Pressefreiheit – Für den Bundeskanzler in Deutschland alles schick

Von Dagmar Henn

Er hat schon Humor, unser Bundeskanzler. Da garniert er den "Tag der Pressefreiheit" mit einem Tweet:

Gut, in den entsprechenden Leitmedien steht auch, wie toll und frei und demokratisch in Deutschland alles ist. Schließlich muss jemand, der immer brav vom brutalen russischen Angriffskrieg schreibt, den Völkermord in Gaza als israelische Selbstverteidigung verkauft und ansonsten die Ampelkoalition für ihre Klimapolitik in den Himmel lobt, nichts fürchten, keine Paragrafen des Strafgesetzbuches, wie §§ 130, 140 und seit Neuestem 129b, keine Ausforschung seiner Kontenbewegungen und auch keine bösen Anrufe beim Vermieter.

Das gilt alles nur für jene, die böse Dinge tun und beispielsweise die Politik der NATO für aggressiv erklären oder den Kindermord in Gaza für ein Verbrechen halten. Und das sind schließlich, wie die zuständigen deutschen Journalistenverbände bereits seit einigen Jahren erklären, samt und sonders keine Journalisten, sondern Putinpropagandisten oder Antisemiten oder Verschwörungstheoretiker.

Weshalb auch alles bestens ist, und die ebenso brav westliche Vereinigung "Reporter ohne Grenzen" allen Ernstes Deutschland zum zehntbesten Land der Welt in Fragen der Pressefreiheit erklärt. Schließlich gilt auch hier: Alles, was nicht den amtlichen Segen erhält, ist sowieso keine Presse, weil die Mitarbeiter keine Journalisten sind, und wenn sie mit den extra erweiterten Strafmöglichkeiten überzogen werden, ist das selbstverständlich kein "Übergriff auf Journalisten", ebenso wenig, wie die mittlerweile in Mode geratenen Hausdurchsuchungen bei Verdacht auf einen Verstoß gegen § 130 oder § 140 StGB keine Übergriffe darstellen, weil es schließlich einen Paragrafen gibt, auf den man sich berufen kann.

"Ohne Pressefreiheit gibt es keine Demokratie." Ja, das ist schon ein absurder Zustand in Deutschland. Denn, witzigerweise, fallen in diesem Land selbst Flugblätter unter das Medienrecht, und müssen immer einen "Verantwortlichen im Sinne des Presserechts" benennen, sonst ist das gleich eine Ordnungswidrigkeit. Wenn es danach ginge, müsste jegliche Art der Publikation auch die zugehörige Freiheit in Anspruch nehmen können.

Was dann hieße, auch Angriffe auf ‒ in Gestalt von Kommentaren in sozialen Netzwerken oder von Blogbeiträgen ‒ veröffentlichte Texte wären Angriffe auf die Pressefreiheit. So, wie auch Gesetzesänderungen oder gar die jüngst erfolgte Ermächtigung von Bundesjustizminister Marco Buschmann ‒ die die Volksrepubliken Donezk und Lugansk gewissermaßen postum zu terroristischen Vereinigungen erklärte und damit auch den Weg öffnete, jede realistische Berichterstattung über den Bürgerkrieg in der Ukraine von 2014 bis 2022 zur Werbung für solche zu erklären und zu verfolgen ‒ gar kein Angriff auf die Pressefreiheit sind.

Denn als Pressefreiheit zählt in Deutschland nach wie vor nur "die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten", wie Paul Sethe einst schrieb. Auch wenn aus den zweihundert inzwischen fünf geworden sind, man muss schon klar bleiben, wenn man Journalismus definiert, und wer nicht in Diensten dieser besagten fünf oder der öffentlich-rechtlichen Anstalten steht, betreibt eben keinen Journalismus und kann keine Pressefreiheit in Anspruch nehmen, weshalb eben diese Pressefreiheit so lange nicht bedroht ist, solange die Meinung der besagten fünf Personen ungehindert verbreitet werden kann.

Oder so. Das muss er jedenfalls gemeint haben, unser Bundeskanzler Olaf Scholz. Denn sonst hätte er sich wirklich nur einen dummen Witz erlaubt. Schlimm genug, dass sich selbst die Bandbreite des "offiziellen" Journalismus allein durch Konzentrationsprozesse um über 95 Prozent verringert hat. Aber was in den letzten Jahren geschah, spätestens seit Corona, das erreicht mittlerweile locker mindestens das Niveau, das unter Adenauer herrschte, um die Wiederbewaffnung durchzusetzen und die Nazieliten zurück in ihre Bürosessel zu hieven – also jene Zeiten, als der schiere Verdacht, mit Kommunisten zu sympathisieren, dazu führte, die Arbeit zu verlieren. Obwohl damals oft die Lokalredaktionen eine Art Refugium boten, das jetzt auch nicht mehr existiert, weil wegrationalisiert.

Das macht alles nichts. Die Kollegen Hofjournalisten, die nach soziologischen Untersuchungen ohnehin weit überproportional aus dem gehobenen Bürgertum stammen, denen also materielle Not jeglicher Art eher fremd ist (war es Tucker Carlson, der jüngst formulierte, früher sei Journalismus ein Beruf für Leute aus der Arbeiterklasse gewesen?), haben überhaupt kein Problem damit, jene anderen Journalisten, die noch das Bedürfnis verspüren, tatsächlich eine Funktion für die Demokratie zu erfüllen und die Regierung zu kritisieren, zu Nichtkollegen zu erklären. Was selbstverständlich einem Kanzler sehr entgegenkommt, der ebenfalls der Überzeugung ist, alles, was ihm nicht in den Kram passt, sei Desinformation oder russische Propaganda.

Noch viel hübscher sind da die Einfälle der aktuellen Berliner Justizsenatorin, die auf die brillante Idee kam, man müsse eigentlich "Störung der Meinungsbildung" unter Strafe stellen. Damit wäre, nachdem die Wahrheit bisher gewissermaßen Themenfeld für Themenfeld verboten wurde, endlich eine Grundlage geschaffen, um das ganze Klientel der Nicht-Journalisten, also all jener, die gegen die vorgegebene Linie verstoßen, pauschal und auf einen Schlag zu erwischen. Es ist ja auch ungeheuer mühsam, erst nachdenken zu müssen, ob man nun gegen einen Corona-, einen Klimaleugner oder einen Putin- oder Xi-Troll vorgeht. Wenn man die ungestörte Aneignung der vorgegebenen Meinung zur Demokratie erklärt, dann sind selbstverständlich alle, die diesen Prozess stören, Feinde eben dieser. Das ist nur konsequent.

Und weil die ganze Welt außerhalb des Westens ohnehin nur von Barbaren und Untermenschen bevölkert ist, macht es auch nichts, wenn man das dort etwas anders sieht. Was die Demokratie in Deutschland angeht, oder eben auch die Pressefreiheit. Was macht es schon, wenn Menschen in, sagen wir einmal, Lateinamerika entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts der deutschen Zustände, weil sich dort niemand vorstellen kann, wegen einer schlichten Aussage wie, dass es sich beim israelischen Krieg gegen Gaza um einen Genozid handle, strafverfolgt zu werden.

Das ist alles nicht wirklich wichtig, das wird ja schon durch die Bestückung des Außenministeriums durch Annalena Baerbock belegt. Ob dieses Deutschland belacht oder bedauert wird, Scholz bleibt da konsequent. Wenn er mitteilt, "wir" müssten "uns für die Pressefreiheit einsetzen – überall", dann heißt das mit Sicherheit nicht, die Verfolgungsbehörden wieder an die Leine zu legen, die Strafverfahren wegen Meinungsdelikten einzustellen und die wirklichen Journalisten anstelle der schreibenden Hofschranzen in den Genuss der Pressefreiheit kommen zu lassen.

Nein, wenn Olaf Scholz so etwas sagt, dann liegt genau der richtig, bei dem von den ganzen Sätzen vor allem "einsetzen – überall" hängen bleibt, unmittelbar kombiniert mit dem Bild eines deutschen Panzers. Ja, wenn Scholz so etwas sagt, dann ist das eine Drohung. "Wir" sind bereit, alles zu tun, um das, was wir für Pressefreiheit und Demokratie halten, auf der Welt zu verbreiten, ob sie das will oder nicht.

Und wenn man das so liest, dann kann man eigentlich nur noch in den Park des Sieges in Moskau gehen, in dem ein erbeutetes Exemplar eben eines solchen deutschen Panzers steht, und sich mit Blick auf dieses Objekt mit dem Gedanken trösten, dass diese Panzer es zum Glück nicht hergeben, diese zutiefst pervertierte Vorstellung von Pressefreiheit und Demokratie weit über die deutschen Grenzen hinaus auszudehnen. Und dass sich jener Teil der deutschen Bevölkerung, der sich unter Demokratie noch immer etwas Anderes vorstellt als das folgsame Schlucken der verabreichten Meinung, wenn er mit dem verblüfften Lachen über die Sätze des Bundeskanzlers fertig ist (was eine Zeit dauern kann), sich dann doch daran macht, Pressefreiheit und Demokratie in ihrer wahren Gestalt einzufordern.

Mehr zum Thema Meinungsfreiheit in Russland und im Westen - ein Vergleich, der sich lohnt

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