„In Zeiten wie diesen“ wohl wenig erstaunlich, wirft die nordrhein-westfälische Medienaufsicht nun dem Magazin Multipolar, „Verstöße gegen die journalistische Sorgfalt“ vor.
Es wird darin schriftlich mit einem „förmlichen Verwaltungsverfahren“ gedroht. Ein Schelm der Böses dabei denkt handelt es sich dabei doch um dasjenige Magazin, dass die Entschwärzung und Veröffentlichung der RKI-Protokolle gerichtlich erzwungen hatte.
Landesmedienanstalt mit „Sanktionen“ gegen „Aufdecker-Medium“
Bemängelt werden in jenem Schreiben teils mehrere Jahre alte Beiträge, die die Regierungssicht auf Corona in Frage gestellt hatten, wie das Medium Multipolar selbst zu berichten hatte.
Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) hatte Multipolar am 23. August in einem Brief mitgeteilt, dass mehrere der Beiträge der vergangenen Jahre nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht genügen würden. Die, in Düsseldorf ansässige LfM ist die Aufsichtsbehörde für private Medien mit Sitz in Nordrhein-Westfalen und verfügt über einen Jahresetat von gut 20 Millionen Euro, gespeist aus den Rundfunkgebühren. Multipolar hatte bislang keinerlei Kontakt zu der Behörde gehabt.
Die LfM beruft sich in ihrem Schreiben auf Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages, in dem es heißt, dass Medien „den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“ haben und Nachrichten „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen“ sind. Seit einer Reform des Medienstaatsvertrages Ende 2020 sind die Landesmedienanstalten nun auch für die Überwachung von Online-Medien zuständig.
„Wahrheit ist gleich Regierungssprech“ – “Interview-Aussagen” müssen “hinterfragt” werden!
Konkret moniert wurden in dem vorliegenden Schreiben insgesamt vier Passagen aus Artikeln und Interviews, die in den Jahren 2022, 2023 und 2024 erschienen waren. Bei allen Texten ging es um die Corona-Krise. Beanstandet wurden in sämtlichen Fällen Aussagen, die den Regierungsverlautbarungen entgegengestanden waren.
In einem etwa im März 2022 veröffentlichten Interview erklärte der Arzt und Psychologe Prof. Christian Schubert gegenüber Multipolar:
„Die Covid-19-Krise hat den ersten großen Schritt gemacht, dass unsere Lebenserwartung sinken wird. Die steigt nicht mehr. Die Kollateralschäden, die wir jetzt zu erwarten haben durch diese Krise, werden die Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten verringern. Wir haben dazu schon erste Hinweise. Für die Schweiz wurde berechnet, dass drei Monate Lockdown und Schulschließungen wegen der damit verbundenen psychopathologischen Folgen, wir sprechen zum Beispiel von Selbstmord, Depression und Traumatisierung, 1,76 Millionen Lebensjahre kosten. Damit sind die staatlichen Maßnahmen 55mal schädlicher als das Virus selbst.“
Die LfM bemängelt hierzu, dass die Herkunft der Zahlen „unklar“ sei und diese „unbelegt“ seien. Die Äußerung hätte daher „vom Interviewführer näher hinterfragt oder im Nachgang für den Leser nachvollziehbar eingeordnet werden müssen“.
Eine weitere, im März 2023 veröffentlichte 14-seitige Analyse des Multipolar-Autors Florian Schilling zu einem Dokument der britischen Statistikbehörde zum Thema Sterblichkeit und Impfungen leitete die Redaktion wie folgt ein:
„Nach einer mehr als siebenmonatigen Veröffentlichungspause hat die britische Statistikbehörde nun Zahlen vorgelegt, die erstmals in diesem Umfang zeigen, wie nutzlos und sogar schädlich die Corona-Massenimpfung war. Zu keinem Zeitpunkt und in keiner Altersgruppe finden sich signifikante Belege für eine geringere Gesamtsterblichkeit Geimpfter. Im Gegenteil führte die staatliche Impfkampagne fast von Beginn an zu einer höheren Gesamtsterblichkeit der Geimpften, die zudem mit der Zeit ansteigt und umso höher ausfällt, je jünger die Geimpften sind.“
Dem widerspricht die LfM jedoch mit einer eigenen, pauschal gehaltenen Einschätzung der medizinstatistischen Zusammenhänge. Schilling und Multipolar hätten die amtlichen britischen Daten „fehlinterpretiert“ und „falsch dargestellt“.
In einem anderen im März 2024 veröffentlichten Beitrag schrieb Multipolar, dass es die freigeklagten RKI-Protokolle nun für alle einsehbar veröffentlicht hätte, weiterhin aber mehr als tausend Passagen darin geschwärzt wären. Im Text dazu hieß es dazu:
„Wie Multipolar auf Grundlage der bislang geheim gehaltenen Papiere bereits berichtete, beruhte die im März 2020 vom RKI verkündete Verschärfung der Risikobewertung von mäßig auf hoch, Grundlage sämtlicher Lockdown-Maßnahmen und Gerichtsurteile dazu, anders als bislang behauptet nicht auf einer fachlichen Einschätzung des Instituts, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs, dessen Name in den Protokollen geschwärzt ist.“
Wider jeden Beweis auf Regierungslinie
Die LfM erklärt dazu, dies sei „irreführend“, da die Entscheidung sehr wohl auf einer fachlichen Einschätzung beruhe. Schließlich, so die LfM, sei laut Protokoll vom 16. März 2020 ja „eine neue Risikobewertung vorbereitet“ worden. Das LfM schließt aus dieser Protokollnotiz demnach, dass diese neue Risikobewertung auch innerhalb des RKI imitiert und ausgearbeitet worden war. Allerdings hatten die RKI-Anwälte bereits dem Verwaltungsgericht Berlin gegenüber erklärt, dass bis auf die Protokollnotiz vom 16. März in der Behörde „keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung“ befassen.
In einem weiteren „bemängelten“, im Juni 2024 veröffentlichten Interview hatte ein Berliner Feuerwehrmann gegenüber Multipolar erklärt:
„In der Realität hatten wir circa 25 Prozent weniger Einsätze, gerade, als alles losging mit der sogenannten Covid-Pandemie. Die Einsatzzahlen gingen also anfangs klar zurück. Es war viel mehr Panik. Das gleiche Bild ergab sich auch in den Krankenhäusern. Wenn du die Patienten in den Krankenhäusern abgegeben hast, hast du ja auch mit den Schwestern gesprochen, „wie sieht es denn hier bei euch aus?“ Die haben gesagt, „ja, wir haben zwar viel Stress gehabt, beim Aufbau von zusätzlichen Intensivstationen oder die organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, aber in der Realität, dieses Freihalten der Betten…“
Es gab also keinen Ansturm von Patienten. Im Gegenteil, die haben gesagt, sie könnten jetzt Urlaub nehmen, Überstunden abbauen. Es wurde sogar darüber nachgedacht, in den Krankenhäusern Teilzeitkräfte zu entlassen. Die Schwestern haben erzählt:
„wir haben hier eine Auslastung, die liegt teilweise nur noch bei 40 Prozent“ Es gab keine Pandemie in unserer Wahrnehmung. Im Nachhinein muss ich sagen: Man wollte aber kopflose Panik verbreiten und man hat es geschafft. Ich habe natürlich gesehen, dass es überhaupt keinen Grund für die Angst gab, weil ja die Krankenhäuser frei waren.“
Die LfM war mit dieser Schilderung des Feuerwehrmannes freilich nicht einverstanden und führt an, es gebe „stichhaltige Belege dafür, dass in der Hochzeit der Pandemie viele Krankenhäuser unter erheblichen Kapazitätsengpässen litten“. Multipolar hätte die Aussagen des Feuerwehrmannes daher „einordnen“ müssen.
„Rechenschaftspflicht für mittlerweile bewiesene Fakten“ und “Verwaltungaverfahren” droht
Multipolar solle der LfM nun bis zum 23. September mitteilen, ob die genannten vier Beiträge „angepasst“ und die „verpflichtenden Informationen ergänzt“ würden. Die Behörde droht, „zeitnah ein förmliches Verwaltungsverfahren einzuleiten“. In einem ähnlichen Verfahren einer Landesmedienanstalt musste das regierungskritische Portal Apolut zuletzt pro Artikel 800 Euro „Bearbeitungsgebühr“ zahlen. In diesem Fall kam es nicht zu einem Gerichtsverfahren, da der Apolut-Anwalt die Widerspruchsfrist verstreichen ließ.
Multipolar hatte bereits im vergangenen Jahr in einer Recherche zu den Landesmedienanstalten berichtet, dass Zweifel daran bestünden, ob der betreffende Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags verfassungsgemäß ist. So argumentiert der Medienrechtler Wolfgang Lent, die Regelungen träfen ausschließlich Online-Medien, was Indiz für eine Sonderrechtsregelung sein kann. Zudem sei nicht klar definiert, wer unter das Gesetz falle. Vor allem aber würde die Kontrollfunktion gegenüber dem Staat ausgehebelt, wenn Journalisten bei ihrer Recherche Rücksicht auf Staatsbelange nehmen müssten.
„Eine Behördenaufsicht über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten führt gerade in diesen Fällen zu inakzeptablen Rahmenbedingungen der online-journalistischen Arbeit”, erklärte dazu Lent.
Multipolar prüft derzeit das Schreiben der Landesmedienanstalt um das weitere Vorgehen zu bestimmen.
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