Wiederkehr der Ahnenforschung: Gegen AfD sind „Sippenhaft“ und „Erbschuld“ wieder en vogue

Zum elementarsten Konsens der Bundesrepublik, zum Wesen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehörte von der Stunde Null des Grundgesetzes an, dass Menschen nie mehr angefeindet, diskriminiert oder be- und verurteilt werden dürfen für das, was sie ohne eigenes Verschulden qua Geburt sind (Hautfarbe, Geschlecht, Religionszugehörigkeit) oder von wem sie abstammen. Dass die Herkunft – familiär oder geographisch – nicht über den Wert eines Menschen entscheiden darf, zählt zu den wichtigsten Grundpfeilern einer egalitären, aufgeklärten und sittlichen Wertegemeinschaft und reflektiert die wohl wesentlichste Errungenschaft der Neuzeit, ohne welche die vollständige Freiheit und rechtliche Emanzipation des Individuums nicht möglich wären.

Dem braunen Abgrund der NS-Zeit – die durch Rückfall in archaische Blut- und Bodenlehre, biologistische Pseudowissenschaftlern von Schädelvermessungslehre bis Sozialdarwinismus und durch eine willkürlich ideologisch geprägte Genealogie den Wert des Menschen auf ausnahmslos solche Faktoren reduzierte, für die er selbst nichts kann und die er auch nicht zu ändern vermag – stellte das Grundgesetz, insbesondere Artikel 1 (“Die Würde des Menschen ist unantastbar”) den äußersten denkbaren Kontrapunkt gegenüber: Jeder Mensch hat von Geburt dieselben unveräußerlichen Rechte – und wird nicht für die Untaten seiner Vorfahren zur Rechenschaft gezogen. Analog dazu sind auch im deutschen Rechtsstaat Begriffe wie Erbschuld und Sippenhaft geächtet und verpönt.

Renaissance finsterer Zeiten

Doch ausgerechnet eine selbst als vorbildlich demokratisch und antifaschistisch feiernde Linke, die in Wahrheit zunehmend antidemokratisch und faschistisch agiert, sorgt nun für eine Renaissance jener überwunden geglaubten, finsteren Zeit, da Menschen an ihrer Abstammung, an den Taten ihrer Vorfahren gemessen werden. Einfallstor für diese nächste Stufe der Entrechtung ist auch diesmal wieder der Krampf gegen Rechts, der sich in einer kollektiven Projektion auf die AfD als vermeintliche Wiedergängerin des Faschismus fokussiert – und dabei zu Methoden greift, die ihrerseits eins zu eins dem entsprechen, was vorgeblich bekämpft werden soll.

Mangels realer Beweise für – oder wenigstens Hinweise auf – eine auch nur indirekte Bestätigung der These, die AfD sei eine rechtsextreme oder gar “Nazi-”Partei, müssen seit Jahren Zuschreibungen, Interpretationen und vermeintlich dechiffrierte Doppeldeutigkeiten (“Codes”) sowie Anspielungen herhalten, durch die die große Projektion aufrechterhalten wird. Formulierungen des alltäglichen Sprachgebrauchs, die 70 Jahre lang völlig unpolitisch und arglos von jedermann gebraucht wurden, werden mit einem Mal aus dem Mund der wahnhaft “Besagten” zu kryptischen “Nazi-Anspielungen”, angeblichen “SA-Parolen” oder zumindest “bewussten Provokationen”. Ob Stefan Brandner von “Judaslohn” sprach, Alexander Gauland den politischen Gegner ”jagen” wollte oder Björn Höcke “Alles für Deutschland” forderte: Entscheidend für die Bedeutung ist auf einmal nicht mehr, was tatsächlich gesagt wird, sondern wer etwas sagt.  Doch auch diese Masche hat sich zunehmend totgeritten und verfängt nicht mehr.

Die Weidel mit dem SS-Opa…

Genau deshalb meint nun eine Medienkamarilla, die ihr Pulver gegen die vergebens dauerskandalisierte AfD verschossen und ihren Vorrat an Nazikeulen aufgerieben hat, geistige Anleihen bei der NS-Ahnenforschung nehmen zu müssen. Mit derselben Akribie, mit der die Nazis einst die jüdische Abstammung von verhassten bürgerlichen Oppositionellen, wohlhabenden Unternehmern oder missliebigen Künstlern ins Feld führten, um ihre Gegner zu desavouieren, wird nun im Fall der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel deren “braune“ Familienvergangenheit aufgeboten. Man will so in der Vergangenheit beweisen, was in der Gegenwart partout nicht gelingen will: Die unterstellte politische Nähe zwischen AfD und Drittem Reich. “Nazi-Schlampe” darf man Weidel ja bereits nennen (ausdrücklich erlaubt von derselben bundesdeutschen Gesinnungsjustiz, die das Adjektiv “dick” für Ricarda Lang als Beleidigung verbietet); nun soll über ihren Großvater der Nachweis geführt werden, dass den Weidels das Nazitum sozusagen in den Genen steckt.

Zuerst war es die “Welt am Sonntag”, die “recherchierte”, dass Weidels Großvater Hans (1903–1985) – na sowas aber auch – im Dritten Reich “nicht nur Mitläufer war, sondern Karriere gemacht hat”. Elektrisiert griff das frühere Nachrichten- und heutige Hetzmagazin “Spiegel” das Thema auf und märte die Familiengeschichte Weidels lustvoll aus, bis hin zu solchen Erhellungen: “Mitglied der SS war Weidel ausweislich von Dokumenten ab Januar 1933. Zugleich stieg er zum Kreisgruppenführer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes auf. Dieser verstand sich als ‚Hüter und Wahrer von völkischen Lebensgesetzen‘ und propagierte den ‚Kampf gegen das Judentum im Recht‘. Insgesamt gehörte Weidel zehn verschiedenen NS-Organisationen an…” Auch dass, so die “Welt”, Hans Weidels Beförderung zum Oberstabsrichter 1944 “über das Führerhauptquartier gelaufen” sein soll, und zwar “gezeichnet von Adolf Hitler höchstpersönlich”, darf in der Familienabrechnung logischerweise nicht fehlen.

Angebliche “Brückenfiguren”

Was all dies mit der 1979 (also 34 Jahre nach Kriegsende) geborenen heutigen AfD-Chefin zu tun haben soll, wird nicht weiter ausgeführt. Die Insinuierung ist gleichwohl unverkennbar: Der Apfel fällt angeblich nicht weit vom Stamm. Natürlich gilt dies nur für AfD-Politiker; es ist nicht ganz klar, ob “Welt“, “Spiegel” und andere Kampagnenmedien (denen in ihrem Bestreben, die AfD zu stigmatisieren, jedes Mittel recht ist) wirklich annehmen, dass ihre eigenen Leser so geistig retardiert sind zu glauben, Biographien wie jene Hans Weidels stellten eine Ausnahme unter den Deutschen dar, weshalb sie zum Skandal gereichen, um die braunen Wurzeln der AfD aufzuzeigen… Oder ob ihnen der Einwand ganz egal ist, dass 99 Prozent der Deutschen in ihrer eigenen Familie identische oder schlimmere Fälle von NS-Verstrickungen haben. Möglicherweise vertrauen diese Scharfrichtermedien ja darauf, dass der inzwischen erreichte Grad an Bildungsferne und geschichtlicher Volksverdummung in diesem Land hinreichend hoch ist, um den Deutschen der dritten und vierten Nachkriegsgeneration zu suggerieren, bei einer solchen Familienvergangenheit sei die Betätigung in der AfD als neuer “Nazi-Partei” völlig naheliegend und wenig verwunderlich?

Zumindest räumt die “Welt” gönnerhaft-oberlehrerhaft ein: „Familiengeschichten wie diese gibt es viele in Deutschland.“ Dennoch: Um der vermeintlich suspekten Familiengeschichte die vermeintliche Kontinuität zwischen SS und AfD anzudichten, bemühen die “Welt”-Journalisten den Vater Alice Weidels. Dieser, Gerhard Weidel, sei eine “Brückenfigur” zwischen Nazi-Opa und Nazi-Enkelin, wird behauptet. Der Beweis folgt per Zirkelschluss: “Wie seine Tochter wird Gerhard Weidel früh Mitglied der AfD, im Februar 2014, mit 75 Jahren, und übernimmt zeitweise den Vorsitz des Kreisverbandes Bodensee. Vater und Tochter treten für die AfD in Gasthäusern oder an Infoständen auf – die Tochter bereits als Mitglied des Bundesvorstands und Vorsitzende der Bundesprogrammkommission der Partei.

Bei Linken spielt die NS-Familiengeschichte keine Rolle

Mit derselben perfiden Masche, politische Sozialisation quasi über den Stammbaum zu unterstellen, war zuvor übrigens auch schon der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah attackiert worden: Dessen Großvater Dr. Martin Krah war im Dritten Reich Mitglied der NS-Ärzteschaft sowie “freiwillig für die Hitlerjugend” tätig gewesen, wie “ZDF Frontal” und natürlich ebenfalls der “Spiegel” in unerträglicher historischer Selbstgerechtigkeit anprangerten. Sie brachten außerdem Krahs Großvater in Verbindung mit der Reichspogromnacht 1938: Weil auch in dessen schlesischem Wohnort Hindenburg (heute Zabrze, Polen) eine Synagoge abgefackelt wurde, wies das ZDF darauf hin, dass auch örtliche “Mitglieder der NSDAP” beteiligt waren – mit der klaren Insinuierung, dass Martin Krah bei dieser der Barbarei mitgemacht hätte.

Wie verlogen diese Art von selektiver “Vergangenheitsaufarbeitung” ist, die sich selbst als quasi zweite Entnazifizierung 2.0 versteht (diesmal allerdings der Nachgeborenen), zeigt die Tatsache, dass identische Biographien der Vorfahren von Politikern des Altparteienspektrums nicht thematisiert werden – oder wenn doch, dann allenfalls um hervorzuheben, dass die Nachgeborenen prinzipiell nicht für die Untaten ihrer Ahnen verantwortlich gemacht werden dürfen (also genau das, was man im Fall von AfD-Politikern nun hemmungslos tut!). Bereits 2013 wurde über den ehemaligen Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin berichtet, dass sein Vater bei der Waffen-SS war; doch niemand kam damals auf den Gedanken, einen Konnex zur politischen Tätigkeit des Sohnes herzustellen – und das, obwohl Jürgen Trittin, anders als Alice Weidel, sehr wohl glühender Anhänger einer totalitären Weltanschauung war, nämlich während seiner Göttinger Studienzeit im Kommunistischen Bund und wohl noch lange darüber hinaus.

Baerbock und Habeck sind außen vor

Auch über SS-Obergruppenführer Hartmann Lauterbach, den Großvater des amtierenden Bundesgesundheitsministers, oder SS-Brigadeführer Gerhard Lindner, den Großvater des FDP-Bundesfinanzministers, wurde zu keinem Zeitpunkt je so berichtet, dass daraus auch nur andeutungsweise ein Vorwurf gegen die Enkel abgeleitet worden wäre. Erst recht gilt das natürlich für die Leuchtgestalten der ampeldominierenden Öko-Sekte – die grünen Spitzenpolitiker Annalena Baerbock und Robert Habeck. Die Nazi-Vergangenheit von Baerbocks Großvater war im Mai sogar der “taz” einen Aufmacher wert (Titel: “Nazi-Opa im Keller“), der hier natürlich mit einer völlig anderen Tendenz als die nunmehrige Schmutzkampagne gegen Weidel daherkam: Empört wurde hier Putins Russenpropaganda angeprangert, weil sie den Familienhintergrund der Außenministerin thematisiert hatte: “Baerbocks Großvater soll ‚bedingungsloser Nationalsozialist‘ gewesen sein. Putin kommt die Neuigkeit gelegen: So kann er sich milde geben.

Einen Monat lieferte dann “Bild“ eine prophylaktische Apologetik zugunsten Robert Habecks, dessen Familienvergangenheit – legt man die bei Weidel geltenden Maßstäbe an – ebenfalls hochgradig kompromittiert war: In Habecks Fall, so die Springer-Zeitung, waren Großvater und Urgroßvater “…nicht nur Anhänger der Nazis, nein, sie waren handelnde, überzeugte Funktionäre und Profiteure… Der Großvater war gar ganz eng dran an Nazi-Größen wie Joseph Goebbels.” Aber auch hier fiel die Einordnung auffallend anders als nun im Fall Weidels: “Habecks Familien-Geschichte ist deutsche Geschichte”, dozierte Peter Tiede in seinem Kommentar, und betonte: “Robert Habeck kann nichts für seinen Großvater und seinen Urgroßvater. So wie wir alle nichts dafürkönnen, wer vor uns war und was unsere Vorfahren getan haben. Wir müssen – im Guten wie im Schlimmen – damit leben. Mit dem einen geht es einfach, mit dem anderen kann es belastend sein.

Halb- und Viertelnazis

Wieso liest man diese Sätze nicht auch im Falle Weidels? Habeck kann also nichts für seine Vorfahren – Weidel aber schon? Es ist genau diese erbärmliche Doppelmoral, mit der die unredliche Behandlung der AfD betrieben wird, die aus diesem Grund auch zunehmend das Gegenteil dessen erreicht, was sie bezwecken soll.

Als fadenscheinige Begründung dafür, dass man im einen Fall so etwas wie eine familiäre “Vorbelastung” ausschließt und jegliche Bezugnahme auf NS-kontaminierte Vorfahren vermeidet, im anderen Fall bei AfD’lern diese jedoch hemmungslos praktiziert (und wohl am liebsten – entsprechend der damaligen NS-Rassenarithmetik – Kategorien wie “Halbnazi väterlicherseits”, oder “Viertelnazi großväterlicherseits” einführen würde, wird ausgeführt: Es komme eben immer an, wie man mit den Vorfahren umgehe, ob man quasi aus ihren Verfehlungen etwas gelernt hätte oder nicht. In der “Welt” klingt dies dann so: “Von Interesse ist der Umgang mit ihnen. Vor allem dann, wenn es sich um eine so exponierte Politikerin wie Alice Weidel handelt. Sie ist designierte Kanzlerkandidatin einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist.” Mit keiner Silbe wird jedoch irgendwo erwähnt, dass sich Alice Weidel jemals lobend über ihren Großvater geäußert oder diesen gar als Vorbild bezeichnet hätte. Umgekehrt wiederum war zum Zeitpunkt der Enthüllungen des Wirkens von Trittins, Baerbocks und Habecks Altvorderen während der Hitlerzeit keinerlei Distanzierung oder Verurteilung aus deren Mund über ihre Väter oder Großväter bekannt gewesen. Bloß bei Weidel wird halt einfach mal unterstellt, sie würde sich ihrem Opa geistig-politisch gewiss verbunden fühlen. Da ist sie wieder, die große Projektion. (DM)

Dieser  Beitrag erschien zuerst auf journalistenwatch.com, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION



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