Eine Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen von Union und SPD hat die digitalpolitischen Schwerpunkte der künftigen Koalition verhandelt. Wir veröffentlichen den Zwischenstand vom 22. März. Große Unstimmigkeiten gibt es demnach vor allem bei den Themen Datenschutz, Open Source und IT-Sicherheit.

Union und SPD ringen derzeit um die Details ihres Koalitionsvertrages. Ein Entwurf der „Koalitionsarbeitsgruppe 3 – Digitales“ vom 22. März, den wir hier veröffentlichen, zeigt den Stand der Verhandlungen zur Digitalisierung. Trotz der für so ein Dokument üblichen wolkigen Formulierungen deutet er an, wohin die Digitalpolitik der kommenden Regierungskoalition steuern könnte.
Aufhorchen lässt bereits der Einstieg. „Digitalpolitik ist Machtpolitik“, heißt es gleich im zweiten Satz. Union und SPD wollen ein „digital souveränes Deutschland“. Dafür wollen sie digitale Abhängigkeiten abbauen sowie digitale Infrastrukturen und Wertschöpfungsketten etwa für Computerchips und Rohstoffe resilient ausbauen. Das Papier steht damit offensichtlich unter dem Eindruck der aktuellen Debatten um das Agieren der Trump-Regierung.
Erst nach der Machtpolitik folgen Wirtschafts- und an dritter Stelle Gesellschaftspolitik. Das spiegelt die Schwerpunkte des Papiers gut wider, insgesamt strotzt es nur so vor wirtschaftspolitischen Ambitionen. Gerade im Bereich Künstliche Intelligenz wollen Union und SPD den Wirtschaftsstandort stärken und Deutschland so mal wieder auf die „digitale Überholspur“ bringen, eine in Regierungskreisen seit Jahren gängige Metapher. Die Wertschöpfung soll vermehrt in Deutschland und Europa stattfinden. Dafür brauche es weniger Regeln, mehr Rechenkapazitäten und mehr Spitzenkräfte.
In gesellschaftspolitischer Hinsicht wollen Union und SPD vor allem „digitale Kompetenzen“ stärken, um so „allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen“ und die „Demokratie resilienter gegen Desinformation“ zu machen. Während Hürden für Unternehmen abgebaut und Start-ups stärker gefördert werden sollen, kommen die Belange und eine Mitsprache der Zivilgesellschaft nur am Rande vor: „Wir stellen eine angemessene Beteiligung der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften sicher“, heißt es lapidar in einem einzigen Satz.
Überraschend: Die Einrichtung eines Digitalministeriums kommt in diesem Papier nicht mehr vor. Eine Version vom vergangenen Mittwoch sah noch „ein eigenständiges Bundesministerium für Digitales“ vor, „um die Verwaltungsdigitalisierung, digitale Identitäten, IT-Sicherheit und Plattformregulierung zu koordinieren“. Geblieben ist immerhin die Leuchtturm-Metapher: Nun aber soll nicht mehr das Digitalministerium ein Leuchtturm sein, sondern der Rechenzentrumsstandort Deutschland.
Unstimmigkeiten bei Datenschutzaufsicht
Bei aller Einigkeit, die in dem Papier bereits deutlich wird, gibt es offenbar noch zahlreiche Unstimmigkeiten und Konfliktlinien zwischen den beiden Parteien. Hier soll die Steuerungsgruppe aus den Parteispitzen Klärung herbeiführen.
Als explizit klärungsbedürftig gekennzeichnet ist beispielsweise eine Passage zur Datenschutzaufsicht. Hier gibt es zwar grundsätzliche Einigkeit über einen Reformbedarf und eine gesetzliche Verankerung der bisher informell arbeitenden Datenschutzkonferenz von Bund- und Länderbehörden. Die Unionsparteien aber wollen die bislang auf die Bundesländer verteilte Datenschutzaufsicht über die Wirtschaft beim Bund zentralisieren.
Zugleich wollen CDU und CSU die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit umbenennen in „Beauftragte für Datennutzung, Datenschutz und Informationsfreiheit“. Eine Zentralisierung der Aufsicht bei gleichzeitiger Neuausrichtung der Datenschutzbehörde auf Datennutzung – das wollten die SPD-Verhandler:innen offenbar nicht mitmachen.
Auch an anderen Stellen führen das Deregulierungsstreben der Unionsparteien und das Beharren der SPD auf Schutzmaßnahmen zu Konflikten. So wollen CDU und CSU Vorschriften für Rechenzentren überarbeiten und die erst kürzlich beschlossene KI-Verordnung der EU reformieren, um „Belastungen für die Wirtschaft“ abzubauen.
Beide Passagen sind als strittig gekennzeichnet. Die SPD wiederum würde gerne eine KI-Haftungsrichtlinie auf EU-Ebene einführen, Sustainability-By-Design bei Schlüsseltechnologien anregen und „Tracking für Werbezwecke“ verbieten.
Widersprüche bei Open Source, IT-Sicherheit und Verschlüsselung
Bei IT-Sicherheit und Open Source will die SPD offenbar ambitioniertere Ziele festlegen, als es der Union lieb ist. So wollen die Sozialdemokrat:innen bei der Bundes-IT gerne „bis 2029 einen Open-Source-Anteil von 50%“ erreichen, während die Union nur vage über „ambitionierte Zielmarken“ schreiben will.
Die SPD wiederum würde gerne eine „Beschränkung von Verschlüsselung“ und „verpflichtende Hintertüren“ ausschließen, die Union nicht. Auch der von der SPD vorgeschlagene Satz „Vertraulichkeit der privaten Kommunikation und Anonymität im Netz werden wir wahren“ scheint für die CDU ein rotes Tuch zu sein.
Auch zur Frage einer verpflichtenden Altersverifikation im Netz sind sich Union und SPD noch nicht einig. Die SPD setzt auf eine freiwillige Lösung für Nutzer:innen, die „technisch sicher ist, die Privatsphäre und die Anonymität schützt“. Die CDU will zum Schutz junger Menschen eine verbindliche Altersverifikation einführen.
Datennutzung first, Datenschutz second
Große Übereinstimmungen gibt es offenbar bei der Datenpolitik. Vor allem zum Nutzen der Wirtschaft streben beide Parteien eine „Kultur der Datennutzung und des Datenteilens“ an und wollen eine „Datenökonomie etablieren“. Insbesondere für KMUs und Vereine soll es Vereinfachungen geben. Für Vertrauen sollen Datentreuhänder und „Privacy-Enhancing Technologies“ sorgen.
Um „Datenschätze“ zu heben, will offenbar die Union bestehende Regelwerke in einem „Datengesetzbuch“ zusammenfassen. Das ist aber offenbar noch strittig. Auch wird aus dem Papier nicht klar, was dieses Gesetzbuch genau enthalten soll.
Als inoffizielles Motto könnte der Abschnitt insgesamt mit „Datenutzung first, Datenschutz second“ überschrieben sein. Dabei wird die Handschrift der Union erkennbar. Deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte im Wahlkampf vorgeschlagen, dass Versicherte niedrigere Krankenversicherungsbeiträge zahlen könnten, wenn sie Datenschutzbedenken zurückstellen.
In diesem Sinne muss wohl auch die Ankündigung verstanden werden, „eine moderne Regelung für Mobilitäts-, Gesundheits- und Forschungsdaten“ zu schaffen, die „alle berechtigten Interessen“ wahrt.
Digitale Verwaltung und digitale Souveränität
Auch die kommende Regierung will die Verwaltung modernisieren – „zunehmend antragslos, lebenslagenorientiert und rein digital“. Als Leitbild dient hier die „digitale Souveränität“. Dafür sollen digitale Schlüsseltechnologien, die aus Deutschland und Europa stammen, gebündelt, mit Künstlicher Intelligenz garniert und auch von der Verwaltung genutzt werden.
„Nicht vertrauenswürdige Anbieter“ wollen Union und SPD künftig rechtssicher ausschließen. Ob sich das auf chinesische Anbieter wie Huawei oder auch US-amerikanische Tech-Konzerne bezieht, wird aus dem Papier nicht ersichtlich.
Anders als im Entwurf vom 19. März ist in diesem Papier nicht mehr von einem „verpflichtenden Bürgerkonto“ die Rede. Stattdessen wollen beide Parteien den „Zugang zur Verwaltung über die automatisch bereitgestellte Deutschland-ID und die sichere eID/EUDI-Wallet“ schaffen.
Um die digitale Souveränität zu sichern, wollen Union und SPD offene Schnittstellen und offene Standards sowie Open Source gezielt vorantreiben. Die Union möchte dies allerdings allgemein „mit den Akteuren im Ökosystem“ tun. Die SPD möchte dies konkreter „u.a. mit ZenDiS, Sovereign Tech Agency, OpenCode, SPRIND“ tun.
Wie es jetzt weitergeht
Vermutlich ist dies nicht letzte Stand der Verhandlungen. Am gestrigen Montag sollten alle 16 Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorlegen. Damit endete die erste Phase der Koalitionsverhandlungen.
Die finalen Vorschläge und Vorhaben aller Arbeitsgruppen werden nun miteinander abgestimmt. Offene Punkte werden dann auf der nächsthöheren Ebene in einer 19-köpfigen Verhandlungsgruppe aus den Spitzen beider Parteien beraten.
Geht es nach den Plänen von Friedrich Merz, soll der Koalitionsvertrag noch vor den Osterfeiertagen fertig werden und die Wahl zum Bundeskanzler am 23. April stattfinden.
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