Wer ist schuld an der Rezession? "Atlantikbrückler" zanken planlos im Bundestag

Von Susan Bonath

Die Spatzen pfeifen es seit Jahren von den Dächern, nun musste es auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einräumen: Deutschlands Ökonomie steckt in einer tiefen Krise. Doch man kennt das schon: Weder der Wirtschaftskrieg gegen Russland noch die Pipeline-Sabotage und die folgende Untätigkeit der Regierung haben demnach irgendwas damit zu tun. Schuld sind freilich immer nur die anderen.

In diesem Sinne nahm auch die Union aus CDU und CSU, bis 2021 selbst regierend und mitverantwortlich, die unerfreuliche Tatsache zum Anlass, den Wahlkampf 2025 einzuläuten. Allein der Ampel wegen drohe ein wirtschaftlicher "Abwärtsstrudel", tönte sie im Bundestag und forderte eine "Wirtschaftswende statt Wunschdenken". Doch statt ein eigenes Konzept zu präsentieren, klopfte sie nur neoliberale Sprüche aus dem Arsenal der Atlantikbrücken-Doktrinen. Noch arbeiterfeindlicher und planloser geht immer.

Linnemanns "Agenda 2030"

Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP wüssten "gar nicht, wo sie stehen", wetterte der stellvertretende CDU-Chef Carsten Linnemann in dieser Woche in der von seiner Fraktion einberufenen Aktuellen Stunde zur deutschen Wirtschaft.

Er zählte eine Reihe bekannter Probleme auf: die Ansage der Bundesnetzagentur zum Beispiel, dass sich Deutschland auf eine "flexible Stromproduktion" einstellen müsse – was nichts anderes heißt als massive und unvorhersehbare Preisschwankungen. Darauf, so Linnemann, könne sich kein Unternehmen einlassen. Auf die maßgebliche Ursache, das Abschneiden Deutschlands von günstigem russischen Gas vor allem, ging er freilich nicht ein. Daran will seine Fraktion bekanntlich so wenig rütteln wie die Ampel.

So klopfte Linnemann die neoliberalen Sprüche, die man kennt: Erlösung biete nur der sogenannte "freie Markt". Er schwadronierte in diesem Sinne von "mehr Eigenverantwortung", üblen Ampel-Heizvorschriften und "mehr Freiräumen" für das Kapital, von "Leistung", die "wieder im Vordergrund stehen", und Arbeitslosen, die man einfach härter drillen müsse, damit sie tun, was sie sollen: malochen.

Seinen ersichtlich an den US-Kapitalismus angelehnten Fantasien gab Linnemann auch einen Namen: "Agenda 2030". Im Klartext: Die Union unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz will also die Agenda 2010 fortschreiben. Eingeführt 2003 von SPD und Grünen unter großem Beifall von CDU, CSU und FDP, war diese nicht nur der Auftakt zu Hartz IV. Auch im Gesundheitswesen, bei den Renten und vor allem den Arbeitsrechten sorgte diese Agenda für massive Kürzungen und trieb die Armut in Deutschland voran.

Habecks Parolen-Paket

Wirtschaftsminister Habeck schickte indes seinen Staatssekretär Michael Kellner (Grüne) vor, um die Wogen in diesem neoliberalen Scheingefecht zu glätten. Er bedauerte die negative "Herbstprognose" der Bundesregierung, als sei diese überraschend vom Himmel gefallen. Trotz eines Rückgangs der Inflation sei "die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zum Stillstand gekommen", klagte Kellner.

Nahtlos ging er dann aber dazu über, das "Wachstumspaket" der Ampel in den Himmel zu loben. Auch wenn das "offenbar nicht ausreicht", hält er eisern daran fest. Es beinhaltet unter anderem eine Erhöhung der Abschreibungssummen von 20 auf 25 Prozent und eine Senkung der Stromsteuer für Unternehmen.

Der Rest in dem Paket ist eher ein unkonkreter Wust aus Parolen: Abbau von Bürokratie (hier darf gelacht werden), zum Beispiel bei Vergabekriterien, Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und – das hätte genauso von der CDU kommen können – "mehr Arbeitsanreize, insbesondere für Ältere". "Anreiz" bedeutet im neoliberalen Jargon nichts Gutes für die "kleinen Leute", sondern mehr Zwang durch Armut und Repression.

AfD: Mehr Markt, weniger Migration

Mit anderen Worten: Grünen-, SPD- und FDP-Politiker gehen eigentlich den gleichen Weg, den CDU-Vize Linnemann nur etwas radikaler vorschlägt. Beim imperialistischen Wirtschaftskrieg des Westens stehen die Atlantikbrückler aller politischen Fraktionen eben felsenfest zusammen, auch wenn dieser Russland weniger schadet als Deutschland und nur einem wirklich nützt: den USA.

Diese schlichte Wahrheit traute sich jedoch das Gros des Rests der Opposition auch nicht auszusprechen. Die AfD prangerte zwar zu Recht die hohen Heiz- und Stromkosten an. Letztere seien "die höchsten in Europa", betonte ihr Abgeordneter Bernd Schattner. Grund sei "die überstürzte Energiewende", mahnte er – allerdings ohne die Russland-Sanktionen zum Nachteil Deutschlands auch nur anzureißen.

Dann schwenkte Schattner komplett auf Linnemanns CDU-Kurs ein: Mehr Schuldenbremse fürs Volk, weniger Steuern und mehr freier Markt für Konzerne, so lautet auch sein Konzept. Dazu weniger Sozialstaat und Migration. Man fragt sich, warum die Union bei allen Ähnlichkeiten nicht mit der AfD koalieren will.

Linke will Kaufkraft ankurbeln

Auch die Linke, oder die Gruppe im Bundestag, die von ihr übrig ist, sparte das Thema Russland-Sanktionen geflissentlich aus. Trotzdem kam sie der Realität schon etwas näher: Man könne keine Wirtschaft ankurbeln, wenn man die Menschen immer ärmer macht und so den Binnenmarkt zerstört. Das ist natürlich richtig, spielt aber für die neoliberale Einheitsfront von der Ampel über die AfD bis hin zur CDU keine Rolle.

Das Wachstumspaket der Ampel, so rügte der Linke-Abgeordnete Jörg Cezanne, sei "zu klein, zu wenig, zu spät". Es blende aus, dass die hohen Energie- und Lebensmittelpreise die Menschen ärmer machten. Viele Beschäftigte im unteren Lohnbereich sowie Rentner, Studenten und Sozialleistungsbezieher hätten "erheblich an Kaufkraft verloren". So schlittere Deutschland nur weiter in die Rezession, rügte er.

Cezanne forderte, den Binnenmarkt entsprechend anzukurbeln: Mindestlohn von 15 Euro, was den EU-Vorgaben entspräche, die Rückzahlung der CO₂-Abgabe an die Verbraucher, wie bei der Einführung versprochen, sowie "erhebliche staatliche Investitionen" für neuen Wohnraum, den Ausbau der Digitalisierung, die Sanierung der Infrastruktur und für neue umweltfreundliche Wirtschaftsbereiche.

BSW: Raus aus dem Wirtschaftskrieg

Unter (zu erwartenden) Buhrufen traute sich dann einer doch, das Thema Russland-Sanktionen und Nord-Stream-Sabotage anzusprechen: Christian Leye vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). "Kein Wunder" sei der Absturz der deutschen Wirtschaft, sagte er und stellte den Elefanten endlich in den Raum:

"Ihre Energiepolitik bestand unter anderem darin, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland zu führen, und dann hat nach Medienberichten auch noch ein ukrainisches Kommando die Gaspipelines in die Luft gesprengt."

Dies sei "eine offensichtliche Wahrheit", betonte Leye. "Die CDU setzt eine Aktuelle Stunde dazu an, hat aber selber keinen Plan." Dann zitierte er aus Veröffentlichungen diverser Ökonomen. Diese erklärten beispielsweise, dass Deutschland nur für die dringendsten staatlichen Investitionen bis zu 500 Milliarden Euro benötige, andere sprächen sogar von 1,4 Billionen Euro bis 2030.

Nur durch "andere Prioritäten" und letztlich noch mehr Sozialabbau, was etwa die CDU fordere, überwinde Deutschland die Rezession nicht, so Leye. Die Regierung müsse daher endlich "große Vermögen besteuern", Reiche zur Verantwortung ziehen und die Schuldenbremse aufheben, die vor allem die Ärmsten trifft. Da hat er wohl Recht: In die Zukunft muss man eben investieren, statt sie kaputtzusparen.

USA in Siegerpose

Ob die neoliberale Einheitsfront im Bundestag, die eher unerhebliche Differenzen zum Streit aufbläst, sich aber doch gemeinsam von "Atlantikbrücken-Gelehrten" beraten lässt, überhaupt begreift, was Cezanne und Leye meinen, wenn sie de facto vor einer Zerstörung des Binnenmarktes als Rezessionsmotor warnen?

So unbelehrbar, wie sie den Markt anbeten, darf das bezweifelt werden. Die USA, ganz Hüter sozialdarwinistischer Marktreligion im eigenen Land, können sich freuen: Ihr Sieg in ihrem offensichtlichen Wirtschaftskrieg gegen die EU ist ihnen schon jetzt so gut wie sicher. Doch wie bringt man derlei Einsichten nur Politikern wie Minister Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Merz bei?

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