Immer mehr Tech-Giganten wie OpenAI, Meta, Google und Palantir liefern ihre Technologien an das US-Militär. Das einstige Tabu wird zur Normalität – trotz interner Proteste und ethischer Bedenken. Was treibt die Tech-Branche in die Arme des Rüstungssektors?
Die Tech-Industrie und der US-amerikanische Rüstungssektor pflegen eine komplizierte Beziehung. Die Weltverbesserungsideale des Silicon Valleys scheinen eine Zusammenarbeit mit dem Militär zu verbieten. Sie dürfen nicht, sie sollten nicht, doch sie können einfach nicht voneinander lassen – zu verlockend das schier unendlich wirkende Budget des Pentagons, zu intelligent die technologischen Spielzeuge aus dem Silicon Valley.
Was teilweise noch als Tabu galt, wird zunehmend normalisiert: Immer mehr Tech-Unternehmen stellen ihre sogenannten KI-Technologien dem US-Militär zur Verfügung. In den vergangenen Wochen haben gleich mehrere Unternehmen eine Zusammenarbeit mit dem Rüstungssektor angekündigt, unter ihnen die Tech-Giganten OpenAI und Meta. Die Entscheidung stellt einen Kurswechsel in der KI-Branche dar, was militärische Verwendungszwecke angeht, denn bisher waren viele Firmen noch recht zaghaft im Umgang mit dem Militär.
Einige Unternehmen im Silicon Valley priesen in den Anfängen ihrer KI-Ambitionen noch hohe Ideale, nur um sie dann später fallen zu lassen. Das lässt sich gut am Beispiel von Google skizzieren. Als das Unternehmen 2014 den KI-Pionier DeepMind kaufte, verpflichtete es sich, die Technologie des Start-ups nicht für militärische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Vier Jahre später nahm Google allerdings am „Project Maven“ teil, einem Projekt des Pentagons für die Entwicklung von autonomen Kampfdrohnen.
Interner Protest bei Google
Der interne Protest darüber war so groß, dass CEO Sundar Pichai schließlich die Teilnahme zurückzog und firmeneigene KI-Prinzipien festsetzte. In diesen heißt es, dass Google sich nicht an „Waffen oder anderen Technologien, deren Hauptzweck oder Einsatz darin besteht, Menschen zu verletzen oder dies unmittelbar zu erleichtern“, beteiligen wird.
Dieses Prinzip hindert das Unternehmen jedoch nicht daran, weiterhin Geschäfte mit dem Verteidigungsministerium zu machen: Aktuell liefert Google beispielsweise seine Cloud-Computing-Technologie an das Pentagon, das nach eigener Aussage eine Verwendung für Kampfzwecke nicht ausschließt. Google reizt dadurch die Grenzen seiner eigenen Prinzipien aus. Dieselbe Technologie liefert das Unternehmen auch an das israelische Verteidigungsministerium, was für erneute interne Kritik bei Google gesorgt hat.
Auch der CEO von OpenAI, Sam Altman, muss sich aktuell mit internen Widerständen gegen seine Zusammenarbeit mit dem Rüstungssektor auseinandersetzen. Er hatte bei der Vorstellung von OpenAI vor neun Jahren angekündigt, die entwickelten Technologien sollten „der Menschheit als Ganzes zugutekommen“ und nicht für militärische Zwecke eingesetzt werden. Im Januar dieses Jahres strich OpenAI allerdings stillschweigend Stellen in ihren Nutzungsregeln, die militärische Verwendungen verbieten.
Wird OpenAI das reale Skynet?
Anfang Dezember kündigte Altman dann eine Kooperation mit dem Rüstungs-Tech-Start-up Anduril an, das unter anderem autonome Raketen und Drohnen für das US-Militär entwickelt. Er betonte, dass die Technologien seines Unternehmens zur Entwicklung von Verteidigungssystemen gegen Drohnen eingesetzt werden sollen. In einem OpenAI-internen Austauschforum kritisierten einige Mitarbeitende ihren Arbeitgeber für die Zusammenarbeit und fragten, wie man garantieren könne, dass die Systeme nicht auch gegen Menschen eingesetzt würden.
Ein Mitarbeiter merkte an, dass defensive Anwendungsfälle immer noch eine Militarisierung der sogenannten KI darstellen würden. Er erinnerte daran, dass das fiktive KI-System Skynet, das sich in den Terminator-Filmen gegen die Menschheit wendet, ursprünglich auch zur Abwehr von Luftangriffen auf Nordamerika entwickelt wurde. Das Management von OpenAI erkannte die Kritik ihrer Mitarbeitenden an, bemerkte im gleichen Forum allerdings auch, dass es wichtig sei, den Militärs von demokratisch geführten Staaten die bestmöglichen Technologien zur Verfügung zu stellen.
Die Guten gegen die Bösen
Das Argument, dass man die Waffe lieber den demokratischen „Good Guys“ als den autoritären Feinden anvertraut, scheint aktuell für immer mehr US-amerikanische Tech-Unternehmen zu ziehen. Manche brauchen für diese Erkenntnis allerdings etwas externe Denkhilfe: Meta hatte sich ursprünglich geweigert, sein öffentlich verfügbares Sprachmodell „Llama“ für den Einsatz für militärische Zwecke zu erlauben. Dem chinesischen Militär schien das allerdings egal gewesen zu sein, denn die nutzten das Modell als Basis für die Entwicklung eines eigenen Sprachmodells namens „ChatBIT“.
Drei Tage, nachdem das öffentlich bekannt wurde, löschte Meta die entsprechenden Verbote in den Nutzungsbedingungen und kündigte in einem Blogpost Partnerschaften mit US-Rüstungskonzernen wie Lockheed-Martin sowie dem Überwachungs- und Militärtechnik-Unternehmen Palantir an. Plötzlich entdeckte Meta seinen uramerikanischen Patriotismus: „Als amerikanisches Unternehmen, das seinen Erfolg zu einem nicht geringen Teil dem Unternehmergeist und den demokratischen Werten der Vereinigten Staaten verdankt, möchte Meta seinen Beitrag zur Sicherheit und zum wirtschaftlichen Wohlstand Amerikas – und auch seiner engsten Verbündeten – leisten“, heißt es in dem Blogpost von Anfang November.
Im Angesicht des öffentlichen und politischen Drucks, dem Meta wohl ausgesetzt war, wirkte diese Kehrtwende wenig überraschend. Etwas unerwarteter kam hingegen die Ankündigung des Sprachmodell-Entwicklers Anthropic über eine Zusammenarbeit mit Palantir, um ihre Large-Language-Modelle an den Rüstungssektor zu verkaufen.
Anthropic wurde 2021 von ehemaligen Mitarbeitenden von OpenAI gegründet, die fanden, dass CEO Sam Altman die Sicherheit von sogenannten KI-Technologien nicht ernst genug nahm. Einen dieses Jahr im US-Bundesstaat Kalifornien vorgeschlagenen „AI Safety Act“, den OpenAI ablehnte, befürwortete Anthropic. Mit dieser Vergangenheit erscheint eine Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Überwachungsunternehmen Palantir und dem US-amerikanischen Rüstungssektor nicht gerade naheliegend.
Eine protektionistische KI-Politik
Doch auch der CEO von Anthropic, Dario Amodei, entdeckte jüngst einen ausgeprägten Patriotismus für sich, der über alle Sicherheitsbedenken hinweghalf. In seinem im Oktober veröffentlichten Essay „Machines of Loving Grace – How AI Could Transform the World for the Better“ plädiert er für eine protektionistische KI-Politik, die eine Vormachtstellung der USA auf dem Gebiet garantieren soll. Eine demokratische Allianz solle demnach für „stabile militärische Überlegenheit“ sorgen und KI-Technologie selektiv mit Nationen teilen, die sich bereit erklären, „die Strategie der demokratiefördernden Koalition“ zu unterstützen.
So sollen die „ärgsten Feinde“ der Demokratie von der Welt isoliert und dazu gebracht werden, einen Kampf gegen einen „überlegenen Gegner“ aufzugeben. Den ärgsten Feind auf dem Gebiet der KI-Entwicklung sieht Amodei aktuell in China, dem man den Zugang zu „wichtigen Ressourcen wie Chips und Halbleiterausrüstung“ blockieren müsse. Er bekennt sich damit zu dem „Chip-Krieg“ der USA und anderer westlicher Mächte mit China.
Dass Anthropics Ankündigung, mit dem US-amerikanischen Rüstungssektor zusammenzuarbeiten, nur zwei Tage nach der diesjährigen US-Wahl veröffentlicht wurde, dürfte kein Zufall sein. Auch wenn der Chip-Krieg zuletzt stark von der Biden-Regierung vorangetrieben wurde, war es doch die erste Amtszeit unter Trump, die zu dem Handelskrieg geführt hat. In den vergangenen Tagen gab es Annäherungsversuche – so lud Trump den chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu seiner Vereidigung im Januar ein –, doch seine weiteren Ankündigungen lassen nicht auf eine kurzfristige Entspannung des Konflikts schließen.
Die Rolle von Trump
Nach der gewonnenen Wahl schmiegen sich nun immer mehr Tech-CEOs an Trump. Allen voran natürlich sein Tech-Bro vom Dienst, Elon Musk, der nach Wahlkampfspenden im dreistelligen Millionenbereich nun einen Posten als Berater für Regierungseffizienz ergattert hat. Auch Jeff Bezos und Mark Zuckerberg haben ihre Begeisterung für Trump mittlerweile für sich entdeckt und versuchen, ihre frühere Kritik an ihm durch Sympathiebekundungen zu retuschieren.
Sich jetzt präventiv mit der Trump-Regierung anzufreunden, dürfte sehr profitabel für Tech-Unternehmen sein, denn sie vergibt in Zukunft die heiß begehrten Regierungsaufträge an Privatunternehmen. Das spendabelste Ministerium ist das der Verteidigung: Ihm stehen im aktuellen Haushaltsjahr über eine Billion US-Dollar zur Verfügung. Die Hälfte davon gibt sie an die sogenannten Government Contractors, also an Vertragspartner der Regierung. Um an diesem gigantischen Topf teilhaben zu können, nähern sich viele Tech-Unternehmen aktuell Trump und gleichzeitig dem Rüstungssektor an.
Doch auch nicht-staatliche Akteure investieren zur Zeit massiv in die Militär-Tech-Branche: Von 2021 bis 2023 haben private Investoren über 108 Milliarden US-Dollar in Militär-Tech-Unternehmen gesteckt, analysierte die Datenfirma PitchBook. Bis 2027 werden die Investitionen voraussichtlich auf knapp 185 Milliarden steigen. Angeführt und angeheizt wird der Anlagetrend von einer Gruppe aus Risikokapitalgebern, die an einer Militarisierung der Tech-Branche interessiert sind.
Das militarisierte Silicon Valley
Die sowieso schon maskulin anmutende Tech-Bro-Kultur des Silicon Valleys transformiert sich durch die täglich aufploppenden Militär-Tech-Start-ups zu einem in Testosteron getränkten Teenagertraum: Ausflüge zu Schießanlagen, Tech-Demos mit Explosionen und Partybusse zu Stripclubs definieren la belle vie in Kaliforniens reichstem Tal – primär für Männer, berichtet die Washington Post.
Von einer aktuellen Militarisierung des Silicon Valleys kann aber eigentlich streng genommen nicht die Rede sein, denn der Ort ist bereits vom US-Militär erschaffen worden. In den 1950er Jahren verwandelte es eine Fläche von Obstplantagen in Kalifornien in eine Produktionsstätte für Mainframes und Mikroprozessoren. Während des aufkommenden Internet-Zeitalters in den 1980ern und 1990ern verließen Firmen wie Apple und Co. ihre militärischen Wurzeln, indem sie ihre Produkte primär an private Haushalte vermarkteten, schreibt Margaret O’Mara im Buch „The Code: Silicon Valley and the Remaking of America“.
Mit dem durch 9/11 ausgelösten „War on Terror“ interessierte sich das Pentagon dann aber brennend für die technologischen Früchte ihres Plantagen-Tals und schuf zusammen mit der CIA eine verlässliche Pipeline zwischen Tech-Industrie und dem Militär. Eins der Unternehmen, die während dieser Zeit gegründet wurden, war Palantir.
Wandel in der Branche?
Nach den Protesten bei Google über die Teilnahme am autonomen Kampfdrohnen-Projekt „Maven“ 2018 hinterfragten viele Tech-Arbeiter:innen ihre indirekte Tätigkeit für das US-Militär. Eine von ihnen war Liz O’Sullivan: Sie kündigte ihren Job bei einem Tech-Unternehmen, weil ihr Arbeitgeber Technologie für autonome Waffen an das Militär verkaufen wollte.
In einem Artikel begründete sie ihre Entscheidung und unterstrich die Gefahren von autonomen Waffensystemen: Sie seien anfällig für Unfälle, hackbar, intransparent entwickelt, hätten kein Konzept von Moral und würden die Art der Kriegsführung durch ihre übermenschlichen Rechenkapazitäten eskalieren. Damals plädierte sie für einen Wandel in der Branche: „Ich hoffe wirklich, dass die Industrie ihren Kurs ändert und sich bereit erklärt, Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen, um sicherzustellen, dass die Dinge, die wir im privaten Sektor bauen, nicht zum Töten von Menschen verwendet werden.“
Jetzt, fünf Jahre später, ist die von O’Sullivan erhoffte Entmilitarisierung ausgeblieben. Die Tech-Industrie scheint vom Rüstungssektor sehr angetan zu sein. Doch die kollektive Macht der Tech-Arbeiterschaft konnte Google bereits 2018 dazu bringen, aus Project Maven auszusteigen. Aktuell rufen aus den Hallen der großen Tech-Giganten wieder kritische Stimmen – vielleicht werden sie ja sogar erhört.
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