AfD: Reisen nach Kaliningrad und ein möglicher Kotau am Wochenende

Von Dagmar Henn

Sie haben nur ein paar Fahnen geschwenkt und Interviews gegeben – eine ganze Reihe von AfD-Politikern und -Funktionären wird nun scharf angegriffen, weil sie vor einigen Tagen in Kaliningrad öffentlich aufgetreten sind. Nicht, dass sie dabei etwas wirklich Weltbewegendes getan hätten; sie erklärten sich weder zur Exilregierung noch riefen sie zum gewaltsamen Umsturz auf.

Aber schon Aussagen wie "Wir wollen nicht mit der Beziehung zu Russland brechen" sind zu viel, ganz zu schweigen von einer anderen Aussage, die das zum Werbekonzern Ströer gehörende Portal  T-online mit besonderer Empörung zitiert:

"Im Moment gibt es keine angemessene Regierung, die im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse Deutschlands handelt, weil diese Regierung, wie Sie wissen, der Vasall Amerikas ist."

Es gibt winzige Indizien in der jüngsten Geschichte, die diese Behauptung zu stützen scheinen, insbesondere die Sprengung von Nord Stream. Was diese Behauptung allerdings noch deutlich stärker stützt, ist gerade die Reaktion auf diese Reise nach Kaliningrad und andere Vorfälle in jüngerer Zeit wie die Vorhaltungen gegen den bayerischen AfD-Politiker Petr Bystron, er habe sich weit unter Tarif (20.000 Euro) von einem ukrainischen Oppositionellen kaufen lassen. "Stimmungsmache gegen den Westen und Werbung für Putin" lautet der Vorwurf, den T-online erhob.

Die oberste deutsche Fachfrau für Rüstungswerbung, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, musste sich selbstverständlich inzwischen dazu zu Wort melden. "Ich empfehle dieser Reisegruppe dringend eine neue Destination: Zugfahrt in die Ostukraine one way". Nun, die Frau mit der Dracula-Frisur hat vergessen hinzuzufügen, aus welcher Richtung diese Fahrt erfolgen solle. Eine Anfahrt aus östlicher Richtung, nach Donezk beispielsweise, würde ganz andere Erkenntnisse vermitteln, als sich Strack-Zimmermann erhofft. Aber vermutlich ist dieser Satz, so nahe er an der bei ukrainischen Nazis beliebten Parole "Koffer-Bahnhof-Moskau" liegt, eher in dem Sinne gemeint, dass sie ihre politischen Gegner den Schergen von Asow anvertrauen wollte.

Wenn die Rheinmetall-Vertreterin aufschlägt, löst das natürlich Konkurrenzreflexe aus, und sowohl der SPD-Politiker Michael Roth als auch der Grüne Konstantin von Notz fühlten sich berufen, ihre transatlantische Treue wieder einmal lauthals zu beschwören. Roth pöbelt gleich vom "verlängerten Arm Moskaus".

"Die AfD geriert sich gerne als patriotische Partei, vertritt jedoch in Wahrheit die Interessen und Ideologien des Kremls in Deutschland. Sie stellt ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko für Deutschland und Europa dar."

Nun, das größte Sicherheitsrisiko waren bisher die Nord-Stream-Sprenger, aber Roth ist nun einmal seinen Herren treu, ebenso wie Notz, der gleich erwartet, die Institutionen der Staatsgewalt müssten sich "angesichts krasser Bedrohungslagen insgesamt sehr viel robuster und resilienter aufstellen".

Womit selbstverständlich alle gemeint sind, die auch nur je in die Nähe einer russischen Fahne kamen oder eine Dose Borschtsch in der Speisekammer haben. Gerade erst wurde durch die nächste Gesetzesvorlage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser belegt, dass immer noch neue Methoden und Felder der politischen Verfolgung eröffnet werden können.

"Immer wieder fallen AfD-Politiker durch Reisen in russisches Gebiet und Auftritte in russischen Medien auf", moniert T-online. Eine Formulierung, die noch vor wenigen Jahren als Anzeichen eines Wahns gewertet worden wäre, denn das letzte Mal, als Reisen derartig bewertet wurden, war während des Höhepunktes der Kommunistenhatz in der Adenauer-Republik der 1950er. Damals gab es tatsächlich ein Strafverfahren gegen jemanden, der in Westberlin mit einer Ostberliner Mainelke auf einer Maikundgebung gesichtet wurde (wenn ich mich recht entsinne, war der Verteidiger dieses Angeklagten der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann). In derartigen Abgründen und darunter bewegt sich mittlerweile das, was von sich immer noch dreist behauptet, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein.

Der wirklich kritische Punkt an dieser Reise ins (noch dazu ehemals deutsche, von Michail Gorbatschow einst angebotene, von Helmut Kohl aber abgelehnte) Kaliningrad ist nicht die Reaktion der üblichen Verdächtigen, bei denen allein das Wort Russland einen Pawlowschen Beißreflex auslöst. Es ist vielmehr die Reaktion innerhalb der AfD, die am Wochenende einen Parteitag abhalten wird.

Es gibt, so berichtet T-online, einen Antrag, der unter anderem von den Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz und Hessen unterstützt wird, der eine Änderung der Satzung beabsichtigt. Künftig soll sanktionierbar werden, "wenn ein Amts- oder Mandatsträger Reisen ins Ausland mit politischem Bezug unternimmt, sich mit ausländischen Politikern öffentlich trifft oder mit ihnen öffentlich auftritt oder in ausländischen Medien, insbesondere Rundfunksendungen, auftritt, ohne zuvor die Einwilligung des Bundesvorstandes einzuholen".

Letztlich ist das eine unzulässige Zentralisierung derartiger Entscheidungen auf Bundesebene, weil es vielleicht bei Amtsträgern möglich ist, bei Mandatsträgern aber nicht, da deren Mandat eben von den Wählern erteilt wurde und nicht von der Partei. Das Problem: In der Reisegruppe nach Kaliningrad befanden sich fünf Landtagsabgeordnete. Unausgesprochen, aber höchst bedeutsam bleibt dabei, dass diese Abwehr jeglicher Kontakte nach Russland (was sich unmittelbar in die Bereitschaft übersetzen lässt, sich der NATO und den USA zu unterwerfen) aus den westlichen Landesverbänden kommt.

Schon die Reaktion auf die albernen Vorwürfe rund um Voice of Europe, Bystron und Maximilian Krah machte stutzig, weil da die Bundesspitze der Partei in einem Moment eingeknickt war, in dem ein Frontalangriff möglich gewesen wäre. Dass ein löchriges Narrativ auch noch gestützt statt attackiert wurde, war verdächtig, und der Ausschluss der beiden aus der EU-Fraktion der AfD unterstrich das noch einmal. Der Antrag zum Bundesparteitag deutet schon an, dass noch mehr folgen dürfte.

Es gibt dabei allerdings ein kleines Problem – die anstehenden Landtagswahlen, in denen selbst im "harmlosesten" Land Brandenburg der jüngsten Umfrage zufolge eine absolute Mehrheit von AfD und BSW das Ergebnis sein könnte. Nun mag es sein, dass die Teile der West-AfD, die immer Fleisch vom Fleische der Union waren, nichts lieber täten, als ihren Laden auf Koalitionsfähigkeit unter NATO-Bedingungen zu schleifen, aber trifft das auch für die östlichen Landesverbände zu?

Sollte der Parteitag einen allzu sichtbaren Kotau vollziehen, dürfte das die Wahlergebnisse der AfD einbrechen lassen, aber die Werte der Ampel nicht erhöhen. Die Kalkulation der Unterwerfungswilligen steht allerdings auf wackligen Füßen, denn für die Koalitionspartner, die sie im Blick haben, sind sie nur so lange wichtig, solange es ihnen gelingt, das widerspenstige Potenzial im Osten einzufangen. Das ihnen entgleiten könnte, sobald sie sich zu deutlich gegen Russland und für die NATO-Kriegstreiberlinie positionieren.

Wenn aber auf diesem Bundesparteitag der anscheinend gewünschte Kurswechsel nicht festgezogen wird, dann könnten ihn die Verschiebungen im parteiinternen Machtgefüge nach den Landtagswahlen im Osten unmöglich machen. Schließlich funktionieren die Gräuelmärchen über die Russen dort aus einem ganz einfachen Grund nicht – weil zu viele Menschen in der Gesellschaft verteilt sind, die persönliche Erfahrungen haben. Auf den unterschiedlichsten Ebenen, über die Strukturen des Warschauer Vertrags ebenso wie über wissenschaftlichen oder kulturellen Austausch. Gegen dieses private Wissen, gegen die persönlich bekannten Zeugen kommt die beste Propaganda nicht an.

Die Versuche, der Abweichung im Osten gewissermaßen die Spitze abzubrechen, könnten deshalb gewaltig ins Auge gehen, sollte am kommenden Wochenende zu viel Druck in diese Richtung ausgeübt werden. Denn sollte es zu einer Spaltung entlang einer Ost-West-Linie kommen, wäre wohl eher der westliche Teil die künftige Splitterpartei. Die Versuche, sich an abgründige Gestalten wie Strack-Zimmermann heranzuschmusen, gibt es wohl. Nur ihr Erfolg ist nicht garantiert.

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