Eine Fahnen-Aktion vor dem Denkmal Katharinas der Großen in Odessa sorgte letzte Woche für Aufsehen. Eine Frau hatte versucht, die russische Nationalflagge am Sockel des beseitigten Denkmals für die Stadtgründerin anzubringen. Mehrere Passanten hinderten sie daran und zeigten sie bei der Polizei an – sie wurde festgenommen. In einem später erschienenen Verhör-Video rief die Demonstrantin die ukrainischen Soldaten dazu auf, auf die russische Seite überzulaufen – RT DE berichtete. Später wurden Gerüchte gestreut, dass die Frau in Polizeigewahrsam gestorben sei.
Auch der ehemalige Rada-Abgeordnete und gut vernetzte Politkommentator Oleg Zarjow teilte diese Information auf seinem Telegram-Kanal, mit Verweis auf Quellen bei der Polizei von Odessa. Wie RT am Montag erfuhr, war die Nachricht über den Tod von Jelena Tschessakowa indes eine Falschmeldung. Die Mutter von Jelena sagte in einem Telefongespräch, dass sie gesund sei und aktuell unter Hausarrest stehe. "Sie darf bis zur Gerichtsverhandlung ihre Wohnung nicht verlassen", sagte sie.
Nadeschda, die 60-jährige Mutter der Demonstrantin, lebt derzeit in Tschechien und hält zu ihrer Tochter über die Enkelkinder Kontakt. Somit berichtet sie aus der ersten Hand. Sie erklärte, dass Jelena einige Tage in Untersuchungshaft verbracht habe. Anschließend sei sie mithilfe eines Anwalts für 60 Tage unter Hausarrest gestellt worden.
Der Interviewpartnerin zufolge riet der Anwalt Jelena, sich offiziell zu entschuldigen und zu sagen, dass sie ihre Meinung über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine geändert habe. Das würde das Strafmaß erheblich mildern. Aber sie habe dem Anwalt erklärt:
"Ich ändere meine Meinung nicht. So wie ich es gesagt habe, werde ich es auch weiterhin sagen."
Nadeschda gestand ein, dass auch sie versucht habe, Jelena zu einem Eingeständis zu überreden, sie habe dies jedoch abgelehnt. Sie sagte, sie möge zwar ins Gefängnis gehen, aber sie werde für ihre Meinung einstehen.
Die Mutter habe sich gewundert, woher Jelena die russische Flagge hatte:
"Und ihr Enkel sagte: 'Oma, weißt du das nicht? Mama wird alles finden, wenn sie es braucht."
Nadeschda fügte hinzu, dass Jelena in Russland geboren sei und dort ihre Kindheit verbracht habe. Die ganze Familie Tschessakow stamme aus den russischen Regionen Perm und Irkutsk: "Wir sind alle aus Russland, und das Schicksal hat uns in die Ukraine verschlagen. Meine Schwestern haben hier, in der Ukraine, geheiratet. Aber in unseren Herzen sind wir alle Russen."
Auch Jelena habe stets eine prorussische Haltung eingenommen und die blutigen Ereignisse vom 2. Mai 2014 in Odessa hätten ihre Ansichten nur gestärkt. "Sie sagt, dass sowieso kommen wird … Odessa ist immer eine russische Stadt gewesen. Sie hofft, dass sie kommen werden, und sagt: 'Dann wird fallengelassen.'" Jelena Tschessakowa drohen nach dem Artikel über die "Rechtfertigung einer bewaffneten Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine" bis zu drei Jahren Gefängnis.
Nadeschda sei auch überrascht gewesen, dass die Polizei von Odessa das Video von Jelena in den sozialen Medien trotz seines Agitationscharakters zugunsten Russlands veröffentlicht habe:
"Das scheint gegen die Ukraine zu sein. Es ist so, als hätte es gar nicht veröffentlicht werden dürfen, aber jemand hat es getan. Viele Menschen unterstützen in ihrem Herzen alles, was sie sagt, aber sie haben Angst, es zu sagen."
Am 8. Oktober haben mehrere Telegram-Kanäle einen Ausschnitt aus dem Verhör-Video veröffentlicht. Das Video hatten sie offenbar direkt von der Polizei erhalten. Darin sagte Jelena, dass sie dem Kiewer Regime das Massaker von Odessa und den Angriff auf den Donbass nicht verzeihen werde. Sie rief die Ukrainer dazu auf, auf die Seite Russlands zu wechseln. Der Konflikt sei ein Bruderzwist unter Slawen, der im Interesse des Westens geschürt werde.
"Ich unterstütze die Russische Welt, ich unterstütze Russland, ich unterstütze Wladimir Wladimirowitsch Putin und ich rufe alle normalen ukrainischen Menschen, Soldaten, dazu auf, auf die Seite Russlands zu wechseln", sagte Tschessakowa.
Die Festgenommene wurde während ihrer Rede kein einziges Mal unterbrochen. Auch konnte die Videoaufnahme ungehindert im ukrainischen Internet verbreitet werden.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Tat von Jelena Tschessakowa als "sehr mutig".
"Sie ist nicht in Gewahrsam, sondern steht unter Hausarrest, und das ist auch gut so. Die Tat ist in der Tat sehr mutig. Wir können ihr aber nicht helfen", sagte er auf eine Frage von Journalisten. Und er fügte hinzu, dass Moskau ihre Situation "im Blick" behalten werde.
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