ohne Haushalt nicht geben“, erklärt er im Gespräch mit netzpolitik.org. „Es kann höchstens das weitergeführt werden, was es schon gab.“ Das setzen die Regeln über vorläufige Haushaltsführung so fest. Klare vergleicht das mit einem Bauprojekt: Wenn der Bund etwas Größeres bauen will und bereits Firmen beauftragt hat, soll die Baustelle nicht zum Erliegen kommen, weil es keinen fertigen Haushalt gibt.
Ob die Demokratieprojekte genauso kontinuierlich finanziert werden wie Baustellen, hängt davon ab, wie die Förderungen betrachtet werden. Sind sie etwas Neues, weil sie jährlich bewilligt werden? Oder sind sie Fortsetzungsmaßnahmen? Hier kommt es aufs Finanzministerium an, das auch die Vorschriften für eine vorläufige Haushaltsführung macht. Bei „Demokratie leben!“ zusätzlich auch auf das Familienministerium, das für das Programm zuständig ist und es entsprechend priorisieren und sich dafür einsetzen muss. Oder eben andere Ministerien, je nach Programm.
„Wenn das nicht passiert, ist am 1. Januar kein Geld mehr da“, sagt Klare. Und kein Geld, das heißt auch: „Dann können Projektträger keine Mitarbeitenden mehr bezahlen, müssten Büroräume kündigen, Telefonverträge. Niemand wäre mehr da und erreichbar.“ Damit das nicht passiert, brauche es Druck: „Die Träger brauchen jetzt eine schnelle Lösung, sonst steht die ganze zivilgesellschaftliche Landschaft vor dem Aus.“ Und wenn das passiere, habe man durch die Hintertür geschafft, was sich die AfD schon lange wünscht.
Keine einheitliche Kommunikation
Mit welcher Priorität die Ministerien ihre Förderprogramme behandeln, unterscheidet sich offenbar. So hat das Familienministerium den „Demokratie leben!“-Projekten bereits in einem Rundschreiben signalisiert, dass es in diesem Jahr noch Teilbewilligungsbescheide geben soll. Damit könnten die Organisationen zumindest ins Jahr starten. Welchen Zeitraum diese Bescheide abdecken werden, wird vom Finanzministerium und der Dauer der vorläufigen Haushaltsführung abhängen. Ein Rundschreiben dazu werde für Dezember erwartet, schreibt das Familienministerium.
Aus anderen Ministerien wie dem Bundesjustizministerium fehlen solche Signale bislang. Darauf wartet derzeit aber unter anderem die gemeinnützige Organisation „Hate Aid“, die sich gegen Hass im Netz engagiert. 2024 bekam sie rund eine halbe Million Euro aus dem vormals FDP-geführten Haus, für das übergangsweise der mittlerweile parteilose Volker Wissing zuständig ist. Mit dem Geld aus dem BMJ finanziert die Organisation maßgeblich die Beratung von Menschen, die online Hass und Gewalt erfahren. Rund 15 Menschen arbeiten bei HateAid in diesem Bereich.
„Diese Situation ist für alle geförderten Organisationen eine Herausforderung.“ sagt die Geschäftsführerin Josephine Ballon. „Niemand von uns kann eine mehrmonatige Hängepartie überbrücken, ohne irgendwann Menschen entlassen zu müssen.“ Für eine schwache Zivilgesellschaft und bangende Demokratie-Initiativen sei es „gerade jetzt der denkbar ungünstigste Zeitpunkt“.
Bangen um den Arbeitsplatz
Ballon fordert: „Wir brauchen schnell Klarheit. Es geht um die Organisationen und auch um Menschen, die sich fragen, ob sie im nächsten Jahr noch einen Job haben werden – und das Mitte November.“ Die Möglichkeiten der vorläufigen Haushaltsführung müssten dafür ausgeschöpft werden und, so Ballon, es brauche eine einheitliche Kommunikation – egal, welches Ministerium für das Fördergeld zuständig ist.
In den letzten Jahren ist es für den Bundesverband Mobile Beratung immer noch mal gut gegangen. Auch HateAid hat immer wieder nach unsicheren Situationen eine Finanzierung bekommen. Wie den beiden Organisationen geht es wohl derzeit vielen Akteuren. Sie kennen die Unsicherheit. Aber auch wenn am Ende die Finanzierung gesichert werden kann, ist die Situation belastend und schränkt die Arbeit der Projekte ein.
„Wir und andere haben auch damit zu kämpfen, dass Mitarbeitende und Kooperationspartner:innen extrem frustriert sind“, sagt Klare. „Für das, was wir tun, braucht es sowieso jede Menge Vertrauen und Idealismus. Aber manche können und wollen diese Unsicherheit nicht ewig mitmachen.“ Einige suchen sich andere Jobs, die langfristiger abgesichert sind. Und dann fehlen den Demokratieprojekten nicht mehr nur Geld, sondern auch Mitarbeitende.
Ein Mittel dagegen, schlägt Ballon vor, wäre mehr institutionelle Förderung. Also kein Geld, das an bestimmte Projekte gebunden ist, sondern das Organisationen als Ganzes fördert – wie es beispielsweise bei den Verbraucherzentralen der Fall ist. „Das würde mehr Sicherheit bringen und uns flexibler machen, um auf Engpässe an manchen Stellen zu reagieren.“
Das heißt: Auch wenn es für 2025 wieder kurzfristig klappt und die Organisationen Förderung bekommen, begleitet sie die ständige Verunsicherung, wie es weitergehen wird. Um das zu verändern, muss sich auch die öffentliche Förderstruktur anpassen. Doch auf politische Mehrheiten für eine grundlegende Stärkung und Verstetigung zivilgesellschaftlichen Engagements wagt in Anbetracht der zu erwartenden Mehrheiten wohl kaum jemand zu hoffen.
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