In der SPD regt sich offener Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung in Sicherheits- und Asylpolitik. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Ampel würden Asylsuchende entmenschlichen und „verstärken auch einen migrationsfeindlichen, rassistischen Diskurs von Rechts“, schreiben mehrere hundert Parteimitglieder und Politiker:innen in einem offenen Brief.
In der SPD formiert sich Widerstand gegen den Kurs, den die Ampelregierung in der Asyl- und Migrationspolitik einschlägt. Mehrere hundert Parteimitglieder und SPD-Politiker:innen – unter ihnen auch Abgeordnete aus Bundestag und Europaparlament – haben einen offenen Brief aufgesetzt, der führende Sozialdemokraten auffordert, rechten Forderungen nicht nachzugeben, sich auf Grundwerte der Partei zu besinnen und das Recht auf Asyl zu wahren.
„Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Kürzung der Sozialleistungen unter das Existenzminimum und Hinderung der Einreise entmenschlichen Asylsuchende und sind dabei weder mit dem europäischen Gedanken, dem europäischen Recht, noch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar“, heißt es in dem Brief. „Diese Maßnahmen sind nicht nur ineffektive Scheinlösungen gegen islamistischen Terrorismus, sondern sie legitimieren rechtspopulistische und rechtsextreme Narrative gegen Geflüchtete und verstärken auch einen migrationsfeindlichen, rassistischen Diskurs von Rechts, der insbesondere von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in diesem Land mit großer Sorge aufgenommen wird.“
Auf Grundwerte besinnen
Die SPD dürfe nie die menschenfeindlichen Narrative und Positionen rechter Parteien aufgreifen und damit normalisieren, kritisieren die Unterzeichner:innen. „Das Nachgeben der demokratischen Parteien vor rechten Forderungen gefährdet die Demokratie und unsere Gesellschaft nachhaltiger, als es Faschisten alleine jemals könnten.“
Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag von Solingen, bei dem ein abgelehnter Asylanwärter drei Menschen tötete, hatte die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP mit einem neuen Kurs der Härte reagiert. Ihr sogenanntes „Sicherheitspaket“, bestehend aus zwei Gesetzentwürfen, baut biometrische Überwachung und Polizeikontrollen aus, richtet sich aber vor allem gegen Asylsuchende. Es sieht vor, Sozialleistungen für bestimmte ausreisepflichtige Schutzsuchende zu streichen und Abschiebungen aus nach Syrien und Afghanistan zu erleichtern. Ermittlungsbehörden sollen mit neuen Befugnissen zur Fahndung im Internet ausgestattet werden.
Die Unterzeichner:innen des Briefes bezweifeln, dass diese Maßnahmen mit europäischem Recht und dem Grundgesetz vereinbar seien. Sie fordern SPD-Vertreter:innen in der Bundesregierung und im Bundestag dazu auf, „sich wieder für eine humane Asylpolitik einzusetzen, die keine rechten Fantasien von geschlossenen Grenzen reproduziert und stattdessen europäisches Recht sowie internationale Solidarität achtet“. Handlungsweisend für politische Entscheidungen und Debatten müssten die Grundwerte der Partei sein und nicht vermeintliche Umfragen oder Stimmungen.
„Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung“
Die beiden Gesetzesentwürfe werden derzeit im Rekordtempo im Bundestag debattiert. Nach einer ersten Lesung vor zwölf Tagen fand gestern eine Anhörung im Innenausschuss statt. Nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP haben die Entwürfe eingebracht – damit der Bundesrat nicht gesondert zustimmen muss.
Die Formulierungshilfe lieferte allerdings die Bundesregierung. Sie hatte sich in den Tagen nach Solingen auf das Maßnahmenpaket geeinigt. Vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wollte sie damit Härte und Entschlossenheit demonstrieren. Die Unterzeichner:innen kritisieren, führende Sozialdemokrat:innen hätten damit „einen Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung mitbefeuert“. Eine ganze Menschengruppe sei mit dieser Politik pauschal unter Terrorismusverdacht gestellt worden.
Initiiert haben den Brief zahlreiche Sozialdemokraten aus Berlin und weiteren Bundesländern. Darunter sind die Berliner Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe, die Vorsitzende der Grundwertekommission Gesine Schwan und mehrere Mitglieder des Bundestags und des Europäischen Parlaments.
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