Die falsche Nationalität des (mutmaßlichen) Vergewaltigers

Von Astrid Sigena

In den westlichen, insbesondere den deutschen Mainstream-Medien sind (angebliche) Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe durch russische Soldaten schon zum ständigen Topos geworden (ein ausgesprochen widerwärtiges Beispiel für diese spezifische Form russophober Propaganda findet sich hier). Auch bei besonders glühenden Verfechtern einer Ausweitung der militärischen und finanziellen Unterstützung für die Ukraine wie Roderich Kieswetter darf dieser Vorwurf nicht fehlen, gerne in Verein mit anderen (angeblichen) Untaten wie Folter und Kindesentführung. In Deutschland scheinen diese Anschuldigungen auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen. Ist es absurd zu unterstellen, man wolle da emotional manipulieren, indem man deutsche Traumata aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts reaktiviert und im Kampf gegen das heutige Russland einsetzt?

Nun kann man solche Verbrechen auch von russischer Seite nicht von vornherein ausschließen. Wie überall in der Gesellschaft, kann es auch in der russischen Armee zu Verbrechen Einzelner kommen. Was auffällt: In Russland werden solche Untaten auch strafrechtlich verfolgt und geahndet. Erst im November wurden zwei russische Soldaten zu lebenslanger Haft verurteilt, die 2023 im befreiten Wolnowacha neun Mitglieder einer Großfamilie ermordet hatten.

Was aber an den Vergewaltigungsvorwürfen auffällt: Es finden sich so gut wie nie konkrete Anhaltspunkte für diese insinuierten Untaten. Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte, Frau Denisowa, musste im Frühsommer 2022 sogar zurückrudern. Sie gestand ein, dass ihre drastischen Schilderungen von angeblichen russischen Sexualverbrechen erfunden sein könnten und sie womöglich übertrieben habe. Trotzdem hielt sie am Narrativ der russischen Vergewaltigungen fest. Beweise wollte (oder konnte) sie nicht liefern. Das sei nicht ihre Aufgabe, sondern die des Staatsanwalts.

Nun brachte das Hamburger Magazin Der Spiegel einen Artikel über Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen Soldaten in der Ukraine, mit konkretem Tatverdacht und Hinweisen auf belastbares Beweismaterial. Nur: Der Tatverdächtige hat die falsche Nationalität. Er ist Deutscher, war früher sogar Bundeswehrsoldat. Und: Er kämpft in diesem Krieg auf der Seite der Ukraine, und galt als "deutscher Held". Noch im Februar 2024 brachte Bild-Reporter Paul Ronzheimer einen Podcast heraus, über Ben, den bayerischen Ex-Bundeswehrsoldaten, der jetzt in einer ukrainischen Spezialeinheit gegen die Russen kämpfe. Wenn es für die Opfer, die vergewaltigten Frauen, nicht so entsetzlich wäre, könnte man diesen Widerspruch zum offiziellen Narrativ fast schon bizarr nennen.

Die Tatvorwürfe wiegen schwer: Bereits während seiner Bundeswehrzeit in Deutschland gab es mehrere Anzeigen von Frauen, die angaben, von Ben R. sexuell belästigt oder bedroht worden zu sein. Die Ermittlungsverfahren wurden eingestellt, teils weil die betreffenden Frauen ihre Anzeige zurückzogen.

Ab Januar 2022 kam dann der Verdacht auf Besitz kinderpornografischen Materials gegen Ben R. auf. Das US-amerikanische "National Center for Missing and Exploited Children" hatte entsprechende Verdachtsmomente an die deutschen Behörden übermittelt. Und tatsächlich veranlasste die bayerische Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung bei Ben R., in deren Verlauf man Datenträger beschlagnahmte, aber auch Waffen und Munition in seiner Wohnung fand (mittlerweile wurde festgestellt, dass es Munition aus Bundeswehrbeständen war). Da es sich um einen Anfangsverdacht handelte, sahen die Ermittler anscheinend keinen Grund, Ben R. seine offen angekündigten Ausreisepläne ins polnisch-ukrainische Grenzgebiet zu verwehren. So konnte der Bundeswehrsoldat ausreisen und die Ermittler stellten erst später fest, dass es sich bei den tausenden Fotos und hunderten Videos auf Ben R.s Datenträgern, die sexualisierte Gewalt enthalten, zum Teil auch um mutmaßliche Vergewaltigungen handelte.

Mittlerweile hielt sich der medial sehr aktive Ben R. in der Ukraine auf und konnte sich als "deutscher Held" stilisieren, der ukrainische Leben rette und damit das deutsche Image in der Ukraine aufpoliere. Die bayerischen Staatsanwälte stellten zwar ein Auslieferungsgesuch an die Ukraine, die ukrainischen Behörden reagierten jedoch nicht auf dieses Ansuchen. Womöglich war der Bayer dem Selenskij-Regime als deutscher Söldner einfach zu nützlich?

Ob Ben R. dem Deutschlandbild der Ukrainer (und speziell der Ukrainerinnen) wirklich aufhilft, ist fraglich. Denn inzwischen fanden die deutschen Ermittler auf einer pornografischen Internetseite auch Unterwerfungsvideos, von denen Ben R. angibt, er habe sie selbst in der Ukraine gedreht. Die Ermittler haben den Verdacht, dass diese Videos Vergewaltigungen an ukrainischen Frauen zeigen. Manche wirkten betäubt, andere hätten sichtbare Blessuren, andere bäten "Ben" darum aufzuhören. Ein mögliches Opfer könnte sogar bewusstlos gewesen sein. Insgesamt handele es sich um sechs mutmaßliche Vergewaltigungsfälle, heißt es. So kam es um die Jahreswende 2023/2024 zu einem zweiten Europäischen Haftbefehl gegen Ben. R. Und natürlich informierten die deutschen Ermittler in Bamberg auch die ukrainischen Behörden.

Eigentlich sei – so Spiegel-Journalistin Sara Wess – die Ukraine dazu verpflichtet, Ben R. wegen dieser Haftbefehle an Deutschland auszuliefern. Es geschieht jedoch nichts. Anscheinend ist der Ex-Bundeswehrsoldat in der Ukraine weiterhin auf freiem Fuß. Sollte es sich bei ihm wirklich um einen Vergewaltiger handeln, kann er in der Ukraine weiterhin sein Unwesen treiben. Die Staatsanwaltschaft in Kiew gibt nur an, man ermittle gegen einen deutschen Staatsbürger wegen des Verdachts auf Vergewaltigung einer Minderjährigen. Ben R. selbst wollte sich zu dem Sachverhalt nicht äußern.

Exkulpierend erklärt Frau Wess: Der Krieg habe die Justiz in der Ukraine geschwächt (immerhin gibt sie zu, dass das ukrainische Justizsystem bereits vorher korrupt gewesen sei). Die Arbeitsbelastung der Staatsanwälte und Ermittler sei seit 2022 gestiegen, unter anderem weil die Ukrainer Schadenersatzklagen gegen Russland aufgrund von Kriegsschäden anstrengten. Die Spiegel-Journalistin deutet auch an, dass es schwierig sei, ein Mitglied der ukrainischen Armee (das ist nämlich Ben R. mittlerweile regulär) zu belangen. Also ist letztendlich wieder Russland schuld?!

Merkwürdig. Auch Russland befindet sich im Krieg. Und auch gegen russische Behörden gibt es immer wieder Korruptionsvorwürfe. Trotzdem war die russische Justiz dazu imstande, die Mörder von Wolnowacha zu ermitteln, vor Gericht zu stellen und zu verurteilen. Warum schafft das Kiew nicht? Als Hort der Verteidigung (angeblich) westlicher Werte wie Rechtssicherheit und Gerechtigkeit kann die Ukraine sich immer schlechter verkaufen.

Mehr zum Thema - Bundeswehrausbilder in die Ukraine?

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