Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, unsere Demokratie zu schützen. Doch aktuell scheint er eher die AfD zu schützen, indem er ein entscheidendes Gutachten über ihre Einstufung vor der Wahl zurückhält. Ein Gutachten, das die Partei vermutlich als “gesichert rechtsextrem” einstufen würde. Er verletzt damit eine seiner Pflichten: Die Warnung der Öffentlichkeit. Warum dürfen die Wähler das nicht wissen? Warum das Zurückhalten dieses Gutachtens nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch politisch ein großer Fehler ist.
Was ist passiert?
Ursprünglich sollte der Bundesverfassungsschutz noch in diesem Jahr ein neues Gutachten über die AfD vorlegen. Dieses Gutachten hätte höchstwahrscheinlich zur Hochstufung der gesamten Partei als “gesichert rechtsextrem” bekannt gegeben. Dann wäre die AfD auch offiziell komplett rechtsextrem, nicht nur inoffiziell. Eine Einstufung, die weitreichende Konsequenzen haben könnte – sowohl für die bevorstehende Bundestagswahl als auch für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD. Viele Abgeordnete hätten dann den Zeitpunkt für ein Verbot gesehen. Aus Sicht unserer Gerichte auch.
Doch nun wurde die Veröffentlichung des Gutachtens auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Grund: die vorgezogene Neuwahl des Bundestags im Februar. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, der selbst für die CDU kandidiert, was auch nicht ganz unproblematisch in diesem Zusammenhang ist, begründete dies mit dem sogenannten Neutralitätsgebot. Man wolle die Chancengleichheit der Parteien nicht beeinträchtigen.
Laut einem Artikel der taz sagte Haldenwang: „Die Verkündung dieses Prüfergebnis noch in diesem Jahr war mit der vorgezogenen Neuwahl obsolet – das wäre zu nah an den Wahltermin gerückt.“ Auch in Sicherheitskreisen wurde das so bestätigt. Eine Verkündung zu nah am Wahltermin würde die Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigen, hieß es dort. Sprich: Es wäre nicht fair, wenn herauskommt, dass die AfD vollständig gesichert rechtsextrem sei.
Der Verfassungsschutz soll die Öffentlichkeit warnen!
Juristen wie Bijan Moini und Chan-jo Jun sehen das anders. Laut Moini ist das Neutralitätsgebot hier fehl am Platz. Er verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977, in dem es um staatliche Wahlwerbung ging. Damals wurde entschieden, dass Staatsorgane nicht Partei ergreifen dürfen. Doch eine objektive Information der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Partei ist keine Wahlwerbung (oder -warnung), sondern eine gesetzliche Pflicht.
Moini schreibt dazu: „Damit ist aber eine lange angekündigte, objektiv gehaltene Information der Öffentlichkeit über die (mutmaßliche) Einstufung einer Partei als rechtsextremistisch nicht vergleichbar, zu der das BfV gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG berechtigt und verpflichtet ist.“
Auch Chan-jo Jun argumentiert ähnlich und verweist auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. In seinem Video sagt er: „Der Verfassungsschutz ist nicht nur berechtigt, vor einer Partei wie der AfD zu warnen, er ist vielleicht sogar dazu verpflichtet.“ Im Oberverwaltungsgericht heißt es wörtlich:
“Das Bundesamt soll gerade Regierung und Öffentlichkeit in die Lage versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren für die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung zu erkennen und diesen mit politischen oder juristischen Mitteln entgegenzuwirken.”
Der Verfassungsblog unterstützt diese Sichtweise ebenfalls und argumentiert, dass der Verfassungsschutz sogar die Pflicht hat, über diese Neubewertung zu informieren. Das Zurückhalten der Information sei ein Verstoß gegen seine gesetzlichen Pflichten.
Neutralität gegenüber Verfassungsfeinden?
Die AfD ist bereits offiziell als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Eine Hochstufung zur “gesichert rechtsextremen” Partei würde bedeuten, dass der Verfassungsschutz ausreichend Belege dafür hat, dass die Partei aktiv gegen die Verfassung arbeitet. Wenn es keine Hochstufung gäbe, wäre diese Vorsicht ja auch nicht nötig, nicht wahr? Warum also sollte er neutral gegenüber einem Feind der Verfassung sein? Warum schützt der Verfassungsschutz dann die Chancengleichheit einer gesichert rechtsextremen Partei?
Erst kürzlich hat die AfD ihren Kritikern einen weiteren Beweis ihrer Verfassungsfeindlichkeit auf dem Silbertablett serviert, als die bayerische AfD buchstäblich die Pläne zu millionenfachen Ausweisungen, auch deutscher Staatsbürger, wie sie auch im Geheimtreffen in Potsdam besprochen sein sollten, einfach direkt offiziell in einer Resolution beschlossen hat. Es besteht wenig Zweifel darüber, in welchem Verhältnis die Partei zur Verfassung steht.
Der Verweis auf das Neutralitätsgebot ist hier fehl am Platz. Dieses Gebot soll verhindern, dass der Staat im Wahlkampf parteiisch agiert. Doch es gibt keinen Grundsatz, der besagt, dass der Staat gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen neutral sein muss. Im Gegenteil: Der Schutz der Verfassung erfordert es, aktiv gegen solche Bestrebungen vorzugehen und die Öffentlichkeit zu informieren.
Yale-Professor Patrik Holterhus und sein Mitarbeiter Janosch Wiesenthalt betonen in ihrem Beitrag bei Verfassungsblog: „Das Interesse der Öffentlichkeit, vor einer solchen Partei gewarnt zu werden, ist definitiv höher als das Interesse der Partei, keine schlechte Presse zu bekommen.“ Auch Göttinger Rechtsprofessor Florian Meinel hat kürzlich in der FAZ die Argumentation des Verfassungsschutzes abgelehnt.
Das Recht der Wähler auf Information
Die Wähler haben ein Recht darauf, zu wissen, welche Parteien sie wählen. Wenn der Verfassungsschutz feststellt, dass die AfD eine gesichert rechtsextreme Partei ist, dann ist das eine entscheidende Information für die Wahlentscheidung. Es wäre eine Missachtung der Wähler, diese bereits jetzt intern bekannte Information erst nach der Wahl zu veröffentlichen.
Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, forderte laut taz Innenministerin Nancy Faeser auf, das Gutachten „unverzüglich“ zu veröffentlichen. „Die Menschen haben ein Recht darauf, vor der Wahl zu erfahren, wie die AfD vom Verfassungsschutz beurteilt wird“, erklärte er auf Twitter. Ein Verweis auf die Neutralitätspflicht sei „absurd“.
Auch Martina Renner von der Linken betont: „Ich halte es für nicht zu rechtfertigen, dass eine Regierungsbehörde Entscheidungen vertagt und Wissen zurückhält, die zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben und zur sachgerechten Information der Öffentlichkeit notwendig sind.“ Sie fügt hinzu: „Das Gutachten muss auf den Tisch und natürlich vor den Wahlen.“
Hilft es oder schadet es der AfD? Egal!
Es gibt hier widersprüchliche Argumente. Einige sagen, es würde ihr schaden, andere, ihr helfen. Ersteres lautet so: dass eine Veröffentlichung des Gutachtens der AfD helfen könnte, weil sie sich dann als Opfer inszenieren kann. Doch soll der Verfassungsschutz deshalb Fakten zurückhalten? Müssen wir schlussendlich der AfD auch die Regierung überlassen, nur weil sie jammert, wenn sie sie nicht bekommt? Wir können auch nicht die Realität so zu Gunsten der AfD verbiegen, nur weil sie das Opfer spielen wird. Das tut sie ja ohnehin, wir dürfen uns ja nicht erpressen lassen. Genau diese Manipulation ist ja einer der Gründe für ihre Gefährlichkeit.
Das andere, und das, was implizit Innenministerium und Verfassungsschutz einnehmen, ist, dass die Hochstufung der AfD schaden würde. Sie würde Prozentpunkte bei der jetzigen Wahl verlieren, weil es vielleicht doch noch einige potenzielle AfD-Wähler gibt, die einer gesichert rechtsextremen Partei nicht die Stimme geben würden. Aber zum einen ist es doch dann Betrug an genau jenen Wählern, das Gutachten dann erst nach der Wahl zu veröffentlichen, obwohl die Einschätzung schon vorher fest stand. Zum anderen schreibt Bijan Moini dazu:
„Es ist auch nicht ausgemacht, dass die Verkündung der Hochstufung der AfD schaden würde. Jedenfalls ist sie nicht darauf gerichtet. Und die AfD hatte es selbst in der Hand, dass es zu der Einstufung nicht kommt.“ Niemand hat die AfD gezwungen, sich immer weiter zu radikalisieren und verfassungsfeindlich zu sein.
Der Verfassungsblog ergänzt: „Dass der Verfassungsschutz die AfD beobachtet, hat sie selbst zu verantworten – und es gibt keinen Beweis dafür, dass der Verfassungsschutz es nicht veröffentlichen würde, wenn eine andere Partei extremistisch wäre.“
Der Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern die AfD
Chan-jo Jun bringt es auf den Punkt: „Der Verfassungsschutz soll die Verfassung schützen, nicht die AfD.“ Er ermöglicht es der AfD jetzt, ohne öffentliche Einordnung in den Wahlkampf zu ziehen. Das ist nicht nur ein rechtliches Versäumnis, sondern auch politisch fatal. Jun betont auch, dass die Menschen ein Recht darauf haben, zu wissen, ob sie eine gesichert rechtsextreme Partei wählen.
Das Zurückhalten des AfD-Gutachtens ist ein großer Fehler – rechtlich und politisch. Der Verfassungsschutz hat die Pflicht, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren. Indem er dies nicht tut, schützt er nicht die Demokratie, sondern schwächt sie.
Die Bürger haben ein Recht auf vollständige Information, insbesondere vor einer Wahl. Es ist höchste Zeit, dass das Gutachten veröffentlicht wird, damit die Wähler informiert zur Wahl gehen können. Wie der Verfassungsblog abschließend feststellt: „Der Verfassungsschutz verstößt gegen seine Pflichten, indem er die Information nicht veröffentlicht.“
Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe erstellt. Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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