Verrat in der Normandie: Heute vor 80 Jahren – wie der D-Day möglich wurde

Heute vor 80 Jahren wendete sich das Schicksal gegen Deutschland. D-Day! Die Landung der Westalliierten an der französischen Atlantikküste erwies sich als verheerend.

Doch wie war das möglich? Halfen deutsche Generäle? Zeitgeschichtler Georg Friedrich, Verfasser des nachfolgenden Textes, hat diese Fragen aufgearbeitet. Von 

Sein Buch „Verrat in der Normandie“ lässt den Leser fassungslos zurück. Hier mehr erfahren.

Als am 6. Juni 1944 die alliierte Invasion Frankreichs (Operation Overlord, populär auch D-Day genannt) begann, waren die deutschen Verteidiger, die von der Vorbereitung wussten und die Aktion längst erwartet hatten, plötzlich wie blind und taub. Ein Großteil wurde, wie es die Engländer ausdrückten „in den Unterhosen überrascht“.

Die nach lange vorbereiteten Alarmplänen zum Eingreifen bereitgestellten deutschen Reserven kamen völlig verspätet und chaotisch einzeln nacheinander zum Einsatz.

Die präzise Militärmaschine, die der US Army noch in Italien im Frühjahr 1944 erfolgreich Abwehrschlachten bei weit ungünstigerem Kräfteverhältnis geliefert hatte, kam völlig aus dem Takt und versagte.

Eisenhowers beste Waffe

Vor allem auf der Kommandoebene reihte sich Fehler an Fehler. Der alliierte Oberkommandierende in Europa, General Dwight D. Eisenhower, sagte im Rückblick: „Unsere beste Waffe war die deutsche Führung, die gegen alle Regeln der Kriegskunst handelte.“

Hat organisierter Verrat durch hohe deutsche Offiziere den Erfolg der Landung erst möglich gemacht? Die jahrzehntelang von der etablierten Historikerzunft hartnäckig vertretene These, dass den Deutschen vor dem 6. Juni 1944 nur wenige widersprüchliche Informationen zu Landungsgebiet und Angriffszeitpunkt vorlagen, ist jedenfalls nicht länger haltbar.

Geheimdienstliche Anstrengungen, technische Abhörmaßnahmen und tollkühne Aufklärungsflüge hatten das – außer der Atombombe – wohl größte Kriegsgeheimnis des Gegners geknackt. Aber was nützte das so schwer erworbene Wissen, wenn es nicht von den Verantwortlichen angewendet wurde?

Rommels Fehlen, Speidels Täuschung

Es war den kühlen Berechnungen von Verschwörern zu verdanken, dass trotz rechtzeitiger Vorwarnung über den Invasionsbeginn in der ersten Nachthälfte des 5. auf den 6. Juni die Verteidigung der Atlantikfront nicht alarmiert wurde.

Entscheidende Voraussetzung war das Fehlen des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe B, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, der in dieser entscheidenden Nacht durch seinen Stabschef Generalleutnant Dr. Hans Speidel vertreten wurde.

Er, dem auch der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, freie Hand ließ, unterließ die erforderlichen Alarmierungsmaßnahmen und täuschte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) erfolgreich. Dabei wurde er von einer Reihe gleichgesinnter Personen im Stab des Oberbefehlshaber West, beim OKW und bei der Luftwaffe unterstützt.

Nur wenige Kommandeure wie Generalleutnant Dietrich Kraiß, Befehlshaber der 352. Infanteriedivision, befanden sich in den entscheidenden ersten Stunden der Invasion in ihren Hauptquartieren.

Kraiß hatte, anders als bei allen anderen Einheiten, eine Alarmübung seiner Division angeordnet, sodass die Amerikaner im Strandabschnitt „Omaha“ auf eine voll abwehrbereite, alarmierte Truppe stießen – mit entsprechenden schrecklichen Resultaten für die Angreifer.

Generaloberst Friedrich Dollmann hatte dagegen wie zufällig eine für die Invasionsnacht geplante Alarmübung seiner 7. Armee absetzen lassen. Die feindlichen Streitkräfte wären sonst auf einem völlig abwehrbereiten Atlantikwall aufgerollt. Bis heute ist nicht klar, ob Dollmann auf Eigeninitiative oder auf höheren Befehl handelte. Sein Selbstmord am 28. Juni 1944 ließ alle Fragen offen.

 

Auf Vergnügungsreise…

Private Unternehmungen führender Generäle schwächten die Defensive zusätzlich. So unternahm Generalleutnant Edgar Feuchtinger, Kommandeur der 21. Panzerdivision, am 5. Juni zusammen mit seinem 1. Generalstabsoffizier eine Vergnügungsreise in die Nachtclubs von Paris.

Die Abwesenheit so vieler deutscher Befehlshaber am 5./6. Juni sollte verheerende Folgen für die deutschen Verteidiger haben. Am schlimmsten war aber, dass dadurch die Leitung der Invasionsabwehr in den Händen von Leuten wie General Speidel und anderer „Befehlsvertreter“ lag.

Sowohl Rommel als auch Hitler ordneten zwar am 9. Juni 1944 eine Untersuchung an, warum so viele Kommandeure am Invasionstag nicht in ihren Gefechtsständen gewesen waren. Man vermutete eine Aktion des englischen Geheimdienstes.

Der Druck der militärischen Ereignisse und Verzögerungsmaßnahmen der Betroffenen verhinderten jedoch die weitere Aufklärung. So teilte am Abend des 4. Juli 1944 Oberst i. G. Hans-Georg von Tempelhoff mit:

„Die Untersuchungskommission zur Klärung der Vorgänge vom 5./6. Juni 1944 kommt nicht mehr zum Zuge.“

Voller Selbstsicherheit spottete Speidel, dies sei Hitlers „große Unterhosen-Anfrage“… Das Befehlschaos auf deutscher Seite ist eine feststehende Tatsache. Dies war nicht der Fehler von Rommel, der jeden Tag von morgens bis abends unterwegs war, um vorgeschobene Gefechtsstände und Truppenführer zu besuchen, um persönlich nach dem Rechten zu sehen und Anweisungen zu geben.

Ein anderer Arbeitsgeist herrschte dagegen nach Beginn der Landung im Hauptquartier der Heeresgruppe B in La Roche-Guyon vor. Kaum, dass Rommel morgens an die Front gefahren war, begab sich der Stab der Heeresgruppe B in den Tischtennisraum.

General Hans Speidel und Admiral Friedrich Ruge spielten gegen den Oberst der Artillerie Lackmann und den Oberst der Luftwaffe Queisner oder gegen den Anfänger Pioniergeneral Maisel.

Ab und zu wurde Speidel ans Telefon gerufen, sonst hatte man mit den Kämpfen an der Invasionsfront nicht viel im Sinn.

Wir können es uns kaum vorstellen, aber der Tischtennisspieler war derselbe Mann, der später NATO-Oberbefehlshaber in Europa wurde.

Weitere Irrwitzigkeiten

Außer dem Verhindern einer rechtzeitigen Alarmierung gab es auch völlig unsinnige Befehle, die jeder Kriegführung hohnsprachen.

◼ So wurden zwei Tage vor Landungsbeginn 126 Jagdflugzeuge des JG 26 von der Küste nach hinten wegverlegt. Das andere Jagdgeschwader der Kanalfront, das JG 2, wurde ähnlich geschwächt.

◼ Am Abend des 5. Juni 1944 durften die mit den neuartigen Druckdosen-Seeminen voll beladenen Minenschiffe nicht zum geplanten Legen einer Blitzsperre in der Seinebucht auslaufen.

◼ Zehn Tage vor dem D-Day wurde über die Hälfte des Munitionsbestandes aller deutschen Küstenbatterien auf höheren Befehl abgeholt und in weit entfernte Depots im Hinterland gebracht.

◼ Kurz vor dem 6. Juni mussten auf Weisung von oben auch sämtliche Telemetrie-Geräte der verbunkerten Feuerleitstellen zu einer Inspektion nach Paris (!) überführt werden. Halb blind und ohne genügend Munition musste die Küstenartillerie des Atlantikwalls der Übermacht unterliegen.

◼ Zu den Absurditäten dieser Fehlleistungen gehörten auch die Vorgänge um die (Nicht-)Inmarschsetzung der Panzerdivisionen, die der Invasion sonst noch am Strand ein schnelles Ende bereiten hätte können. So kam es, dass die Infanteriedivisionen an der Küste binnen weniger Tage komplett zerschlagen wurden, ohne dass die bereitstehende Hilfe kommen konnte.

◼ Neben dem Heer wurden auch die Waffengattungen Marine und Luftwaffe Opfer dieser Täuschungsmaßnahmen. Selbst der Wetterdienst hatte seine Desinformanten! Hochverrat und Sabotage haben den Alliierten also geholfen, auf dem Festland zu landen und die zweite Front zu errichten.

Hitler hatte noch am 5. Mai bei Rommel und von Rundstedt Verstärkungen für die Normandie zulasten anderer Abschnitte der Kanalküste gefordert.

Er gab jedoch rätselhafterweise ihrem Widerspruch statt. So kam es, dass am Landungstag nur sieben Divisionen 300 Kilometer Landungsstrand an der Normandie verteidigten.

Rommels Fehleinschätzung

Tatsächlich war Rommel davon überzeugt, dass der Angriff in der Normandie bloß ein Nebenunternehmen darstellte. Rommels Biograf Kenneth Macksey wagte dazu 1979 die mutige Aussage, dass Rommel „zum Teil sogar von Falschmeldungen aus Kreisen der deutschen militärischen Opposition damals zur unrichtigen Schlussfolgerung veranlasst wurde“.

Speidels Stab zum Beispiel führte Rommel in die Irre, indem er immer wieder vor Landungen im Pas-de-Calais warnte. Selbst noch Wochen nach dem 6. Juni wurden Rommel und das OKW mit gefälschten Stärkeangaben über Feindkräfte an anderer Stelle gefüttert.

Alle diese Verrätereien weisen darauf hin, dass es in der Militärführung einflussreiche Personen gab, die mit einer baldigen Beendigung des Krieges im Westen unter Herbeiführung einer eigenen Niederlage sympathisierten.

Dies wird auch von sowjetischen Nachkriegsquellen bestätigt, ohne dass aber Namen genannt werden. Offensichtlich hofften Eisenhowers Helfer in der deutschen Generalität auf einen Separatfrieden im Westen, um gemeinsam mit Amerikanern und Briten den Krieg im Osten fortsetzen zu können.

Eine offensichtlich völlig irreale Kalkulation, wie sich schnell herausstellte.

Friedrich Georg ist Verfasser zahlreicher historischer Untersuchungen. Sein Buch „Verrat in der Normandie. Eisenhowers deutsche Helfer“ ist ein wahrer Augenöffner.

Quellen: PublicDomain/compact-online.de am 06.06.2024

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