Von Rüdiger Rauls
Nachdem Donald Trump mit seiner Wahl zum Präsidenten neue Hoffnung in den USA verbreitet und damit zur Beruhigung der Lage beigetragen hatte, macht sich nun in anderen Staaten des politischen Westens Instabilität breit. Gleichzeitig aber sorgt sein Sieg auch für erhebliche Unsicherheit unter den Verbündeten, besonders was die Unterstützung der Ukraine und den Verbleib der USA in der NATO angeht. Die Eckpfeiler des westlichen Kapitalismus – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – drohen schwach zu werden. Jetzt kam auch noch Südkorea als Sorgenkind hinzu, neben Japan die letzte Bastion des Westens im Fernen Osten.
Zu wenig Haushaltsgeld
Vordergründig sind die Regierungen in Berlin, Paris, aber auch in London an den Haushaltsfragen gescheitert. Bei Großbritannien lag die Schwäche schon seit dem Kurzaufenthalt von Liz Truss an der Macht vor. Südkorea ist nun mit demselben Befund eingeliefert worden. Was wie ein Haushaltsproblem aussieht, dreht sich in Wirklichkeit um die Frage, wie die Mittel aufgebracht werden können, um den Krieg in der Ukraine weiter zu finanzieren.
Die hoch verschuldeten Staaten können sich beides nicht mehr leisten, die Unterstützung Wladimir Selenskijs und die Daseinsfürsorge für die eigene Bevölkerung. Bisher waren die Menschen in Deutschland bereit gewesen, neben der drohenden Kriegsgefahr die Lasten der Zeitenwende zu tragen in Form von Preissteigerungen, unsicherer Energieversorgung, steigenden Insolvenzen und zunehmender Angst um den Arbeitsplatz. Aber inzwischen wird das Murren im Land lauter und der Sieg der Ukraine immer unwahrscheinlicher. Wofür also noch Opfer bringen?
Dennoch hatte die deutsche Regierung den Kriegskurs gegen Russland durch die Bereitstellung neuer Mittel zur Unterstützung der Ukraine sicherstellen wollen. Darüber war man sich in der Koalition einig. Uneinigkeit bestand nur über den Weg, wie diese Mittel aufgebracht werden sollen. Nicht dass Finanzminister Christian Lindner den antirussischen Kurs hatte blockieren wollen, er wollte nur verhindern, dass die Bereitstellung neuer Mittel unter Aufhebung der Schuldenbremse erfolgen sollte. Der Krieg sollte nicht die zinsgünstige Kreditaufnahme Deutschlands an den Finanzmärkten verderben.
Stattdessen schlug er die Sanierung der Staatsfinanzen vor, kurz gesagt: das Zusammenstreichen von Sozialleistungen. Damit hätte er drei Fliegen auf einen Streich erschlagen: Die Ukraine könnte weiter im Krieg mit Russland unterstützt werden. Das gute Rating Deutschlands an den Finanzmärkten würde weiterhin eine billige Verschuldung zu günstigen Zinssätzen erlauben und drittens könnten die Kosten der Sozialsysteme nachhaltig gesenkt werden, was sich auch langfristig auszahlen würde: Wenn die Unterstützung für die Ukraine dann vielleicht eines fernen Tages zurückgefahren werden kann, würden die Einsparungen bei den Sozialsystemen den Haushalt weiterhin entlasten.
Nicht, dass Kanzler Olaf Scholz weniger am Sieg der Ukraine über Russland interessiert wäre. Er wollte nur, dass die Schuldenbremse "reformiert" wird, um über eine höhere Verschuldung beides finanzieren zu können, den Krieg und die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens. Es soll unbedingt vermieden werden, dass wegen der Verschlechterung der Lebensbedingungen Unruhe entsteht. An diesen grundsätzlich verschiedenen Standpunkten scheiterte letztlich die Ampel.
Schwaches Fundament
Auch in Frankreich steht der neue Haushalt im Vordergrund als Auslöser für den Rücktritt der Regierung Barnier. Seit den Europawahlen und den herben Verlusten der Parteien der bürgerlichen Mitte bei den anschließenden Neuwahlen konnte Präsident Emmanuel Macron nur noch mit Minderheitsregierungen das Land verwalten lassen. Die erste Regierung unter Gariel Attal war nach wenigen Wochen bereits am Ende, die unter Michel Barnier hatte ein noch kürzeres Verfallsdatum. Beide scheiterten am Geld.
Schon seit Beginn seiner Präsidentschaft versucht Macron, Frankreichs finanzielle Schwindsucht zu heilen. Das Haushaltsdefizit läuft aus dem Ruder. Frankreichs "Schuldenberg ist mit rund 3,2 Billionen Euro der höchste Europas, auch die Neuverschuldung steigt und steigt", so die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Schon jetzt beträgt der Schuldendienst 50 Milliarden Euro und wird in den nächsten drei Jahren bei 80 Milliarden Euro erwartet.
Die Investoren an den Finanzmärkten verlangen ständig höhere Zinssätze für das Geld, das sie dem französischen Staat leihen. Damit wird der Schuldendienst immer teurer und schwerer zu bewältigen. Die Rating-Agenturen senken den Ausblick für die Stabilität des französischen Staates, was die Kreditwürdigkeit sinken und die Zinsen weiter steigen lässt. Aber trotz dieser misslichen Lage der französischen Finanzen waren im Verteidigungsbudget Mehrausgaben zugunsten der Ukraine vorgesehen. Am Ende aber fehlten 3,3 Milliarden, weil der Haushalt nicht verabschiedet werden konnte.
Doch so lange kein sicherer Finanzierungsrahmen vorliegt, sind die Rüstungsunternehmen nicht bereit, die Kosten für die Ausweitung der Produktion auf sich zu nehmen. Der Nachschub an Waffen für die Ukraine wird sich verzögern, wenn keine Lösung der Haushaltsprobleme gefunden wird. Nach den Plänen Barniers sollten dafür die französischen Rentner herhalten. Der Aufschub des gesetzlich verankerten Inflationsausgleichs sollte den Haushalt um 3,6 Milliarden Euro entlasten. Insgesamt sollten 60 Milliarden eingespart werden.
"Frankreich muss sparen und funktionieren, nicht nur für seine Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für Europa", schreibt die Neue Züricher Zeitung (NZZ). Frankreichs Rentner sollen also zugunsten der Großmannssucht Macrons und im Interesse der antirussischen Kräfte in Europa Opfer bringen. Während die Opposition in Frankreich die Staatsfinanzen mit "höheren Abgaben für Gutverdiener und Unternehmen in Ordnung bringen will (...) vor einer steigenden Abgabenlast für Unternehmen".
Auch in Südkorea wollte die Regierung unter Präsident Yoon Suk Yeol die Staatsfinanzen auf Kosten der Rentner durch höhere Beiträge sanieren. Die finanzielle Verstrickung Südkoreas in den Ukraine-Krieg ist nicht so tief wie die der westlichen Staaten. Trotzdem hat das Land die "höchste Altersarmut und die gravierendste soziale Ungleichheit unter den OECD-Staaten". Als die Opposition den Plänen des Präsidenten ihre Zustimmung verweigerte, ließ er das Militär aufmarschieren, ein Verfahren, das in Südkorea eine lange Tradition hat.
Schwache Mitte
Dass der Putschversuch am Widerstand der Bevölkerung scheiterte statt am Verhalten der dafür zuständigen Institutionen, ist für die FAZ ein Anlass zur Lobhudelei. Man solle die Vorgänge in Südkorea "nicht als Schwäche einer Demokratie auffassen, sondern als Zeichen ihrer Stärke". Wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehört auch Südkorea mittlerweile zu einem Hauptverbündeten im "globalen Bündnis der Demokraten gegen autoritäre Regime". Auch wenn die FAZ versucht, im Falle Südkoreas aus dem Putschversuch eine Stärke zu machen, so zeigt sich doch in den Vorgängen der letzten Wochen die Schwäche der westlichen Gesellschaftssysteme. Die Parteien der sogenannten demokratischen Mitte sind immer weniger in der Lage, stabile Regierungen zu bilden. Sie verlieren den Kontakt zu den Bürgern. Dass die Parteien an den Rändern Zulauf haben, liegt in der Unfähigkeit dieser Mitte-Parteien, die Menschen mit verständlichen Sichtweisen an sich zu binden und ihnen hoffnungsvollen Ausblick zu bieten.
Dagegen gelingt es anscheinend in Frankreich den Oppositionsparteien von rechts und links, ihre Differenzen in Einzelfragen zugunsten der Interessen der kleinen Leute zurückzustellen. Dieses politische Verhalten beeinträchtigt die Finanzierung des Ukraine-Kriegs auf dem Rücken der Bevölkerung. Entsetzt stellte die FAZ fest: "Die Brandmauer, mit der sich die Linke von der extremen Rechten abgegrenzt hat, ist eingebrochen."
Eine ähnliche Entwicklung scheint sich auch in Großbritannien abzuzeichnen, wo eine Petition zur Absetzung der Regierung sehr großen Zuspruch in der Bevölkerung findet. Die Regierung fühlt sich wohl so sehr unter Druck gesetzt, dass Premierminister Keir Starmer nun eine Liste von Meilensteinen veröffentlichte, die sich verstärkt den sozialen Problemen des Landes zuwenden. Er kündigte einen "höheren Lebensstandard in allen Regionen des Vereinigten Königreichs, den Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen, 13.000 zusätzliche neue Streifenpolizisten (…) bessere Vorschulbildung, Abbau der Wartelisten für Krankenhausaufenthalte" an.
Umschwung
Angesichts der Schwierigkeiten, die eigenen politischen Vorhaben besonders in Bezug auf die Ukraine und Aufrüstung umzusetzen, scheint man zu merken, dass man mit der bisherigen Politik nicht mehr weiterkommt. Man kann nicht beides finanzieren, Aufrüstung und Sozialsysteme. Wenn man auch an der eingeschlagenen Ukrainepolitik festhalten will, so will man sich angesichts ihrer schwindenden Siegeschancen nicht auch noch die eigene Bevölkerung zu sehr zum Feind machen. Einen massiven Sozialabbau zugunsten einer strategischen Niederlage Russlands will man wohl doch nicht riskieren.
Der Stimmungswandel in den westlichen Bevölkerungen hatte sich schon mit dem deutlichen Sieg von Trump in den USA angekündigt. Dessen Wahlerfolg war gewaltiger als erwartet. Kamala Harris, die lange Zeit als Galionsfigur des woken Zeitgeistes herumgereicht und in den entsprechenden Kreisen und Medien gefeiert worden war, verlor überraschend stark und hatte selbst in den Swing States schlechtere Ergebnisse als erwartet. Die Bürger der westlichen Welt wählen immer weniger woke, wenn sie denn überhaupt noch wählen.
Viele sind der Verwirrung im westlichen Denken und der verschwurbelten Wertediskussionen überdrüssig. Sie haben andere Probleme, und diese bediente Trump. Sein Sieg deutet hin auf eine Rückbesinnung der Wähler auf das Wesentliche. Ihnen geht es nicht um die Verbesserung der Welt nach westlichen Maßstäben, was sich ohnehin immer mehr als Messen mit zweierlei Maß entpuppt. Die Menschen wollen gesicherte Lebensgrundlagen und freundliche Zukunftsaussichten, feste Fundamente, auf die man bauen kann, nicht die Beliebigkeit woker Moral und Gefühligkeit.
Ob Trump diese Hoffnungen wirklich erfüllen kann, wird sich noch zeigen. Jedenfalls verfügt er mit seinem Wahlergebnis über eine festere Grundlage als jene Partnerstaaten, die in den letzten Wochen politische Insolvenz anmelden mussten. Den Wertemissionaren scheint die Luft auszugehen. Sie verlieren ständig an Zustimmung in der Bevölkerung für ihre Pläne der Weltverbesserung unter dem Banner fraglicher Werte. Die Menschen werden nicht satt von Werten. Sie schlafen nicht ruhiger, wenn die woken Weltverbesserer es so weit treiben, dass die Welt dabei zugrunde geht. Sie sind immer weniger bereit, für Kreuzzüge im Namen der Werte Opfer zu bringen.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
Mehr zum Thema - Frankreich, Deutschland, Großbritannien: Westeuropas politische Instabilität
Meist kommentiert