Der Winter zwingt Selenskij zur Änderung seiner Rhetorik

Von Anastassija Kulikowa und Jewgeni Posdnjakow

Wladimir Selenskij hat einen möglichen "ersten Schritt" zu einem Waffenstillstand mit Russland genannt. In einem Interview mit der Financial Times sagte er, dass eine gegenseitige Weigerung Kiews und Moskaus, die Energieinfrastruktur anzugreifen, zur Deeskalation beitragen könnte. Er fügte hinzu:

"Könnte dies zum Ende der heißen Phase des Krieges führen? Ich denke ja."

Zur gleichen Zeit, im August, schrieb die Washington Post, dass die Ukraine und Russland in Katar über die Einstellung des Beschusses von Energieanlagen diskutieren wollten. Das Treffen der Delegationen fand jedoch nicht statt: Vor dem Hintergrund des Einsatzes der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Kursk weigerte sich Moskau, zu verhandeln.

Dabei hatte man sich angeblich große Hoffnungen in die Veranstaltung gesetzt. Doha wollte als Vermittler zwischen den Parteien auftreten. Die endgültige Vereinbarung wurde von den drei Staaten zwei Monate lang diskutiert. Es war geplant, dass das Treffen als Beginn der Entwicklung eines umfassenden Abkommens zur Beendigung des Konflikts dienen würde.

Die russische Führung lehnte jedoch die Durchführung von Verhandlungen zu diesem Thema in Katar ab. So erklärte der Pressesprecher von Wladimir Putin, Dmitri Peskow, dass es keine Gespräche gegeben habe. Die gleiche Information wurde auch von der offiziellen Vertreterin des Außenministeriums Maria Sacharowa bestätigt.

Die Äußerungen Selenskijs in seinem Interview mit der Financial Times sind ein weiteres Beispiel für die "ukrainische Diplomatie", mit der Kiew hofft, alle auf der Stelle zu täuschen, so der politische Analyst Alexei Tschesnakow. Seiner Einschätzung nach versucht der Gegner lediglich, den "Energiekollaps" vor der Heizperiode hinauszuzögern. Der Experte schlussfolgert:

"Die ukrainischen Behörden haben den Sommer über nichts Sinnvolles getan, trotz millionenschwerer Finanzspritzen aus dem Westen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Russland im Winter aufhört, kritische Infrastrukturen anzugreifen, wird es für Selenskij äußerst schwierig sein, ohne größere Erschütterungen durch den Winter zu kommen."

Er unterstreicht:

"Und die Tatsache, dass die russischen Streitkräfte die Ukraine in letzter Zeit vor allem mit Drohnen angreifen und Raketen lagern, deutet darauf hin, dass es eine Reserve gibt, die es ermöglichen würde, das Land in einen totalen Blackout zu stürzen."

Selenskijs Äußerungen sind zudem ein Versuch, die westlichen Partner zu beschwichtigen. Der politische Analyst glaubt:

"In Europa wächst die Müdigkeit über den Konflikt. Die Staats- und Regierungschefs vieler Länder üben offensichtlich Druck auf die ukrainische Führung aus, ihre Position aufzuweichen. Deshalb versucht Kiew, ein imaginäres Abkommen zu demonstrieren, das natürlich nichts mit einer echten friedlichen Lösung zu tun hat."

Er ironisiert:

"Wäre Selenskij offener gewesen, hätten seine Worte zudem wie folgt geklungen: 'Russland, du darfst uns noch nicht angreifen, denn wir haben von den USA noch immer nicht die versprochene Menge an Langstreckenraketen und die Erlaubnis erhalten, dein Territorium damit zu treffen.'"

Tschesnakow schreibt:

"Es ist absolut sicher, dass die gegenseitige Ablehnung von Angriffen auf die Energieinfrastruktur für Selenskij eine vorübergehende Lösung ist, die ihm Raum geben würde, den Druck auf seine Partner zu erhöhen. Deshalb sollte Moskau in dieser Frage nicht mit Kiew mitgehen. Die Ukraine hat sich als Verhandlungspartner völlig diskreditiert."

Auch der Militärkorrespondent Alexander Koz bezeichnet die Aussagen Selenskijs als Lügen. Seiner Meinung nach steht dieser Vorschlag in direktem Widerspruch zum "Friedensplan", der europäischen Politikern kürzlich "mit großem Pomp" vorgestellt wurde. Außerdem habe Russland selbst zuvor eine ähnliche Idee geäußert. Er glaubt:

"Sergei Schoigu hat mitgeteilt, dass Moskau bereit sei, einen ähnlichen Vorschlag der Türkei zu akzeptieren. Und was ist mit der Ukraine? Erst schien sie zuzustimmen, dann griff sie das Gebiet Kursk mit dem Ziel an, das Kernkraftwerk Kursk in ihre Gewalt zu bringen. Nichts wird die Ukraine daran hindern, uns erneut zu 'verarschen'."

Koz warnt auch davor, dass eine Einigung mit Selenskij in dieser Frage das Ende der "heißen Phase des Krieges" nur verzögern wird. Er unterstreicht:

"Wir dürfen nicht vergessen, dass Energie das Lebenselixier des militärisch-industriellen Komplexes ist.

Vor dem Hintergrund des Triumphs des BRICS-Gipfels in Russland wirken solche Aussagen rein politisch. Kiew hat erkannt, dass es die Agenda verliert, und beschlossen, sie anzuführen. Sie sagen: Lasst alle dort über unsere neue 'Friedens'-Initiative diskutieren, nicht über diese neue Weltordnung von euch. Euer Energie-'Waffenstillstand' riecht übel."

Kiew hat bereits zugegeben, dass bis zu 90 Prozent der thermischen Stromerzeugung im Land zerstört sind, erinnert sich Wladimir Skatschko, Kolumnist des Nachrichtenportals Ukraine.ru. Er fügt hinzu:

"Und der Winter steht vor der Tür. Wenn die russischen Streitkräfte mehrere starke Angriffe starten, könnte das nukleare Segment nicht ausreichen, um den gesamten Bedarf zu decken."

Seiner Meinung nach "haben die Kiewer Behörden kein Mitleid mit den Menschen, die möglicherweise ohne Wärme und Licht dastehen werden". Selenskij und sein Büro machen sich eher Sorgen darüber, dass "ohne Energie der militärische Teil der Industrie zum Erliegen kommt", stellte Skatschko klar. Der Experte glaubt:

"Und das wird die Ukraine näher an die Katastrophe und eine mögliche Kapitulation bringen."

Es gibt jedoch noch eine andere Erklärung für Selenskijs Aussage über die Einstellung der Angriffe auf Energieanlagen. Skatschko merkte an, dass die Erklärung genau zu dem Zeitpunkt abgegeben wurde, als sich die Staats- und Regierungschefs der BRICS-Länder und die Gäste der Veranstaltung in Kasan versammelten. Der Gesprächspartner sagte:

"Natürlich sind diese Worte nicht zufällig. Es ist klar, dass der Ukraine-Konflikt auf verschiedenen Verhandlungsebenen in der Hauptstadt von Tatarstan diskutiert wird."

Es ist wichtig, an dieser Stelle den Imagewandel Selenskijs in den Augen des Globalen Südens festzuhalten – vom "Opfer" zum "Aggressor".

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, darunter der Angriff der ukrainischen Streitkräfte auf das Gebiet Kursk, der das Kernkraftwerk in Kurtschatow gefährdet. Dazu gehören auch die regelmäßigen feindlichen Angriffe auf die Anlagen des Kernkraftwerks Saporoschje und die Schaffung von Gefahren für den Transit von Energieträgern.

Mit anderen Worten: Selenskij kämpft einerseits weit über den Rand des Wahnsinns hinaus und versucht andererseits, die Reste der ukrainischen Energiewirtschaft auf raffinierte Weise zu verschleiern, damit sie im Interesse der Rüstungsindustrie und der ukrainischen Streitkräfte funktionieren können. Der politische Analyst glaubt:

"Vor diesem Hintergrund 'jagt er der Welle hinterher' und versucht, sich zum Anführer der Friedensagenda zu machen."

Selenskij läuft jedoch Gefahr, der Verlierer in diesem geopolitischen Spiel zu sein. Der Gesprächspartner bezweifelt, dass es ihm gelingen wird, Russland und die BRICS-Staaten zu überlisten. Skatschko schloss:

"Die Staats- und Regierungschefs der Vereinigung haben sich bereits auf eine Position zur Ukraine geeinigt, die in der Abschlusserklärung des Gipfels von Kasan zum Ausdruck kommt."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 23. Oktober 2024 zuerst bei der Zeitung Wsgljad erschienen.

Anastassija Kulikowa ist Journalistin und SMM-Redakteurin der Zeitung Wsgljad.

Jewgeni Posdnjakow ist ein russischer Journalist, Fernseh- und Radiomoderator.

Mehr zum Thema – Die Ukraine wird den Europäern im Winter das Stromsparen beibringen

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