KW 27: Die Woche, in der wir an unserer Wahrnehmung gezweifelt haben

Die 27. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 17 neue Texte mit insgesamt 120.944 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Ein Fraktal in vielen Farben
– Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

unsere Texte wiederholt zu prüfen, bevor wir sie veröffentlichen, ist für uns Routine. Deshalb läuft in meinem Hinterkopf beim Check manchmal ein kleines, imaginäres Gerichtsverfahren. Eine Inkarnation von Barbara Salesch fragt mich dann: „Aha, da steht: ‚Der Himmel war blau.‘ Wie kommen Sie denn darauf?“ Zu meiner Verteidigung ziehe ich dann die abgehefteten Wetterberichte des Tages hervor.

Einer der einfachsten Fälle, etwas zu überprüfen: Wenn es in einem öffentlichen und zweifelsfrei authentischen Dokument steht. Oder wenn es irgendwer in ein Mikro gesagt hat. Wenn die Sätze dann noch klar und unmissverständlich sind, ist die Sache eigentlich schnell abgehakt.

Aber manchmal beobachte ich mich dabei, wie ich trotzdem zweifle. Wie ich ein Dokument fünf Mal öffne, nochmal nachlese. Dann schaue, was für ein Datum auf dem Dokument steht. Vielleicht bin ich ja um ein paar Jahrzehnte im Raum-Zeit-Kontinuum verrutscht? Oder ich habe irgendeinen Kontext übersehen? Manchmal finde ich mich dann als Teil Morgensternscher Lyrik wieder:

Und er kommt zu dem Ergebnis:
Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.

Diese Woche ging mir das so bei dem Beschluss der Innenministerkonferenz zur Überwachungsgesamtrechnung. Kurz zusammengefasst: Die Innenminister:innen finden die Überwachungsgesamtrechnung doof. Das dahinterliegende Freiheitsverständnis finden sie zu eindimensional. Freiheit und Sicherheit sind ja keine Gegensätze. (Da würde ich sogar mitgehen.) Eine Freiheitskommission finden sie auch doof, ganz grundsätzlich. Es sollen sich nicht noch mehr Leute in die Gesetzgebung reinhängen. Stattdessen fordern sie eine Sicherheitsgesamtrechnung. (Wie war das mit der Eindimensionalität?)

Ich habe die Beschlüsse gelesen, nochmal gelesen, nochmal gelesen und vergeblich eine Satirekennzeichnung gesucht. Weil mir nicht in den Kopf wollte, wie man vermeintlich unironisch erst das angeblich eindimensionale Freiheitsverständnis kritisieren kann, um es dann selbst zu beschwören. Weil ich es verwunderlich finde, wie man etwas so fundamental ablehnen kann, das noch nicht fertig ist, wo wir noch nicht einmal Zwischenergebnisse kennen. Egal, was dabei rauskommt: doof. Wie ein prototypisches Kleinkind mitten in der Trotzphase. Doch all mein Zweifeln änderte nichts an dem, was da schwarz auf weiß stand.

Das ist nicht das erste Mal. Mir ging es öfter so bei der Überprüfung unseres Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“, bei dem uns Menschen erzählt haben, wie unvermittelt die Polizei in ihrem Zuhause stand. Ich bin immer wieder ungläubig bei der Berichterstattung über Migrationsthemen, ob etwas wirklich so unmenschlich sein kann. Aber wenn ich dann auch die zehnte kritische Nachfrage meiner inneren Fernsehrichterin beantworten kann, ist das vielleicht ein guter Gradmesser dafür, dass gerade so richtig etwas schiefläuft.

Habt ein gutes Wochenende!

anna


Soziale Medien: Die Renaissance des Handwerks

Content Creator:innen machen Handarbeit und erstellen daraus digitale Inhalte für die sozialen Medien. Jenseits von Selbstinszenierung und verstecktem Product Placement erleben so Millionen Menschen traditionelle Handwerkskunst im Netz. Von Vincent Först –
Artikel lesen

Aufenthaltsrecht: Mehrheit der Bundesländer will aus Kirchenasyl abschieben

Im Mai warf der Podcast von netzpolitik.org ein Schlaglicht auf zunehmendes staatliches Vorgehen gegen Kirchenasyl. Inzwischen verhandelt die evangelische Kirche darüber mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Niedersachsen will solange auf Abschiebungen aus sakralen Räumen verzichten, andere Bundesländer sind dazu nicht bereit. Von Martin Schwarzbeck –
Artikel lesen

Barrierefreiheit: Wie ein Atlas in die Irre führt

Der „Atlas Digitale Barrierefreiheit“ kommt zu dem Ergebnis, dass nahezu alle Online-Angebote der deutschen Kommunen erhebliche Mängel bei der digitalen Barrierefreiheit aufweisen. An der Auswertung waren erstmals auch Menschen mit Behinderung beteiligt. Das klingt fundiert recherchiert und dramatisch – allerdings nur auf den ersten Blick. Von Gastbeitrag, Casey Kreer –
Artikel lesen

Digital Services Act: Klaffende Lücken in der Transparenz

Es wird noch dauern, bis der Digital Services Act sein Versprechen von umfassender Transparenz über die Moderationspraktiken von Plattformen erfüllt. Seit einigen Monaten ist die Verordnung vollständig in Kraft, trotzdem befüllen bislang fast nur besonders große Online-Dienste die Transparenzdatenbank der EU. Von Tomas Rudl –
Artikel lesen

Chatkontrolle: Kinderschutzbund fordert wirksame Maßnahmen statt Massenüberwachung

48 zivilgesellschaftliche Organisationen wie CCC und Kinderschutzbund fordern die ungarische Ratspräsidentschaft auf, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern zu erarbeiten. Der Verordnungsvorschlag zur Chatkontrolle soll hingegen endlich beerdigt werden. Von Anna Biselli –
Artikel lesen

Recht auf Internet: Mindestversorgung mit Internet soll sich verbessern

Das Recht auf Internet hat sich zwar noch nicht weitflächig durchgesetzt. Jetzt sollen aber die Mindestbandbreiten angehoben werden, um mehr Menschen digitale Teilhabe zu ermöglichen. Als Basis dient ein Prüfbericht der Bundesnetzagentur, den wir veröffentlichen. Von Tomas Rudl –
Artikel lesen

Vorauseilende Ablehnung: Innenministerkonferenz attackiert Überwachungsgesamtrechnung

Im Januar begannen Forschende mit der Überwachungsgesamtrechnung. Doch bevor die Ergebnisse vorliegen, machen die Innenminister:innen der Länder klar: Wir lehnen die Maßnahme aus dem Bundeskoalitionsvertrag ab – egal, was rauskommt. Von Anna Biselli –
Artikel lesen

Offener Brief zum Global Digital Compact: „Es gibt keine zentrale Kontrollstelle im Internet“

Der Global Digital Compact soll die Regulierung des Internets auf internationaler Ebene neu regeln. Schon der erste Entwurf des Abkommens stieß in der Zivilgesellschaft auf Kritik. Nun warnen namhafte Entwickler:innen vor einer Zentralisierung des Netzes. Von Daniel Leisegang –
Artikel lesen

PayPal und Kreditkarten: Wer alles weiß, wenn du online bezahlst

Es gibt in Deutschland einen klaren Platzhirschen im Online-Zahlungsmarkt: PayPal. Dazu kommen noch Kreditkarten, also Visa und Mastercard. Neben dem Geld fließen dabei aber auch Daten – und zwar nicht zu knapp. Von Maximilian Henning –
Artikel lesen

Neues aus dem Fernsehrat (107): Revolution im Fernsehrat

Der ZDF-Fernsehrat konstituiert sich neu. Ihm werden so viele neue Fernsehräte – oder besser Fernsehrätinnen – angehören wie noch nie. Dies ist einer Reform aus dem Jahr 2016 zu verdanken. Von Laura-Kristine Krause –
Artikel lesen

FRITZ!Box-Hersteller : 16 Millionen Euro Strafe für Preisabsprachen

Der FRITZ!Box-Hersteller hat mit Händlern die Preise seiner Produkte abgesprochen. Nach Ermittlungen des Bundeskartellamts kam es jetzt zu einer Vereinbarung, die eine Geldstrafe in Millionenhöhe umfasst. Von Nora Nemitz –
Artikel lesen

U.S. Supreme Court: Soziale Netzwerke dürfen weiter Inhalte moderieren

Zwei Gesetze aus Texas und Florida sollten es Social-Media-Plattformen erschweren, von Nutzer*innen erstellte Beiträge zu moderieren. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat nun entschieden, dass die Gesetze erneut überprüft werden müssen. Von Martin Schwarzbeck –
Artikel lesen

Digitaler Euro: Was soll mir das bringen?

Die EU werkelt an einer digitalen Version des Euros. Aber warum braucht es die? Kann ich nicht schon mit PayPal oder meiner Bankkarte digital bezahlen? Ja, schon – aber nicht überall. Und es verdient jemand dabei mit. Von Maximilian Henning –
Artikel lesen

Juristische Einschätzung: Was die neuen Ausweisungsregeln bedeuten

Menschen ohne deutschen Pass sollen leichter ausgewiesen werden, wenn sie auch nur eine einzige terroristische Tat im Netz billigen oder verbreiten. Aber reicht dafür schon ein Like? Fachleute für Aufenthaltsrecht bezweifeln das – und weisen auch auf andere Schwierigkeiten hin. Von Chris Köver –
Artikel lesen

EU-Rat verhandelt zum Digitalen Euro: Wie viel Datenschutz darf’s denn sein?

Die Mitgliedstaaten diskutieren Regeln für die geplante digitale Währung, insbesondere Überwachungsausnahmen für Offline-Zahlungen. Außerdem gibt ein geplanter „zentraler Zugangspunkt“ Anlass zur Sorge. Es wird aber auch über zusätzliche Datenschutzregeln gesprochen. Wir veröffentlichen Arbeitsdokumente aus den vergangenen Monaten. Von Maximilian Henning –
Artikel lesen

EU Council discusses Digital Euro: And how much privacy should it be?

Member states are negotiating rules for the planned digital currency, in particular exemptions from surveillance for offline transactions. A planned „single access point“ is a cause for concern, but additional privacy rules are also on the table. We publish working documents from recent months. Von Maximilian Henning –
Artikel lesen

Kaum bekanntes Hinweisgeberschutzgesetz: Der langsame Dampfer Polizei

Seit einem Jahr genießen Whistleblower:innen besonderen Schutz, wenn sie Missstände melden. Doch viele wissen nichts von ihren neuen Rechten – und eine umfassende Evaluation könnte an Geldmangel im Justizministerium scheitern. Von Tomas Rudl –
Artikel lesen


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Getting new content in
:

Nur wer angemeldet ist, geniesst alle Vorteile:

  • Eigene Nachrichten-Merkliste
  • Eigener Nachrichtenstrom aus bevorzugten Quellen
  • Eigene Events in den Veranstaltungskalender stellen
M T W T F S S
1
 
2
 
3
 
4
 
5
 
6
 
7
 
8
 
9
 
10
 
11
 
12
 
13
 
14
 
15
 
16
 
17
 
18
 
19
 
20
 
21
 
22
 
23
 
24
 
25
 
26
 
27
 
28
 
29
 
30
 
31