Von den Ministerpräsident*innen gab es jüngst grünes Licht für die Novelle des Jugendmedienschutzes. Betriebssysteme sollen einen Kinderschutz-Modus anbieten, und die Medienaufsicht bekommt mehr Instrumente gegen Pornoseiten. Verbände und Fachleute warnen.
Die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) hat vergangene Woche mit dem Okay der Länderchef*innen die nächste Hürde genommen. Es fehlt noch die Zustimmung der Landesparlamente.
Zu den spannendsten Neuerungen gehören drei Maßnahmen: Zum einen müssen Anbieter von gängigen Betriebssystemen eine Art Kinderschutz-Modus anbieten, der den Zugang zu angeblich nicht jugendfreien Inhalten erschweren soll. Zum anderen bekommt die Medienaufsicht zwei mächtige, neue Werkzeuge an die Hand, um gegen widerspenstige Pornoseiten vorzugehen.
Die Regelung für Betriebssysteme dürfte etwa Windows, Android, iOS und MacOS treffen – denn laut Novelle erfasst sind „Betriebssysteme, die von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt werden“.
Einmal aktiviert, soll der Kinderschutz-Modus auf einem Gerät den Zugang zum Internet via Browser sowie den Zugang zu Apps auf Marktplätzen begrenzen. Via Browser sollen nur Online-Suchmaschinen verfügbar sein, die einen geschützten Modus anbieten – also beispielsweise keine Pornoseiten in den Suchergebnissen auflisten. Apps sollen nur mit entsprechendem Alterslabel zugänglich sein.
Filter machen Fehler
Gerade die geplanten Regeln auf Ebene von Betriebssystemen stießen bei Verbänden bereits in der Vergangenheit auf Kritik – und das tun sie immer noch.
Vor Overblocking warnt etwa Felix Falk, Geschäftsführer von game, dem Verband der deutschen Games-Branche, auf Anfrage von netzpoltik.org. Als Overblocking bezeichnet man die versehentliche Sperrung von unbedenklichen Inhalten.
Dass Jugendschutz-Filter ein strukturelles Problem mit Overblocking haben, zeigten bereits mehrere Recherchen von netzpolitik.org, etwa zu gefilterten Suchergebnissen auf Google und YouTube und zum Jugendschutz-Filter JusProg. Aus den Recherchen geht hervor: Immer wieder fallen den Filtern unverfängliche Inhalte zum Opfer. Darunter sind sogar ausdrückliche Aufklärungsinhalte und Anlaufstellen, die Jugendlichen auf Informationssuche sehr helfen würden.
Der Verband game kritisiert zudem die Jugendschutz-Pläne mit Blick auf Europa. Demnach harmonisiere bereits das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA) die Regeln für Plattformen, „sodass für die Bundesländer hier gar kein Regulierungsspielraum mehr besteht“. Der Verband betrachtet es als „höchst fraglich, ob der JMStV in dieser Fassung mit dem Europarecht überhaupt vereinbar ist“.
Ähnliche Bedenken äußert Bitkom, der Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche. Die Jugendschutz-Pläne würden zudem nicht internationalen Standards entsprechen und etwa abweichende Altersstufen vorsehen.
„Trügerisches Sicherheitsgefühl“
Eine Art Lob kommt von Alexandra Koch-Skiba, Leiterin der Beschwerdestelle von eco, dem Verband der Internetwirtschaft. Demnach seien die nun geplanten Regeln „praktikabler“ als die ersten Vorschläge. Eltern oder Bezugspersonen bekämen ein zusätzliches Werkzeug, das sie bei Bedarf aktiv einsetzen können. „Diese bewusste Entscheidung stärkt die Nutzerautonomie und entspricht dem Erziehungsrecht der Eltern.“
Die FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter) fächert eine ganze Reihe von Kritikpunkten auf. So könnte die Jugendschutzvorrichtung „ein trügerisches Sicherheitsgefühl bei Eltern erzeugen“. Die FSM warnt zudem: Ein pauschales Schnutzniveau nach starren Altersgrenzen wie „ab 6“, „ab 12“ und „ab 16“ passe nicht zur Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen. „Dies trägt nicht dazu bei, Schutz, Befähigung und Teilhabe in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.“ Es gehe auch darum, dass junge Menschen an der digitalisierten Lebenswelt teilhaben können, ihre Informationsfreiheit gewahrt wird und sie Medienkompetenz entwickeln können.
Mit konkreteren Vorhersagen hält sich die FSM jedoch zunächst zurück, weil die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) – ein Organ des Landesmedienanstalten – noch zahlreiche Dinge festlegen müsse. „Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich deshalb über die tatsächlichen Auswirkungen nur spekulieren.“ Als positiven Aspekt erwähnt die FSM etwa, dass es im Zuge der Novelle mehr Aufmerksamkeit für technischen Jugendmedienschutz gebe.
Was wird aus offenen Betriebssystemen?
Nach wie vor unklar ist, was die neuen Regeln für freie und quelloffene Betriebssysteme wie etwa Linux oder alternative App-Marktplätze wie etwa F-Droid bedeuten. Hier liegt es im Ermessen der Medienaufsicht, festzustellen, ob sie „üblicherweise“ von Jugendlichen genutzt werden oder nicht. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht vorhersehbar, wann Anbieter freier Betriebssysteme eine entsprechende Jugendschutzvorrichtung vorhalten müssen“, schätzt der Verband eco.
Für Johannes Näder von der Free Software Foundation Europe (FSFE) bringt die Novelle rechtliche Unsicherheit. „Wer gilt als Anbieter und ist verpflichtet, die Vorgaben umzusetzen? Wem drohen bei Nichtbeachtung Bußgelder?“, schreibt er auf Anfrage. Der Ansatz der Novelle bei Betriebssystemen sei falsch und unverhältnismäßig.
Außerdem fehle die Vorgabe, dass Jugendschutzprogramme als freie Software umzusetzen sein sollten. „Nur durch Freie Software und Offene Standards können Nutzende überprüfen, dass die jeweilige Software das gewünschte Sicherheitsniveau bietet“, betont Näder.
Mehr Netzsperren für Pornoseiten
Unabhängig vom Thema Betriebssysteme sind die neuen Werkzeuge, die der novellierte JMStV im Vorgehen gegen Pornoseiten vorsieht. Seit Jahren setzt sich die Landesmedienanstalt NRW dafür ein, dass die weltgrößten Pornoseiten wie xHamster, XVideos und Pornhub in Deutschland ordnungsgemäß die Ausweise ihrer Besucher*innen kontrollieren – oder deren Gesichter biometrisch scannen lassen.
Das Vorgehen war bislang weniger erfolgreich, zumindest scheinbar. Zwar finden auch Jugendliche nach wie vor massenhaft Pornos im Internet; in dieser Hinsicht kann die Medienaufsicht keinen Erfolg verbuchen. Allerdings kann sich die Aufsicht in Folge ihres beharrlichen Vorgehens künftig über ein erweitertes Arsenal an Instrumenten freuen.
Zu den schärfsten Schwertern der Medienaufsicht gehört die Anordnung von Netzsperren bei Providern. Bislang war das ein zäher Prozess. Betroffene Plattformen konnten im Handumdrehen Ausweichdomains einrichten und somit der Handhabe der Medienaufsicht entgehen. Zuletzt hat das etwa xHamster eindrücklich vorgeführt.
Genau hier setzt die Novelle an. Demnach gibt es Netzsperren künftig auch für Angebote, „die mit bereits zur Sperrung angeordneten Angeboten ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind“. In anderen Worten ausgedrückt: für Ausweichdomains. Das wirft die Frage auf, wer künftig schneller ist: Die Medienaufsicht mit ihren Netzsperren oder die Pornoseiten mit ihren Ausweichdomains? Das bisher eher in Zeitlupe ablaufende Katz- und Mausspiel dürfte dadurch dynamischer werden. Wir haben die Pressestelle von Pornhub um ein Statement gebeten und werden es ergänzen, wenn wir eines erhalten.
Der Griff um den Geldhahn
Ein neues, scharfes Schwert im Instrumentarium der Medienaufsicht ist der Griff nach dem Geldhahn, wie aus der Novelle hervorgeht. So soll die Medienaufsicht künftig auch Finanzdienstleistern die Mitwirkung an Zahlungen für widerspenstige Angebote untersagen dürfen. Gerade das dürfte bei Pornoseiten Bauchschmerzen auslösen, denn auf Geldflüsse sind sie angewiesen.
Im Jahr 2020 haben sich etwa Visa und Mastercard – aus freien Stücken – von Pornhub zurückgezogen; im selben Jahr beendete Klarna die Zusammenarbeit mit xHamster. Beides korrelierte mit deutlichen Nachbesserungen hinter den Kulissen der Pornoseiten, etwa dem Verbot anonymer Uploads.
Die Free Speech Coalition Europe vertritt die Interessen der Pornobranche in Europa, dahinter steht die Porno-Darstellerin und Produzentin Paulita Pappel. Die Bemühungen der Medienaufsicht gegen die größten Pornoseiten bewirken in ihren Augen das Gegenteil, schreibt Pappel auf Anfrage. Die Jugend werde damit nicht geschützt – stattdessen würden illegale Plattformen gefördert, auf die Nutzer*innen im Zweifel ausweichen würden. Zugleich würde die Porno-Branche diskriminiert. „Die Lösungen sind schon erfunden“, schreibt Pappel und verweist etwa auf gerätebasierte Filter.
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