Der Digital Services Act der EU gibt Online-Diensten neue Regeln vor. Wer sich nicht an sie hält, muss hohe Strafen zahlen. Aber wie hoch fallen sie aus? Und wer genau muss zahlen? Da ist das Gesetz nicht ganz klar. Besonders für X und Elon Musk könnte das Zahlungen von Milliarden statt Millionen bedeuten.
Es ist ein kleines Detail im Digital Services Act der EU, dem DSA, das Elon Musk einige Milliarden Euro kosten könnte. Der DSA ist ein Gesetz, das Online-Plattformen eine ganze Reihe an Regeln auferlegt – zur Moderation von Inhalten, zu Werbung, zu Transparenz. Das Gesetz gilt für große Online-Dienste seit über einem Jahr.
In diesem Jahr hat die Kommission sich mit fast allen großen Online-Plattformen angelegt. TikTok musste seine Lite-App umgestalten; LinkedIn musste verändern, auf Basis welcher Daten es Werbung anzeigt. Es gibt aber eine Plattform, die ganz klar am stärksten im Zoff mit den neuen europäischen Regeln liegt: X, früher bekannt als Twitter.
Die EU-Kommission hat die Plattform monatelang untersucht und kam am Ende zum Schluss, dass sie gegen die Regeln des DSA verstößt. Twitter durfte darauf antworten. Diese schriftliche Antwort liegt der Kommission inzwischen vor. Sie wird nun entscheiden, ob sie die Gegenargumente überzeugend findet – oder eine Strafe verhängt.
Aber falls es dazu kommt, wie hoch könnte diese Strafe dann sein?
Die Antwort erscheint eigentlich offensichtlich. Das Gesetz erlaubt eine Geldbuße von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Hier ist wichtig zu wissen: Musk hat eine große Online-Plattform namens Twitter gekauft und sie in eine abgewirtschaftete Online-Plattform namens X verwandelt. Der jährliche Umsatz des Unternehmens – also das gesamte Geld, das es eingenommen hat, vor allen Ausgaben – soll im Jahr 2023 von 4,7 Milliarden Dollar auf 3,4 Milliarden Dollar gesunken sein. Ungefähr zumindest, so genau weiß das gerade niemand außerhalb des privat geführten Unternehmens.
Twitter macht viel weniger Geld
Das ist für den DSA sehr wichtig, weil seine Strafen an Jahresumsätze gekoppelt sind. Damit sollte eigentlich sichergestellt werden, dass auch große Unternehmen Angst vor einer solchen Strafe haben – eine Million Euro ist zwar viel für ein kleines Unternehmen, für Google oder Amazon aber noch nicht einmal ein Kratzer. Das sollte die Kopplung an die Jahresumsätze beheben.
Amazon machte 2023 einen Umsatz von 575 Milliarden Dollar, Meta knapp 135 Milliarden. Für Amazon könnte eine Strafe also bis zu 34 Milliarden Dollar betragen, für Meta wären es acht Milliarden. Beide Summen würden sehr weit oben in der Liste der größten Geldstrafen aller Zeiten landen.
Anders bei Twitter. Mit einem vermuteten Umsatz von 3,4 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr könnte eine DSA-Strafe hier maximal rund 200 Millionen Dollar betragen. Für normale Menschen eine riesige, unglaubliche Menge Geld, die sie in ihrem Leben nie verdienen werden. Elon Musk, der Besitzer von Twitter und Anteilseigner an anderen Großkonzernen wie SpaceX, ist Schätzungen zufolge insgesamt rund 250 Milliarden Dollar wert. Die DSA-Strafe wäre damit noch nicht einmal ein Zehntel eines Prozents dieses gewaltigen Geldhaufens.
Was ist ein Anbieter?
Aber ganz so einfach ist es nicht. Der springende Punkt ist ein einziges, auf den ersten Blick sehr klares Wort: „Anbieter“. Dieses Wort kommt im DSA 687-mal vor. Der DSA reguliert nämlich nicht direkt sehr große Online-Plattformen wie Facebook oder Online-Suchmaschinen wie Google – er reguliert ihre Anbieter. Denn Plattformen und Suchmaschinen sind Webseiten oder Apps. Sie können sich nicht selbst an Regeln halten. Sie werden von jemandem betrieben, der die Regeln des DSA umsetzen muss. Das ist der Anbieter.
Wer im DSA nach einer klaren Definition sucht, was mit dem Begriff „Anbieter“ gemeint ist, der wird dort nicht fündig werden. Das Gesetz macht klar, was mit „Unternehmer“, „rechtswidriger Inhalt“, „Online-Schnittstelle“ oder „aktiver Nutzer einer Online-Plattform“ gemeint ist. Aber für den zentralen Begriff des „Anbieters“ gibt es keine klare Definition.
Das sieht auch der Jurist Jürgen Bering von der Gesellschaft für Freiheitsrechte so. „Der DSA definiert nicht, was Anbieter eigentlich sind“, sagte er zu netzpolitik.org. „Die Verordnung ist insgesamt aber auf Unternehmen zugeschnitten.“
Die Prüferin des DSA, die EU-Kommission, scheint hier eine etwas umfangreichere Interpretation des DSA zu vertreten. „Die Verpflichtungen des DSA gelten für die Anbieter einer großen Online-Plattform oder einer sehr großen Suchmaschine“, sagte ein Sprecher der Kommission zu netzpolitik.org. „Das trifft unabhängig davon zu, ob die Entität, die entscheidenden Einfluss über die Plattform oder Suchmaschine ausübt, eine natürliche oder juristische Person ist.“
Könnte im Klartext heißen: Als Anbieter für X könnte nicht die Twitter International Unlimited Company gelten, die in der Liste der sehr großen DSA-Plattformen auf der Webseite der Kommission steht, sondern Elon Musk selbst. Ob die Kommission das so sieht, wollte der Sprecher nicht sagen. Das müsse sie erst in ihrer allerletzten Entscheidung zu einem Verfahren festlegen.
Mehrere Strafen auf einmal?
Sollte diese Entscheidung auf Musk persönlich fallen, könnte das für ihn sehr teuer werden. Denn dann könnte die Kommission ihre Strafe nicht mehr auf Grundlage des Umsatzes von Twitter, sondern aller ihm gehörenden Unternehmen berechnen. Tatsächlich berichtet Bloomberg, dass die Kommission in diese Richtung denkt und Twitter genau davor gewarnt hat.
Das alles würde für einen einzelnen Verstoß gegen den DSA gelten. Die Kommission hat aber vorläufig festgestellt, dass Twitter gegen drei verschiedene Artikel des DSA verstößt – und es ist gut möglich, dass noch Untersuchungen zu Verstößen gegen andere Bereiche des Gesetzes dazukommen werden. Aber kann die Kommission Twitter und Musk am Ende der Untersuchung einmal abstrafen – oder kann sie einzelne Strafen für jede Zuwiderhandlung gegen das Gesetz verhängen?
„Auch das ist nicht ganz klar“, so Jürgen Bering. „Der DSA scheint bei Geldbußen eher an Zuwiderhandlungen anzuknüpfen, sodass bei einem Verfahren, das mehrere Zuwiderhandlungen betrifft, auch über die Grenze hinausgegangen werden kann. Dafür spricht auch, dass andernfalls die Kommission lediglich Verfahren auftrennen müsste, um höhere Bußgelder festzusetzen.“
Für die Kommission scheint die Lage klar zu sein: „Wenn die Kommission entscheidet, dass es eine Zuwiderhandlung gegeben hat, dann wird eine Strafe für jede der verletzten Vorschriften festgelegt werden“, so ihr Sprecher zu netzpolitik.org. Dabei würde die Kommission dann auch eventuelle erleichternde oder erschwerende Faktoren mit einbeziehen.
Das könnte dann für Musk nicht nur eine Strafe in Milliardenhöhe bedeuten, sondern drei davon.
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