Von Oleg Isajtschenko
Im Oktober sollte sich die Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein treffen. Jedoch sagte US-Präsident Joe Biden, dessen Beteiligung an dem Treffen breit angepriesen worden war, die Reise kurz vor dem geplanten Termin mit der Begründung ab, er müsse die Situation angesichts des auf die USA zurollenden Hurrikans "Milton" persönlich beaufsichtigen.
Daraufhin wurde das Treffen in Ramstein ebenfalls abgesagt, und auch der zweite "Friedensgipfel" musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Unter diesen Umständen beschloss Selenskij, eine Reise durch europäische Länder anzutreten – mit einem "Siegesplan" im Gepäck, der schon in den USA kritisiert worden war.
In Paris musste sich Selenskij dann vor der Presse für Gerüchte rechtfertigen, wonach die Ukraine bereit sei, als Gegenleistung für die EU-Mitgliedschaft das Feuer entlang der derzeitigen Frontlinie einzustellen, ohne Grenzänderungen anzuerkennen. Ihm zufolge wurde dieses Thema mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gar nicht besprochen.
In London traf Selenskij mit dem britischen Premierminister Keir Starmer zusammen. Dabei erörterten sie den militärischen Bedarf der Ukraine, aber es gelang Selenskij nicht, die Erlaubnis für den Einsatz von Storm-Shadow-Langstreckenraketen zum Angriff auf russische Gebiete zu erhalten. Der ukrainische Machthaber sprach auch mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Auf die Frage nach der Bereitstellung von Langstreckenwaffen für die ukrainischen Streitkräfte antwortete Rutte, dass diese Frage zwar erörtert worden sei, die endgültige Entscheidung aber bei jedem einzelnen Bündnispartner liege.
Zwei Hauptforderungen Selenskijs wurden anschließend von Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin ignoriert: die Erlaubnis zum Angriff auf russisches Territorium mit Taurus-Raketen, und die Beschleunigung des NATO-Beitrittsprozesses der Ukraine. Laut Bild heißt es in einem internen Dokument des deutschen Verteidigungsministeriums, dass die Bundeswehr der Ukraine keine Leopard-2-Panzer mehr zur Verfügung stellen werde, obwohl rund 300 Stück davon vorhanden seien.
Darüber hinaus wird berichtet, dass die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, das Treffen in Ramstein zu verschieben, tatsächlich nur in einer formalen Beziehung zum Hurrikan "Milton" gestanden habe. Der eigentliche Grund habe vielmehr darin gelegen, dass er sich vor den US-Präsidentschaftswahlen nicht mehr zum Ukraine-Konflikt äußern wollte. Ein in Deutschland bekannter Militärexperte, Professor Carlo Masala, kommentiert die Situation wie folgt:
"Selenskij hatte keinen Erfolg mit den beiden Hauptforderungen seines 'Siegesplans' und seine Europatournee erwies sich als Misserfolg für die Ukraine."
Nach seinen Reisen erklärte Selenskij seinerseits, Kiew warte auf ein "Signal der Entschlossenheit" des Westens, was Angriffe mit Langstreckenwaffen gegen Russland angehe. Vor diesem Hintergrund berichtete die Washington Post, dass die jüngste EU-Entscheidung über Investitionen in Höhe von etwa 440 Millionen US-Dollar in die Entwicklung der ukrainischen Verteidigungsindustrie die Schwäche des europäischen Verteidigungssektors unterstreiche, der nicht in der Lage sei, den Rüstungsbedarf der Ukraine aus eigener Kraft zu decken.
Wladimir Skatschko, ein Politologe und Kolumnist bei Ukraina.ru kommentiert:
"Wenn man als Hauptziel der Tournee den Versuch ansieht, den Westen zu zwingen, anstelle der Ukraine zu kämpfen, während Kiew in die NATO aufgenommen wird, und Russland eine strategische Niederlage beizubringen, dann ist Selenskij zweifellos gescheitert. Europa und die USA werden den Kampf weiterhin mit den Händen der Ukrainer führen. Doch wenn es um angewandte Aspekte geht, das heißt um die Beteiligung der Ukraine am Krieg, so wird diese gewährleistet sein", fügt der Analyst hinzu.
Skatschko weist zudem darauf hin, dass das Hilfsvolumen zwar nicht den Erwartungen Kiews entspreche. Aber es reiche aus, "um die Maschinengewehre in der Hand zu behalten."
Letztlich wurden – trotz des Widerstands gegen den sogenannten "Siegesplan" – von fast allen Ländern Finanzmittel bereitgestellt. Skatschko meint dazu ironisch:
"Und hier sollte man Selenskij Anerkennung zollen – er meistert seine Rolle als 'Königin der Bettler' perfekt.
Er putzt die Klinken der führenden Weltpolitiker ohne Schamgefühl, ohne Würde und Ehre. Er kratzt einfach an der Tür wie ein verirrter Hund, der hungrig ist und alles tun würde, um gefüttert zu werden. In diesem Sinne hat er seine Arbeit zu 90 Prozent getan."
Auch der deutsche Politologe Alexander Rahr weist darauf hin, dass eines der Hauptziele von Selenskijs Tournee darin bestand, die NATO-Länder in einen direkten Konflikt mit Russland hineinzuziehen:
"Das hat er nicht erreicht. Aber er hat Geld bekommen. Das bedeutet, dass sich die Europäer zumindest in dieser Frage weiterhin mit Kiew solidarisch zeigen.
Frankreich, Italien, Großbritannien – alle verweisen Selenskij an die Deutschen: Er solle sie zunächst einmal von seinem 'Siegesplan' überzeugen. Doch Scholz hat der Forderung nach Taurus-Raketen nicht zugestimmt, weil er keine direkte Beteiligung Deutschlands an der Konfrontation riskieren wollte. Dazu äußerte sich der Bundeskanzler bereits mehrfach, obwohl seine Partner in der Regierungskoalition – die Grünen – die gegenteilige Position vertreten."
Rahr weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock durchaus für Raketenlieferungen an die Ukraine plädiere, ebenso wie sie unterstützende liberale EU-Politiker:
"Es gibt eine klare Spaltung in der Bundesregierung. Vermutlich auch in den europäischen Hauptstädten.
Während die Ungarn eine Antikriegskoalition aufbauen, schaffen die Briten gemeinsam mit Polen und Rumänien eine Art neues Militärbündnis innerhalb der NATO gegen Russland. Das Bundeskanzleramt wiederum kommt auf der Grundlage seiner Analysen zu dem Schluss, dass die Ukraine nicht gewinnen kann. Frankreich hat ähnliche Einschätzungen. Eine ganz andere, eher auf Emotionen basierende Einschätzung findet sich indes im deutschen Außenministerium, wonach Russland nicht gewinnen solle und könne. Dieser Meinung sind auch Polen, die baltischen Staaten und einige skandinavische Länder."
Dem Analysten zufolge soll Scholz von Selenskij erwartet haben, dass er "einen diplomatischen Ausweg aus dem Konflikt sucht."
"Auf jeden Fall gab es solche Gerüchte. Doch das Gegenteil ist der Fall – Selenskij verlangt alles, in der Erkenntnis, dass ihm nur noch wenige Tage für einen Frontdurchbruch bleiben. Wie die USA sich verhalten werden, nachdem Biden das Weiße Haus verlassen hat, weiß doch niemand."
Und Rahr führt weiter aus:
"Es ist offensichtlich, dass die Europäer nicht in der Lage sind, einen ernsthaften Konflikt mit Russland ohne die Amerikaner zu führen. Was die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO anbelangt, so schließen die derzeitigen Regeln und die Charta eine Aufnahme der Ukraine in diese Organisation aus. Aber Deutschland und andere NATO-Länder warten auf die US-Präsidentschaftswahlen. Sie wollen Klarheit in der Frage schaffen, welche Sicherheitsgarantien der Westen bereit ist, Kiew im Jahr 2025 nach dem Ende des Konflikts zu geben."
Stanislaw Tkatschenko, Professor der Abteilung für Europäische Studien an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität St. Petersburg und Experte des Waldai-Clubs, urteilt:
"Diese Tournee stellte einen missglückten Ersatz für 'Ramstein' dar, wo eine Art PR-Event mit vielen Worten zur Unterstützung der Ukraine geplant war. Stattdessen musste Selenskij ein Treffen an das andere reihen, was eindeutig misslungen ist."
Und dies wirke besonders bizarr vor dem Hintergrund, dass noch immer nicht klar sei, wann das Treffen im "Ramstein"-Format nun stattfinden werde, so der Analyst. "Wenn der Präsident eines Staates um die Welt reist und von einem 'Siegesplan' erzählt, während alle die Niederlage auf dem Kampffeld sehen, führt das zu kognitiver Dissonanz", betont der Gesprächspartner.
Tkatschenko ist zudem der Meinung, dass das "unangenehmste für Selenski" das Treffen in Deutschland war, bei dem Scholz "die Forderungen Kiews einfach ignorierte":
"Die einzige Errungenschaft Selenskijs besteht nun vielleicht darin, dass er ein bisschen Geld erbetteln konnte. Wir erleben ein offensichtliches Scheitern bei der Finanzierung der Ukraine – die EU stellt inzwischen viel weniger Geld zur Verfügung, die IWF-Tranche ist bereits ausgezahlt und eine neue steht noch aus. Jetzt haben die ukrainischen Streitkräfte aber zumindest die Möglichkeit, den Konflikt noch einige Zeit in die Länge zu ziehen."
Eines seiner Hauptziele – die NATO in den Konflikt hineinzuziehen – habe der ukrainische Präsident jedoch nicht erreichen können. "Russland hat dem Westen klargemacht, wozu eine solche Aktion führen würde. Daher hatte Selenskij keine Chance, das gewünschte Ergebnis zu erzielen", resümiert Tkatschenko.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 13. Oktober 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
Mehr zum Thema - Druck auf Russland: Präsentation von Selenskijs "Siegesplan" steht bevor
Meist kommentiert