Blair-Institut legt Plan für digitale ID-gestützte Nationale Datenbibliothek vor
Eine Nationale Datenbibliothek könnte der Regierung uneingeschränkten Zugang zum Privatleben jedes Einzelnen gewähren und den Weg für einen vollständigen Überwachungsstaat ebnen – so die Befürchtung einiger Kritiker.
Das Tony Blair Institute for Global Change fordert die Einführung einer digitalen ID-gestützten Nationalen Datenbibliothek (NDL) für das gesamte Vereinigte Königreich, um künstliche Intelligenz (KI) in Regierungsdiensten einzusetzen.
Zwei Wochen, nachdem der ehemalige britische Premierminister Tony Blair auf dem World Governments Summit in Dubai mit Oracle-Mitbegründer Larry Ellison über dieses Thema gesprochen hatte, veröffentlichte sein Institut nun ein umfangreiches Konzept für die Schaffung und Umsetzung einer Nationalen Datenbibliothek.
Was ist die Nationale Datenbibliothek?
Laut dem Bericht „Regieren im Zeitalter der KI: Aufbau der Nationalen Datenbibliothek Großbritanniens“ heißt es:
„Die Nationale Datenbibliothek (NDL) hat das Potenzial, eine zentrale Infrastruktur für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich zu werden. Sie soll das volle Potenzial der öffentlichen Daten ausschöpfen, indem sie sicheren, nahtlosen, schnellen und skalierbaren Zugang zu verknüpften Datensätzen ermöglicht.“
Zudem betont der Bericht:
„All dies wäre ohne eine verbesserte Dateninfrastruktur nicht möglich, einschließlich Maßnahmen zur Interoperabilität und zur digitalen Identität.“
Welche Daten sollen in der Bibliothek erfasst werden?
Die UK National Data Library soll alle verfügbaren Daten Großbritanniens zusammenführen, darunter Informationen zu:
- Gesundheit
- Energie
- Haushalte
- Renten
- Landwirtschaft
- Bildung
- Arbeitsmarkt
- Steuern
- Justiz
- Und vieles mehr
Ziel ist es, eine einheitliche, interoperable Datenbank zu schaffen, die Daten über alle Bürger und alle Aspekte des Lebens im Vereinigten Königreich miteinander verknüpft.
Digitale Identität als Grundvoraussetzung
Laut Bericht ist das Konzept ohne ein digitales Identitätssystem für alle Bürger nicht umsetzbar.
„Das Vereinigte Königreich sollte eine eindeutige persönliche Kennung einführen, um eine genaue und effiziente Datenverknüpfung über alle öffentlichen Dienste hinweg zu ermöglichen. Eine universelle persönliche Kennung, integriert in die GOV.UK Wallet-App und damit verbundene Berechtigungen, wird notwendig sein, um personalisierte Dienstleistungen in großem Maßstab bereitzustellen.“
Die Autoren betonen, dass eine effektive Datenintegration zwischen zentralen und lokalen Behörden von einer harmonisierten persönlichen Kennung abhängt:
„Harmonisierte persönliche Kennungen sollten eingeführt werden, um Interoperabilität und Verknüpfung über verschiedene Regierungssysteme hinweg zu verbessern.“
Kein „Datensee“, sondern ein Netzwerk
Das Blair-Institut stellt klar, dass die NDL keine zentrale Sammelstelle für alle Daten sein soll, sondern eine sichere Umgebung, die den Zugang zu verknüpften öffentlichen Daten in verschiedenen Regierungsstellen ermöglicht.
Dafür soll ein föderiertes Datenfreigabemodell eingeführt werden, das es erlaubt, dass Datensätze an ihrem ursprünglichen Speicherort verbleiben, aber sicher miteinander verknüpft werden.
„Die NDL sollte ein Netzwerk nationaler Datenbibliothekare in wichtigen Regierungsbehörden und Diensten schaffen, einschließlich des NHS.“
Datenzugang nur für Mitglieder mit „Reader Pass“
Obwohl die Datenbibliothek als „offizielle Regierungsplattform“ beworben wird, werden normale Bürger keinen Zugang erhalten.
Stattdessen wird ein „Reader Pass“ eingeführt – eine Art Mitgliedsausweis, mit dem Regierungsbeamte, Akademiker und Unternehmen Zugang zu den Daten beantragen können.
„Die NDL sollte einen Reader Pass einführen (eine Art digitale Bibliotheksmitgliedschaft), der Benutzerrechte auf Basis von Qualifikationen, Konformität und bisheriger Nutzung definiert.“
Der Reader Pass wird in verschiedene Zugriffslevel unterteilt:
- Grundlegender Zugriff auf offene Daten
- Erweiterter Zugriff für Forscher mit Schulungen im Bereich Informationsmanagement
- Vollzugriff für Beamte mit Zugang zu sensiblen Informationen gemäß dem Official Secrets Act
Zahlungspflicht für Unternehmen und private Institutionen
Unternehmen, die von den Daten profitieren wollen, müssen eine Gebühr zahlen:
- Große Privatunternehmen sollen mehr zahlen, da sie durch die Nutzung der Daten für KI-Modelle und Geschäftsentwicklungen einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen.
- Akademische Einrichtungen, kleinere Organisationen und unabhängige Forscher sollen von ermäßigten Preisen profitieren.
Einige Nutzer könnten jedoch kostenlosen Zugang erhalten, beispielsweise Inhaber von Global Talent-Visa.
Personenbezogene Daten und rechtliche Herausforderungen
Das Blair-Institut möchte, dass die NDL langfristig auch personenbezogene Daten erfasst.
„Während die NDL reift, muss sie sich weiterentwickeln, um die Nutzung personenbezogener Daten für hochwirksame Anwendungen zu unterstützen, in denen anonymisierte Datensätze nicht ausreichen.“
Dabei wird auf die wachsende Nachfrage von Kommunalverwaltungen verwiesen, die derzeit auf Daten in Whitehall nicht zugreifen können.
Die Integration personenbezogener Daten bringt jedoch erhebliche Datenschutz- und Sicherheitsrisiken mit sich. Um dies zu rechtfertigen, verweist der Bericht auf die Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie, als der Staat Notverordnungen nutzte, um Patientendaten freizugeben.
„Während COVID-19 ermöglichten Notfallmaßnahmen die umfassendere Nutzung von Patientendaten. Ein ähnlicher Ansatz könnte helfen, rechtliche und rufschädigende Bedenken zu überwinden, insbesondere in sensiblen Bereichen wie Gesundheit, Steuern und Justiz.“
Zusätzlich schlägt das Blair-Institut vor, Gesetze anzupassen, um eine einfachere Nutzung personenbezogener Daten zu ermöglichen, darunter:
- Änderung von Abschnitt 65(4) des Digital Economy Act 2017 (DEA) zur Aufnahme von Gesundheits- und Sozialdaten
- Anwendung der COPI-Regeln aus 2002, die während der Pandemie zur schnellen Datenfreigabe genutzt wurden
Missbrauchsmöglichkeiten und Überwachung
Die Autoren des Berichts sind sich bewusst, dass die Verknüpfung aller Bürgerdaten erhebliche Risiken birgt.
Um Missbrauch zu verhindern, schlagen sie Verhaltenskodizes und Sanktionen vor:
„Die NDL sollte Nutzer verpflichten, klare Nutzungsbedingungen einzuhalten, mit durchsetzbaren Konsequenzen bei Missbrauch – darunter die Sperrung des Reader Pass oder die Aufnahme in ein Datenstraftäter-Register.“
Doch wer definiert, was Missbrauch ist? Die Regierung?
Was passiert, wenn der Staat seine eigene Macht missbraucht – unter Berufung auf eine „Krise“ oder einen „Notfall“?
„Die Wirkung der NDL würde verstärkt, wenn sie mit dem National Policy Twin (NPT) integriert wird – einem digitalen Zwilling für politische Entscheidungen.“
Fazit: Ein Werkzeug für Fortschritt oder totalitäre Kontrolle?
Die Nationale Datenbibliothek könnte unbestreitbar Vorteile für Verwaltung und Forschung bringen. Doch die Grenze zwischen digitaler Effizienz und totaler Überwachung ist schmal.
Das Konzept stützt sich auf digitale Identitäten als Grundlage. Wer sie akzeptiert, könnte sich unbewusst in ein System begeben, das Verhaltenskontrolle durch Datenverknüpfung ermöglicht.
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