Die CEOs der weltweit größten Tech-Konzerne haben sich hinter Donald Trump gestellt. Manche von ihnen beteiligen sich sogar aktiv an dessen zerstörerischer Politik, allen voran Elon Musk. Wir haben mit dem Tech-Journalisten Paris Marx über den vermeintlichen Sinneswandel des Silicon Valley gesprochen und welche Form des Widerstands es nun braucht.

Lange Zeit galten die Vereinigten Staaten als Vorreiter westlicher Demokratien. Laut Verfassung gibt es eine Gewaltenteilung und ein System der „checks and balances“, also der ausgleichenden Kräfte innerhalb des politischen Systems.
Dieses Bild hat sich in den vergangenen zwei Monaten, in denen US-Präsident Donald Trump im Amt ist, deutlich gewandelt. Trump lässt Elon Musk die staatliche Verwaltung radikal zusammenstreichen. Der Multi-Milliardär kann Ausgabenentscheidungen des Kongresses überstimmen und hat Zugang zu privaten Informationen von fast allen US-Bürger:innen. Längst sehen Kritiker:innen Musk als „Ko-Autokraten“ von Donald Trump, der einen „bürokratischen Coup“ durchführe.
Wir haben mit Paris Marx über die jüngsten Entwicklungen in den USA gesprochen. Paris ist ein kanadischer Technikkritiker und Host des preisgekrönten Podcasts Tech Won’t Save Us. Er veröffentlicht den Newsletter Disconnect und ist der Autor von Road to Nowhere: What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation.
Die konservativen Wurzeln der Tech-Konzerne

netzpolitik.org: Als Tech-Kritiker beobachtest du das Silicon Valley schon seit geraumer Zeit. Ist die aktuelle Situation erwartbar gewesen oder gab es Entwicklungen, die dich überrascht haben?
Paris Marx: Ich bin definitiv überrascht davon, in welchem Ausmaß sich das Silicon Valley in die amerikanische Regierung regelrecht hineingearbeitet hat. Das beste Beispiel dafür ist natürlich Elon Musk. Nicht nur, wie er das Department of Government Efficiency (DOGE) innerhalb der Regierung anführt, sondern auch, wie er einen Großteil von Trumps Agenda gestaltet. Das Ausmaß, in dem er sich täglich an der Neugestaltung der amerikanischen Regierung beteiligt, geht weit über das hinaus, was ich erwartet hatte.
netzpolitik.org: Das Silicon Valley galt früher als Hort liberaler Köpfe mit progressiver Haltung. Jetzt scheint es sich in einen politischen Kampf gegen die Regierung zu begeben, oft von einem konservativen Standpunkt aus. Was hat sich geändert?
Paris Marx: Jahrzehntelang wurde das Silicon Valley als liberaler, fortschrittlicher Ort wahrgenommen und auch so geframed. Aber wenn wir in die Geschichte zurückblicken, dann sehen wir, dass die Technologiebranche und insbesondere der Computersektor schon immer konservativ verwurzelt waren.
Das Silicon Valley, wie wir es heute kennen, entstand größtenteils mit Hilfe finanzieller Förderung durch die US-Regierung während des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Krieges. Die Regierungsausgaben zielten darauf ab, High-Tech-Industrien zu schaffen, insbesondere in den Bereichen Waffen- und Militärtechnologie. Im Laufe der Zeit wurde ein Teil davon für die Verbraucher:innen umgewidmet und privatisiert.
netzpolitik.org: Du sagst, das Silicon Valley wurde als fortschrittlich „geframed“ – was meinst du damit?
Paris Marx: Die Medien spielten eine Rolle dabei, dieses Bild zu schaffen und zu verstärken. Nehmen wir zum Beispiel Elon Musk. Jahrelang konzentrierte sich die Berichterstattung darauf zu beschreiben, wie er angeblich die Welt verändert – Raketenstarts, Bekämpfung des Klimawandels mit Elektroautos und so weiter. Andere Aspekte seiner Geschichte wurden währenddessen vernachlässigt.
Dabei gab es schon lange Bedenken etwa mit Blick darauf, wie Musk mit den Mitarbeitern seiner Unternehmen umgeht oder hinsichtlich seines Führungsstils. Aber die Medien waren lange Zeit nicht daran interessiert, diese Seite der Geschichte zu erzählen.
Die Rache der Nerds?
netzpolitik.org: Einige haben die jüngsten Ereignisse in Washington als „Rache der Nerds“ interpretiert. Was sagst du zu?
Paris Marx: Ich habe Schwierigkeiten mit dieser Darstellung, weil sie diese Personen auf eine fast schon karitative Weise zeichnet – ganz so, als wären sie gemobbt worden und würden sich jetzt einfach nur rächen. Ich glaube nicht, dass es so ist.
netzpolitik.org: Was ist dann passiert?
Paris Marx: Ich finde es sinnvoller, zu schauen, wie diese Personen in den vergangenen Jahrzehnten aufgestiegen sind. Viele waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ihr Reichtum und ihre Macht sind oft das Ergebnis glücklicher Umstände und nicht das Ergebnis unübertroffener Intelligenz oder Fähigkeiten – auch wenn sie uns gerne das Gegenteil glauben machen wollen.
Die vorherrschende Erzählung besagt seit langem, dass Technologieführer eher brillante Visionäre als glückliche Nutznießer bestimmter Momente in der Geschichte sind. Das ist ein sorgsam gestaltetes Bild und entspricht nicht unbedingt der Realität.
netzpolitik.org: Wie ist dieses Narrativ entstanden?
Paris Marx: Jahrzehntelang haben die Medien das Silicon Valley in einem rosigen Licht dargestellt: Facebook verbindet die Welt, Musk löst das Klimaproblem, Google verschafft uns Zugang zu grenzenlosen Informationen. Die Tech-Branche wurde als eine von Natur aus gute Kraft dargestellt, die die Gesellschaft vorantreibt und die Zukunft gestaltet.
Als Journalist:innen und die Öffentlichkeit damit begannen, ihre Arbeits- und Umweltpraktiken zu hinterfragen, reagierten die Unternehmen und ihre CEOs ungehalten. Sie wollten gefeiert statt zur Rechenschaft gezogen werden.
netzpolitik.org: In der Vergangenheit haben Tech-Milliardäre die Politik meist auf subtile Weise beeinflusst. Jetzt ist ihr Engagement viel offensichtlicher: Sie unterstützen DOGE, nehmen an Trumps Amtseinführung teil und erscheinen mit Kettensäge auf der Bühne. Was hat sich geändert?
Paris Marx: Die Biden-Regierung hat versucht, Technologieunternehmen und Milliardäre zur Rechenschaft zu ziehen. Untersuchungen zu Kartellrechtsverstößen und Arbeitspraktiken haben diese Personen zunehmend in die Defensive gebracht.
Es gab auch eine breitere Akzeptanz von rechten Verschwörungstheorien in der Technologiebranche – insbesondere im Fall von Elon Musk. Seine Opposition gegen Joe Biden begann schon früh während Bidens Präsidentschaft. Damals förderte die Regierung zwar Elektrofahrzeuge. Gleichzeitig aber hob sie General Motors gegenüber Tesla hervor. Das war darauf zurückzuführen, dass General Motors gewerkschaftlich organisiert ist, Tesla aber nicht. Und das hat offenbar Musks Feindseligkeit entfacht, die sich mit der Zeit nur noch verstärkte.
Im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahl unterstützten viele führende Persönlichkeiten der Technologiebranche zunächst andere republikanische Kandidaten als Trump. Als jedoch klar wurde, dass Trump die Nominierung erhält, stellten sie sich deutlicher an seine Seite. Diese Verschiebung geschah sicherlich nicht in einem Vakuum. Aber die offene Hinwendung zur rechtsextremen Politik ist dennoch bemerkenswert.
Die Umsetzung einer rechtsradikalen Agenda
netzpolitik.org: Erleben wir gerade eine feindliche Übernahme der US-Regierung?
Paris Marx: Die Trump-Regierung arbeitet nach der Devise „Move fast and break things“ – „Handle schnell und mach Dinge kaputt“. Auf diese Weise gestaltet sie die amerikanische Administration vor unser aller Augen grundlegend um. Gleiches gilt für die Außenpolitik, wo Trump Bündnisse und Institutionen auflöst, welche die USA über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben.
Gleichzeitig erleben wir aktuell die Umsetzung einer seit langem bestehenden rechtsradikalen Agenda. Denn die Trump-Regierung nutzt quasi als Handbuch die von der Heritage Foundation und anderen konservativen Gruppen entwickelte Strategie namens „Project 2025“ und setzt diese aggressiv um.
Am meisten überrascht mich, wie sehr die Tech-Branche, allen voran Elon Musk, mit diesen Bestrebungen übereinzustimmen scheint. Es mag hier und da zwar kleinere Meinungsverschiedenheiten geben – etwa in der Einwanderungspolitik –, doch das übergeordnete Ziel eint sie offenbar: die Demontage der Regierung, die Erweiterung der KI-Fähigkeiten, die Erfassung von Regierungsdaten und die Missachtung der weitreichenden Konsequenzen, die das hat.
Kürzlich sagte Musk, die Empathie sei eine der größten Schwächen der Menschheit. Das zeigt, wie er die Welt sieht – und wie wenig er die Auswirkungen seiner Handlungen auf Millionen von Amerikaner:innen und Milliarden von Menschen weltweit berücksichtigt.
netzpolitik.org: Regt sich Protest in der amerikanischen Zivilgesellschaft?
Paris Marx: Ja, es gibt Widerstand und er wächst. In den gesamten USA nehmen die Proteste gegen diese Entwicklungen zu. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Kampagne gegen Tesla-Händler. Es werden auch Klagen eingereicht, um einige Maßnahmen der Trump-Regierung anzufechten.
Tatsächlich ist jetzt der Moment gekommen, die globale Abhängigkeit von der US-amerikanischen Technologiebranche insgesamt neu zu bewerten. Länder wie Kanada und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen sich fragen, ob es sinnvoll ist, dass Unternehmen aus dem Silicon Valley ihre Märkte dominieren und ob ihr Einfluss nicht erheblich eingeschränkt werden sollte.
Außerdem brauchen diese Regionen unbedingt alternative technologische Infrastrukturen, um ihre Abhängigkeit von den Milliardären aus dem Silicon Valley zu verringern.
netzpolitik.org: Was genau sollte getan werden? Und wie sieht hier deine Prognose aus?
Paris Marx: Die Europäische Union hat mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act erste wichtige Schritte unternommen. Aber es braucht weitere Maßnahmen, um den Einfluss des Silicon Valley einzudämmen.
Zunächst sollten Regierungen die Erwartungen an E-Commerce- und Social-Media-Plattformen, die in ihrem Rechtsbereich tätig sind, klar definieren. Und sie sollten echte Konsequenzen androhen, wenn diese gegen bestehende Regelungen verstoßen. Die ersten Strafen können finanzieller Art sein, aber es sollte auch die Möglichkeit von Verboten geben, wenn sich Unternehmen weigern, die Vorschriften einzuhalten.
Noch wichtiger aber ist es, dass Investitionen in den Aufbau alternativer Plattformen fließen, bei denen das öffentliche Interesse Vorrang vor dem Shareholder Value hat. Der Fokus sollte hier auf offenen Protokollen und föderierten Systemen liegen. Außerdem sollten die Regierungen solche Initiativen auch finanziell fördern und unterstützen.
Nur wenn wir gemeinsam handeln, können wir ein technologisches Ökosystem schaffen, das dem Gemeinwohl dient. Und nicht den Interessen einiger weniger Milliardäre.
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