Wahlplakate sind eine Königsdisziplin im Wahlkampf. Häufig wurden sie bereits totgesagt: Wer braucht schließlich noch Wahlplakate in einer digitalen Welt? Und dann der ganze Müll! Von derlei Reformgedanken unbeeindruckt zieren sie jedoch weiterhin unsere Wiesenecken und Straßenlaternen. Sie nerven uns, sie bringen uns manchmal zu lachen. Sie werden mitunter kreativ umgestaltet und immer öfter (Tagesschau) aus blinder Wut zerstört. Dann beschweren sich die Kandidaten und es wird – wenn es denn zur Anzeige gebracht wird – sogar ermittelt. Wahlplakate treffen nicht nur einen – sondern viele Nerven – und bereits das ist ein Beleg für ihre Wirksamkeit.
In Wahlplakaten steckt jede Menge Psychologie. Allein die Bildauswahl, die Farben und Fotofilter, die treuseligen Politikeraugen, der ehrliche, gerade Blick nach vorn, die Tiefenschärfe, die das porträtierte Antlitz nach vorne rückt – all das wäre bereits eine ausgreifende Analyse wert. Mein Metier sind jedoch die Wörter und darum schauen wir einmal genauer hin, was die Parteien uns sagen (wollen) auf ihren Plakaten des Wahlkampfes 2025.
Bei der Gestaltung ihrer Plakate überlassen die Parteien wirklich nichts dem Zufall. Es handelt sich um geplante, professionell durchgestylte Instant-Kommunikation. Darum kann die sprachliche Analyse von Plakat-Prosa in Wahlkämpfen ähnlich erhellend sein, wie die kleingedruckte Zutatenliste bei Fertignahrung. Es ist einfach gut zu wissen, welche kommunikativen Schalter betätigt werden, bevor wir unsere Kreuzchen machen.
Fülle an Wahlplakaten
Es gibt eine Vielzahl verschiedener Plakate auch innerhalb derselben Partei. Verschiedene Gesichter mit den gleichen oder unterschiedlichen Slogans, mal das Spitzenpersonal, mal die Direktkandidaten aus dem Wahlkreis – die Fülle ist riesig. Um Vergleichbarkeit im Rahmen dieser Analyse zu erreichen, schauen wir nur auf diejenigen Plakat-Texte, die nebst dem porträtierten Spitzenpersonal von der jeweiligen Bundespartei veröffentlicht wurden.
In den Plakaten der Spitzenkandidaten tritt das framesemantische Fundament der Wahlkampagne zutage. Hier werden die Grundlinien gezogen, das Meta-Framing. Es ist das Kondensat der jeweiligen Parteikampagne – die Hauptbotschaft eingestampft auf die am besten geeigneten Begrifflichkeiten und Schlagwörter. Alle anderen Botschaften auf allen anderen Werbemitteln lassen sich daraus ableiten bzw. sind die Wiederkehr dieses Grundmotivs in konkreteren Formulierungen.
Die Textsorte Wahlplakat bietet begrenzten Platz innerhalb einer Öffentlichkeit mit begrenzter Aufmerksamkeit und wirft so für die Parteien verschiedene Probleme auf. Darum zuvor ein paar grundsätzliche Aspekte über den Charakter von Wahlplakaten.
Formale Einschränkungen
Das Wahlplakat selbst ist durch Knappheit definiert. Text und Bild brauchen bestimmte Größenverhältnisse, um draußen sichtbar zu bleiben. D.h. je mehr Text, umso weniger Lesbarkeit und damit Verständlichkeit. Das begrenzt die zentrale Botschaft auf einen drei bis fünf-wortigen Slogan. Das wiederum stellt hohe Anforderungen an die Unterscheidbarkeit.
Unterscheidbarkeit
In Zeiten konkreter Probleme ist es nicht so einfach, in wenigen Worten zu sagen, was man sagen will und dabei nicht auf ähnliche Begriffe wie die Konkurrenz zu setzen. Ein Überschneiden in den zentralen Begrifflichkeiten gilt als No-Go im Wahlkampf. Setzt Olaf Scholz auf den Begriff „Respekt“ auf seinen Plakaten im vergangenen Wahlkampf 2021, ist es fast ausgeschlossen, dass andere Spitzenkandidaten denselben Begriff fokussieren. Die Begriffe gelten als besetzt. So wird zwischen den Parteien maximale Unterscheidbarkeit hergestellt. Diese angestrebte scharfe Trennung ist übrigens in diesem Wahlkampf nicht in jedem Fall gelungen. So werben sowohl die Grünen als auch die CDU auf einigen Werbemitteln mit dem Wort „Zuversicht“.

Abbildung 1: Wahlplakat der Grünen.

Abbildung 2: Werbematerial der CDU.
Das lässt sich als Symptom der geringen Wahlkampf-Vorbereitungszeit lesen. Auch Olaf Scholz gebrauchte die Vokabel häufiger und bereits in seiner Regierungserklärung im Juni 2024. Auf SPD-Wahlplakaten taucht dieser Begriff jedoch nicht auf, denn die Grünen besetzten „Zuversicht“ bereits sehr früh im Plakat-Wahlkampf.
Wiederholung
Häufig begegnet uns der Einwand, Wahlplakate verschandelten das Stadtbild. Das stimmt, aber ändert nichts an der Wirksamkeit. Wiederholungen – das gilt für Bilder wie für Texte – sind Argumente. Das kennen wir von Kindern. Wahlplakate konkurrieren um eine knappe Ressource: unser aller Aufmerksamkeit. Die Orte der Plakate sind schwierig, sie garantieren keinen ungestörten Wahrnehmungskanal. Passanten sind abgelenkt von Aufgabenzetteln, von Verkehrsschildern, vom Straßenverkehr. Nur Sekundenbruchteile bleiben, um ein Gesicht und eine Botschaft aufzunehmen. Erscheinen die Botschaften und Gesichter öfter, prägen sie sich uns ein, generieren sie eine Aura der Normalität.
Analyse der sprachlichen Muster der Wahlplakate
Ich sagte oben, in den Plakaten finde sich das Kondensat des Wahlprogramms, eingestampft auf einige wenige aussagestarke Begriffe und Schlagwörter. Diese sprachlichen Muster lassen sich als Frames untersuchen, denn – auch wenn man es nicht glaubt – in den Wahlplakaten stecken ganze Argumentationsmuster der menschlichen Alltagslogik. Diese Muster sind in der Texttiefe wirksam.
Das heißt, sie können auf der Textoberfläche durch verschiedene sprachliche Formen ausgedrückt werden und haben doch dieselbe Auswirkung auf den Rezipienten. Durch die unterschiedlichen Formen sind sie nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Die Muster können ausformuliert sein („Mehr Netto ist besser für XYZ“). Sie können aber ebenso auf fast unscheinbare Einzelwörter reduziert sein. Trotzdem bleibt das ganze Muster wirksam. Genau darin besteht ihr Reiz für die politische Kommunikation, denn – egal ob sichtbar oder unsichtbar – es sind diese Muster an denen Menschen sich orientieren.
Positiv und Negativ-Campaigning
Auf Wahlplakaten hat jede Partei die Wahl. Möchte sie über den schlechten Status quo sprechen und Angst verbreiten oder möchte sie zeigen, wo sie hin möchte und wo es besser ist. Es ist ein schmaler Grat zwischen Positiv- und Negativ-Campaigning. Beide Sorten des Campaignings gehören zusammen, wie die beiden Seiten eines Blattes: Es gibt kein Kämpfen für eine bessere Welt, ohne auf die schlechtere, die es zu überwinden gilt, hinzuweisen.
Warum sollten die Menschen einen denn sonst wählen, wenn alles super ist? Dennoch haben die Parten beträchtliche Spielräume, wenn es um die Frage geht, worauf sie den Fokus legen möchten. Doch selbst ein Plakat wie Habecks ‚Zuversicht‘ birgt implizit eine negative Seite, die mitgemeint ist. Warum sollte jemand Zuversicht fordern, wenn alles glatt laufen würde? Die negative Seite wird implizit mitgemeint und muss vom Wahlvolk gedanklich ergänzt bzw. hineininterpretiert werden. Besonders diesen impliziten Botschaften widmet sich die Analyse, weil in ihnen besondere Kraft liegt. Sie bewirken, dass die Betrachtenden der Plakate sich sozusagen selbst überzeugen, ohne dass ihnen explizit Angst gemacht wurde.
CDU

Abbildung 3: Wahlplakat mit Merz.

Abbildung 4: Nur-Text-Plakat der CDU mit Kampagnen-Logo.
Friedrich Merz ist derzeit zumeist abgebildet mit folgendem Slogan:
- Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können.
Daneben gibt es weitere Nur-Text-Plakate, die inhaltlich konkretere Formulierungen enthalten:
- Fleiß muss sich wieder lohnen.
- Stabilität statt Chaos.
- Beide Stimmen für den Politikwechsel.
- Recht und Ordnung wieder durchsetzen.
- Ohne Wirtschaft läuft es nicht.
Als Call-to-Action hat sich die CDU auf allen Plakaten entschieden für den Untertitel „Beide Stimmen CDU.“
Was den meisten wohl ins Auge fällt, ist die gewollte syntaktische Ähnlichkeit mit Angela Merkels 2017er Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Jedoch der Clou ist ein anderer, denn der CDU-Slogan nimmt Anleihen an einer weiteren konservativen Kampagne.
Der zentrale Frame der CDU-Kampagne wird mit dem unscheinbaren Adverb ‚wieder‘ aktiviert. Er taucht in den Nur-Text-Plakaten und im Logo erneut auf („wieder durchsetzen“, „wieder lohnen“, „wieder nach vorne“).

Abbildung 6: Kampagnenlogo der CDU.
Das kleine Wort ‚wieder‘ erlaubt der CDU eine zartfühlige Gratwanderung zwischen Positiv- und Negativ-Campaigning. Zentrale Kritikpunkte am derzeitigen, anscheinend bedauernswerten Zustand des Landes müssen nämlich nicht explizit genannt werden, sondern werden dadurch angedeutet, dass die CDU sich einen Zustand zurückwünscht, den es bereits früher einmal gab. Wie genau dieser bedauernswerte Zustand aussieht, das spielt sich nicht auf den Plakaten ab, sondern einzig im Kopf des Betrachters.
Die Gedankengänge lassen sie rekonstruieren: „Wieder stolz sein können“ impliziert die Frage: „Stolz worauf?“. Einen Hinweis liefert das Kampagnenlogo der CDU mit dem Claim: „Wieder nach vorne“. „Vorne“ ist ‚positiv‘ aber bleibt unscharf. Man darf sich denken, dass ‚vorne‘ besser ist als hinten. Lassen wir uns also nicht abhängen, aber von wem eigentlich? Von anderen Ländern, die stärker sind als wir? Es muss also um wirtschaftliche Stärke gehen. So in etwa die gedankliche Kaskade. Herzlich willkommen im Wettbewerbs-Frame. Wir waren mal wer („Exportweltmeister“, „Made in Germany“) und dieser Zustand ist bedroht. ‚Vorne‘ impliziert ferner Vorstellungen von Fortschritt und Innovation (Fortschrittstopos, „German Enginering“).
Rückschritt für die Zukunft?
Interessanterweise vollzieht die CDU den Schritt „nach vorne“ bzw. „stolz sein zu können“ durch einen Rückschritt, wie das Wort „wieder“ zeigt, da es die alte Stärke glorifiziert. Da hat wohl jemand zu viel „Zurück in die Zukunft“ geschaut? Aber Spaß beiseite: Sichtbar wird, dass es bei der Alltagsargumentation nicht um Logik geht, sondern darum, Menschen bei ihren Stimmungen, Gefühlen und Werten abzuholen. „Früher war es besser“, das gilt ja immer, wenn grad Krise herrscht.
Schreibt die Merz-CDU jetzt von einem „Land, auf das wir wieder stolz sein können“, ist das nicht der Bruch mit Angela Merkels „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Es ist vielmehr die in Aussicht gestellte Fortschreibung dessen, was damals noch so gut war, dass wir „gut und gerne“ darin leben konnten. Die syntaktische Wiederkehr des Merkel-Slogans markiert insofern die Ampel-Regierung – also die Zeit zwischen den CDU-Regierungen – als den eigentlichen Grund für den Abstieg des Landes.
Das kleine Wort „wieder“ aktiviert also einen Change-Frame (an anderer Stelle nennt es die CDU „Politikwechsel“) mit folgender Logik: Change-Zurück, weil Früher-Besser. Durch Adjektive wie „stolz“ oder „vorne“ wird ein bedrohlicher Wettbewerbsframe eröffnet mit folgender Logik: die anderen Überholen uns wirtschaftlich, wenn wir uns abhängen lassen, wird es schwer das wieder aufzuholen.
Change-Frame
Im Change-Frame gilt eine weitere Zuschreibung, die von den Rezipienten quasi automatisch mitgedacht wird: Wer, wie die CDU, den Wechsel zurück möchte, sagt implizit, dass es andererseits einfach „weiter so“ ginge, wie bisher. Dabei möchten ja die SPD und die anderen Parteien ebenso kein solches „Weiter-So“.
Das von der CDU gesetzte Framing ist übrigens zu unterscheiden von einer Change-Kampagne wie jener von Obama von 2008 mit dem Claim „change we can believe in“. Ebenso von den im Deutschen mit dem Begriff der ‚Wende‘ gekennzeichneten politischen Kampagnen wie „Mobilitätswende“ oder „Energiewende“, bei denen es gezielt nicht um ein ‚Zurück‘ ging. Die CDU gebraucht vielmehr jene Version des Change-Framings, auf das Donald Trump in seinem Maga-Wahlkampf setzte und weiterhin setzt („Make Amerika great again“). Sie hat – so sieht es aus – einfach den wichtigsten Begriff aus den erfolgreichen Trump-Wahlkämpfen übersetzt: ‚again‘ bedeutet ‚wieder‘.

Abbildung 7: Claim der Obama-Kampagne 2008. Quelle Wikipedia.

Abbildung 8: Trumps Claim. Quelle Wikipedia.
„Stolz“
Mit dem Adjektiv „stolz“ generiert die CDU den Wettbewerbsframe und meint damit den Stolz auf die wirtschaftliche Leistung des Landes („Exportweltmeister“, „Made in Germany“, siehe oben). Das Wort verdient jedoch aus weiteren Gründen Beachtung. Einerseits weil es nicht nur auf den Plakaten der CDU, sondern auch bei der AfD vorkommt. Andererseits, weil es sich bei dem Adjektiv nicht um ein typisches Kampagnenwort handelt. Kampagnenbegriffe, die die eigene Position positiv markieren sollen, sind in der Regel recht eindeutig positiv konnotiert (vgl. Wörter wie Zukunft, Sicherheit, leben, vorne). „Stolz“ hingegen hat auch negative Bedeutungsaspekte und kann mindestens Missverständnisse auslösen (ähnlich wie der Begriff „Heimat“).
Für das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) bedeutet „Stolz“ einerseits ‘seines eigenen Wertes bewusst’ (stolz wie Bolle, stolzer Vater) aber ebenso ‘hochmütig, überheblich’ (stolzieren, stolzer Gockel). Letztere eher negative Konnotation ist bereits sprachgeschichtlich gut belegt. So wurde es etwa im Althochdeutschen gebraucht für ‘hochfahrend, sich überhebend’, ebenso im Mittelhochdeutschen für ‘töricht, übermütig, stattlich, prächtig, herrlich, hochgemut’ (DWDS). Über den Ursprung gibt es verschiedene Ansichten, einerseits zurückgehend auf das westgermanische „*stulta“, was ‚steif‘ bedeutete, andererseits womöglich zurückgehend auf das lateinische „stultus“ für ‚töricht‘, ‚albern‘, ‚dumm‘ (DWDS).
Auf den CDU-Plakaten soll die positive Gebrauchsweise des Wortes anklingen. Dennoch ist das Wort aufgrund seiner Geschichte gleichzeitig ein Reizwort. Gerade, wenn es – wie in diesem Fall – um den „Stolz auf ein Land“ geht (Nationalstolz). Der so zur Schau getragene Patriotismus ist ein kommunikatives No-Go in bestimmten politischen Milieus und löst hier direkt die negative Lesart aus.
Antiquierter Patriotismus
Ferner galt patriotischer Stolz in den letzten Jahrzehnten eher als antiquiert in der politischen Inszenierung (vgl. das abwertende Adjektiv „deutschtümelnd“). Erinnert sei daran, wie Angela Merkel ihrem damaligen Generalsekretär Herrman Gröhe am Abend der gewonnenen Wahl 2013 empört die Deutschlandfahne aus der Hand riss. In konservativen, rechten sowie rechtsextremen Kreisen indes war und ist „Stolz auf das eigene Land“ ein Wert an sich (siehe Bild von Aufnäher). Die CDU signalisiert jetzt prominent auf ihren Wahlplakaten Offenheit für Menschen mit derartigen patriotischen Einstellungen.
Der CDU-Sprachgebrauch ist knallhart kalkuliert und markiert einen direkten Angriff auf die AfD im Kampf um deren Zielgruppen. Man signalisiert der patriotischen Zielgruppe, dass einem die andere Zielgruppe, die Nationalstolz eher mit Befremden gegenübersteht, ziemlich egal ist. Das Risiko bei den Einen anzuecken, wird bewusst in Kauf genommen, weil es die Attraktivität bei den Anderen steigert.

Abbildung 9: Nationalistischer Aufnäher. Quelle Amazon.
SPD

Abbildung 10: Scholz auf Wahlplakat.
„Mehr für Dich. Besser für Deutschland.“ : auf diesem Plakat ist Olaf Scholz derzeit am häufigsten im öffentlichen Raum sichtbar. Daneben gibt es noch folgende Versionen mit Scholz:
- Mit Sicherheit mehr Netto.
- Mit Sicherheit mehr Wachstum.
- Mit Sicherheit stabile Renten.
Der zentrale Begriff der SPD ist ebenfalls ein kleines Wort. Das Adjektiv „viel“, das hier in seiner ersten Steigerungsform – im Komparativ – Verwendung findet: „mehr“. Wir befinden uns damit gedanklich in einem Steigerungsframing und es scheint, als gäbe es nicht viel zu interpretieren für das Wahlvolk. Fast plump fällt die SPD mit der Tür direkt ins Haus und verspricht „Mehr“, gemäß der alltagslogischen Schlussregel „mehr ist besser als jetzt“, „viel hilft viel“. Wir befinden uns damit in einem Steigerungsframing, dessen berühmtester Vertreter wohl der Wachstumstopos ist.
In der so eröffneten „Mehr ist besser“-Rahmung scheint dem Wahlvolk die Rolle der kapitalistisch konditionierten Egoisten zuzufallen, die immer mehr, mehr, mehr haben wollen. Dieser Eindruck ist aber unpräzise. Viel eher gelingt es der SPD mit dem Steigerungsframing das Negativ-Campaigning einzupflegen. Wir erinnern uns: keine Zustimmung für eine neue, bessere Welt, ohne, dass man dem Wahlvolk ebenso die alte, schlechte Welt vor Augen führt. Mit der Logik des „mehr ist besser“ beklagt die SPD den Ist-Zustand, ohne ihn explizit zu beklagen. „Mehr“ zu versprechen, macht vor allem in einer Lage des wahrgenommenen Mangels, des „zu wenig“ Sinn.
Sichtbar ist ebenso:
Viel mehr als bei der CDU setzen die SPD-Kampagnenprofis bei der Präsentation des Spitzengesichts Scholz auf ganz konkrete Versprechen. Diese Versprechen bilden die relevantesten Zielgruppen der Partei ziemlich gut ab: Rentner durch das Wort „Rente“, Arbeitende durch das Schlagwort „Netto“, Wirtschaft und Mittelstand durch das Schlagwort „Wachstum“. Diese Klarheit ist für die SPD nötiger als für die CDU. Als Opposition trifft die CDU gefühlt weniger Verschulden an der derzeitigen Misere, sie kann ihren Spitzenkandidaten recht diffus als „Wechsel zurück in bessere Zeiten“ framen. Bei der SPD ist es anders. Sie sollte bereits in den Jahren der Ampel- Regierung „liefern“ und ist aus dieser Logik heraus fast gezwungen, jetzt noch eine Schippe drauflegen. Insofern darf man in diesem Wahlkampf auch nicht mehr wirklich von einem „Kanzlerbonus“ für die SPD sprechen.
Das Problem bei der auf den Wahlporträts dargestellten Klarheit („Mit Sicherheit …“) ist für die SPD, dass die Leute sich fragen werden, wo Kanzler Scholz seine Klarheit in den letzten drei Jahren gelassen hatte. Ich sehe hier durchaus ein Glaubwürdigkeitsrisiko oder – konkret auf Scholz gemünzt – ein Authentizitätsproblem. Olaf Scholz ist einfach kein Politiker, der dafür bekannt ist, in seinen öffentlichen Redebeiträgen durch besondere Klarheit aufzufallen (Vgl. im Gegensatz z.B. Franz Müntefering). Woher also der plötzliche Sinneswandel, wird sich der Wähler fragen. Kann man dem Braten trauen?
Auf Nummer sicher
Weil die Kampagnenstrategen der SPD das natürlich ahnen, gehen sie auf Nummer sicher und spielen die entscheidende Karte: Mit dem Substantiv „Sicherheit“, das auf abenteuerliche Weise mit dem „mehr“, der „Rente“, dem „Wachstum“ und dem „Nettolohn“ verknüpft ist, versuchen sie das Glaubwürdigkeitsmanko von Scholz zu neutralisieren.
Und das geht so: Bei Thema Sicherheit nämlich hat Scholz mit seiner zurückhaltenden bzw. besonnenen Art bei vielen Deutschen punkten können, die befürchten, dass sich der Ukrainekrieg ausbreiten könnte. Der SPD gelingt es an diesem Punkt Kongruenz zwischen Kompetenzzuschreibung und Kampagnensprache herzustellen. Hinzu kommt, auch Scholz‘ zurückhaltender Charakter zahlt auf diesen Aspekt ein.
AfD, BSW, und Grüne setzen das Thema auch auf ihren Plakaten, aber gebrauchen stattdessen den Begriff „Frieden“. Beide Wörter entwerfen recht unterschiedliche Welten: „Sicherheit“ ist einfacher zu versprechen als „Frieden“. Frieden ist ein Endzustand und im Konfliktfall selten mehr als ein frommer Wunsch, während Sicherheit etwas ist, dass sich trotz Konflikten herstellen, optimieren, aushandeln lässt. Scholz markiert sich als Realist und signalisiert auch nach jenseits der eigenen Stammklientel: Wer Angst vor dem Krieg hat, ist bei ihm im Zweifel besser aufgehoben, als bei den Pazifisten.
Die Grünen

Abbildung 11: Foto Eric Wallis.

Abbildung 12: Habeck auf Grünen-Plakat.

Und Abbildung 13: Baerbock auf Grünen-Plakat.
Die Grünen machen es komplizierter als die anderen. Sie haben einen Kanzlerkandidaten, aber sie plakatieren beide Parteivorsitzenden. Ob das was bringt? Geteiltes Leid ist ja halbes Leid. Wenn das auch für Freude gilt, dann ist jedes fehlende Plakat ohne den Kanzlerkandidaten, irgendwie eines, was diesem am Ende fehlt.
Ein Schlagwort
Ein weiterer Unterschied: Das Spitzenpersonal wird mit je einem Schlagwort abgelichtet. Die konkreteren politischen Slogans der Grünen werden jedoch bis dato nicht – im Gegensatz zur SPD – mit dem Spitzen-Personal gezeigt. Es sind bloße Text-Plakate mit folgenden Slogans:
- Frieden in Freiheit: Sichern!
- Leben: Bezahlbar machen!
- Natur und Klima: Schützen!
- Schulen und Kitas: Sanieren!
Die porträtlosen Slogans tragen den Untertitel „Ein Bündnis. Ein Wort.“.
Die Grünen-Plakate zeigen eine Art Arbeitsteilung. Die beiden Spitzenköpfe dürfen auf der Meta-Ebene wichtige Eigenschaften darstellen, für die sie persönlich stehen. Beide Personen wurden sozusagen runtergedampft auf je eine zentrale Vokabel, wobei sich beide Vokabeln durchaus kongenial ergänzen. Der Mann steht für Zuversicht und Weitblick, die Frau für Zusammenhalt also Teamwork und Augenhöhe. Um die konkreten politischen Themen kümmert sich der Rest der Partei. Darum heißt es auf den inhaltlichen Plakaten auch nicht „Ein Mensch. Ein Wort.“, sondern „Ein Bündnis. Ein Wort.“
Warum fordert nicht Habeck ein „bezahlbares Leben“ oder Baerbock „gesicherten Frieden in Freiheit“?
Wie bei Scholz lauert hier eine Glaubwürdigkeitsfalle, die die Grünen jedoch tapfer umschiffen. Würden derlei harte politische Forderungen, wie sie auf den Textplakaten zu lesen sind, unter den Porträts des Spitzenpersonals prangen, würden sich einige Menschen fragen: „Ja Mensch, warum kommen die damit erst jetzt um die Ecke?“. Habeck wie auch Baerbock standen und stehen auch mit ihrer Person für die Regierungsarbeit der Ampel und deren Scheitern.
Das hat eine Wirkung auf enttäuschte Wählerinnen und Wähler dies- und jenseits des grünen Lagers und diese Projektionsfläche möchten die grünen Wahlstrategen nicht öffnen. Die Strategie der Risikominimierung besteht nun darin, das Spitzenpersonal damit punkten zu lassen, was man ihm schlecht absprechen kann: den Soft-Skills. Auf der Metaebene der „Zuversicht“ und des „Zusammen“, die durchaus authentisch wirken, geben sie die Marschrichtung vor. Den Rest erledigt das Bündnis.
Die Catchphrase von Habeck lautet „Zuversicht.“
Dabei vermittelt der – eigentlich unnötige -Satzpunkt hinter dem Wort Entschlossenheit. Darunter findet sich der deutlich kleinere Untertitel „Ein Mensch. Ein Wort.“ Erster Eindruck: Inhaltlich passen beide Zeilen kaum zueinander. Man stelle sich einen Menschen vor, der lautstark „Zuversicht“ skandiert. Nun stelle man sich denselben Mensch vor, wie er – daran anknüpfend – ruft „Ein Mensch, ein Wort“. Zwinge ich beide Vorstellungen zusammen, sehe ich einen Pastor. War das gewollt? Bringt das was? Schauen wir einmal tiefer rein:
Wer einigen einzigen Begriff derart in den Fokus rückt, sodass ein „Ein-Wort-Slogan“ entsteht, demonstriert maximale Klarheit. Der Untertitel „Ein Mensch. Ein Wort.“ unterstreicht das sogar noch. Solch radikale Einfachheit kann auch nach hinten losgehen, weil das Wahlvolk bei so wenigen Worten besonders viel hinzudichten kann. Auch kann ein so diffuser Begriff wie ‚Zuversicht‘ dazu führen, dass kritische Geister sich regelrecht veräppelt fühlen. Wird Olaf Scholz auf den Begriff ‚Respekt‘ reduziert, kann man sich fragen, inwiefern dieser Respekt auch beim Wahlvolk ankommt? Reduziert sich Robert Habeck auf ‚Zuversicht‘, lässt sich fragen, inwiefern das konkret helfen soll, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Die Klarheit wird zur Unklarheit.
grüne Gratwanderung
Zuversicht ist ein Substantiv, das so ziemlich genau sagt, was es meint. Es bezeichnet ein „festes Vertrauen darauf, dass etw. von der Zukunft Erwartetes eintritt“ (DWDS). Es ist insofern ein positiver Begriff, mit Synonymen wie „Hoffnung“ oder „Glaube“, die aber interessanterweise nicht ausgewählt wurden. Zuversicht ist in der Tat noch die am wenigsten pastorale Erscheinung dieses festen Vertrauens auf eine bessere Zukunft. Doch auch Zuversicht impliziert eine gesellschaftliche Schieflage, unter der viele Menschen leiden. In dem Wort spiegelt sich also die grüne Gratwanderung zwischen Positiv- und Negativ-Campaigning wieder und auch hier – wie bei CDU und SPD – bleibt das Negative implizit, es wird nicht gesagt, aber mitgemeint.
Warum sollte es sonst Zuversicht brauchen, wenn alles rosig aussähe? Übrigens das Wort ist ein echter Krisengewinnler. Die Wortverlaufskurve zeigt deutlich, dass der Gebrauch des Wortes „Zuversicht“ in den Medien vor allem in Krisenzeiten zunimmt (Vgl. Abb., Rezessionen in Deutschland: 1949 Stunde Null, 1973-76 Erste Ölkrise, 1980-82 Zweite Ölkrise, 2003 High-Tech-Krise, 2008 Finanzkrise, 2019 Corona, 2022 Ukrainekrieg).

Abbildung 14: Steigerung des medialen Wortgebrauchs von ‚Zuversicht‘ in Krisenzeiten. Quelle DWDS.
kampagnensprachliches Alleinstellungsmerkmal
Das Grimmsche Wörterbuch kennt Zuversicht so: „von früher zeit ist es das vertrauen auf gott und das was er gewährleistet“. Von diesem Gebrauch abgeleitet „hat das wort im nhd. den sinn des festen, untrüglichen angenommen“ sowie: „von da aus ist es das vertrauen, das man auf sich und seine fähigkeiten hat, in neuerer zeit mehr und mehr“ (Ebd.). Zuversicht steht also ebenso für ‚Festigkeit, Stärke, Kraft‘. Damit erschaffen sich die Grünen ein kampagnensprachliches Alleinstellungsmerkmal. Alle anderen Mitbewerber trotzen der Krise durch bestimmte Handlungsforderungen – wechseln, mehr, zurück.
Die Grünen dagegen eröffnen mit dem Begriff „Zuversicht“ eine Rahmung der mentalen Stärke und Akzeptanz der Krise. Als einzige Partei versuchen sie auf ihren Plakaten, die krisengeschüttelte und verunsicherte Bevölkerung emotional abzuholen. Das mag pastoral wirken, aber Seelenarbeit steht auch bei der Lösung von Krisen am Anfang, weil dadurch erst einmal Akzeptanz für die missliche Lage geschaffen wird. So kann der Druck raus, ohne dass panisch alte Muster wirksam werden. Es ist weniger ein pastoraler als vielmehr ein systemischer Ansatz, den die Grünen verfolgen: Stärke trotz Krise, da müssen wir durch.
Das durch schiere Buchstabendgröße dominierende ‚Zuversicht‘ auf Habecks Plakaten wäre ein mutiger Ein-Wort-Claim. So ganz sicher waren sich die grünen Strategen aber dann doch nicht, denn es gibt den Untertitel „Ein Mensch. Ein Wort.“. Streng genommen handelt es sich dabei um eine Katachrese, einen Bildbruch. Die ursprüngliche Redewendung lautet „ein Mann ein Wort“ (auch „ein Mann von Wort“) und bezeichnet einen Mann auf den Verlass ist. Mit dieser Anpassung der Formulierung signalisieren die Grünen, dass sie Habeck explizit nicht als „starken Mann“ verstanden haben wollen. Die Formulierung demonstriert eine moderne Geschlechtsauffassung, eine Absage an maskuline Stereotype und zielt darum auf progressive Milieus und Frauen.
Wahlplakate mit „Z“
Mit dem Adverb „Zusammen“ präsentiert sich auch Baerbock mit einem Z-Wort. So entsteht mit Habecks „Zuversicht“ eine klassische Alliteration. Die Positiv-Vokabel „zusammen“ verweist auf das zu überwindende Problem der gesellschaftliche Spaltung, die unterschwellig mitkommuniziert wird. Das Negativ-Campaigning findet also weiterhin im Stealth-Modus statt, Missstände werden nicht explizit gemacht. Das zugrundeliegende Argumentationsmuster findet sich in Redewendungen wieder, wie „Nur gemeinsam sind wir stark“.
Die Grünen adressieren damit ein gesellschaftliches Problem, das vielen Menschen Anlass zur Sorge bietet und das so in keiner Weise von den anderen Parteien mit Kanzlerkandidaten bespielt wird. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, das ebenso auf der mentalen Ebene angesiedelt ist. Dennoch hat die Vokabel den Charakter eines Plastikworts. Der Klang ist gut, alle wissen, dass es nur gemeinsam geht. Aber das allein reicht nicht, um die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Hier zeigt sich erneut die Schwäche solcher Meta-Botschaften.
Es besteht das Risiko, dass die Kandidatin als unkonkret und wenig lösungsorientiert wahrgenommen wird, weil sie nicht mit den konkreten Verbesserungen, die sich z. Bsp. auf den „Nur-Text-Plakaten“ der Grünen finden, in Verbindung gesetzt wird. Gerade die Verbesserungen bei Geldbeutel, Bildung, Klimaschutz jedoch passten viel besser zu dem kreativen Untertitel „Ein Mensch. Ein Wort.“
AFD

Abbildung 15: Foto Eric Wallis.
Abgebildet mit der Kanzlerkandidatin der AfD Alice Weidel sind vor allem die beiden Claims:
- Zeit für Deutschland
- Zeit für Alice Weidel
Als reine Textplakate in der Regel an Laternenmasten sind folgende konkreten Forderungen in Umlauf:
- Zeit für unseren Mittelstand.
- Zeit für sichere Grenzen.
- Zeit, dass sich Arbeit wieder lohnt.
- Zeit für bezahlbare Energie.
- Zeit für freie Meinung.
- Zeit für ein Land, das Heimat bleibt.
- Zeit für Kernkraft.
- Zeit für Frieden.
- Zeit, wieder stolz zu sein.
- Zeit, Illegale abzuschieben.
- Zeit, Windräder zu stoppen.
In der Vielzahl der gesetzten Botschaften, gelingt es der AfD, konservative Fahnenwörter und Reizwörter wie „Kernkraft“, „abschieben“, „Grenzen“, „Windräder“, „Heimat“ und „stolz“ für sich zu reklamieren. Auch die CDU gebraucht das Adjektiv „stolz“ an zentraler Stelle („Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können“, siehe oben).
AfD: die entscheidende Schwäche im CDU-Wahlkampf
Die zentrale Formulierung „Zeit für“ generiert das Grundmotiv der AfD-Plakate, das in etwa so lautet: „Es ist an der Zeit für Etwas oder Jemanden“. Dieser Topos der reifen Zeit aktiviert ebenfalls ein Wechsel-Framing (Change-Frame). Im Unterschied zur CDU jedoch leitet die AfD dieses Grundmotiv nicht aus der Vergangenheit („wieder“) ab, sondern blickt stärker nach vorn. Oder wie der AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann im Bundestag rief „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD.“(Quelle: SZ). Dieser zentrale Unterschied ist bemerkenswert, denn er zeigt die entscheidende Schwäche im CDU-Wahlkampf.
Sowohl Friedrich Merz als Kanzlerkandidat der CDU als auch der zentrale Begriff der CDU-Kampagne – „wieder“ – weisen in die Vergangenheit. Die AfD, die sich traditionsgemäß als Kraft des Gestern (Zurück zur D-Mark) inszenierte, framed sich auf der Meta-Ebene als „etwas Neues“. Und sie ist dabei konsequenter und selbstbewusster als in den vorherigen Wahlkämpfen, wie das der umständlich argumentierende Handzettel aus dem 2021er Wahlkampf zeigt (siehe Abb. unten).

Abbildung 16: AfD-Handzettel zur Wahl 2021.
die demonstrative Angefressenheit Alice Weidels
Die konkreten Forderungen zeigen zwar, dass die AfD bei vielen Dingen weiterhin der alten Welt hinterhertrauert („Kernkraft“, „wieder stolz sein“, „ein Land, das Heimat bleibt“, Arbeit, die sich wieder lohnt), aber sie entwirft sich im Gegensatz zu allen anderen Parteien konsequent als „Neu“ (vgl. das Stigmawort „Alt-Parteien“) und eröffnet damit ein Innovationsframing. „Neu“ bedeutet in der Alltagslogik ‚frisch‘ und ‚unverbraucht‘ also ‚besser‘.
Mit der Etablierung dieser Rahmung gelingt es der AfD ebenso, die Schwächen des eigenen politisch bisweilen unkonventionell agierenden und kommunizierenden Personals mit einer wohlmeinenden Lesart zu versehen. Beispielsweise kann es sein, dass die demonstrative Angefressenheit Alice Weidels in kritischen Interviewsituationen innerhalb dieser Rahmung der „neuen Zeit“ von den relevanten Zielgruppen weniger als Abgehobenheit, sondern eher als Nonchalance des Unkonventionellen oder als Unerfahrenheit codiert wird. „Neu“ bedeutet eben auch „anders“.
Noch etwas ist neu für die AfD: Auch die AfD setzt in ihren konkreten Forderungen stärker auf positive Rahmungen. Negative Vokabeln fehlen in diesem Wahlkampf bei der AfD. Sie setzt auf der Vorderbühne nicht mehr auf Angst. Siehe dazu das unten abgebildete Wahlplakat aus dem Jahr 2017 (Quelle) sowie das Stigmawort „Messermänner“. Missstände werden in der 2025er Kampagne nur implizit mitgemeint. Ein Beispiel: In dem Slogan „Zeit für ein Land, das Heimat bleibt“ wird einzig durch das Verb „bleiben“ die negative Vorstellung impliziert, dass diese Heimat ja bedroht sei. In der Wahrnehmung dominiert hingegen die Positivschablone: „die bewahrenswerte Heimat“.

Abbildung 17: Bundestagswahl 2017.
Wahlplakate mit Positivframing
Die AfD hat erkannt, dass Menschen sich von zu negativen Botschaften abgeschreckt fühlen und setzt auf ihren Wahlplakaten auf Positivformulierungen, in denen die Schattenseiten implizit mitgemeint werden (vgl. grundsätzlich dazu die unterschiedlichen Wirkungen von „Loss-Frame“ und „Gain-Frame“ bei Wikipedia).
Ebenso erwähnenswert ist der Gebrauch des Wortes „stolz“, den die AfD als Fahnenwort gebraucht. Im Gegensatz zur CDU gebraucht sie das Wort aber nicht in Bezug auf Deutschlands wirtschaftliche Stärke, sondern viel grundsätzlicher, wie der Slogan auf einem der Plakate zeigt, der lautet: „Zeit, wieder stolz zu sein.“. Zur sprachlichen Konkurrenz um das Wort „stolz“ zwischen CDU und AfD siehe oben im Abschnitt zur CDU.
FDP
Die Plakate der FDP sind in der Komposition sehr sauber. Sie enthalten nur drei Bestandteile: Christian Lindner in Großaufnahmen und Grautönen, eine Botschaft und das Logo der Partei. Es fehlen jegliche Untertitel. Das ist eine gute Strategie, um die eigentliche Botschaft ins Zentrum zu rücken. Der zentrale Claim lautet: „Alles lässt sich ändern“.

Abbildung 18: Foto Eric Wallis.

Abbildung 19: Botschaften und Forderungen auf FDP-Plakaten.
Die inhaltlich konkreteren Plakate der FDP enthalten folgende Botschaften:
- Chancen durch Bildung.
- Schulden: Kinder haften für ihre Eltern.
- Migration: Auch guter Wille muss Grenzen setzen.
- Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung.
- Alles geben. Auch für Deinen Job.
Die FDP-Botschaften wirken stellenweise wie Bonmots
Das liegt daran, dass an verschiedenen Stellen feststehende Fügungen „Guter Wille“, „Alles geben“ gebraucht und entsprechend angereichert werden. Erwähnenswert ist die kreative Umstellung der Redewendung „Eltern haften für ihre Kinder“ zu „Kinder haften für ihre Eltern“. Das rhetorische Mittel nennt sich Inversion und wirkt in diesem Fall kreativ bis witzig. Die FDP setzt damit – und das ist in diesem Wahlkampf wirklich ihr Alleinstellungsmerkmal – auf Ironie. Humor ist ein mächtiges Stilmittel. Er wird aber in diesem Wahlkampf von keiner anderen staatstragenden Partei gebraucht. Seine Eignung wird von den anderen wohl als unangemessen eingeschätzt in der gegenwärtigen Krise.
Mit dem Grundmotiv „Alles lässt sich ändern“ setzt auch die FDP auf ein Change-Framing. Das ist erstaunlich, weil die FDP ja bis vor kurzem Regierungspartei war, und demzufolge für den Status-Quo zumindest partiell mitverantwortlich ist. Change-Frames werden in der Regel von Parteien gebraucht, die aus der Opposition kommen, weil nur die wirklich von einem Wechsel sprechen können. Nur dann herrscht Kongruenz zwischen der vom Wahlvolk wahrgenommenen Wirklichkeit und der Kampagnensprache (vgl. CDU, AfD u.a.).
Insofern geht die FDP hier sprachstrategisch ins Risiko
Unter Umständen ist diese Abweichung vom Normalfall ein erneuter Beleg dafür, wie oppositionell sich die FDP bereits in der Ampel-Regierung immer gefühlt haben muss. Mit dieser Rahmung jedoch bestätigt die FDP bedauerlicherweise genau jenes Bild von ihr, das sich in der Öffentlichkeit während der Ampel-Zeit durchgesetzt hat. Die Partei signalisiert damit gerade keine Übernahme von Verantwortung. Ein Beleg für die Nachteilhaftigkeit dieser Rahmung liefern die anderen beiden Ampelparteien. Sowohl SPD als auch Grüne eröffnen gerade keinen Change-Frame. Stattdessen arbeitet die SPD mit einem Steigerungsframing („mehr“), die Grünen setzen auf ein Akzeptanz-Framing (Zuversicht und Zusammenhalt gegen die Krise).
Die FDP setzt bei der Ausdifferenzierung ihres Change-Framings auf das Pronomen „alles“. „Alles lässt sich ändern“ soll vermutlich zeigen, dass auch schlimme Krisen sich überwinden lassen, mit den richtigen Lösungen. Bei „alles“ handelt es sich um ein Indefinitpronomen und ist damit äußerst beliebig. Die so entstehende Phrasenhaftigkeit veranschaulichen die meisten der mit diesem Wort verkommenden Redewendungen:
Alles und jedes; Alles und nichts; alles in Butter; Ende gut alles gut; alles zu seiner Zeit u.a.
„Alles“ meint gerade nicht das Relevante. Dabei ist gerade das Relevante in der Krise von Belang. Alle andere Parteien setzten dementsprechend auf Schärfungen und Konkretisierungen in ihren Kernbotschaften („Stolz“, „an der Zeit“ sein, „Zusammenhalt“, „Zuversicht“). Die Kampagne der FDP trägt dem Kontext „Krise“ insofern nicht ausreichend Rechnung. Stattdessen wirkt die Indefinit-Forderung „Alles lässt sich ändern“ mantrahaft, wie ein Heilsversprechen.
„Alles lässt sich ändern“: das wird womöglich ebenso den Betrachtern der Plakate einfallen, wenn sie an das ewige Hin und Her in der Ampel denken. Ja, da vermochte es die FDP sehr gut, bereits abgestimmte Vorhaben immer wieder zu ändern. Und bei „Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung“ denken einige wohl ebenso an Christian Lindners geschickte Rhetorik, der die Schuld am Ampelbruch trotz recht eindeutiger Beweislage („D-Day“) bis heute bei den anderen sucht.

Abbildung 20: Foto Eric Wallis.
Wo ist die Freiheit?
Am wahrhaftigsten ist darum der Slogan, mit dem Wolfgang Kubicki auf Wahlplakaten abgebildet ist: „Kompromisslosigkeit hat ein Gesicht“. Womöglich wäre diese Kommunikationsschiene als Grundmotiv für die FDP wirksamer gewesen, weil sie auf die Stärken der Partei einzahlen würde.
Und dann ist da noch das laute Schweigen der FDP auf ihren Plakaten, wenn es um ihr wichtigstes Thema geht: die Freiheit. Auch hier wird die Stärke der Partei kampagnensprachlich links liegen gelassen. Unter dem Begriff der Freiheit wäre das erratische Ampelverhalten der FDP am Ehesten noch als Stärke erklärbar. Warum verzichtet die FDP darauf? Scheut die FDP das Risiko als zu marktliberal, als zu kaltherzig wahrgenommen zu werden in der gesellschaftlichen Krise? Wie dem auch sei:
Die Inkongruenzen zwischen Kampagnensprache und dem, was die Menschen von der Partei kennen und respektieren sind bei der FDP mit Abstand am größten. Gleichzeitig entsteht mit den Plakaten der FDP am Ende doch wieder so etwas wie Wahrhaftigkeit. Denn die Plakate zeigen: die Partei ist nicht bei sich. Sie schafft es nicht, die Stimmungen und Themen da draußen auf ihre eigenen Stärken zu münzen. Stattdessen setzt sie auf Heilsversprechen, bonmotartige Botschaften und stellenweise Humor.
Die Linke

Die bis dato sichtbaren Botschaften der Nur-Text-Plakate von DIE LINKE lauten:
- Alle wollen regieren. Wir wollen verändern.
- Frieden kostet Mut. Krieg kostet Leben.
- Ist Deine Miete zu hoch, freut sich der Vermieter.
- Ist Dein Einkauf zu teuer, macht ein Konzern Kasse.
- Ist Deine Rente zu niedrig, hat Scholz nicht geliefert.
- Ist Deine Heizung zu teuer, macht jemand richtig Kohle.
- Ist Dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht.
Auf allen Text-Plakaten wird die Konjunktion „deshalb“ vor das Logo der Partei gesetzt. Damit wird das Verhältnis zwischen dem schlechten Status-Quo (Negativschablone) und der von der Partei angestrebten „besseren Welt“ noch einmal verstärkt. „Deshalb“ entfaltet im Geist des Lesers die Wirkung einer Bestätigung, von Entschlossenheit, einer Selbst-Ermächtigung.
Die beiden Spitzenkandidierenden treten mit unterschiedlichen Claims auf:
Mit dem Claim „Wir haben was gegen Armut“ fokussiert das Van-Aken-Plakat explizit auf einen Missstand und setzt den Parteivorsitzenden als Bollwerk dagegen. Das Plakat ankert durch das Reizwort „Armut“ im Negativ-Campaigning. Mit der dargestellten Lösung namens „van-Aken“ wird impliziert, dass dessen persönliche Eigenschaften wie Charakter und Redlichkeit der Armut den Garaus machen wollen.
„Wir haben was gegen …“ ist eine sprachliche Fügung mit verschiedenen Gebrauchsweisen. Zum einen bedeutet sie Ablehnung im Sinne von „etwas gegen jemanden oder etwas haben“. Andererseits lässt sich damit die Verfügbarkeit von Gegenmitteln bezeichnen („Haben sie was gegen Schmerzen?“). Die Ablehnung der Schmerzen bzw. des kritischen Zustands ist zwar mitgemeint, es wird jedoch direkt auf die Verfügbarkeit eines Gegenmittels/ einer Lösung abgehoben. So entsteht in dem Van-Aken-Claim in Ansätzen eine Art Krankheits-Framing, in deren Folge der Parteivorsitzende als Gegenmittel geframed ist.
Die Parteivorsitzende fällt weniger mit der Tür ins Haus. Das Plakat mit Heidi Reichinnek ist mit dem Claim „Wir kümmern uns um alle Familien“ weniger im schlechten Gestern (Negativ-Campaigning) unterwegs. Die Negativseite schwingt nur implizit mit und das geht so: Der thematische Fokus wird mit dem Schlagwort „Familien gesetzt, argumentativ aber ist ein anderes Wort wirksam. Wer den Satz einmal ausspricht, merkt, dass die Betonung auf dem Indefinitpronomen „alle“ liegt. „Alle“ steht hier nicht für „alles und jedes“ (wie bei der FDP, siehe oben), sondern impliziert, dass sich der Staat ohne die Linken, eben gerade nicht um bestimmte Familien kümmert, obwohl er das eigentlich tun sollte. Das kleine Wort „alle“ aktiviert ein Ungerechtigkeitsframing, ohne dass es wirklich auffällt. Eine nicht ungeschickte Gratwanderung zwischen Positiv- und Negativ-Campaigning.
Verschränkung von Positiv- und Negativ-Campaigning
Anders als die meisten anderen Parteien setzt die Linke bei ihren Text-Plakaten auf die Verschränkung von Positiv- und Negativ-Campaigning, indem sie beide Ebenen vollständig ausformuliert. Das dazu gebrauchte rhetorische Mittel ist der Gegensatz.
- Ist Deine Miete zu hoch, freut sich der Vermieter.
- Ist Dein Einkauf zu teuer, macht ein Konzern Kasse.
- Ist Deine Rente zu niedrig, hat Scholz nicht geliefert.
- Ist Deine Heizung zu teuer, macht jemand richtig Kohle.
- Ist Dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht.
Negativdarstellungen, die bei den anderen Parteien zumeist nur implizit mitgemeint sind, spricht die Linke direkt an: Miete zu hoch, Krieg kostet Leben, Einkauf zu teuer, Rente zu niedrig, Scholz hat versagt, Dorf unter Wasser. Das Herausarbeiten der Negativschablone macht die Botschaften länger und komplexer. Die syntaktische Grundstruktur der Äußerungen bleibt dabei gleich und erzeugt eine charakteristische Tonalität mit einem entsprechenden Wiedererkennungswert. Das bewirkt, dass sich die Linken mit ihrer Plakat-Sprache stark von dem bloßen Forderungs-Stakkato der anderen Parteien unterscheiden.
ein Spaltungsframing
Durch die Gegenüberstellungen aktiviert sich ein Spaltungsframing (wir gegen die), der zugrundeliegende Metaframe heißt „arm gegen reich“. Durch das recht explizite Benennen einander gegenüberstehender Akteure (Mieter vs. Vermieter, Kunde vs. Konzern, Rentner vs. Scholz/SPD, arm und reich) macht die Linke sehr klar, wo die Konfliktlinie verläuft. Indem jetzt die potenziellen Wähler geduzt werden ( „Deine“) zeigt die Partei, auf wessen Seite sie kämpft. Im Gegensatz dazu werden nämlich für die Gegenseite Gruppenbezeichnungen gebraucht („der Vermieter“, „ein Konzern“, „Reiche“), das Indefinitpronomen „Jemand“ und die distanzierte Ansprache mit Familiennamen „Scholz“.
Mit dem Eröffnen von Frontlinien auf Wahlplakaten ist in den letzten Jahren besonders die AfD berühmt geworden. Dennoch ist diese Sprachstrategie für die Linken richtig. Die Partei ist in der jüngeren Vergangenheit durch Zerstrittenheit aufgefallen und hat eine schmerzhafte Spaltung hinter sich, in deren Folge das BSW entstand. Danach war der Öffentlichkeit kaum mehr klar, was die Linke eigentlich will. Ob die Linken es in den Bundestag schaffen werden, ist offen. Mit einer polarisierenden Kampagnensprache, die Missstände und Schuldige mit Reizwörtern benennt, zeigt die Linke, wogegen und wofür sie steht. Als Oppositionspartei darf die Linke auch stärker überspitzen. Sie ist nicht gezwungen, ohne anzuecken eine breite Mehrheit ansprechen zu müssen.
BSW
Die Kampagnensprache auf den Plakaten von Linken und BSW weisen deutliche Unterschiede dahingehend auf, wie Zielgruppen angesprochen werden und welche Wirklichkeitssicht diesen Zielgruppen unterstellt wird.

Die Botschaften neben Sahra Wagenknecht auf den Plakaten des BSW lauten:
- Unser Land wünscht sich FRIEDEN.
- Unser Land verdient mehr GERECHTIGKEIT.
- Unser Land verdient mehr KOMPETENZ.
- Unser Land verdient mehr LEHRER & ÄRZTE.
- Unser Land verdient mehr RENTE.
- Unser Land verdient mehr SICHERHEIT.
- Unser Land wünscht sich WENIGER MIGRATION.
- Unser Land verdient mehr WOHNUNGEN.
Das zentrale Thema des Plakates wird hervorgehoben, indem ein entsprechendes Blickfangwort vergrößert, in anderer Farbe und in Großbuchstaben gesetzt ist.
Es ist nicht dasselbe Foto
Eine Anmerkung zum Foto: Obwohl das Motiv das gleiche ist, handelt es sich nicht um dasselbe Foto auf allen Plakaten. Die Unterschiede sind gering und wer nicht alle Plakate vor Augen hat, muss glauben, es sei immer dasselbe Bild von Wagenknecht. Ist es aber nicht. Wer will darf die Unterschiede gern suchen.
Der wiederholte Gebrauch der beiden Verben “wünschen“ und „verdienen“ lässt das Subjekt („unser Land“) so erscheinen, als würde diesem bewusst etwas vorenthalten, das ihm eigentlich zustünde. Vergleiche: „Verdienen“ im Sinne von „einen berechtigten Anspruch auf etw., jmdn. haben, einer Sache, Person wert, würdig sein“ (DWDS).
Das BSW setzt auf eine sich wiederholende – fast mantra-artige – syntaktische Struktur nach dem Muster: „Unser Land wünscht sich/ verdient mehr Gutes bzw. weniger Schlechtes.“
Auch das BSW setzt stark auf Positivformulierungen. Die Mehr-vom-Guten-Forderungen überwiegen deutlich, einzig von der Migration wünscht man sich weniger. Der Steigerungsframe mit der inhärenten Logik „mehr ist besser“ ermöglicht es dem BSW (wie bei der SPD), über die bedauerliche Lage zu sprechen, ohne diese explizit zu benennen und ggfs. Ängste auszulösen. Die Misere wird einfach mitgemeint und von den Rezipienten hinzugedacht. Das Vermeiden von Negativ- bzw. Angstwahlkampf ist manchmal von Vorteil, beim BSW jedoch, das als aufstrebende Opposition – sozusagen als „Linke Alternative für Deutschland“ – auftritt, entsteht der Eindruck, dass etwas fehlt. Warum nicht die Missstände mit Reizwörtern benennen? Auf der Ebene der Hauptbotschaften kommt das BSW mit seiner Kampagnensprache bereits ein Stück weit staatstragend daher.
Topos „Alt-Parteien“
Das müssen auch die Kampagnenprofis vom BSW gespürt haben und so fügen sie den Botschaften je einen der folgenden beiden Untertitel hinzu.
- Aber die alten Parteien sind taub!
- Aber die alten Parteien haben versagt!
Mit diesem Topos der Alt-Parteien generierte sich in den letzten Jahren bereits die AfD ein wertvolles Feindbild. Die Untertitel beginnen mit der einen Gegensatz bezeichnenden Konjunktion „Aber“, machen dann jedoch nicht die kritisierten Ist-Zustände (teure Mieten, Armut usw.) explizit, sondern eine Schuldzuweisung in Form einer Parteienschelte. Das ist bemerkenswert. Das BSW spricht nicht von sich selbst als neuer Kraft (wie dies die AfD mittlerweile tut, siehe oben), sondern von den anderen als ‚alt‘. Vertieft wird diese offen kommunizierte negative Rahmung durch defizitäre Altersprädikate mit dem Adjektiv „taub“ und dem Verb „versagen“. Der saliente Gebrauch des „Topos der Altparteien“ in allen BSW-Plakaten lässt sich als direkter Abwerbe-Angriff auf bestimmte Zielgruppen der AfD lesen. Man darf gespannt sein, ob das gelingt.
Keine Neuheit
Dennoch bleibt die Frage, warum sich das BSW als jüngste Kraft in diesem Wahlkampf gerade nicht explizit und deutlich als „neu“ rahmt? Die Neuheit des BSW leitet sich nur implizit aus dem Vorwurf ab, dass die Alten versagt hätten. Sie muss durch die Betrachtenden der Plakate hinzugedacht werden. In der Regel wäre das damit aktivierte Innovationsframing (neu = besser) wirksamer als das Fingerzeigen auf alte Schuldige. Einfach weil man sich selbst als ‚neu‘, ‚frisch‘, ‚unverbraucht‘, ‚unkonventionell‘ inszenieren kann. In der Logik dieser Rahmung wäre die Öffentlichkeit auch nachsichtiger, wenn es um mögliche Fehler der neuen Partei geht.
Das BSW möchte diese Karte aber nicht spielen. Man darf nicht vergessen, dass die Parteien ihre Zielgruppen in der Regel am besten kennen. Insofern zeigt die Sprache des BSW auch, dass es der Logik des „neu ist besser“ bei seiner anvisierten Zielgruppe keine guten Chancen einräumt. Zumindest keine besseren als der Alt-Parteienschelte. Die Vergangenheit zieht stärker.
VOLT
Ergänzend zu den Parteien, die im Bundestag vertreten sind bzw. Chancen haben, in diesen einzuziehen, ist auch die Partei Volt Teil dieser Analyse. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits investiert Volt gemessen an der Parteigröße einen sehr hohen Beitrag in den Wahlkampf. Andererseits ist Volt in der Tat im Plakatwahlkampf stärker sichtbar als andere Kleinparteien.


Abbildung 21: Foto Eric Wallis. Abbildung 22: Foto Eric Wallis.
Die Plakate der Partei Volt sind auf das Wesentlichste reduziert. Die Spitzenkandidatin Maral Koohestanian wird ohne Claim und einzig mit ihrem Vornamen präsentiert.
Daneben existieren verschiedene Nur-Text-Plakate, deren gemeinsame Hauptbotschaft lautet:
- Holen wir uns die Zukunft zurück
Zusammen mit dieser Metabotschaft, die mindestens 2/3 des Plakates einnimmt, gibt es Versionen dieses Grundmotivs mit unterschiedlichen inhaltlichen Konkretisierungen:
- Mit Lösungen für echten Klimaschutz
- Mit Lösungen für ein bezahlbares Leben
- Mit einem starken Europa gegen Trump und Putin
- Mit europäischen Lösungen statt nationalen Parolen
- Mit Lösungen für eine Wirtschaft – grün und smart
Fast mantraartig positiv
Die inhaltlichen Konkretisierungen auf den Text-Plakaten sind strikt positiv formuliert. Fast mantraartig wiederholt sich die Formulierung „mit Lösungen“ in vier der fünf Plakate. Ebenso bemerkenswert ist die Auswahl positiver Adjektive: „echt“, „bezahlbar“, „stark“, „europäisch“, „grün“, „smart“. Zweimal wird mit Gegensätzen gearbeitet, sodass sich die Tür zum Negativ-Campaigning einen spaltbreit öffnet. Die Formulierungen „Trump und Putin“ sowie „nationale Parolen“ verstärken jedoch am Ende nur die eigentlichen, positiven Forderungen.
Volts Plakate wirken noch reduktionistischer als diejenigen der FDP. Dabei stehen einerseits das Gesicht und der Vorname der Spitzenkandidatin sowie andererseits die Meta-Botschaft im Mittelpunkt. Alles weitere wird untergeordnet. Durch die Riesenbuchstaben der Hauptbotschaft auf den Text-Plakaten schrumpfen die inhaltlichen Botschaften zu Nebensächlichkeiten. Auch alle Satzzeichen werden eingespart. Keine andere Partie spart sich die Satzzeichen bei ihren Botschaften. Volts Plakat-Strategie lautet: Bloß kein Gewicht – weniger ist mehr. Als relativ junger Akteur erhöht Volt so die Wahrscheinlichkeit, mit ihrer Kandidatin und der Kern-Botschaft im Plakat-Dschungel wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig demonstriert Volt damit Effizienz und zeigt, dass sie im Plakatwahlkampf auf Augenhöhe mit den anderen Parteien mitspielen kann.
„Holen wir uns die Zukunft zurück“
Das Grundmotiv „Holen wir uns die Zukunft zurück“ agiert mit einem Change-Frame, aktiviert durch das aktive Verb „holen“, das Substantiv „Zukunft“ und das Adverb „zurück“.
Im Einzelnen: Das Verb „holen“ versetzt die Plakatbetrachter in eine aktive Rolle. Während andere Parteien ihre Forderungen eher mit passiven Verben wie „müssen“, „wünschen“, „verdienen“ formulieren, entsteht bei Volt eine echte Aufforderung an das Wahlvolk und damit ein Call-to-Action. Volt hat Kampagnensprache verstanden. Die Partei setzt stringent auf Positiv-Campaigning. Alle negativen Ansichten über den Status-Quo schwingen nur im Subtext mit und müssen durch die Plakatbetrachtenden selbst hinzugedacht werden.
„Zukunft“ in den Händen der Falschen
So impliziert das Adverb „zurück“ vor dem Verb „holen“, dass die „Zukunft“ derzeit in den Händen der Falschen liege. Hier versteckt Volt im Ungesagten aber Mitgemeinten die eigentliche Frontlinie seiner Politik. Gleichzeitig wird damit – ebenso implizit – behauptet, dass die Zukunft in die Hände der Richtigen gehöre und dass diese Falschen sich die Zukunft geschnappt haben ohne darauf einen berechtigen Anspruch zu haben. Wer dieser Rahmung gedanklich folgt, kommt zu dem Schluss, dass eigentlich er/sie/* die Zukunft gestalten sollte. Aber wer sind die Richtigen und wer sind die Falschen?
Die „Zukunft“ gehört zwar allen Menschen, aber sie wird gemeinhin als Symbol für die Jugend gebraucht. Kein Zweifel, dass Volt damit eine eher junge Zielgruppe anspricht. Damit aktiviert (auch) Volt auf seinen Plakaten eine Art Innovationsframing, dessen Logik auf dem Gegensatz von „jung vs. alt“ beruht und entsprechende Zuschreibungen und Schlussfolgerungen im Publikum auslöst. „Alt“ bedeutet ‚Vergangenheit‘, ‚überkommen‘, ‚verbraucht‘, ‚abgelaufen‘, ‚schlecht‘. „Jung“ dagegen heißt ‚Zukunft‘, ‚progressiv‘, ‚neu‘, ‚innovativ‘, ‚besser‘. Volt gelingt dabei das Kunststück, dieses Framing zu aktivieren, ohne dabei die entsprechenden diskriminierenden Stereotype in Erinnerung zu rufen. Insofern dürfen alle, die sich ausreichend jung fühlen, bei Volt mitgehen und sich in dem aufgemachten Framing einrichten.
Weitere Plakatwellen
In der letzten Woche vor der Wahl geben die Parteien noch einmal alles. Vielfach werden wir darum in den kommenden Tagen weitere Plakate mit veränderten Botschaften beobachten können. Diese weitere „Plakatwelle“ bieten den Parteien verschiedene Chancen. Zuallererst entsteht Abwechslung. Die immer wieder gleichen Botschaften fräsen sich zwar in die Köpfe der Menschen ein. Aber was sich einfräst, das nutzt sich ebenso ab. Zum Zweiten haben die Parteien so noch einmal die Möglichkeit, andere Schwerpunkte zu setzen, die sie bisher unter Umständen vergessen haben oder die besser in die veränderte politische Lage passen. Schließlich dreht sich die Welt ja auch im Wahlkampf weiter.
In der laufenden Plakatwelle kommen weitere Plakate hinzu, die jedoch nicht mehr Teil dieser Analyse sind:
CDU
- Der Richtige zur richtigen Zeit.
- Starker Kanzler. Starkes Deutschland.
Grüne
- Wir schützen nicht das Klima, sondern: Menschen.
FDP
- Wohlstand bleibt, wenn Wirtschaft wächst.
AfD
- Sie kämpft für uns. Alice Weidel. Zeit für Deutschland.
Wahlplakate-Quellen
Als Quelle der Plakate hat der Autor selbst Plakate im öffentlichen Raum fotografiert sowie zusätzlich auf die Webseiten und social Media-Präsenzen der Parteien zurückgegriffen.
Konsultierte Webseiten und Bildquellen für Fotos, die nicht vom Autor angefertigt wurden:
- CDU
- SPD
- Bündnis 90/Die Grünen
- AfD
- FDP
- DIE LINKE:
- BSW
- VOLT
https://www.sueddeutsche.de/politik/politiker-videos-wenn-bilder-taeusch...
Weniger häufig ist ein weiteres Plakat, auf dem Konstantin von Notz über dem Schlagwort ‚Freiheit‘ abgebildet ist.
Vgl. Ullrich Heilemann, 2019. „Rezessionen in der Bundesrepublik Deutschland von 1966 bis 2013 ,“ Wirtschaftsdienst, Springer; ZBW – Leibniz Information Centre for Economics, vol. 99(8), S. 546-552, August. Online abrufbar: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/8/beitrag/rezessionen-in-der-bundesrepublik-deutschland-von-1966-bis-2013.html
Vgl. Redewendungen (2008) Duden Band 11, S. 506
Artikelbild:
The post Analyse: Die Sprache der Wahlplakate 2025 appeared first on Volksverpetzer.
Meist kommentiert