Von Anton Gentzen
Russland überraschte die Fachwelt mit dem ersten Einsatz seiner neuartigen Hyperschall-Mittelstreckenwaffe "Oreschnik" und scheint sich in diesem Bereich einen gewissen Vorsprung erarbeitet zu haben. Über die Fähigkeiten des "Oreschnik" wurde viel geschrieben, wobei vieles noch im Dunkeln liegt. Dennoch lässt sich sagen, dass es im Westen derzeit kein Luftabwehrsystem gibt, das einen Beschuss aus dem neuen System wirksam parieren könnte.
Was in den bisherigen Betrachtungen zu kurz kam, ist, dass das russische Raketenprogramm, dessen Teil "Oreschnik" ist, seinerseits Antwort auf vielfältige Aufrüstungsaktivitäten der USA und ihrer Verbündeten ist. Dabei führen die USA seit Jahren ein großangelegtes Programm der Produktion und der Stationierung von Mittel- und Kurzstreckenraketen an den russischen Grenzen durch.
Bereits im Dezember 2023 begann das Pentagon mit Testabschüssen operativ-taktischer Raketen (OTR) eines neuen Typs "Pem" mit einer Reichweite von 500 Kilometern und einer Höchstgeschwindigkeit von 1,7 Kilometern pro Sekunde. Gestartet werden können sie vom HIMARS-Raketenwerfer (zwei Raketen pro Raketenwerfer) und von Mehrfachraketenwerfern MLR (vier Raketen). Die Einführung wird für das Jahr 2025 erwartet, wobei das Pentagon die Beschaffung von etwa 4.000 Pem plant. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll zudem eine Variante mit einer größeren Reichweite (800 bis 1.000 Kilometer) entwickelt werden.
Im Jahr 2024 begann die Entwicklung mobiler Raketensysteme "Dark Typhon". Geplant ist ihre Ausstattung mit Marschflugkörpern Tomahawk, deren Reichweite 2.400 Kilometer beträgt, sowie mit Raketen "Standard-6", Reichweite 500 Kilometer. Dieser Komplex ist für die Bekämpfung wichtiger Land- und Bodenziele und in Zukunft für die Luftverteidigung und Raketenabwehr vorgesehen. Er soll einer strategischen Artilleriedivision des Heeres hinzugefügt werden. Die Indienststellung ist für 2025 geplant.
Fünf Systeme mit 80 Raketen sollen bis 2029 weltweit stationiert werden: im kommenden Jahr eines auf der japanischen Insel Iwojima, ein zweites im Jahr 2026 im deutschen Wiesbaden, die restlichen drei zwischen 2027 und 2029 auf dem US-amerikanischen Festland. Von Iwojima aus beträgt die Anflugzeit der Tomahawk auf Wladiwostok 2,5 Stunden, bei maximaler Reichweite bis zu 3,5 Stunden.
Dem Abschluss nähert sich die Entwicklung mobiler Raketenkomplexe "Lrf" für die Marineinfanterie, die mit Tomahawk-Marschflugkörpern (Reichweite 2.400 Kilometer) bestückt werden können. Ihre Inbetriebnahme ist für das Jahr 2027 vorgesehen. Bis 2030 sollen bereits fünf Raketensysteme mit 148 Flugkörpern im Einsatz sein.
Es wird zudem an der Entwicklung eines Hyperschall-Raketensystems "Dark Eagle" mit einer Reichweite von 5.500 Kilometern gearbeitet, das wichtige Bodenziele, einschließlich zeitkritischer Ziele, treffen soll. Die Raketen dieses Systems erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 5.000 Meter pro Sekunde. 2025 soll der Probeeinsatz beginnen, bereits für 2026 ist die Indienststellung geplant. Auch ihre Stationierung ist ‒ außer in den USA selbst ‒ auf der japanischen Insel Iwojima und in Deutschland vorgesehen. Die theoretische Anflugzeit von Deutschland auf Ziele in Zentralrussland beträgt acht bis zehn Minuten, auf Ziele innerhalb der maximalen Reichweite – 26 bis 30 Minuten.
Mit Ausnahme der USA werden Hyperschall-Raketen kurzer und mittlerer Reichweite in Frankreich (Indienststellung 2033-2035) und in Japan (2029-2031) entwickelt. Die gemeinsame Entwicklung (bis 2030) eines landgestützten Lenkflugkörpers mit Reichweiten zwischen 500 und 700 Kilometern wurde zwischen dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Italien, Polen und Frankreich vereinbart und inzwischen eingeleitet.
Im Zusammenwirken mit bestehenden Waffensystemen der NATO-Länder stellen die in der Entwicklung befindlichen eine ernstzunehmende Gefahr für Russland dar. Ihre Stationierung im Umkreis um Russland zeigt, dass die NATO die Strategie eines "entwaffnenden Erstschlages" gegen Russland weiterverfolgt und sich zielstrebig darauf vorbereitet. Die Fortschritte bei der Entwicklung und Indienststellung moderner Hyperschall-Waffensysteme verschaffen Moskau vor diesem Hintergrund bestenfalls einen gewissen Zeitvorteil, die aggressiven Pläne des Westens sind damit keineswegs vom Tisch.
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