„Sicherheitspaket“: Freiwillige Ausreise, weil Deutschland zu unbequem wird?

Die Ampel-Regierung streicht bestimmten ausreisepflichtigen Geflüchteten alle Sozialleistungen, selbst Unterkunft und Nahrung. Damit will sie Menschen zur freiwilligen Ausreise bewegen. Dabei scheitern die meisten Abschiebungen von „Dublin-Fällen“ aus ganz anderen Gründen.

Ein Turm hinter einem Zaun.
Blick in die Geflüchtetenunterkunft im ehemaligen Flughafen Berlin-Tegel. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Die Ampel-Regierung will mit ihrem „Sicherheitspaket“ den Druck auf ausreisepflichtige Geflüchtete erhöhen. Sogenannte Dublin-Fälle, für deren Asylverfahren bereits ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen in Zukunft keine Sozialleistungen mehr bekommen, sobald ihre Ausreise angeordnet wurde.

Die Erwartung der Ampel: Ausreisepflichtige werden sich dadurch eher selbst mit den Abschiebebehörden in Verbindung setzen oder freiwillig ausreisen. Mit der Maßnahme würden die Regeln zur Verteilung von Asylsuchenden, die offiziell in der EU ohnehin gelten, nur besser durchgesetzt, steht in der Begründung zum Entwurf.

Jurist:innen und Fachleute von Asylverbänden weisen hingegen darauf hin, dass die Rechnung nicht aufgeht. Die Menschen, denen die Ampel nun jegliche Unterstützung entziehen will, könnten das Land oft aus ganz anderen Gründen nicht verlassen.

Was hat die Ampel-Regierung beschlossen?

Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass über den Schutzstatus einer geflüchteten Person dort entschieden wird, wo sie zuerst die Europäischen Union betreten hat. Laut der am Freitag verabschiedeten Verschärfungen der Ampel bekommen solche sogenannten „Dublin-Fälle“ in Zukunft keine Sozialleistungen mehr, sobald ihre Abschiebung angeordnet wurde.

Bis zur Ausreise und für höchstens zwei Wochen sollen demnach noch lediglich sogenannte Überbrückungsleistungen erbracht werden. Dazu zählen der Bedarf an Ernährung und Unterkunft sowie Körper- und Gesundheitspflege. Ausnahmen sind nur für Härtefälle vorgesehen, etwa bei Schwangeren.

Wie viele ausreisepflichtige Dublin-Geflüchtete gibt es in Deutschland?

Ende Juni 2024 hielten sich rund 24.900 Asylbewerber:innen in Deutschland auf, bei denen im Rahmen von Dublin-Verfahren festgestellt wurde, dass ein anderer Mitgliedstaat für sie zuständig ist. Rund 6.800 davon gelten als ausreisepflichtig, das heißt, es gibt keine Krankheit oder fehlende Papiere, die ihre Ausreise verhindern würden. Die meisten davon kommen aus Syrien oder Afghanistan.

Woran scheitert ihre Abschiebung in der Regel?

Vor allem Vertreter:innen der SPD suggerierten in den vergangenen Wochen, die Abschiebungen scheiterten daran, dass Betroffene untertauchten oder sich auf anderen Wegen ihrer Abschiebung entzögen. Tatsächlich scheitern die „Überstellungen“ von Dublin-Geflüchteten ganz überwiegend aus einem anderen Grund: den zuständigen EU-Staaten. Das zeigt auch die Statistik für das Jahr 2023, wie sie der Mediendienst Integration dokumentiert.

In gut einem Viertel der Fälle weigern sich Mitgliedstaaten demnach, Geflüchtete zurückzunehmen. So macht es derzeit etwa Italien, wo die Postfaschistin Georgia Meloni regiert. In anderen Fällen haben Gerichte festgestellt, dass Deutschland nicht in Staaten abschieben darf, wo Asylsuchenden eine unwürdige Behandlung droht.

Am zweithäufigsten scheitern Abschiebungen an Problemen bei den Ausländerbehörden. Erst an dritter Stelle steht das Abtauchen der Betroffenen. In rund 12 Prozent der Fälle scheitert eine Überstellung in ein anderes EU-Land daran.

Werden durch die Streichung der Sozialleistungen mehr Menschen freiwillig ausreisen?

Fachleute für Migrationsrecht warnen, die Leistungskürzungen würden nicht dazu führen, dass Menschen freiwillig ausreisen. Stattdessen sei zu erwarten, dass Menschen ohne Nahrung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung in Deutschland festsitzen, weil sie faktisch nicht ausreisen können. Damit würde man Dublin-Geflüchtete eher zum Untertauchen bewegen, als dass sie dadurch das Land verlassen.

Die Streichungen wären ein Verstoß gegen die Grundrechte dieser Personen und womöglich verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen festgestellt, dass das Existenzminimum auch für Asylsuchende gilt. Darauf hatte die Organisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im Gesetzgebungsverfahren mehrfach hingewiesen.

Abschiebungen dauerten aufgrund langwieriger Absprachen mit dem Zielland meist viele Monate, erklärt die GFF-Juristin Sarah Lincoln. Damit Menschen auf eigene Faust ausreisen könnten, müssten zunächst die Zielländer zustimmen. Mit einem völligen Leistungsausschluss gerieten Betroffene in der Zwischenzeit „in die Obdachlosigkeit, ohne Geld oder medizinische Versorgung“. Auch der Paritätische Gesamtverband warnt vor diesem Szenario.

In der Bundestagsdebatte am Freitag wiegelten SPD-Vertreter ab: Menschen würden nicht auf die Straße gesetzt und bekämen auch etwas zu essen, wenn sie sich den Behörden stellen würden. Dennoch gilt: Rechtlich sind jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass einzelne Bundesländer besondere Härte demonstrieren können.

 

Kosmetische Korrekturen an Überwachungsplänen

Dürfen Dublin-Fälle freiwillig aus Deutschland ausreisen?

Bisher nicht. Wird festgestellt, dass ein anderes EU-Land für den Fall einer geflüchteten Person zuständig ist, etwa durch einen Treffer ihrer Fingerabdrücke in der EURODAC-Datenbank, muss sie offiziell von Deutschland dorthin überstellt werden. Verantwortlich dafür ist das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF). Eine freiwillige Ausreise ist dabei bislang nicht vorgesehen.

Nachdem Fachleute diesen Punkt im Gesetzentwurf der Ampel harsch kritisiert hatten, haben die Fraktionen die Pläne noch einmal überarbeitet. So steht im Gesetz jetzt zur „Klarstellung“, dass die Leistungen nur dann gestrichen werden dürfen, wenn das Bundesamt für Migration festgestellt hat, dass die Ausreise „rechtlich und tatsächlich möglich“ sei. „Zu diesem Zweck wird dem Ausländer ein Laissez-passer ausgestellt.“ Gemeint sind damit Pass-Ersatzpapiere.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte weist darauf hin, dass die Verwaltungspraxis des BAMF sich nicht dadurch ändern wird, dass die Bundesregierungen Sozialleistungen streicht. Auch nach einer Abschiebeanordnung würden sich Geflüchtete ohne Sozialleistungen durchschlagen müssen, während sie auf ihrer Abschiebung warten.

Wie unterscheiden sich die jetzt beschlossenen Maßnahmen von den Sanktionen, die heute schon für Ausreisepflichtige gelten?

Bereits seit 2019 gilt in Deutschland die sogenannte „Duldung Light“: Personen, die ausreisen sollen, aber bei der Klärung ihrer Identität nicht mithelfen, werden mit Leistungskürzungen und Arbeitsverboten bestraft. Neu und drastisch ist, dass die Leistungen für die Dublin-Fälle jetzt nicht mehr nur gekürzt, sondern komplett gestrichen werden. Damit sollen Betroffene nicht einmal Obdach und Essen bekommen.

Außerdem treffen die Streichungen nicht mehr nur solche Menschen, die in einem anderen EU-Staat bereits Asyl erhalten haben. Es geht auch um Personen ohne Schutzstatus, für deren Asylantrag ein anderes EU-Land zuständig ist.


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