In einem Interview mit der Wochenzeitung Freitag skizziert der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck, was es für eine nachhaltige, wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik braucht. China nennt er dabei als Vorbild. Das Land habe es geschafft, die Inflation unter Kontrolle zu halten, ohne durch die Erhöhung des Zentralbankzinses die Wirtschaft abzuwürgen. Mit den Löhnen ist die Inlandsnachfrage gewachsen. Die chinesischen Löhne stiegen im Rahmen des Produktionszuwachses.
"Das Ziel eines Landes muss es sein, Geldwertstabilität zu erhalten, ohne dass die Zinsen hoch sind und die Investitionen einbrechen. China hat das in den letzten 30, 40 Jahren super geschafft. Als einziges Land der Welt hat es verstanden, dass man Inflation nicht über höhere Zinsen bekämpft, die Wachstum drosseln, sondern indem auch der Staat dafür sorgt, dass die Löhne entsprechend der Produktivitätszunahme steigen, aber nicht um mehr. Das ist das Geheimnis für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Im Westen haben wir seit Reagan und Thatcher Inflationen mit höheren Zinsen bekämpft. Und wo geht es heute bergauf? Im Westen? Oder in China?"
Gegenüber der Entwicklung der deutschen Wirtschaft ist Flassbeck tief pessimistisch. Faktisch sei die deutsche Wirtschaft seit über zwei Jahren in der Rezession. Alle Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung deuten auf eine tiefe Krise: Produktivitätsentwicklung, Auftragseingänge, Ausrüstungsinvestitionen. Trotz dieser bedrohlichen Entwicklung steuere die Bundesregierung nicht gegen, sondern hoffe auf eine konjunkturelle Erholung im Rahmen regulärer Wirtschaftszyklen.
"Ich mache jetzt seit 50 Jahren Wirtschaftsbeobachtung, und noch nie habe ich eine Regierung erlebt, die so ignorant hinsichtlich der aktuellen Entwicklung ist wie die Ampel. Mittlerweile sind wir seit zweieinhalb Jahren in einer Rezession."
Die Krise von VW deutet Flassbeck als Hinweis auf eine grundsätzliche Krise der deutschen Automobilindustrie. Das liege auch an den unklaren Rahmenbedingungen, die von der Politik vorgegeben würden.
"... die Gesamtgemengelage in der Automobilindustrie ist sehr schwierig. Niemand weiß: Elektro oder kein Elektro? Bis wann muss ich umstellen?"
Die von der Politik verursachte Unsicherheit und Unklarheit mache es sowohl für Autoproduzenten als auch für Kosumenten schwierig, Investitions- und Kaufentscheidungen zu treffen. Generell sei die allgemeine Sparneigung in Deutschland für die wirtschaftliche Entwicklung ein fundamentales Problem. Wenn sowohl der private Sektor als auch die Haushalte sparen, bleibe zur Ankurbelung der Wirtschaft keine andere Möglichkeit, als dass der Staat einspringe, meint Flassbeck. Die Bundesregierung fährt Deutschland jedoch auf Sparflamme.
Dass ein Niedergang der deutschen Wirtschaft dem Klimaschutz diene, wie es von einigen Degrowth-Apolegeten propagiert werde, hält Flassbeck für unsinnig.
"Nein, zu glauben, dass man das Klima rettet, wenn VW zugrunde oder die deutsche Wirtschaft in die Knie geht, ist absurd. Es mag ja in Berlin Leute geben, die grün angezogen sind und es gar nicht so schlimm finden, wenn die Wirtschaft nicht läuft, weil das angeblich 'gut für das Klima' sei. Aber das ist eines der größten Missverständnisse. Wir brauchen eine dynamische Wirtschaft, die wächst und in Richtung Klimaneutralität umgelenkt wird – und zwar global."
Auch von der Subventionierung einzelner Betriebe hält Flassbeck nichts. Politik habe die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Wachstum möglich ist. Ziel müsse sein, für Geldwertstabilität zu sorgen. Da schließt sich dann der Bogen zu China. China sei das gelungen, indem die Beschäftigten in Form steigender Löhne Anteil am Erfolg haben und so für eine stabile Binnennachfrage sorgen. Und in Deutschland gelingt das eben nicht.
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