Von Martin Eulenburg
Salome Surabischwili ist eine französische Karrierediplomatin, die 1952 in Paris geboren wurde und einer georgischen Familie entstammt, die im Zuge der russischen Februarrevolution von 1917 nach Frankreich geflohen war. Im März 2004 wurde ihr auf Veranlassung des damaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili die georgische Staatsbürgerschaft verliehen, und noch im selben Monat erfolgte ihre Ernennung zur Außenministerin Georgiens. Die französische Staatsbürgerschaft musste Surabischwili dafür nicht aufgeben, und Präsident Jacques Chirac stellte die Diplomatin für ihre neue ministerielle Aufgabe in Georgien frei.
Väterlicherseits verfügt Surabischwili über verwandtschaftliche Beziehungen zum georgischen Adel und Teilen der vorrevolutionären liberalen Intelligenzija des Zarenreiches. Die Familiengeschichte ihrer 1921 geborenen Mutter, Zeinab Kedia, verbindet Surabischwili mit den Akteuren der kurzlebigen Demokratischen Republik Georgien aus der Zeit der Oktoberrevolution.
Ebendiese Zeinab Kedia war die Tochter eines gewissen Melchizedek (genannt "Meki") Kedia (1878–1945). Ohne zu übertreiben, kann man von den Kedias behaupten, dass sie zu den einflussreichsten Familien in Georgien zählten. In Opposition zu den Bolschewiki stehend, bekleidete "Meki" Kedia während der Revolutionsjahre denn auch den Posten eines Geheimdienstchefs im bürgerlichen, antisowjetischen Georgien. Sein Bruder Spiridon Kedia war in jenen Jahren Abgeordneter für die Nationaldemokraten im georgischen Parlament.
Der Sohn von "Meki" Kedia wiederum, Michael Kedia, 1902 im georgischen Sugdidi geboren, studierte Anfang der 1920er-Jahre in Heidelberg, ging dann aber zu seiner Familie nach Paris. Michael Kedia war also der um rund zwei Jahrzehnte ältere Bruder von Zeinab – und somit der Onkel von Salome Surabischwili, der Noch-Präsidentin des heutigen Georgien (und nicht ihr Großvater, wie der X-Nutzer "WW2 The Eastern Front" schreibt).
In der Biografie von Michael Kedia zeigen sich nicht nur Grundtendenzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sondern auch konstante Interessen einflussreicher Familien, und dies über alle zeitlichen Brüche und Systemwechsel hinweg. Wobei sich in der Emigration mitunter Opportunismus und Kollaboration in diese politökonomisch-geopolitischen Interessen mischen.
Michael Kedia engagierte sich zunächst politisch im Milieu der aus dem Kaukasus geflohenen Emigranten, das im Paris der Zwischenkriegszeit eines seiner Zentren gefunden hatte. Aufgrund seiner antisowjetischen publizistischen Tätigkeit stand Kedia bereits in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre in regelmäßigem Kontakt mit dem japanischen Geheimdienst und der Abwehr, dem Nachrichtendienst der deutschen Wehrmacht.
I had no idea who Salome Zourabichvili, the President of Georgia, was until six months ago. However, she kept appearing on my feed every day, so I did a little digging to see what her family was up to during World War II.Lo and behold, Michael Kedia, Salome Zourabichvili's… pic.twitter.com/outkEK6YHM
— WW2 The Eastern Front (@ShoahUkraine) December 5, 2024
Nach der deutschen Besetzung Frankreichs rückte Kedia in eine Vertrauensstellung der Abwehr auf und stand in engem Kontakt mit dem Sicherheitsdienst der SS sowie dem Auswärtigen Amt. Somit unterstand Michael Kedia letztlich Reinhard Heydrich, dem Chef des SD der SS.
Kedia, der hervorragend Deutsch sprach, suchte sich als Anwalt der Kaukasier in Frankreich gegenüber den Deutschen zu profilieren, während er offiziell eine "Kaukasische Verbindungsstelle" in Paris einrichtete, die den Deutschen dazu diente, die kaukasische Emigration in Frankreich zu kontrollieren. Kedia besaß darüber hinaus das Vertrauen der sozialdemokratisch geführten georgischen Exilregierung, die in Paris residierte.
In der frühen Phase des Zweiten Weltkriegs organisierte Kedia für die deutsche Abwehr Sabotagegruppen in Frankreich, die aus emigrierten Kaukasiern mit Blick auf einen künftigen Einsatz in der Sowjetunion zusammengestellt wurden (Codename "Tamara"). Der deutsche Angriff auf die UdSSR war längst in Vorbereitung.
Nach Beginn des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion kam Kedia von Paris nach Berlin, wo er neben seiner Tätigkeit für die Abwehr auch für das neu geschaffene "Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete" arbeitete.
Kedia fungierte schließlich nicht nur aufgrund seines Ansehens unter den kaukasischen Emigranten als deren inoffizieller Vertreter, sondern wurde vom Leiter der Kaukasusabteilung des "Ostministeriums" zum Sprecher des "Georgischen Nationalausschusses" ernannt. Über die Abwehr war Kedia eingebunden in das "Unternehmen Schamil", das die Eroberung der transkaukasischen Erdölvorkommen sicherstellen sollte.
In Berlin pflegte Kedia seine bereits aus Paris bestehenden Kontakte zum SD der SS weiter. Der SS-Sicherheitsdienst plante seinerseits und parallel zur Abwehr ein eigenständiges Vorgehen im Kaukasus unter dem Decknamen "Unternehmen Zeppelin". Anders als die Abwehr, verfolgte der SD nicht so sehr militärische Ziele, sondern initiierte Sabotage- und Zersetzungsoperationen abseits der Frontlinien, auch auf sowjetischem Gebiet.
Beim Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete wurde eine eigene Stelle für den Kaukasus eingerichtet, der sogenannte "Aufbaustab Kaukasus". Über seine Funktion als Sprecher des "Georgischen Nationalausschusses" war Kedia auch hier eingebunden.
Hinzu kam, nicht zu verwechseln mit dem "Aufbaustab", der "Sonderstab Kaukasus", der in Woroschilowsk, dem heutigen Stawropol, im Nordkaukasus seinen vorübergehenden Sitz hatte. Dieser "Sonderstab" diente als Koordinierungsstelle mehrerer deutscher Ministerien – und unterstand der direkten Aufsicht des Sicherheitsdienstes der SS. Auch in diesem Sonderstab hatten die kaukasischen Völker ihre Vertreter: Michael Kedia – für die Georgier.
So wirkte Michael Kedia ab September 1942 in Woroschilowsk daran mit, die Tätigkeit von Abwehr und SD zu koordinieren. Neben Polizeiaufgaben ging es dabei vor allem um die Steuerung von Aufstandsversuchen kaukasischer Völker und ethnischer Gruppen gegen die Sowjetunion. Aufgrund des Kriegsverlaufs wurde der Sonderstab recht bald wieder aufgelöst, und Kedia musste nach Berlin zurückkehren.
Dennoch wurde das Ziel einer Infiltrierung des Kaukasus von den Deutschen nicht aufgegeben. Zu diesem Zweck wurde 1943 das "Unternehmen Zeppelin" über ein Netzwerk in der Türkei betrieben, das Michael Kedia bei seinen mehrfachen Besuchen dort aufgebaut hatte. Doch der sowjetischen Spionageabwehr gelang es zunehmend, diese Operationen zu unterbinden.
Die sich abzeichnende deutsche Niederlage veranlasste Kedia, über seine Verbindungen in der Türkei Kontakte zu den Westalliierten zu suchen. Doch nach dem Abbruch der deutsch-türkischen Beziehungen im August 1944 musste Kedia anders vorgehen, um seine antisowjetische Tätigkeit nach dem absehbaren Ende des Dritten Reiches fortsetzen zu können.
Seinen Seitenwechsel bereitete Kedia, wenig überraschend, ebenfalls mithilfe der Abwehr vor. Das Verwirrspiel um einen Doppelagenten, der bereits in Kontakt mit dem US-amerikanischen OSS stand und das die deutschen Wehrmachtgeheimdienstler in den letzten Tagen des Krieges aufführten, nutzte Kedia aus, um im April 1945, also noch vor der deutschen Kapitulation, in Begleitung seiner Vorgesetzten aus SD und Ostministerium in die Schweiz zu gelangen. Dort setzte er sich gegenüber den Amerikanern dafür ein, dass gefangengenommene Georgier, die in deutschen Diensten gestanden hatten, nicht an die Sowjetunion ausgeliefert werden sollten.
Inwieweit Kedia dem OSS als Informant diente, ist unklar, denn der amerikanische Dienst führte ihn noch bis zum Dezember 1948 in seinen Listen. Schließlich wurde Kedia von den Schweizer Behörden interniert. Verarmt und seit Jahren schwer erkrankt, beging Michael Kedia im August 1954 Selbstmord in Genf. Zu dieser Zeit war Salome Surabischwili zwei Jahre alt.
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