Lehren aus dem US-Wahlkampf: Soziale Medien gehören nicht in die Hand von Milliardären und Konzernen

Bei der Suche nach Ursachen für Donald Trumps Wahlerfolg landet man schnell bei Elon Musk und seiner rechten Propagandamaschine namens X. Doch das Problem ist größer, die Plattformen haben den Kampf gegen Hass und Desinformation praktisch aufgegeben. Das gefährdet auch Wahlen in Deutschland. Ein Kommentar.

Ein Foto von Elon Musk mit einer Make-America-Great-Mütze, das auf seinem X-Account gepostet wurde
Elon Musk war im Wahlkampf Donald Trumps wichtigster Unterstützer – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / AFLO

Was für eine Woche: Während in Berlin die Ampel-Koalition zerbricht, wird Donald Trump US-Präsident. Schon wieder! Trotz der Skandale und Gerichtsverfahren, trotz der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche und seinen Plänen für einen faschistischen Umbau des Landes. Zurecht wird jetzt viel über die Rolle von Elon Musk und seiner Plattform X gesprochen. Der reichste Mensch der Welt hat Twitter vor gut zwei Jahren gekauft und seitdem zu einer wahren Propagandamaschine für Donald Trump und die politische Rechte ausgebaut.

Gleich zu Musks ersten Maßnahmen gehörte es damals, einen Großteil der Teams rauszuschmeißen, die bei Twitter für Inhalte-Moderation, Sicherheit und Fact Checking zuständig waren. In einer Art Generalamnesie hat er all die Accounts zurückgeholt, die wegen Regelverstößen gesperrt worden waren, darunter auch Donald Trump. Und politische Werbung, die Twitter 2019 aufgrund des großen Manipulationspotenzials verboten hatte, hat Musk wieder erlaubt. So profitiert er gleich doppelt von Desinformation auf seiner Plattform.

Inzwischen bevorzugen die aufmerksamkeitslenkenden Algorithmen von X zudem ganz offensichtlich Akteure aus dem rechten politischen Spektrum. Eine Datenanalyse der Washington Post hat gerade gezeigt, dass Politiker:innen der demokratischen Partei auf der Plattform kaum noch viral gehen können. Hinzu kommt, dass manche Teile der Liberalen und der politischen Linken X verlassen haben. So ist die Plattform inzwischen geradezu ein Paradies für die extreme Rechte, die dort unwidersprochen mobilisieren und Lügen verbreiten kann. Dank der neuen Monetarisierungsfunktion von X ist das für manche sogar ein einträgliches Geschäft.

Ein Spiel, das auch Elon Musk selbst auf seinem Account mit mehr als 200 Millionen Follower:innen betreibt. Regelmäßig jubelte er dort im Wahlkampf Trump zu, verschaffte diesem mit einem Gefälligkeitsinterview enorme Reichweite und verbreitete Falschinformationen, etwa zur angeblichen Unzuverlässigkeit von Briefwahl. Auch in der von ihm ins Leben gerufenen „Election Integrity Community“ auf X florierten unbelegte Behauptungen über die Wahl. Erst vor wenigen Wochen hatte auch der plattformeigene Chatbot Grok falsche Informationen über die Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris ausgespuckt und behauptet, sie dürfe gar nicht in allen US-Staaten antreten.

Auf einer Welle aus Hass und Lügen ins Weiße Haus

Donald Trump und seine Unterstützer:innen haben einen Wahlkampf mit allen Mitteln geführt. Sie haben ihre politischen Gegner:innen mit Hass und Häme überzogen, mit misogynen und rassistischen Negativ-Kampagnen der übelsten Sorte. Seit der Präsidentschaftswahl 2020 haben sie konstant Zweifel an der Integrität der Wahlen gesät und mit einer Eskalation der Gewalt gedroht. Bei allem arbeiteten sie mit dreisten Lügen und gezielter Desinformationen.

Für diese Art des Wahlkampfes war allerdings nicht nur X ein perfekter Nährboden, sondern die Sozialen Medien insgesamt. Allein in den letzten Wahlkampfmonaten sind einer Analyse zufolge in den USA mehr als 600 Millionen Dollar für zielgerichtete politische Werbeanzeigen auf YouTube und den Meta-Plattformen ausgegeben worden. Derweil haben die Unternehmen den Kampf für die Integrität der Wahlen teilweise praktisch aufgegeben und ihre in den Vorjahren ergriffenen Maßnahmen deutlich zurückgeschraubt.

YouTube etwa hat vor einiger Zeit entschieden, keine unbelegten Behauptungen zur angeblich gefälschten Wahl 2020 mehr zu löschen. Seitdem gedeihen auf der Videoplattform Verschwörungsmythen, Halbwahrheiten und Lügen rund um die Integrität von Wahlen. Die Nichtregierungsorganisation Media Matters und die New York Times haben im Sommer 2024 allein von 30 großen rechten Accounts wie dem des Moderators Tucker Carlson oder dem des Trump-Vertrauten Rudy Giuliani 286 Videos mit Desinformation zur Wahl gefunden. Zusammen kamen die Videos auf mehr als 47 Millionen Aufrufe.

Geld für Aufmerksamkeit

Die Nichtregierungsorganisation Global Witness konnte in einem Test zeigen, dass TikTok die Hälfte aller Anzeigen mit unwahren Behauptungen zur Wahl durchgewunken hat. So etwa Werbung, die behauptete, man könne neuerdings online wählen und habe dafür am Wahltag bis Mitternacht Zeit. TikTok hatte daran nichts auszusetzen, und das, obwohl Werbeanzeigen mit politischen Inhalten auf der Plattform eigentlich komplett verboten sind. Dass das Unternehmen diese Regeln kaum durchsetzen kann, zeigten allerdings im Vorjahr bereits Untersuchungen aus Deutschland.

Auf Facebook und Instagram wiederum hat die (von Elon Musk mitfinanzierte) pro-Trump-Organisation Building America’s Future hunderte Werbeanzeigen geschaltet, die sich als Pro-Harris-Werbung ausgaben. Mit absurd übersteigerten, vermeintlichen Wahlversprechen der Demokratin sollten die Fake-Anzeigen demokratische Wähler:innen verschrecken und Republikaner:innen mobilisieren. Unter anderem versprachen die Werbeanzeigen, dass Kamala Harris mehr illegale Migrant:innen ins Land holen und sie mit kostenloser Krankenversicherung versorgen wolle.

Meta hat dafür laut Werbe-Bibliothek etwa eine Million Euro kassiert und die Fake-Anzeigen trotz kritischer Berichterstattung nicht gelöscht. Gleiches gilt für Fake-Harris-Werbeanzeigen zum Reizthema Nahostkonflikt, mit denen Building America’s Future muslimische und jüdische Wähler:innen demobilisieren wollte.

Musk spendete 120 Millionen Dollar

Wie groß der Anteil der Online-Kampagnen an Trumps Sieg ist, lässt sich nicht messen. Es gibt viele andere Faktoren: Dass Kamala Harris eine Frau ist, noch dazu eine Woman of Colour, ist für Teile der USA offenkundig ein Problem. Bei Männern hat die Kandidatin deutlich schlechter abgeschnitten als Trump und auch als Joe Biden vier Jahre zuvor. Auch ihr bis zuletzt etwas unklares Verhältnis zur Politik des erfolgreichen, aber zuletzt wenig beliebten Biden dürfte ihr geschadet haben.

Hinzu kommt, dass die Regeln für Wahlkämpfe in den USA zuletzt noch weiter aufgeweicht wurden. Das hat den Einfluss der ohnehin schon mächtigen Super PACs drastisch erhöht, also der finanzkräftigen Unterstützungsorganisationen, mit denen Konzerne und Reiche sich für Kandidat:innen und Anliegen einsetzen. Schon 2010 hat die Wahlkommission finanzielle Limits für diese Unterstützung gekappt. In diesem Jahr hat sie den Weg für eine engere Zusammenarbeit und auch einen Datenaustausch zwischen Parteien und Super PACs geebnet.

Das hat es nicht nur Elon Musk ermöglicht, mit dem von ihm gegründeten America PAC massiv in den Wahlkampf einzugreifen. Millionengeschenke zur Mobilisierung republikanischer Wähler:innen in umkämpften Bundesstaaten waren dabei nur die Spitze des Eisberges. Mindestens genauso wichtig dürfte es gewesen sein, dass Musks Organisation zusammen mit anderen Super PACs den Haustürwahlkampf der republikanischen Partei übernommen hat. Allein über den America PAC hat Musk knapp 120 Millionen Dollar in den Wahlkampf von Donald Trump gepumpt.

Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass das digitale Dauerfeuer aus Hass und Lügen in dem aufgeheizten politischen Klima nicht einen wichtigen Teil zu Trumps Wiederwahl beigetragen hat. Nur: Was machen wir jetzt mit der Erkenntnis, dass die Plattformen dem offenbar nicht mehr viel entgegenzusetzen haben?

Robert Habeck ist zurück auf X

Nach dem Bruch der Ampel-Koalition stehen auch in Deutschland Wahlen an. Und auch in Deutschland könnte der Wahlkampf dreckig werden. Während die extreme Rechte politisch so stark ist wie nie seit 1945, liebäugeln auch demokratische Politiker:innen wie Friedrich Merz, Markus Söder und Sahra Wagenknecht mehr als nur ein bisschen mit dem Populismus.

Der US-Wahlkampf hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie dramatisch es um digitale Öffentlichkeit steht. Es ist und bleibt einfach eine schlechte Idee, die Foren, in denen unser politischer Diskurs stattfindet, der Willkür von Milliardären und Konzernen zu überlassen. Wenn sie vor die Wahl gestellt werden zwischen ihrem Profit und der Sicherheit von Menschen und Demokratien, dann entscheiden sie sich für das Geld.

Nichts macht das deutlicher als die jüngste Sperrung von hundert X-Accounts türkischer Journalist:innen und Medienorganisationen auf Wunsch der türkischen Regierung. Elon Musk beschreibt sich selbst gern als „Absolutisten der Redefreiheit“, doch vor einem Despoten wie Erdogan knickt er nicht zum ersten Mal ein. Sein Kampf für Redefreiheit gilt nur für die, die seiner Meinung oder ihm nützlich sind.

Dass der deutsche Vizekanzler Robert Habeck ausgerechnet jetzt zu X und Instagram zurückkehrt, ist deshalb ein fatales Zeichen. Er wolle den Diskurs dort „nicht den Schreihälsen und Populisten überlassen“ schreibt der grüne Kanzlerkandidat in spe. Dabei übersieht er, dass es genau die sind, die vom überwachungskapitalistischen Geschäftsmodell der Plattformen mit noch mehr Reichweite belohnt werden, weil sie ihnen Werbeeinahmen bringen.

Ein schwacher Trost

Wir brauchen Soziale Medien, die nicht auf Profit ausgerichtet sind, sondern auf das Wohl von Menschen und Demokratie. Es gibt Alternativen, die genau das versuchen, doch auf Bluesky oder Mastodon ist Robert Habeck nicht zu finden. Dabei wäre spätestens jetzt der Zeitpunkt, das Spiel der Tech-Barone nicht mehr mitzuspielen. Vergesellschaftung kann ein Weg sein, die Macht von Big Tech zu brechen, doch der ist lang. Auch der Aufbau von nicht-kommerziellen Alternativen wie dem Fediversum braucht Zeit und mehr staatliche Unterstützung, als er jetzt erhält.

Für die nächste Bundestagswahl kommt beides zu spät, egal ob sie im Januar oder im März stattfindet. Immerhin hat die EU in den vergangenen Jahren einige Vorkehrungen getroffen, um Plattformen zur Verantwortung zu ziehen. Der Digital Services Act verpflichtet Online-Dienste zu Risiko-Prüfungen und gibt Aufsichtsbehörden Mittel zur Durchsetzung von Regeln an die Hand.

Die Verordnung über das Targeting politischer Online-Werbung soll für mehr Transparenz sorgen. Doch das ist womöglich nur ein schwacher Trost. Beide Gesetze müssen sich in der Praxis noch bewähren und haben es versäumt, das Problem an der Wurzel zu packen, nämlich beim Geschäftsmodell der Plattformen.

Es wird deshalb einmal mehr auf guten Journalismus, auf engagierte Forschung und die Zivilgesellschaft ankommen. Insbesondere die Medien müssen dafür Vertrauen zurückgewinnen, mit einer neuen Fehlerkultur und mehr Transparenz über die eigene Arbeit. Dass Bundesländer in so einer Situation ernsthaft darüber nachdenken, die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Netz zu beschränken, ist verantwortungslos. Wir brauchen eine Stärkung vertrauenswürdiger Informationsangebote im Netz – und wir brauchen die Öffentlich-Rechtlichen, um Alternativen zu den großen Plattformen aufzubauen.


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