Bekannte Sachsen-CDU-ler lehnen Koalition mit "neobolschewistischer" Sahra-Wagenknecht-Partei BSW ab
Jürgen Meyer 19.10. 2024
Obwohl die CDU im Osten selber eine "bolschewistische" Vergangenheit als Blockpartei der SED im Rahmen der sogenannten "Nationalen Front der DDR" hat, erheben sich einige bekannte CDU-Politiker aus Sachsen über Sahra Wagenknecht, weil sie eine pro-kommunistische Vergangenheit hat.
Vielleicht steckt der Hang vieler CDU-ler zum Rechtspopulismus dahinter, die insgeheim lieber eine Koalition mit der AfD statt dem BSW anstreben.
Tatsächlich ist sie vor 1989 in der Wendezeit noch schnell in die SED eingetreten, um die Partei personell und inhaltlich zu erneuern zur PDS. Und sie bezeichnete auch noch nach 1990 die DDR verglichen mit der BRD als den besseren deutschen Staat. Die Nachfolgepartei der SED bekam nach der Wende als PDS bis zu 30 % +X der Wählerstimmen in Ostdeutschland, sodass damals diese Position im Osten durchaus weit verbreitet und sozusagen Mainstream im Osten war.
Beispielsweise deshalb gab es auch nie eine Volksabstimmung wie im Donbass in der Ukraine über eine mögliche Wiedervereinigung. Man befürchtete, dass die Menschen im Osten sich dagegen entscheiden oder aber ein sehr großer Teil dagegen stimmen würde. Deshalb hat die damalige Kohl-Regierung eine solche Volksbefragung immer abgelehnt.
Doch jetzt zaubern CDU-ler weitere "Vorwürfe" gegen Wagenknecht aus dem Hut.
Sachsen: Widerstand in CDU gegen Zusammenarbeit mit BSW – wegen Wagenknechts Vergangenheit
In Sachsen haben sich SPD und BSW darauf verständigt, Sondierungsgespräche mit der CDU über eine mögliche Regierungsbeteiligung zu führen. Prompt regt sich innerhalb der sächsischen CDU dagegen Widerstand.
In dem offenen Brief, aus dem das Nachrichtenportal Apollo News zitiert, wenden sich die Verfasser gegen eine Koalition mit dem BSW und fordern von ihrer Partei, eine von der CDU geführte Minderheitsregierung anzustreben. Sie lehnen ein Zusammengehen mit dem BSW ab, weil Wagenknecht Anfang der 1990er-Jahre, nach dem Ende der DDR, deren Untergang mehrfach öffentlich bedauert hatte. Das Nachrichtenportal zitiert aus dem offenen Brief, in dem es heißt:
"In den Augen der Vorsitzenden und Namengeberin des 'Bündnisses Sahra Wagenknecht' war die friedliche Revolution von 1989 eine Konterrevolution. Die Verteidigung von Mauer und Stacheldraht ist aus ihren Äußerungen in den neunziger Jahren als Sprecherin der Kommunistischen Plattform stets herauszuhören. Honecker war ihr zu liberal. Ihre Idole waren Ulbricht und Stalin."
Von den CDU-Politikern werden Wagenknecht Analysen und Positionen vorgehalten, die sie Ende 1992 in den Weißenseer Blättern unter dem Titel "Marxismus und Opportunismus. Kämpfe in der sozialistischen Bewegung gestern und heute" veröffentlicht hatte. Die Zeitschrift wurde seit Anfang der Achtzigerjahre von der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg herausgegeben, stand oppositionellen Kreisen in der DDR kritisch gegenüber und hatte teilweise enge Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit.
Aus dem damaligen, gut 14 Seiten langen Aufsatz der 23-jährigen Wagenknecht greifen die CDU-Mitglieder einige Formulierungen heraus, die sie als Vertreterin eines "Betonflügels der SED" hinstellen. Wagenknecht hatte in ihrem Artikel die Oktoberrevolution gerechtfertigt und die politischen Konzeptionen der Bolschewiki und Lenins als "einzig gangbare" bezeichnet. Darin hatte sie die Politik Stalins "als prinzipientreue Fortführung der leninschen" beschrieben. Was immer an der Sowjetunion unter Stalin zu kritisieren sei, so hatte Wagenknecht damals festgehalten, dürfe man nicht vergessen, dass in jenen Jahren "die Entwicklung eines über Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Gesellschaft" gelungen sei und Stalin auch das Ende des Hitler-Faschismus und Zweiten Weltkriegs maßgeblich beeinflusst hat, ebenso den Zusammenschluss der Brudervölker zur großen Sowjetunion.
Sahra Wagenknecht Leninismus oder gar Stalinismus vorzuwerfen ist eine dreiste Lüge, hat sie doch lediglich richtig analysiert, was natürlich nicht der vorherrschenden Meinung entspricht.
Die Verfasser des offenen Briefes unterstellen Wagenknecht, ihren angeblich leninistisch-stalinistischen Überzeugungen der frühen neunziger Jahre seither treu geblieben zu sein: "Mit dem 'Bündnis Sahra Wagenknecht' und einer Neobolschewistin als Gallionsfigur fängt sich die sächsische CDU den Betonflügel der früheren SED ein." Sie gehen dabei so weit zu behaupten, das sozialistische Programm des BSW sei unvereinbar mit der bundesrepublikanischen Ordnung: "Die heute vertretene Programmatik der Wagenknecht-Partei ist ein Anschlag auf die Westintegration und die Soziale Marktwirtschaft und damit auf die politischen Fundamente der Bundesrepublik Deutschland."
Eine mögliche Koalition der sächsischen CDU mit dem BSW würde einen Bruch mit der eigenen Geschichte der Christdemokraten "seit 1989" darstellen und einen "Schlag ins Gesicht der friedlichen Revolution und vieler ihrer noch lebenden Repräsentanten" bedeuten. Die Verfasser des offenen Briefes versteigen sich zu folgender Aussage:
"Der Weg in den sogenannten 'Demokratischen Block', in dem die CDU mehr als 35 Jahre gefangen war, würde wieder eingeschlagen – aber diesmal freiwillig aus reinem Opportunismus und ohne den Druck von Sowjetpanzern, KGB-Kerkern und Genickschüssen."
Die konservativen CDU-Politiker kritisieren in ihrem Schreiben auch den Umgang ihrer Partei mit der AfD:
"Während viele Linkspartei-Wähler zum BSW überliefen, wählte ein großer Teil unserer früheren Wähler die AfD. Mit einer vergleichenden Analyse, aus der hervorgeht, was die AfD so viel gefährlicher macht als das BSW, sodass sich ihr gegenüber eine Brandmauer der Ausgrenzung erforderlich macht, während andererseits Pilgerfahrten an den Hof von Frau Wagenknecht stattfinden, ist die CDU bisher nicht hervorgetreten."
Wagenknecht hat sich seit vielen Jahren immer wieder deutlich von ihren früheren Aussagen, in denen sie aus Frust über die Nachwendezeit die DDR oftmals zu pauschal verteidigte, distanziert bzw. sie zumindest relativiert, und zwar öffentlichkeitswirksam zuletzt während ihres "TV-Duells" mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel.
Allerdings bleiben sozialistische Ziele und Positionen in ihrer Programmatik berechtigterweise erhalten - wie der Kampf gegen Monopole, Banken und Konzerne, die Oligarchen oder gegen den US-Imperialismus, Zionismus und Neokolonialismus.
Ihre Befürwortung von sozialistischen Überzeugungen, wie die Vergesellschaftung großer Unternehmen in Belegschafts- und Genossenschaftseigentum und gegen Monopolisierung der Volkswirtschaft, ist also weiterhin vorhanden - auch wenn sie diese Forderungen teilweise mit vergleichbaren ordoliberalen Ansichten von Walter Eucken, Alexander Rüstow und Ludwig Erhard begründet. Aber auch für Sahra Wagenknecht ist klar, dass es kein Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft und zu Tante-Emma-Läden der 50-er Jahre geben wird, zumal es später auch ganz schnell zu neuer Monopolisierung der alten Ruhrbarone um Krupp und Thyssen im Stahlbereich kam und auch ein nationales ordoliberales Kartellrecht die globale Monopolisierung der Weltkonzerne nicht aufhalten wird.
Jedenfalls ist der Aufstand der CDU-ler reine Heuchelei und in letzter Instanz vielleicht sogar durch den Black-Rock-Transatlantiker und Bellizisten Friedrich Merz gesteuert - als Prophylaxe für den Bundestagswahlkampf 2025.
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