Anstelle der Olympiade: Was die BRICS-Spiele vorausahnen lassen

Von Elem Chintsky

Obwohl das Mantra der Trennung zwischen Staat und Kirche im Westen als Axiom hochgehalten wird – während sich ebenjene großen Religionsgemeinschaften seit der Nachkriegszeit an den "Vater Staat" anbiedern –, wird auch die scheinbare Trennung zwischen Politik und Sport nur zum Schein öffentlich postuliert. Mehr noch, der Sport und seine internationalen Wettbewerbe werden im Guten wie im Schlechten für politische Agenden genutzt und, je nach Handhabe, auch instrumentalisiert – in der Gegenwart mehr als je zuvor.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022, die im muslimischen, wertekonservativem Katar verlief, wurde zum anschaulichen Beispiel dafür, wie der liberal-globalistische Wertekanon des Westens vor Ort auf Widerstand stieß, als er dem Gastgeber und der gesamten arabischen Weltöffentlichkeit vergeblich seine LGBT-Propaganda als objektive Norm aufzudrängen versuchte.

Jedenfalls gingen am 23. Juni 2024 die ersten offiziellen zehntägigen BRICS-Spiele zu Ende. Über 2.850 Sportlerinnen und Sportler nahmen daran teil. Über 60 Länder waren eingeladen, Repräsentanten aus 53 Nationen beteiligten sich. Die Spiele fanden in den russischen Städten Moskau und Kasan statt. Im Jahr 2016 wurde die erste inoffizielle Edition des jährlichen Sportwettbewerbs in Indien veranstaltet, wobei er in den Jahren 2019 bis 2022 ausgesetzt wurde. Letztes Jahr war der Gastgeber Südafrika. Mit jedem Jahr wuchsen die Teilnehmerzahl und die Auswahl der Sportarten.

Russland und Weißrussland hatten mit Abstand die meisten Teilnehmer – 642 und 409. Es handelt sich um dieselben Länder, die aus politischen Gründen am gründlichsten von der Pariser Olympiade ausgeschlossen wurden. Eben wegen ihrer abweichenden Haltung zum US- und NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland ist zu erwarten, dass dieser Ausschluss ein dauerhafter sein wird.

Die Angriffsfläche für Spott ist durchaus da. Zum Beispiel gab es Wettbewerbe, an denen nur ein Athlet teilnahm, oder Ringkämpfe, zu denen beide Teilnehmer nicht erschienen sind. Auch konnte das russische Team 266 von insgesamt 387 Goldmedaillen erkämpfen. In den Russland unfreundlich gesinnten sozialen Medien laufen die meisten Kommentare darauf hinaus, dass Moskau die einzigen Spiele veranstaltet hat, an denen es teilnehmen und deren Medaillen-Durchschnitt es dominieren kann. Selbstverständlich hat die klassische Olympiade einen sagenhaften Vorsprung in Zeit und Popularität: Immerhin fanden die ersten Spiele der Neuzeit bereits im Jahr 1896 in Athen statt – 128 Jahre vor den ersten BRICS-Spielen.

Man darf auch nicht vergessen, dass neun der 53 Teilnehmernationen direkte Mitglieder der BRICS sind und es sich um die erste offizielle Austragung dieser Spiele handelte. Bei den übrigen Ländern – darunter auch dem NATO-Mitglied Türkei – wird erwartet, dass sie in absehbarer Zeit dem BRICS-System beitreten werden. Und wie Politik sich immer stärker im Sport zu spiegeln vermag, so werden all die verschiedenen internationalen Sportwettbewerbe auf ihre wahre Gleichberechtigung, Unvoreingenommenheit und Inklusivität hin getestet.

Gerade erst frisch aus der Taufe gehoben, wird diese neue BRICS-Veranstaltung nach vier bis acht Jahren umso weniger Grund für Gelächter und Spott geben, je mehr Länder daran teilnehmen und für eine neue, konstruktive, harmonische Symbiose von Sport und Politik auf multipolarer Augenhöhe einstehen. Vielleicht könnte irgendwann sogar die Zeit kommen, wo die Olympiade und die BRICS-Spiele zeitgleich verlaufen werden?

Wie sehr wird aber bei den von der "freien Welt" bevormundeten Olympischen Spielen nach gleichen Regeln gespielt? Auch in diesem Jahr versäumen es die USA nicht, ihren Partnern bei den Spielen in Paris ihr ganz spezielles Sonderrecht aufzuzeigen, bei der doktrinären Auslegung der Klimareligion Ausnahmen geltend zu machen. Gemeint ist die Heuchelei des US-Teams, als der Bürgermeister von Paris die Verwendung von Klimaanlagen in den Räumen der Athleten verboten hatte, "um das Klima zu schonen". Doch nicht alle Teams müssen sich an diese "das Klima rettende" Vorgabe halten.

Die Teilnehmer der reichsten Nation erklärten, sie könnten dies freilich ignorieren und hätten ihre eigenen Klimaanlagen mitgebracht. Auch die Teams aus Deutschland, Kanada, Großbritannien, Italien und Australien haben sich rasch in dieses Lager der "Nonkonformisten" und "querdenkenden Individualisten" hineingemogelt und verlassen sich auf die Widerstandskraft des US-Schattens in dieser Angelegenheit des Erste-Welt-Komforts. Und dies, obwohl die grüne Klimaagenda von den USA – dicht gefolgt von der EU – angeführt wird. In solchen Momenten wird diese Agenda als jene Farce entlarvt, die sie, notdürftig hinter einer schönen Fassade versteckt, offenkundig ist.

Selbst in der bipolaren Ära des Kalten Krieges konnten sich Moskau und Washington, D.C., bei den Olympischen Spielen halbwegs neutral und gleichberechtigt begegnen. Dies zeigt, dass die heute rasant verlaufende, geschichtsvergessene Teilung der Erde in mindestens zwei markante Zentren der Finanzindustrie, der Wirtschaft, Technologie und Kultur die Vehemenz und den Fanatismus des alten Kalten Krieges weit übersteigen wird. Der internationale Sport wird sich höchstwahrscheinlich ebenfalls entlang dieser dramatischen Konfliktlinie teilen.

Man sollte auch bedenken, dass die internationale Ordnung des Kalten Krieges aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges entstanden ist. Angesichts der tollkühnen Stimmung und der köchelnden Kriegslust im Westen – trotz einer lobenswerten, aber zu langsam wachsenden Opposition in den nationalen Parlamenten – wäre es naiv zu behaupten, dass der Neue Kalte Krieg sich nicht auch aus den Trümmern eines noch nicht ganz manifestierten Neuen Weltkrieges nähren und bedienen wird. Wenn sich dieser neue Krieg vollständig entfaltet hat und es dann auf der Erde noch Sportler gibt, könnten sie und ihre Länder sich in die Lage versetzt sehen, entscheiden zu müssen, an welchem der beiden großen internationalen Sportwettbewerbe sie teilnehmen sollen.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Telegram-Kanal, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.

Mehr zum Thema - Triumph der universellen Werte des Sports – Eröffnungsfeier der BRICS-Spiele in Kasan

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