Der neue Brennpunkt: Das Große Spiel in der Arktis

Von Anil Chopra

Die immer noch relativ wenig erkundete Region der Arktis gilt allgemein als reiche Lagerstätte für bisher ungenutzte Rohstoffe, insbesondere Öl, Gas und maritimes Leben. Sie wird auch schon lange als möglicher Brennpunkt für einen Konflikt der großen Mächte gesehen.

Russland ist schon seit längerer Zeit in der Region präsent. Die Ausdehnung der NATO nach Norden hat Moskau gezwungen, seinen militärischen Einsatz zu erhöhen. Die wachsende Supermacht China zeigt ein rapide zunehmendes Interesse an arktischen Fragen, und auch Indien hat sich, trotz der geografischen Entfernung, in der Region verankert.

Da die Konfrontation der USA sowohl mit China als auch mit Russland zunimmt, haben diese beiden Mächte eine umfassende Zusammenarbeit und Koordination ihrer Tätigkeiten in der Arktis vorbereitet.

Die Arktis, die ein Sechstel der Landmasse der Erde bildet, umfasst den Nordpol und ist von großen Treibeisflächen geprägt, die bis zu 20 Meter hoch aufragen können. Darunter liegen schätzungsweise 22 Prozent der weltweit bislang nicht erschlossenen Öl- und Erdgasreserven, von denen 52 Prozent auf russischem und zwölf Prozent auf norwegischem Gebiet liegen.

Die globale Industrialisierung und der steigende Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen haben zu höheren Temperaturen geführt, die das Abschmelzen des Eisschildes ausgelöst haben. Im Jahr 2024 betrug die maximale Ausdehnung des arktischen Seeeises 4,28 Millionen Quadratkilometer – das sind annähernd 1,8 Millionen Quadratkilometer weniger als der langjährige Durchschnitt. Das Seeeis ging innerhalb eines Jahrzehnts um annähernd 13 Prozent zurück; hält diese Entwicklung an, könnte die Arktis bis zum Jahr 2040 in den Sommermonaten eisfrei sein.

Die Eisschmelze hat weitreichende Konsequenzen, erhöht möglicherweise den Meeresspiegel und bedroht viele Inselgebiete und Küstenstädte. Klimawandel und globale Erwärmung haben international Aufmerksamkeit erregt, und auf Foren wie der jüngsten Konferenz COP 29 in Baku (Aserbaidschan) werden die möglichen Folgen der Entwicklung diskutiert.

Anders als für die Antarktis, in der seit einem Vertrag aus dem Jahr 1959 ausschließliche friedliche Aktivitäten erlaubt sind, gibt es für die Arktis keinen derartigen Vertrag. Der Arktische Rat, der 1996 eingerichtet wurde, befasst sich mit Fragen, die die Arktis-Anrainerstaaten betreffen, und besteht aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Beobachterländer müssen die Souveränität und Jurisdiktion der Arktisstaaten anerkennen, ebenso wie den umfassenden Rechtsrahmen für den Arktischen Ozean. Im Mai 2013 wurde Indien das elfte Land mit permanentem Beobachterstatus im Arktischen Rat.

Sowohl Russland als auch die Vereinigten Staaten betreiben schon seit Längerem Militärstützpunkte und Überwachungssysteme in der Arktis, darunter auch Einrichtungen der nuklearen Abschreckung.

Russland hat in dem Gebiet bereits dauerhaft atomgetriebene Eisbrecher stationiert. Obwohl das Abkommen Arctic Military Environmental Cooperation (arktische Militär- und Umweltzusammenarbeit, AMEC) zwischen Russland, den USA und Norwegen den Abbau bestimmter sowjetischer und US-amerikanischer Einrichtungen erleichterte, hat das zunehmende Interesse anderer Nationen eine neue Dynamik des Kalten Kriegs zwischen den beiden Großmächten entfacht.

Die Atmosphäre der Zusammenarbeit, die einst vorherrschte, ist verschwunden, insbesondere infolge der geopolitischen Spannungen, die seit 2014 im Kontext des Konflikts in der Ukraine entstanden.

Arktische Seefahrtsrouten

Der Rückgang des Eises macht die Gewässer der Arktis in den Sommermonaten für einen längeren Zeitraum Schiffen zugänglich. Es gibt drei Hauptrouten, die die internationale kommerzielle Schifffahrtsindustrie im 21. Jahrhundert revolutionieren könnten.

Die Nordostpassage (NSR) verläuft entlang der arktischen Küste Russlands. Hier weicht das Eis zuerst zurück, daher steht sie am längsten zur Verfügung. Sie hat auch das höchste kommerzielle Potenzial: Diese Strecke verringert die Seeroute von Ostasien nach Europa von 21.000 Kilometern durch den Suezkanal auf 12.800 Kilometer. Das bedeutet eine Fahrtzeitersparnis von zehn bis 15 Tagen. Die Nordostpassage wurde während der Sowjetzeit intensiv zur Rohstoffförderung und zum Rohstofftransport genutzt.

Im Jahr 2009 unternahmen zwei deutsche Schiffe in Begleitung eines russischen Eisbrechers die erste kommerzielle Fahrt entlang der NSR von Busan in Südkorea nach Rotterdam in den Niederlanden, was die guten kommerziellen Aussichten belegte.

Die Nordwestpassage (NWP), die Kanadas arktischen Archipel umfährt, ist eine weitere Route zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean, die 2007 zum ersten Mal genutzt wurde. Sie könnte bald regelmäßig befahrbar sein. Während Kanada sie als internationalen Wasserweg beansprucht, bestehen die USA und andere darauf, dass die Strecke eine internationale Transitpassage ist, auf der freie und ungehinderte Bewegung erlaubt sein müsse.

Die Route könnte die Transportwege mit dem Schiff zwischen Asien und Westeuropa auf etwa 13.600 Kilometer verkürzen, verglichen mit 24.000 Kilometern durch den Panamakanal. Teile der Route sind allerdings nur 15 Meter tief, was ihre Nutzbarkeit einschränkt. China scheint interessiert daran, diese Passage in Richtung der Ostküste der Vereinigten Staaten zu nutzen, da auch für den Panamakanal Begrenzungen in Bezug auf die Schiffsgröße und Tonnage gelten.

Eine dritte Strecke ist die mögliche Transpolare Seeroute (TSR), die den zentralen Teil der Arktis nutzen könnte, um die Beringstraße und den Atlantikhafen Murmansk direkt zu verbinden. Diese Route ist bisher nicht nutzbar, könnte sich jedoch eröffnen, wenn der Klimawandel fortschreitet.

Moskaus Strategie

Russland ist der größte "Anteilseigner" der Arktis, einer Region, die mit annähernd zehn Prozent zum BIP des Landes beiträgt und etwa 20 Prozent aller russischen Exporte ausmacht. Die Arktis hat im außenpolitischen Konzept des Kreml von 2023 eine höhere Bedeutung eingeräumt bekommeb; betont wird ihre Rolle bei der Erhaltung des Friedens und der Stabilität, bei der Steigerung der Nachhaltigkeit im Umgang mit der Umwelt und der Verringerung der Bedrohungen für die nationale Sicherheit.

Die Entwicklung der Nordostpassage bleibt ein zentrales Ziel, und Russland hat seine Verpflichtung auf das Völkerrecht in der Arktis bekräftigt. Das Konzept stärkt die Autorität des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS), die zwischenstaatlichen Beziehungen im arktischen Ozean zu regeln, und verleiht Russlands Bereitschaft zu einer "wechselseitig nutzbringenden Zusammenarbeit mit nicht arktischen Staaten, die eine konstruktive Politik Russland gegenüber verfolgen", Ausdruck.

Russlands "Neue Arktispolitik 2035", die im Jahr 2020 beschlossen wurde, betont explizit seine Souveränität und territoriale Integrität im Gebiet der Nordostpassage – sehr zum Missfallen der Vereinigten Staaten. Diese fordern, die NSR als internationale Schifffahrtsstraße unter dem breiter angelegten Manöver zur Freiheit der Schifffahrt (FONOPS) auszuweisen.

Moskau hat angedroht, gegen Schiffe, die sich auf der NSR nicht an die russischen Regeln halten, Gewalt einzusetzen. Trotz der russischen Gesten, die eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekunden, porträtiert der Westen in seinen Erzählungen über die Arktis Russland stets als den Schurken.

Ein neuer Spieler

China, das sich selbst als einen "arktisnahen Staat" betrachtet, will in Bezug auf die Arktis ebenfalls mitreden. Im Januar 2018 veröffentlichte China seine offizielle Arktisstrategie, in der es sein Interesse an den arktischen Ressourcen und die Notwendigkeit betont, Infrastruktur für Forschungs-, Militär- und andere Zwecke zu entwickeln.

China investiert mehr als die Vereinigten Staaten in die Arktisforschung und betreibt ein Polarforschungsinstitut in Schanghai. Es besitzt eine Flotte von Forschungsschiffen und zwei MV Xue Long-Eisbrecher. Außerdem richtete China im Jahr 2004 die Arktisstation Gelber Fluss ein. 2018 durchquerte die COSCO Schipping Corporation aus Schanghai achtmal die Arktis zwischen China und Europa.

Chinas "polare Seidenstraße", die 2018 in einer gemeinsamen Initiative mit Russland gestartet wurde, zielt auf eine bessere Vernetzung der Region. Wie Russland strebt auch China danach, atombetriebene Eisbrecher in der Arktis einzusetzen, womit es das zweite Land würde, das mit derartigen Schiffen in der Region präsent ist. Dänemark hat zugleich, ermutigt durch die Vereinigten Staaten, ein Angebot Chinas zurückgewiesen, einen alten Militärstützpunkt auf Grönland zu erwerben und dort einen internationalen Flughafen zu errichten.

Indiens Interessen

Als aufsteigende größere Macht zielt auch Indien darauf ab, ein wichtiger Spieler in der Arktis zu werden. Es betreibt seit Juli 2008 in Svalbard (Norwegen) die dauerhafte Arktis-Forschungsstation "Himadri". Svalbard, der nördlichste ganzjährig bewohnte Ort der Erde, hat 2.200 Einwohner und liegt beinahe 1.200 Kilometer vom Nordpol entfernt.

Indiens Forschung konzentriert sich auf die Überwachung von Fjorddynamiken, Eisbergen, Kohlenstoffrecycling, Eiskunde, Geologie, Luftverschmutzung und atmosphäresches Wetter, unter anderem. Im Jahr 2014 errichtete Indien ein fest verankertes Unterwasser-Observatorium namens "IndARC" in Kongsfjorden bei Svalbard, um Zusammenhänge zwischen den meteorologischen Parametern der Arktis und dem südwestlichen Monsun zu erforschen. Außerdem hat das indische Erdgas- und Mineralölunternehmen ONGC Videsh Interesse daran gezeigt, in Russlands arktische Projekte für LNG zu investieren.

Indiens Arktisstrategie wurde im März 2022 unter dem Titel "Indien und die Arktis: Eine Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung bauen" veröffentlicht. Dieses Dokument skizziert Indiens Interessen im Bereich der Wirtschaft und der Nutzung von Rohstoffen sowie an Seeverbindungen und einer Verstärkung seiner Präsenz in der Region.

Die Arktis wird für Neu-Delhi immer wichtiger, während es seine Seehandelsstrecken ausweitet, um Zugang zu weiteren Märkten für seine wachsenden Exporte und sichere Handelsrouten für die Verschiffung von Öl und anderen lebenswichtigen Rohstoffen zu erhalten.

Sowohl Indien als auch Russland haben bedeutende Fortschritte bei der Förderung des 7.200 Kilometer langen internationalen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC) erzielt, auf dem Fracht zwischen Indien, Iran, Aserbeidschan, Russland, Zentralasien und Europa bewegt werden kann. Diese Route, ebenso wie der Chennai-Wladiwostok Korridor, der Teil der Nordostpassage werden könnte, spart viel Geld und Zeit.

Jüngste Entwicklungen legen nahe, dass Neu-Delhi Gespräche mit Moskau über den Bau von Eisbrechern in indischen Werften führt, was Indiens Entschlossenheit zeigt, sich in der Arktis zu engagieren, und das Potenzial einer erweiterten Zusammenarbeit beider Länder betont.

Indien hat zudem Interesse, den Abbau von Rohstoffen in der Arktis zu erkunden, trotz internationaler Aufrufe für ein Moratorium beim Tiefseeabbau. Interessanterweise beabsichtigt allerdings auch Norwegen, auf diesem Gebiet als erstes Land kommerzielle Aktivitäten zu beginnen – ein kritischer Schritt, bedenkt man seine Mitgliedschaft im Arktischen Rat und seine bedeutende Rolle in der arktischen Geopolitik.

Das nächste große Spiel

Die Arktis zieht weiterhin Forscher an, während sich "das nächste große Spiel" entfaltet. Anders als in der Antarktis gibt es hier etablierte territoriale Ansprüche der Arktis-Anrainer auf Grundlage des Seerechts. Demzufolge erregen Debatten rund um Großmachtpolitik, den Wettbewerb und Konflikte in der Arktis zunehmend die Aufmerksamkeit strategischer Analytiker.

Russlands Nordmeerflotte ist entlang der Arktis strategisch positioniert und hält eine dominante Stellung in der Region. Die USA wurden nach ihrem Erwerb Alaskas von Russland für 7,2 Millionen Dollar im Jahr 1867 zum Arktis-Anrainerstaat. Kanada und nordeuropäische Länder haben ebenfalls ein Interesse an den Angelegenheiten der Arktis, was die USA motiviert, ihr Verhältnis zu gerade diesen Ländern zu vertiefen.

Die Nordostpassage bietet einen Transportweg, der für Fracht auf dem Weg von London nach Yokohama, Japan, im Vergleich zum Suezkanal um 37 Prozent kürzer ist. Russland möchte diesen Vorteil wirtschaftlich durch eine robuste Unterstützungsinfrastruktur entlang seiner arktischen Küste für sich nutzbar machen. Moskau begreift die USA und ihre NATO-Partner jedoch als Bedrohung seiner arktischen Pläne.

Während das große Rennen auf die Arktis weitergeht, führt Russlands rohstoffverarbeitende Wirtschaft bei den Ausbeutungsversuchen und hat sich die Rechte an annähernd 1,7 Millionen Quadratkilometern Meeresboden gesichert. Mehr noch, Russland hat mehrere Militärstützpunkte aus der Sowjetzeit wiederbelebt und seine Schifffahrtsfähigkeiten modernisiert. Derzeit betreibt es sieben atomgetriebene Eisbrecher, neben weiteren 30 mit Diesel betriebenen. Im Gegensatz dazu verfügen die USA und China in der Region jeweils nur über zwei dieselbetriebene Eisbrecher. Die NATO hat ebenfalls ihre Militärmanöver in der Barentssee und in Skandinavien verstärkt.

China sieht die Arktis als lebenswichtige Quelle für Energie und Mineralien, während Indien auf eine regionale kooperative Herangehensweise anstelle eines Konflikts hofft. Dennoch zeitigt der globale Wettbewerb zwischen den USA, Russland und China bereits signifikante Folgen.

Während die USA den Titel der globalen Supermacht halten, ist Russland als die beherrschende Macht der Arktis hervorgetreten. Mit starken Beziehungen zu Russland und einem jüngst erteilten Auftrag für den Bau von vier Eisbrechern befindet sich Indien in einer guten Ausgangsposition, um eine relevante Rolle in den Belangen der Arktis zu spielen. Indien muss weiter aktiv engagiert bleiben und seine Verankerung in der Arktis stärken, da seine Interessen über den bloßen Beobachterstatus des Landes deutlich hinausgehen.

Übersetzung aus dem Englischen.

Anil Chopra ist ein ehemaliger Testpilot der indischen Luftwaffe und der ehemalige Generaldirektor des Zentrums für Luftkräftestudien in Neu Delhi. Er twittert unter @Chopsyturvey.

Mehr zum Thema - Russischer LNG-Tanker umgeht US-Sanktionen über eine neue Nordmeerroute

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