Mord an US-Versicherungschef: Kritik auf den Patronenhülsen

Der Mord am Chef der US-Krankenversicherung United Healthcare Brian Thompson am Mittwoch auf offener Straße in Manhattan war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, wie ursprünglich vermutet wurde, ein Auftragsmord. Das war aus der Verwendung einer schallgedämpften Pistole geschlossen worden. Der Täter hat nämlich, wie sich inzwischen herausstellte, auf den Patronenhülsen eine Botschaft hinterlassen.

Auf den drei Hülsen fanden sich die Worte "deny", defend" und "depose", auf Deutsch: abstreiten, abwehren, loswerden. Das verweist auf Formulierungen, mit denen Kritiker des Versicherungssystems dessen Handlungsweisen beschreiben. Die Worte ähneln auch dem Titel eines Bestsellers, "Delay, Deny, Defend" (verzögern, abstreiten, abwehren), der, so die Kurzbeschreibung des Buches, "die Ungerechtigkeit von Versicherungen bloßstellt und einen Plan für Konsumenten und Abgeordnete liefert, wie sie sie bekämpfen können".

Die kommerziellen Krankenversicherer in den Vereinigten Staaten stehen schon lange in der Kritik, weil sie Zahlungen so weit wie möglich hinauszögern, Ansprüche bestreiten und jede denkbare Technik anwenden, um Leistungen nicht zu übernehmen.

Bei United Healthcare sind über 49 Millionen US-Amerikaner versichert; das Unternehmen hatte im vergangenen Jahr Einnahmen von 281 Milliarden Dollar. Dabei profitiert es auch vom Medicare-Programm, das eigentlich armen US-Bürgern eine medizinische Versorgung sichern soll, aber letztlich nur neue Erträge für die Versicherungsunternehmen generierte.

Die Patienten in Medicare widersprechen anfänglichen Ablehnungen nur selten; wenn sie es aber doch tun, muss diesem Widerspruch in 80 Prozent der Fälle stattgegeben werden.

Gegen United Healthcare läuft bereits seit dem vergangenen Jahr eine Klage wegen der Verwendung von künstlicher Intelligenz zur Ablehnung von Ansprüchen. Dabei musste sogar in 90 Prozent der Fälle den Widersprüchen stattgegeben werden; da aber nur 0,2 Prozent der Betroffenen gegen die Entscheidung vorgehen (die meisten sind schlicht zu alt und krank dafür), lohnt sich das dennoch. Das Unternehmen hatte seine Beschäftigten angewiesen, den Algorithmus einzusetzen, um die Aufenthaltsdauer eines Patienten in der Rehabilitation zu berechnen und die Zahlung zu verweigern, wenn der Aufenthalt zu lang wurde.

Erst im Oktober war ein Senatsbericht erschienen, in dem United Healthcare zusammen mit zwei weiteren an Medicare beteiligten Unternehmen vorgeworfen worden war, immer mehr über Medicare Versicherten etwa postoperative Behandlungen zu verweigern. In vier Jahren sei die Verweigerungsquote bei derartigen Behandlungen von 8,7 auf 22,7 Prozent gestiegen. Für United Healthcares Konkurrenten CVS wird im Bericht sogar die Höhe der dadurch erzielten Einsparungen benannt: Statt der vom Konzern erwarteten zehn Millionen Dollar in den ersten drei Jahren waren es 77,3 Millionen Dollar.

Das fast vollständig privat betriebene US-Gesundheitssystem ist das teuerste der Welt und hat gleichzeitig nach Ansicht von Experten das schlechteste Preis-Leistungs-Verhältnis.

Beim Todesschützen von Manhattan könnte es sich um ein Opfer dieser Zustände handeln. Darauf weist nicht nur die Aufschrift auf den Patronen hin, sondern auch die Tatsache, dass er nach den momentanen Erkenntnissen der New Yorker Ermittler bereits Ende November angereist war, mit einem Greyhound-Bus aus Atlanta. Die ganze Geschichte dürfte voraussichtlich bald bekannt werden – der Täter hat nicht nur DNA-Spuren auf der Verpackung eines Eiweißriegels hinterlassen, den er kurz vor der Tat bei Starbucks erworben hatte, und ist auf zahlreichen Kameras zu sehen, er hat auch ein Handy bei seiner Flucht auf dem Fahrrad zurückgelassen.

Mehr zum Thema – Nach Mord an US-Versicherungschef: Spott und Zynismus in sozialen Medien

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