Ukrainische Mobilisierung hat Schüler von gestern im Visier

Von Jewgeni Posdnjakow

Vor Beginn des Schuljahres haben 300.000 Schüler die Ukraine verlassen. Laut der Abgeordneten der Werchowna Rada, Nina Juschanina, deute dies auf das Fehlen von Signalen seitens der Behörden hinsichtlich der Zukunftspläne für die Ukrainer hin. Parallel dazu sprach Bildungsminister Oxen Lissowoi letzte Woche über die Massenabwanderung junger Menschen ins Ausland. Ihm zufolge verlassen die Schüler der Oberklassen in größerem Umfang das Land.

Er wies auch darauf hin, dass eine qualitativ hochwertige Bildung Jugendliche dazu bewegen könnte, in der Ukraine zu bleiben. Seiner Meinung nach stünden die einheimischen Universitäten den westlichen nicht nach, aber die Studenten würden sich trotzdem für ausländische Universitäten entscheiden, weil sie "von den Mythen über das Ausland beeinflusst werden".

Bemerkenswert ist es, dass die groß angelegte Abwanderung von Oberschülern, bei denen es sich in der überwiegenden Mehrheit um junge Männer handelt, vor dem Hintergrund einer laufenden Debatte über die Notwendigkeit einer Senkung des Mobilisierungsalters in der Ukraine stattfindet. So erklärte die Abgeordnete Maria Ionowa, dass die westlichen Partner der ukrainischen Streitkräfte Kiew zu einer solchen Entscheidung drängten.

Sergei Leschtschenko, ein Berater des Büroleiters von Wladimir Selenskij, bestätigte diese Information und erläuterte, dass das Hauptargument der Vereinigten Staaten in dieser Angelegenheit das Einberufungsalter in den USA zur Zeit des Vietnamkriegs sei. Damals wurden die US-Amerikaner bereits mit 19 Jahren in die Konfliktzone geschickt. Daher wird auch der Ukraine empfohlen, ihre Ansätze zur Mobilmachung anzupassen.

Leschtschenko zufolge habe Selenskij jedoch angeblich "nicht aufgegeben und überzeugt weiterhin Politiker beider Parteien, Waffen zu geben, ohne das Alter für die Wehrpflicht zu ändern". In den ukrainischen Streitkräften werden jedoch Stimmen laut, die eine Herabsetzung des Einberufungsalters befürworten. So merkte beispielsweise Igor Obolenski, Kommandeur der 13. Brigade der Nationalgarde "Chartija", an, dass "je mehr junge Menschen erfahren, was Krieg ist, desto leichter wird es für uns in Zukunft sein".

Er schlug jedoch vor, die untere Altersgrenze auf 21 Jahre herabzusetzen. Seiner Einschätzung nach würde eine solche Änderung dem Land keinen nennenswerten demografischen Schaden zufügen, da es in der Kampfzone "keine totale Sterblichkeit" gebe. Zur Erinnerung: Die Herabsetzung des Wehrpflichtalters wurde in der Ukraine bereits im April dieses Jahres vorgenommen.

Damals stimmte Selenskij der Mobilisierung von Bürgern ab 25 Jahren zu (vorher lag die Schwelle bei 27 Jahren), wie TASS berichtet. Im Vorfeld dieser Entscheidung wurde im Staat lange Zeit die Option diskutiert, das Wehrpflichtalter auf 18 Jahre zu senken. Damals traten auch weitere Beschränkungen für ukrainische Männer in Kraft.

Experten gehen davon aus, dass die große Abwanderung von Oberschülern und Gerüchte über eine mögliche Herabsetzung des Wehrpflichtalters Glieder derselben Kette sind. Der Wunsch, junge Männer in die ukrainischen Streitkräfte zu treiben, ist ein Versuch, den Personalmangel zu überwinden. Die Politikwissenschaftlerin Larissa Schesler erklärt:

"Das ist eine ganz normale Reaktion aller liebenden Mütter und Väter: Ihr Kind muss gerettet werden. Sie wissen genau, dass sich die Türen zum Ausland komplett schließen, sobald ihr Sohn 18 wird."

Schesler ist der Meinung, dass die Eltern allen Grund zu solchen Sorgen hätten. Ihr zufolge werde in der Ukraine nicht nur regelmäßig über die Senkung des Wehrpflichtalters diskutiert, sondern auch erwähnt, dass die westlichen Partner, insbesondere die USA, darauf bestünden. Aus der Sicht Washingtons sei es "ein unzulässiger Luxus für die ukrainischen Streitkräfte", Menschen nur ab dem Alter von 25 Jahren an die Front zu schicken, meint sie. Die Gesprächspartnerin fügt hinzu:

"Zugleich entwickelt sich in der Ukraine eine absolut katastrophale Situation. Nach öffentlich zugänglichen Daten schlossen im Jahr 2024 etwa 200.000 bis 250.000 Jugendliche die Schule ab. Aber 300.000 Teenager haben den Staat verlassen, das heißt, wir sprechen von fast jedem Schulabgänger. Außerdem reisen die Neunt- und Zehntklässler zusammen mit ihnen ab, da ihre Eltern bereits wissen, wie es weitergeht."

Ihrer Meinung nach seien die Debatten über eine mögliche Herabsetzung des Wehrpflichtalters durch die aktuelle aussichtslose Situation für Selenskijs Büro verursacht. Die Expertin fährt fort:

"Vor kurzem berichtete die Rada, dass etwa sechs Millionen Ukrainer sich noch immer nicht bei der Militärstelle angemeldet haben. Zudem leben zwei Drittel dieser Menschen schon seit langem nicht mehr im Lande. Etwas mehr als vier Millionen Menschen haben ihre Daten im Einberufungsstelle-Register aktualisiert. Etwa anderthalb Millionen von ihnen sind Personen, die Rückstellung wegen der Beschäftigung bei Betrieben haben. Übrigens ist es das, worüber sich Selenskij zuvor empört hat."

Schesler betont, dass es sich bei weiteren anderthalb Millionen um Behinderte, Kranke, die nicht dienstfähig sind, oder Väter aus kinderreichen Familien handele. Mit anderen Worten: Die Einberufungsstelle verfüge über "überhaupt" keine Optionen, um "diese Bürger an die Front zu bringen". Deshalb sei sich die ukrainische Gesellschaft jetzt sicher, dass die Senkung des Wehrpflichtalters unvermeidlich sei, betonte die Expertin. Weiter erklärt sie:

"Auch die chaotischen Überfälle der Einberufungsbeamten auf Bürger spielen eine Rolle. Sie müssen jeden an die Front schicken, den sie erreichen können – Menschen werden auf der Straße, in Bars, bei Konzerten ihrer Lieblingsbands gepackt. Und natürlich ist all dies Ausdruck desselben Problems – des akuten Mangels an Männern im wehrpflichtigen Alter in der Ukraine."

Dabei sei die Zahl der Bürger, die in den Krieg geschickt werden können, viel geringer, als die ukrainische Regierung und ihre "US-amerikanischen Schirmherren" erwarten. Das Land habe "seit 15 bis 20 Jahren gefälschte und überhöhte demografische Angaben gemacht, und jetzt geht das in Auge", erklärt Schesler.

Außerdem habe es der Fachfrau zufolge in der Ukraine von 2000 bis 2006 einen enormen demografischen Einbruch der Geburtenraten gegeben. Die kleinste Kohorte seien diejenigen, die in den 90er Jahren geboren worden seien. Selenskijs Büro befinde sich also in einer Situation, in der es versuche, Menschen aus einer ursprünglich kleinen Altersgruppe zu rekrutieren. Sie fügt hinzu:

"Davor haben die ukrainischen Behörden eine relativ große Generation von Männern, die in den 80er Jahren geboren wurden, also die unter 40-Jährigen, 'genommen'. Nach 2022 wurden fast alle jungen Männer, die sich dem 18. Lebensjahr näherten, von ihren Eltern im Voraus herausgeholt."

Die Massenabwanderung von Schülern vor Beginn des Schuljahres sei eine natürliche Reaktion der Bevölkerung auf Gerüchte über eine mögliche Herabsetzung des Wehrpflichtalters, meint auch der politische Analyst Wladimir Skatschko, ein Kolumnist von Ukraina.ru. "Außerdem schließe ich nicht aus, dass es bald auch um minderjährige Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren gehen wird", fügt er hinzu. Abschließend betont Skatschko:

"Wir sollten den ständigen Druck des Westens in dieser Richtung nicht aus den Augen verlieren. Wenn die spezielle Militäroperation andauern wird, werden die USA Selenskij leicht dazu zwingen, die Schwelle auf das von ihnen benötigte Niveau zu senken, auch wenn Kiew bislang behauptet, dies nicht vorzuhaben. Wenn jedoch das derzeitige Tempo der Militäroperation anhält, werden sie nicht in der Lage sein, dies rechtzeitig umzusetzen."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 16. Oktober 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Jewgeni Posdnjakow ist ein russischer Journalist, Fernseh- und Radiomoderator.

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