Gewalthilfegesetz: Das plant die Ampel zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt

Mit dem Gewalthilfegesetz will Familienministerin Lisa Paus einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt schaffen. Erstmals würde es einheitliche Vorgaben für die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen geben – auch für digitale Gewalt. Wir veröffentlichen den Diskussionsentwurf.

Frau im grünen Blazer hinter einem Pult, von schräg unten fotografiert
Die Familienministerin Lisa Paus bei der Vorstellung des Bundeslagebildes zur Häuslichen Gewalt im Juni. – Alle Rechte vorbehalten Imago

Als die Familienministerin und Innenministerin vor zwei Wochen gemeinsam das „Lagebild häusliche Gewalt“ vorstellten, ging es nicht nur um die wieder gestiegene Zahlen von Misshandlungen und Femiziden in der Kriminalstatistik. Es ging auch um ein neues Gesetzesvorhaben der Ampel. „Wir brauchen dringend ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot“, sagte Lisa Paus (Grüne). „Dafür arbeiten wir an einem Gesetz zur Sicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt.“

Bereits vor einigen Wochen hat das Ministerium von Paus einen ersten Diskussionsentwurf zu diesem Gewalthilfegesetz herumgeschickt (wir veröffentlichen ihn hier im Volltext). Er ging an die Städte und Kommunen, die für das System verantwortlich sind, und an verschiedene Dachverbände. Der Entwurf ist eine Vorstufe für die weitere Arbeit am Gesetz, das noch in dieser Legislaturperiode kommen soll.

Die Ampel will damit einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung schaffen für Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt. Das sind ganz überwiegend Frauen in allen möglichen Lebenslagen, die etwa vor gewalttätigen Partnern ins Frauenhaus flüchten müssen. Es geht aber auch um trans*, inter* und nicht-binäre Personen. Und es geht um Geld.

Keine einheitliche Finanzierung

„Endlich, endlich endlich“, kommentiert die Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung Sibylle Schreiber die Ankündigung. „Es ist jetzt schon mehrere Jahre her, dass sie das im Koalitionsvertrag versprochen haben. Frauenhäuser warten seit Jahren darauf, dass sich der Bund endlich mehr beteiligt.“ Auch die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) fordert, die Bundesregierung müsse dringend ihre Ankündigung umsetzen. Derzeit müssten viele betroffene Frauen und Kinder zu lange auf Unterstützung und Schutz warten, weil es entweder keine Plätze gibt oder sie den Aufenthalt nicht bezahlen können.

„Außerordentlich wichtig und dringlich“ sei das Gesetz, sagt der Bundesverband Frauennotrufe und -beratungsstellen (bff). Es stehe nicht nur im Koalitionsvertrag, auch die Istanbul Konvention sieht vor, dass Beratung und Schutz flächendeckend, niedrigschwellig und kostenfrei zur Verfügung stehen muss. Die Konvention ist ein völkerrechtliches Übereinkommen, das Deutschland 2018 unterschrieben hat. Bis ihre Vorhaben allerdings erfüllt seien, bleibe noch viel zu tun.

Bislang gibt es keine bundesweit einheitliche Vorgabe für die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen in Deutschland. Das System basiert auf freiwilligen Leistungen der Länder und Kommunen. Wie viel Geld fließt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Mit dem angekündigten Gesetz könnte endlich mehr Geld in das System kommen. Gleichzeitig sollen die Länder verpflichtet werden, den Bedarf zu prüfen und eine angemessene Versorgung sicherzustellen.

Das Gesetz sieht zudem vor, dass Maßnahmen zur Vorbeugung von Gewalt getroffen werden, etwa durch Arbeit mit Täter:innen oder bessere Öffentlichkeitsarbeit. Die soll dabei helfen, dass Betroffene schneller Zugang zum System finden, trotz Sprachbarrieren oder unsicherem Aufenthaltsstatus.

Schutz und Beratung für digitale Gewalt

Der Entwurf würde sich auf die Beratungsstrukturen für sogenannte Digitale Gewalt auswirken. Unter dem Begriff werden Bedrohungen im Netz, aber auch Phänomene wie Stalking und Überwachung mit Hilfe von Bluetooth-Trackern oder über das Smartphone gefasst.

Der Diskussionsentwurf erwähnt digitale Gewalt explizit in der Begründung, als eine der vielen Ausprägungen von geschlechtsspezifischer Gewalt. Für diese Phänomene würde dann ein Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz gelten. Es gehe um die Bewältigung der Situation im Einzelfall, wie der Entwurf ausführt: „Hierzu gehört die Abschätzung der Gefährdungslage, Klärung der Handlungsoptionen zur Verbesserung der Sicherheit; das Erstellen eines individuellen Schutzplans bzw. Beratungskonzeptes sowie die Krisenintervention (dient der kurzfristigen Beendigung von Gewalt und Abwendung akuter psychischer Belastungen).“

Weiter heißt es: „Der Anspruch zielt auf Beratung und Unterstützung bei der Entwicklung einer gewaltfreien Lebensperspektive.“ Dazu könnten neben Beratung zu Existenzsicherung, Wohnungs- oder Arbeitssuche auch Fragen zu „Informations- oder Kommunikationstechnologien“ gehören.

Fachleute aus den Beratungsstellen betonen seit Jahren, dass sich die Gewaltformen inzwischen kaum trennen lassen. In den meisten Fällen von Stalking und Partnerschaftsgewalt würden Geräte oder Online-Konten überwacht. Auch in den Frauenhäusern spielt das Tracking zunehmend eine Rolle, weil etwa gewalttätige Partner über versteckte Tracker oder überwachte Geräte den Standort der Einrichtungen orten können. Frauen und Kinder müssen dann immer wieder umziehen.

Der bff kritisiert, dieser Mehraufwand sei „kein bisschen“ in den Ressourcen abgebildet, die den Beratungsstellen zur Verfügung stehen. Daher ist ein Gewalthilfegesetz, das für bessere personelle Ausstattung sorgt und den Beratungsstellen Kapazitäten verschafft, sich weiterzubilden, Präventionsarbeit zu machen und andere Fachkräfte zu schulen, dringend nötig. „Das hilft gegen alle, auch die digitalen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt.“

Einzelne Beratungsstellen haben sich auf solche Themen spezialisiert und beschäftigen Berater:innen, die technisch unterstützen können. Sie sind aber nicht für alle Betroffenen erreichbar und auch hier warten sie oft lange auf Termine.

Rechtsanspruch ab 2030

Eine Kernforderung der Frauenhäuser und Beratungsstellen ist die einzelfallunabhängige Finanzierung. Derzeit müssen etwa Frauenhäuser und Beratungsstellen einzeln abrechnen, wem sie Schutz gewähren. Wer keine Sozialleistungen bezieht, muss den Aufenthalt im Zweifel selbst bezahlen, das betrifft Student:innen, Rentner:innen oder Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Weil namentlich abgerechnet werden muss, sei zudem keine anonyme Beratung möglich, kritisiert der bff. Arbeit zur Prävention, Vernetzung oder Öffentlichkeitsarbeit könne man so auch nicht finanzieren.

Das Gewalthilfegesetz soll das ändern. „Mit der Pflicht zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Schutz- und Beratungsangebote geht die Verpflichtung einher, eine entsprechende Infrastruktur zu organisieren und verlässlich zu finanzieren“, heißt es im Entwurf. Die Finanzierung soll durch die Länder einzelfallunabhängig erfolgen. Die Passage macht indes klar, vor welchen Problemen der Bund steht. Denn die konkrete Umsetzung bleibt weiterhin Sache der Länder. Der Bund kann ihnen keine Vorgaben machen, was sie mit den zusätzlichen Mitteln machen.

Der Zeitrahmen ist ebenfalls großzügig gehalten. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen die Länder erst ihre Bedarfsanalysen und Pläne für den Ausbau des Systems vorlegen. Erst danach soll der Rechtsanspruch in Kraft treten. Das wäre dann 2030 – falls das Gesetz tatsächlich wie geplant im kommenden Jahr verabschiedet wird.

Städtetag: „Erwartungen können nicht erfüllt werden“

Der deutsche Städtetag hat sich bereits skeptisch geäußert. Ein individueller Rechtsanspruch würde bei Betroffenen falsche Erwartungen wecken, hieß es Anfang Juni. Nach Einschätzung der Städte sei das nicht umsetzbar. Das Präsidium plädiert dafür, „dass dem Schutzinteresse von Betroffenen durch eine einzelfallunabhängige, institutionelle Förderung von Frauenhäusern und Beratungsstellen Rechnung getragen wird.“ Dies soll aber nur für Frauen gelten. „Eine Ausweitung auf alle gewaltbetroffenen Personen ist mit den vorhandenen Angeboten nicht umsetzbar.“

Dass es in Deutschland zu wenige Frauenhausplätze gibt, ist lange bekannt. Aktuell gibt es rund 7000 Plätze in etwa 400 Frauenhäusern, damit verfehlt Deutschland die Empfehlungen der Istanbul-Konvention dramatisch deutlich. Laut der Konvention müssten 21.000 Plätze bereit stehen, das sind drei Mal so viele wie es derzeit gibt.

Vor allem für trans*, inter und nicht-binäre Personen fehlten derzeit Plätze in Schutzeinrichtungen, schreibt die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF). Auch der Deutsche Juristinnenbund (djb) kritisiert, dass besonders Personen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, häufig keinen Zugang zu Schutz und Beratung bekommen.


Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Entwurf eines Gesetzes für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Gesetz zur Sicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung bei

geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt

(Gewalthilfegesetz – GewHG)

§ 1

Bedarfsgerechtes Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt

(1) Ziel des Gesetzes ist, ein bedarfsgerechtes Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt zu schaffen. Aufgaben eines bedarfsgerechten Hilfesystems sind, vor geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt zu schützen, zu intervenieren, Folgen zu mildern sowie präventiv tätig zu werden, um entsprechenden Gewalthandlungen vorzubeugen oder diese zu verhindern.

(2) Zur Aufgabenerfüllung sollen insbesondere folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Bereitstellung von ausreichenden und bedarfsgerechten Schutz-, Beratungs- sowie Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Personen,

2. Bereitstellung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Personen aus dem sozialen Umfeld der gewaltbetroffenen Person,

3. Maßnahmen zur Prävention, einschließlich Täterarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, und

4. Unterstützung der strukturierten Vernetzungsarbeit innerhalb des spezifischen Hilfesystems bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie des spezifischen Hilfesystems mit anderen Hilfsdiensten, insbesondere dem Gesundheitswesen, den öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei und Ordnungsbehörden, der Justiz sowie mit Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftlichen Strukturen und mit sonstigen relevanten Einrichtungen oder Berufsträgern.

§ 2

Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen

(1) Geschlechtsspezifische Gewalt im Sinne dieses Gesetzes meint geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und damit Gewalthandlungen durch eine oder mehrere Personen, die sich gegen eine Frau richten, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betreffen und die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden führen oder führen können. Geschlechtsspezifische Gewalt im Sinne dieses Gesetzes umfasst über Satz 1 hinaus alle Gewalthandlungen durch eine oder mehrere Personen, die sich gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechtes oder ihrer Geschlechtsidentität richten und zu Schäden oder Leiden nach Satz 1 führen oder führen können.

(2) Häusliche Gewalt im Sinne dieses Gesetzes bezeichnet körperliche, sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalthandlungen gegen eine Person durch eine oder mehrere Personen des familiären Umfelds, innerhalb bestehender oder beendeter Ehen, bestehender oder beendeter eingetragener Lebenspartnerschaften, bestehender oder beendeter Partnerschaften oder durch sonstige Personen innerhalb des Haushalts. Ein gemeinsamer Wohnsitz oder eine gemeinschaftliche Haushaltsführung sind nicht erforderlich.

(3) Die Begriffsbestimmungen zu geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt nach den Absätzen 1 und 2 umfassen Gewalt gegen Kinder. Als Kind nach diesem Gesetz gilt, wer noch nicht 18 Jahre alt ist.

(4) Von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt ist betroffen, wer geschlechtsspezifische oder häusliche Gewalt erlitten hat, erleidet oder hiervon bedroht ist. Bei Kindern gilt darüber hinaus das Miterleben von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt gegenüber nahestehenden Dritten als eigene Gewaltbetroffenheit.

§ 3

Anspruch auf Schutz und Beratung

(1) Personen, die von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt im Sinne des Gesetzes betroffen sind, haben Anspruch auf Schutz und auf fachliche Beratung.

(2) Der Anspruch auf Schutz richtet sich auf die Gewährleistung von Sicherheit der gewaltbetroffenen Person. Er umfasst insbesondere die Gewährung sicherer und geeigneter Unterkunft sowie Schutz in Eilfällen durch sofortige Hilfestellung.

(3) Der Anspruch auf fachliche Beratung umfasst Beratung und Unterstützung der gewaltbetroffenen Person insbesondere zur

1. kurz- oder langfristigen Bewältigung der Gewaltsituation,

2. Überwindung und Verarbeitung der Gewalterfahrung,

3. Unterstützung bei der Entwicklung einer gewaltfreien Lebensperspektive sowie

4. Unterstützung bei der Geltendmachung von Rechten als Betroffene von Gewalt.

(4) Die Ansprüche der gewaltbetroffenen Person nach Absatz 2 und 3 umfassen Schutz und fachliche Beratung der Kinder, die sich in Obhut der gewaltbetroffenen Person befinden.

§ 4

Inanspruchnahme

(1) Schutz-, Beratungs- oder Unterstützungsleistungen zur Gewährleistung der Ansprüche gemäß § 3 werden durch Einrichtungen nach § 6 erbracht. Die Einrichtungen sind gehalten, bei Bedarf zur Leistungserbringung zusammenzuwirken.

(2) Gewaltbetroffene Personen können sich unabhängig von ihrem Wohnort an jede Einrichtung nach diesem Gesetz zur Inanspruchnahme von Schutz- oder Beratungsangeboten nach individueller Bedarfslage wenden. Personen mit besonderen Herausforderungen, wie insbesondere Behinderungen, Beeinträchtigungen oder Sprachbarrieren sollen durch die Einrichtungen angemessen unterstützt werden. Kann die erstkontaktierte Einrichtung keine der Bedarfslage entsprechenden Schutz-, Beratungs- oder Unterstützungsleistungen anbieten, so unterstützt sie die gewaltbetroffene Person bei der Kontaktaufnahme zu anderen Einrichtungen nach diesem Gesetz. Soweit die Aufnahme der gewaltbetroffenen Person in eine Schutzeinrichtung durch die erstkontaktierte Einrichtung als erforderlich erachtet wird, aber nicht gewährleistet werden kann, ist die nach Landesrecht zuständige Stelle am gewöhnlichen Aufenthaltsort der gewaltbetroffenen Person hinzuzuziehen. Das berechtigte Anliegen der betroffenen Person nach Anonymität ist hierbei zu berücksichtigen. Befinden sich Kinder in Obhut der gewaltbetroffenen Person, die Ansprüche geltend macht oder wendet sich ein Kind als gewaltbetroffene Person selbstständig an Einrichtungen nach diesem Gesetz, sollen die Einrichtungen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe informieren und soweit erforderlich Träger der freien Jugendhilfe einbinden. Soweit Schutzleistungen betroffen sind, ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe stets hinzuzuziehen.

(3) Für Schutz-, Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach § 3 sind keine Kostenbeiträge der gewaltbetroffenen Person zu erheben. Die Inanspruchnahme darf nicht von Kostenübernahmeerklärungen abhängig gemacht werden. Eine nachträgliche Heranziehung der gewaltbetroffenen Person zur Kostenerstattung ist ausgeschlossen.

(4) Die Ansprüche nach § 3 gelten als erfüllt, wenn ein im Einzelfall geeignetes sowie angesichts der Schutz-, Beratungs- und Unterstützungsziele angemessenes Schutz- oder Beratungsangebot durch eine Einrichtung nach diesem Gesetz oder durch die am gewöhnlichen Aufenthaltsort der gewaltbetroffenen Person zuständige Stelle unterbreitet wurde. Die tatsächliche Inanspruchnahme ist nicht erforderlich. Es besteht kein Anspruch auf Schutz oder Beratung in einer bestimmten Einrichtung.

(5) Näheres kann durch Landesrecht geregelt werden.

§ 5

Sicherstellung von Schutz- und Beratungsangeboten

(1) Die Länder stellen ein ausreichendes, niedrigschwelliges, fachliches sowie bedarfsgerechtes Angebotsnetz von Schutz- und Beratungsangeboten nach § 3 in angemessener geografischer Verteilung sicher. Schutz und Beratungsangebote sollen unabhängig von der gesundheitlichen Verfasstheit, vom Wohnort, vom aufenthaltsrechtlichen Status oder Sprachkenntnissen zeitnah bereitstehen. Das Angebotsnetz ist an den Bedarfen der gewaltbetroffenen Personen auszurichten, hierbei sind insbesondere Behinderungen und Beeinträchtigungen im Sinne des § 2 Absatz 1 Sätze 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, Migrations- und Fluchtbiographien, Geschlecht und Geschlechtsidentität, die sexuelle Orientierung sowie die besonderen Bedarfe von Kindern zu berücksichtigen.

(2) Die Länder stellen Informationen zu Schutz- und Beratungsangeboten bereit und unterstützen Betroffene geeignete Angebote zu finden, soweit dies erforderlich ist. Die Länder stellen die landesweite und länderübergreifende Aufnahme in Schutzeinrichtungen sicher. Zur länderübergreifenden Aufnahme in Schutzeinrichtungen sind die Länder gehalten, soweit erforderlich, Vereinbarungen zu schließen.

(3) Einrichtungen, die zur Sicherstellung des Angebotsnetzes nach Absatz 1 und nach der Entwicklungsplanung im Sinne des § 8 erforderlich sind, haben Anspruch auf eine angemessene öffentliche Förderung.

(4) Näheres kann durch Landesrecht geregelt werden.

§ 6

Vorgaben für Einrichtungen

(1) Einrichtungen nach diesem Gesetz sind Schutzeinrichtungen sowie Fachberatungsstellen, die den Vorgaben nach Satz 2 genügen. Die Einrichtungen

1. werden durch einen nach § 7 anerkannten Träger betrieben oder sind einem solchen angeschlossen. Sie verfügen über eine angemessene Personalausstattung, die der Ausrichtung der Einrichtung Rechnung trägt. Das Personal ist hinreichend fachlich qualifiziert und in der Regel hauptamtlich tätig. § 72 a Achtes Buch Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.

2. arbeiten auf der Grundlage eines fachlichen Konzepts, das insbesondere die Ausrichtung der Einrichtung sowie deren fachliche Arbeitsweise darstellt. Das Konzept enthält Maßgaben zur Qualitätssicherung sowie zur Qualitätskontrolle der fachlichen Arbeit in den Einrichtungen. Die Konzepte von Schutzeinrichtungen umfassen stets die Sicherung des Kinderschutzes.

3. verfügen über räumliche Gegebenheiten, die die fachgerechte Leistungserbringung ermöglichen. Die räumliche Ausstattung berücksichtigt das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der gewaltbetroffenen Personen, einschließlich mitbetroffener Kinder und des Personals der Einrichtung. Die räumliche Ausstattung wahrt die Privatsphäre der gewaltbetroffenen Personen und unterstützt barrierefreie Angebote.

4. stellen eine einfache Kontaktaufnahme sicher. Schutzeinrichtungen gewährleisten an jedem Wochentag eine 24-stündige Rufbereitschaft und grundsätzlich entsprechende Aufnahmebereitschaft.

5. kooperieren mit anderen Einrichtungen nach diesem Gesetz, mit allgemeinen Hilfsdiensten und Institutionen sowie den nach Landesrecht zuständigen Stellen und Behörden.

(2) Die Vorgaben werden durch Landesrecht näher ausgestaltet. Zu den Vorgaben in Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 können landesrechtliche Ausnahmen zugelassen werden, soweit im Land Erstanlaufstellen bei akuter Gefährdung durchgehend verfügbar sind oder ein Bereitschaftsplan für den 24-stündigen Zugang zu Schutz im Land besteht. Einrichtungen müssen die Einhaltung der Vorgaben spätestens bis zum gewährleisten.

§ 7

Trägeranerkennung

(1) Einrichtungen nach diesem Gesetz dürfen ausschließlich von anerkannten Trägern betrieben werden oder müssen sich einem anerkannten Träger anschließen. Einrichtungen in der Trägerschaft von Gebietskörperschaften gelten als anerkannte Träger im Sinne dieses Gesetzes.

(2) Die Trägeranerkennung erfolgt durch das Land, in welchem der Träger seinen Sitz hat. Die Anerkennung gilt unbefristet und bundesweit. Sie kann nach den allgemeinen Regelungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch zurückgenommen oder widerrufen werden.

(3) Eine juristische Person oder Personenvereinigung kann als Träger anerkannt werden, wenn

1. sie auf dem Gebiet des Gewaltschutzes tätig ist,

2. sie die Gewähr dafür bietet, dass die durch sie betriebenen oder ihr angeschlossenen Einrichtungen nach diesem Gesetz die gesetzlichen Vorgaben einhalten,

3. sie gemeinnützige Ziele verfolgt,

4. ihre Tätigkeit auf Dauer angelegt ist und

5. sie über hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendem Personal verfügt.

Von Satz 1 Nummer 3 können landesrechtliche Ausnahmen zugelassen werden, wenn gemeinnützige Träger nicht zur Verfügung stehen.

(4) Der Mitgliedschaft einer Einrichtung bei einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege oder der Förderung des Trägers durch einen anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege sollen im Anerkennungsverfahren Rechnung getragen werden. Die Mitgliedschaft einer Einrichtung in einem Fachverband ist angemessen zu berücksichtigen.

(5) Das Verfahren zur Anerkennung sowie die für die Anerkennung zuständige Behörde werden durch Landesrecht bestimmt. Trägervielfalt ist zu gewährleisten. Entsprechende Regelungen sind in den Ländern bis spätestens zu erlassen.

(6) Träger, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen betrieben haben oder an die Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen angeschlossen waren, gelten bis zu Jahre nach in Kraft treten dieses Gesetzes als anerkannt im Sinne des Gesetzes. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

§ 8

Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung

(1) Die Länder ermitteln den Bestand von Schutz- und Beratungskapazitäten einschließlich deren Versorgungsdichte. Sie führen eine Analyse zur Bestimmung der erforderlichen Schutz- und Beratungskapazitäten durch und planen darauf aufbauend die notwendige Entwicklung der Schutz- und Beratungsangebote sowie weiterer Maßnahmen zur Aufgabenerfüllung nach § 1 Absatz 2. Die Länder beziehen die regionale Ebene, die anerkannten Träger nach § 7, Fachverbände und bestehende Landesarbeitsgemeinschaften in den Prozess auf geeignete Weise ein.

(2) Die Analyse zur Bestimmung der erforderlichen Schutz- und Beratungskapazitäten richtet sich nach dem tatsächlichen Bedarf an bedarfsgerechten und niedrigschwelligen Schutz- und Beratungsangeboten in ausreichender Zahl und angemessener geografischer Verteilung und unter Berücksichtigung der regionalen Strukturen. In Schutzeinrichtungen ist die Vorhaltenotwendigkeit von Angeboten angemessen zu berücksichtigen. In die Analyse ist die bedarfsgerechte Weiterentwicklung von Angeboten proaktiver Beratung und Intervention sowie von Angeboten der Täterarbeit und Maßnahmen zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sowie die Erfordernisse der strukturierten landesweiten und regionalen Vernetzung nach § 1 Absatz 2 einzubeziehen.

(3) Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung erfolgen alle fünf Jahre zu einem durch das Land festzulegenden Stichtag, erstmalig vor dem Jahr . Die Länder legen jeweils dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum einen Bericht vor, der Angaben zur Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung sowie deren Umsetzungsstand enthält.

(4) Die Ausgestaltung des Verfahrens im Einzelnen wird durch Landesrecht geregelt.

§ 9

Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

(1) Die Regelungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch bleiben unberührt. Es gilt § 10 Absatz 7 des Achten Buches. § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch gilt nicht für Schutzeinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes.

(2) Leistungen nach diesem Gesetz gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vor. Dies gilt ebenso für Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch sowie für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Leistungen aus den in Satz 1 und 2 genannten Gesetzen, die nicht unmittelbar der Erfüllung des Anspruchs aus § 3 Absatz 1 dienen, bleiben unberührt.

(3) Die Ansprüche nach § 3 dieses Gesetzes gehen Verpflichtungen aus § 5b des Asylbewerberleistungsgesetzes vor.

(4) Die Ansprüche dieses Gesetzes berühren die Ansprüche aus dem Vierzehnten Buch Sozialgesetzbuch nicht.

(5) Maßnahmen nach § 37a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch bleiben unberührt.

§ 10

Statistik

§ 11

Evaluierung

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend evaluiert die Auswirkungen dieses Gesetzes auf wissenschaftlicher Grundlage unter Einbeziehung der Anwendungspraxis acht Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes.

§ 12

Eröffnung des Sozialrechtswegs

Für Streitigkeiten nach diesem Gesetz sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.

§ 13

Sachliche und örtliche Zuständigkeit

Die Länder bestimmen die sachliche und örtliche Zuständigkeit, soweit nicht durch dieses Gesetz geregelt.

Artikel 2

Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 412) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

„§ 36a wird aufgehoben.“

Artikel 3

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Dem § 10 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2824; 2023 I Nr. 19) geändert worden ist, wird folgender Absatz 7 angefügt:

(7) „ Die Leistungen nach diesem Buch gehen den Leistungen aus dem vor.“

Artikel 4

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 390) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 5

Änderung des Asylgesetzes

Das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 382) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 6

Änderung des Finanzausgleichsgesetzes

§ 1 des Finanzausgleichsgesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3955, 3956), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. November 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 310) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 7

Inkrafttreten

(1) Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich des Absatzes 2 am in Kraft.

(2) Artikel 1 tritt am in Kraft.

Begründung

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Gesetz zur Sicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt)

Zu § 1 (Bedarfsgerechtes Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt)

Das Gesetz verfolgt einen gesamtheitlichen und intersektionalen Ansatz. Es berücksichtigt die gesellschaftlich-strukturelle Dimension der genannten Gewaltformen und die besondere Betroffenheit von Frauen.

Absatz 1 beschreibt das Ziel des Gesetzes sowie die Aufgaben eines bedarfsgerechten Hilfesystems bei geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt, nämlich Schutz vor Gewalt, Intervention bei Gewalt, Milderung der Folgen von Gewalt sowie Prävention von Gewalt.

Absatz 2 beschreibt die Maßnahmen, die zur Aufgabenerfüllung als besonders zielführend erachtet werden.

Nummer 1 bezieht sich auf Angebote für gewaltbetroffene Personen einschließlich der sich in ihrer Obhut befindlichen Kinder. Es gilt Schutz sowie Beratung und Unterstützung, der sich an den zum Teil unterschiedlichen Bedarfen gewaltbetroffener Personen ausrichtet, zu gewährleisten.

Nummer 2 bezieht sich auf Angebote für das Umfeld der gewaltbetroffenen Person. Hierunter ist zum Beispiel die Beratung von Angehörigen, befreundeten Personen oder Lehrkräften zu verstehen.

Nummer 3 benennt Maßnahmen zur Prävention. Der Begriff der Prävention ist weit zu verstehen. Er umfasst zum Beispiel die Sensibilisierung an Schulen und Fortbildungen von Fachkräften aus unterschiedlichen Berufsgruppen zum Thema geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt, aber auch die Arbeit mit Gewaltausübenden und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema sowie zu den Angeboten im Hilfesystem.

Nummer 4 benennt die strukturierte Vernetzungsarbeit insbesondere zur Koordinierung der fachlichen Zusammenarbeit und zur politischen Facharbeit und Interessensvertretung. Die Bekämpfung und Verhinderung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sowie die Unterstützung gewaltbetroffener Personen erfordert den Einbezug aller Hilfsdienste sowie gesellschaftlichen Institutionen und Ebenen. Hierzu zählen insbesondere Gesundheitswesen, Polizei und Ordnungsbehörden, Träger der Jugendhilfe, Justiz, Schulen, Kindertagesstätten, Jobcenter, Fachverbände, Vereine, Migrantinnenselbstorganisationen, Wohnungsbaugesellschaften, Einrichtungen, die zur Gewaltprävention arbeiten, aber auch bestimmte Berufsträger zum Beispiel Anwaltschaft oder Ärztinnen und Ärzte.

Zu § 2 (Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen)

Absatz 1

Die Begriffsbestimmung von geschlechtsspezifischer Gewalt nach Absatz 1 fokussiert sich in Satz 1 auf Gewalt gegen Frauen und orientiert sich damit an den Begriffsbestimmungen der Istanbul-Konvention, die geschlechtsspezifische Gewalt vornehmlich als Gewalt gegen Frauen begreift. Die Struktur des Absatzes 1 verdeutlicht durch den zweiteiligen Aufbau die besondere Betroffenheit von Frauen. Der erläuternde Bericht zur Istanbul-Konvention beschreibt Gewalt gegen Frauen als tief in den Strukturen, Normen und sozialen sowie kulturellen Werten verwurzelt, welche die Gesellschaft prägen, und häufig von einer Kultur des Leugnens und des Schweigens aufrecht gehalten werden, (s. Erläuternder Bericht zur IK, Ziffer 44). Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen bezeichnet eine Form von Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist. Eine kausale Verknüpfung mit dem „Frausein“ des Opfers und eine damit einhergehende Abwertung als Motiv der Gewalthandlung sind Merkmale der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen. Dies ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, sondern zeigt sich zu Teilen erst bei Anerkennung und Berück- sichtigung des strukturellen Charakters von Gewalt gegen Frauen. Bei Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt stets ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Gewalthandlung sowie ein durch Abwertung geleitetes Motiv vor. Der besonderen Betroffenheit von Frauen wird durch die Begriffsbestimmung nach Satz 1 zudem Rechnung getragen, indem Gewaltausprägungen, die Frauen unverhältnismäßig stark betreffen, im Sinne der Istanbul-Konvention als geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen angesehen werden. Die Begriffsbestimmung sieht vor, dass die Frau durch die Handlungen körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schaden oder Leiden erfährt oder erfahren kann. Der Begriff Frau umfasst auch trans und intergeschlechtliche Frauen.

Satz 2 verdeutlicht, dass geschlechtsspezifische Gewalt sich nicht alleinig gegen Frauen wendet, sondern immer dann vorliegt, wenn sich eine Gewalthandlung gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechtes oder ihrer Geschlechtsidentität richtet. Aufgrund des Geschlechtes oder der Geschlechtsidentität meint dabei, dass ein Zusammenhang zwischen Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität des Opfers und der Gewalthandlung besteht und, dass den Handlungen der gewaltausübenden Person ein von Vorurteilen oder Abwertung geleitetes Motiv gegenüber dem Geschlecht oder der Geschlechtsidentität des Opfers zugrunde liegt. Hierunter fallen ebenfalls Gewalthandlungen, die sich gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechtsausdrucks richten, wenn zum Beispiel eine Person männlichen Geschlechts in der Wahrnehmung des Täters „zu weiblich“ oder „nicht männlich genug“ erscheint oder bei nicht-binären Menschen nicht „ausreichend“ dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen sind. Ebenso umfasst sind Gewalthandlungen, die aufgrund der (vermeintlichen) sexuellen Orientierung des Opfers erfolgen. Bei Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt stets ein Zusammenhang zwischen Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität des Opfers und der Gewalthandlung sowie ein durch Abwertung geleitetes Motiv vor. Die Begriffsbestimmung sieht vor, dass das Opfer durch die Handlungen körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schaden oder Leiden erfährt oder erfahren kann.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist in ungleichen strukturellen Machtverhältnissen begründet und hat vielfältige Ausprägungen: hierunter fallen unter anderem Stalking, körperliche Übergriffe aufgrund des Geschlechts, körperliche und verbale sexuelle Belästigung im privaten und öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz, sexualisierte Gewalt, sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Hassrede, „Gewalttaten im Namen der Ehre“ sowie digitale Gewalt in unterschiedlichen Ausprägungen. Digitale Gewalt umfasst als Oberbegriff solche Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt, die sich technischer Hilfsmittelund digitaler Medien (Handy, Apps, Internetanwendungen, Mails etc.) bedienen oder geschlechtsspezifische Gewalt, die im digitalen Raum, z.B. auf Online-Portalen oder sozialen Plattformen stattfindet.

Ebenso sind Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, Zwangsprostitution und sonstige Formen der sexuellen Ausbeutung (vgl. Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels v. 16.05.2005) sowie LSBTI* feindliche Gewaltformen geschlechtsspezifische Gewalt. Auch Handlungen, die als solche nicht strafbar sind, können unter den Begriff der geschlechtsspezifischen Gewalt fallen.

Absatz 2

Die Begriffsbestimmung nach Absatz 2 formuliert ein weitgefasstes Verständnis von häuslicher Gewalt und folgt damit Artikel 2 und Artikel 3 Buchstabe b der Istanbul-Konvention.

Die personenoffene Definition von häuslicher Gewalt stellt die besondere Betroffenheit von Frauen durch häusliche Gewalt nicht in Abrede, (s. Lagebild häusliche Gewalt); sie ist bei Anwendung und Ausführung des Gesetzes stets zuvorderst mitzudenken und zu berücksichtigen.

Häusliche Gewalt umfasst Gewalthandlungen in bestehenden oder beendeten Ehen, in bestehenden oder beendeten eingetragenen Lebenspartnerschaften, in bestehenden ode beendeten Partnerschaften sowie im familiären Umfeld. Umfasst ist damit auch generati onsübergreifende innerfamiliäre Gewalt. Es werden darüber hinaus Gewalthandlunge durch sonstige Personen des Haushaltes, unabhängig von biologischen oder rechtlich anerkannten familiären Bindungen umfasst. Ein formaler gemeinsamer Wohnsitz oder eine gemeinschaftliche Haushaltsführung sind für die Einordnung als häusliche Gewalt nicht erforderlich. Es genügt das zumindest zeitweise gemeinsame häusliche Leben. Häusliche Gewalt kann daher durch Mitbewohner oder Mitbewohnerinnen in einer Wohngemeinschaftsowie durch andere Bewohnerinnen oder Bewohner in Einrichtungen, z.B. der Behindertenhilfe oder Pflege oder im Rahmen häuslicher Pflege durch im Haushalt wohnende Hilfspersonen erfolgen. Die als häusliche Gewalt einzuordnende Gewalthandlung ist nicht ortsgebunden, sie kann außerhalb des eigenen Zuhauses erfolgen.

Nicht in die Begriffsbestimmung von häuslicher Gewalt einbezogen, werden zum Beispiel Gewalthandlungen innerhalb von Freundschaften, der Arbeitsstätte, der Schule oder im Vereinsleben. Diese Gewalthandlungen können jedoch – wie zum Beispiel Stalking am Arbeitsplatz oder sexuelle Übergriffe durch Personal in Einrichtungen unter den Begriff der geschlechtsspezifischen Gewalt nach Absatz 1 fallen.

Gewalt im häuslichen Kontext hat viele unterschiedliche Ausprägungen: Sie umfasst körperliche Gewalthandlungen, insbesondere die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit sowie der körperlichen Selbstbestimmung einschließlich des Freiheitsentzugs und der Tötung.

Häusliche Gewalt umfasst sexuelle Gewalt. Diese richtet sich regelmäßig gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Umfasst sind jegliche sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigungen und darüber hinaus jegliche Ausprägungen sexualisierter Gewalt.

Häusliche Gewalt kann in Form psychischer Gewalt erfolgen. Hierunter sind insbesondere Handlungen mit dem Ziel der Unterwerfung, Abwertung, Einschüchterung, Kontrolle oder Manipulation einer Person zu verstehen, wie zum Beispiel Beschimpfungen, Drohungen, Isolierung der betroffenen Person oder das Erschaffen einer angstbehafteten Situation. Die Resolution des Europarates zu Psychischer Gewalt, Res. 1852 (2011) erkennt psychische Gewalt als eigene Gewaltform an und unterstreicht die weite Verbreitung psychischer Gewalt im häuslichen Kontext. Die Resolution betont, dass psychische Gewalt häufig eine Vorstufe zu körperlicher Gewalt sei.

Häusliche Gewalt kann in Form wirtschaftlicher Gewalt erfolgen. Hierunter sind insbesondere Handlungen zu verstehen, die darauf ausgerichtet sind, eine Person über finanziellen Zwang zu kontrollieren oder die Person finanziell auszubeuten. Es handelt sich hierbei zum Beispiel um das Schaffen oder Aufrechterhalten finanzieller Abhängigkeiten, die alleinige Verfügungsmacht über finanzielle Ressourcen, das Verbot einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, den Zwang einer bestimmten Erwerbstätigkeit nachzugehen, das Einbehalten des Lohns sowie das Vorenthalten von finanziellen Informationen. Zwangsverheiratung, Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung im Privathaushalt lebender Pflege-, Haushalts- oder Kinderbetreuungshilfen sind Beispiele für besondere Formen der häuslichen Gewalt. Auch Handlungen, die als solche nicht strafbar sind, können unter den Begriff der häuslichen Gewalt fallen.

Absatz 3

Die Gewaltformen „geschlechtsspezifische Gewalt“ und „häusliche Gewalt“ beschränken sich nicht auf Erwachsene. Absatz 3 stellt klar, dass die Begriffsbestimmungen Kinder umfassen.

Die Istanbul-Konvention erstreckt den Begriff Frauen ausdrücklich auf Mädchen unter 18 Jahren (s. Artikel 3 Buchstabe f Istanbul-Konvention), und der erläuternde Bericht zur Istanbul-Konvention erkennt in Nummer 45 an, dass Kinder und Jugendliche Betroffene von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt sein können. Bei der Bestimmung des Begriffs des Kindes, erfolgt eine Anlehnung an § 7 Absatz 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch.

Demnach gilt als Kind, wer noch nicht 18 Jahre alt ist. Die Abgrenzung zur Kinder- und Jugendhilfe wird über die Regelung von Konkurrenzen nach § 9 dieses Gesetzes iVm § 10 Achtes Buch Sozialgesetzbuch VIII erfolgen. Leistungen und Verpflichtungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch gehen diesem Gesetz vor.

Absatz 4

Absatz 4 regelt, dass von geschlechtsspezifischer Gewalt oder häuslicher Gewalt betroffen gilt, wer eine der genannten Gewaltformen erlitten hat, erleidet oder hiervon bedroht ist. Auch in Kindheit und Jugend liegende Gewalterfahrungen eines Erwachsenen können eine Betroffenheit und damit die Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsleistungen begründen. Darüber hinaus gilt das Miterleben von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt durch Kinder gegen nahestehende Dritte, zum Beispiel die Mutter, als eigene Gewalterfahrung des Kindes.

Zu § 3 (Anspruch auf Schutz und Beratung)

§ 3 regelt individuelle Rechtsansprüche auf Schutz und auf fachliche Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Die Ansprüche konkretisieren staatliche Schutzpflichten aus Grundrechten und die Fürsorgeverantwortung des Staates, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen vor Gewalt zu schützen. Zugleich werden Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention konkretisiert. Ziel ist, bundesweit den Zugang zu Schutz- und Hilfsangeboten für alle Betroffenen zu gewährleisten. Anspruchsgegner sind die Länder.

Der Anspruch steht von geschlechtsspezifischer Gewalt oder häuslicher Gewalt im Sinne des § 2 betroffenen Personen zu. Der Anspruch auf Schutz und auf Beratung erstreckt sich gemäß Absatz 4 auf Kinder, die sich in Obhut der gewaltbetroffenen Person befinden. Schutz- und Beratungsleistungen werden von Kindern werden damit vom Rechtsanspruch der gewaltbetroffenen Person umfasst, ohne dass, diese eigene Ansprüche geltend machen müssen. Es kommt bei der Anspruchserstreckung nicht darauf an, ob die Kinder selbst Gewalt erfahren haben. Die gewählte Formulierung der Obhut orientiert sich an § 1629 Absatz 2 Satz 2 BGB und bringt zum Ausdruck, dass für die Anspruchserstreckung auf den Schwerpunkt der tatsächlichen Betreuungsverhältnisse abzustellen ist.

Kinder können grundsätzlich selbst Ansprüche nach dem Gewalthilfegesetz geltend machen, sofern nicht – wie im Regelfall – die Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch greifen und damit vorgehen, vgl. § 9.

Der Anspruch auf Schutz nach Absatz 2 zielt auf die Sicherheit der gewaltbetroffenen Person einschließlich der Kinder, die sich in Obhut der gewaltbetroffenen Person befinden. Umfasst sind insbesondere die Gewährung sicherer und geeigneter Unterkunft, aber auch Schutz in Eilfällen durch sofortige Hilfestellung, z.B. übergangsweise Gewährung von Unterkunft, Vermittlung in eine geeignete Unterkunft oder andere Maßnahmen, die die Sicherheit der gewaltbetroffenen Person gewährleisten.

Der Anspruch auf Beratung nach Absatz 3 umfasst Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu den verschiedenen Gewaltausprägungen. Es geht um die kurz- oder langfristige Bewältigung der Gewaltsituation im Einzelfall. Hierzu gehört die Abschätzung der Gefährdungslage, Klärung der Handlungsoptionen zur Verbesserung der Sicherheit; das Erstellen eines individuellen Schutzplans bzw. Beratungskonzeptes sowie die Krisenintervention (dient der kurzfristigen Beendigung von Gewalt und Abwendung akuter psychischer Belastungen). Hierzu kann auch die Beratung zur Wahrnehmung von Angeboten der Gesundheitsversorgung gehören und bei Bedarf die Vermittlung zu und Begleitung zu Stellen, die die Gesundheitsversorgung z.B. für die Vermittlung und Begleitung zu Angeboten der ver- traulichen Spurensicherung (vgl. § 27 Abs.1 Satz 6 SGB V) übernehmen; dies gilt auch für medizinisch-forensische Untersuchungen.

Beratung und Unterstützung zielen auf die Überwindung und Verarbeitung der Gewalterfahrung. Dies kann insbesondere die psychosoziale Betreuung und psychosoziale Beratung in Bezug auf die Gewalterfahrung und die Trennungssituation umfassen sowie auch zum Beispiel Erziehungsfragen und die Auswirkung der Situation auf die Kinder. Die Beratung und Unterstützung kann darüber hinaus altersgerechte sozialpädagogische und psychosoziale Angebote für die (mit-)betroffenen Kinder zur Überwindung der Gewalterfahrung umfassen; einschließlich der Weitervermittlung bei spezifischem Unterstützungsbedarf. Die Kinder- und Jugendhilfe wird bedarfsentsprechend einbezogen.

Der Anspruch zielt auf Beratung und Unterstützung bei der Entwicklung einer gewaltfreien Lebensperspektive. Dies kann zum Beispiel persönliche, wirtschaftliche, rechtliche Fragen (z.B. Erörterung polizei-, straf-, aufenthalts-, asyl-, familienrechtlicher Fragen, sowie Beratung zu Existenzsicherung, Wohnungs- und Arbeitssuche sowie zu Informations- oder Kommunikationstechnologien) und die Unterstützung bei Umsetzung von Lösungswegen umfassen. Darüber hinaus kann es um Unterstützung bei der Integration in ein neues soziales Umfeld gehen oder um die Weitervermittlung bei spezifischem Unterstützungsbedarf, der nicht durch die Beratung durch Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen nach diesem Gesetz gedeckt werden kann (wie z.B. Schuldnerberatung, Suchtberatung, stationäre Unterbringung, weiterführende Unterstützung der Kinder).

Der Anspruch zielt auf die Unterstützung bei der Geltendmachung von Rechten als gewaltbetroffene Person. Dies kann zum Beispiel die Unterstützung beim Umgang mit Behörden, der Polizei, der Justiz oder dem Rechtswesen betreffen. Das Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen bleibt unberührt. Zur Unterstützung kann auch die Begleitung in Straf- und Zivilverfahren gehören.

Mit dem Anspruch auf Schutz geht in der Regel ein Bedarf auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen und ein entsprechender Beratungsanspruch einher, der, wie es der bisherigen Praxis von Frauenhäusern entspricht, ganz oder teilweise integriert aus einer Hand durch die Schutzeinrichtung abgedeckt werden wird.

Zu § 4 (Inanspruchnahme)

Schutz-, Beratungs- und Unterstützungsleistungen werden als Sach- sowie Dienstleistungen durch Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen erbracht, die den Vorgaben für Einrichtungen nach § 6 entsprechen. Nicht jede Schutzeinrichtung oder Fachberatungsstelle muss die gesamte Bandbreite des Schutz- oder Beratungsspektrums anbieten. Die Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen zum Beispiel auf Frauen sowie eine Spezialisierung der Beratung auf bestimmte Gewaltformen, z.B. sexualisierte Gewalt oder Genitalverstümmelung ist zulässig. Damit jede gewaltbetroffene Person dennoch vollumfänglich geschützt und zu allen erforderlichen Belangen beraten werden kann, sind die Einrichtungen gehalten, bei Bedarf zusammenzuwirken. Dies gilt insbesondere auch, soweit eine angefragte Einrichtung ausgelastet ist und keine Leistungen anbieten kann und die gewaltbetroffene Person bei der Kontaktaufnahme zu anderen Einrichtungen unterstützt.

Beratung kann in verschiedenen, dem individuellen Unterstützungsbedarf entsprechenden Formen erfolgen. Hierzu gehören die persönliche, die telefonische Beratung oder die Beratung per Mail sowie im Chat.

Gewaltbetroffene Personen wenden sich zur Inanspruchnahme von Schutz- oder Beratungsangeboten an eine Einrichtung nach diesem Gesetz. Eine Beschränkung auf Einrichtungen am Wohnort der gewaltbetroffenen Person besteht nicht. Eine Beweislegung der Gewalterfahrung ist nicht erforderlich – gewaltbetroffene Personen müssen, wenn sie eine Gewalterfahrung geltend machen, niedrigschwellig Zugang zu Schutz- und Beratung erhalten. Die Einrichtung bespricht mit der gewaltbetroffenen Person die individuelle Bedarfslage und führt eine Risikoanalyse durch. Für die Inanspruchnahme des Anspruchs auf Schutz ist eine bestehende Gefährdungslage erforderlich, die in Fällen von Partnerschaftsgewalt insbesondere durch die Trennung entstehen kann. Soweit sich Personen mit besonderen Herausforderungen, wie zum Beispiel Behinderungen oder Beeinträchtigungen, aber auch Sprachbarrieren an eine Einrichtung wenden, sind diese Personen bei der Bestimmung der erforderlichen Leistungen und bei der Inanspruchnahme angemessen zu unterstützen. So kann zum Beispiel die Vereinbarung eines Beratungsortes außerhalb einer Fachberatungsstelle bei Personen mit Behinderung wegen Zugangsbarrieren in der Einrichtung oder bei Personen, die in Pflegeeinrichtungen leben, sinnvoll sein. Ein weiteres Beispiel ist die ausreichende Sprachmittlung und Kultursensibilität.

Kann die erstkontaktierte Einrichtung keine Leistungen anbieten, unterstützt sie die gewaltbetroffene Person dabei, Hilfe durch andere Einrichtungen zu erhalten. Dies kann durch Hilfe bei Kontaktaufnahme zu einer anderen Einrichtung, aber auch über einen anerkannten Träger nach diesem Gesetz oder eine Koordinierungs- oder Vermittlungsstelle z.B. der Fachverbände erfolgen. Ist aufgrund der Gefährdungslage die Aufnahme in eine Schutzeinrichtung erforderlich, kann aber durch die erstkontaktierte Einrichtung nicht gewährleistet werden, dann zieht die erstkontaktierte Einrichtung neben der Hilfestellung der Kontaktaufnahme zu anderen Einrichtungen stets die nach Landesrecht zuständige Stelle am gewöhnlichen Aufenthaltsort hinzu. Hierdurch wird sichergestellt, dass die betroffene Person gegebenenfalls durch die Vermittlung der zuständigen Stelle tatsächlich Schutz erhält.

Nimmt die gewaltbetroffene Person gemeinsam mit Kindern, die sich in ihrer Obhut befinden, Leistungen in Anspruch oder wendet sich ein Kind selbständig als gewaltbetroffene Person an Schutzeinrichtungen oder Fachberatungsstellen, sollen die Einrichtungen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe informieren und soweit erforderlich Träger der freien Jugendhilfe einbinden. Werden Kinder, die sich in Obhut einer gewaltbetroffenen Person befinden, gemeinsam mit dieser in einer Schutzeinrichtung untergebracht, ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe stets zu informieren. Dies gilt ebenfalls, wenn ein Kind selbst- ständig bei einer Einrichtung nach diesem Gesetz um Schutz bittet, da dann in der Regel der Vorrang der Leistungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch greift.

Die Leistungen in Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen sind für die gewaltbetroffenen Personen mit ihren Kindern kostenfrei auszugestalten. Damit wird der Staat seinen Schutzpflichten gerecht und Art. 4 Absatz 3 der Istanbul-Konvention umgesetzt. Leistungen dürfen gegenüber den Betroffenen nicht von einer Kostenübernahmeerklärung jedweder Art abhängig gemacht werden. Damit wird die bisherige teilweise gängige Praxis, Schutz zu versagen, soweit keine Übernahmeerklärung der Herkunftskommune vorliegt, abgeschafft. Eine nachträgliche Heranziehung der gewaltbetroffenen Person zur Kostenerstattung ist ebenfalls ausgeschlossen. Die Kostenfreiheit bezieht sich nicht auf die Sicherung des Lebensunterhaltes der gewaltbetroffenen Personen mit ihren Kindern während des Aufenthalts in einer Schutzeinrichtung.

Der Anspruch richtet sich nicht auf Schutz oder Beratung in einer bestimmten Einrichtung. Der Anspruch auf Schutz oder Beratung gilt als erfüllt, wenn eine Einrichtung oder die am gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständige Stelle ein im Einzelfall geeignetes und den Schutz-, Beratungs- und Unterstützungszielen angemessenes Schutz- und Beratungsangebot unterbreitet hat. Das Land als Anspruchsgegner wird damit von seiner Pflicht befreit. Die tatsächliche Inanspruchnahme durch die gewaltbetroffene Person ist ausdrücklich nicht erforderlich.

Die Länder können weitere Einzelheiten landesrechtlich regeln.

Zu § 5 (Sicherstellung von Schutz- und Beratungsangeboten)

Es obliegt den Ländern, ein in Anzahl und Kapazitäten ausreichendes Angebotsnetz von Schutz- und Beratungsangeboten sicherzustellen, das den betroffenen Personen niedrigschwelligen Zugang, durch insbesondere einfache Kontaktaufnahme sowie zeitnahe Unterstützung ohne bürokratische Hürden ermöglicht. Das bereitzustellende Schutz- und Beratungsangebot muss den Schutz-, Beratungs- und Unterstützungszielen gerecht werden und hat nach fachlichen Grundsätzen durch Einrichtungen zu erfolgen, die durch einen Träger nach § 7 betrieben werden oder einem solchen angeschlossen sind und den Anforderungen in § 6 genügen. Schutz und Beratungsangebote sollen unabhängig von der gesundheitlichen Verfasstheit, vom Wohnort, vom aufenthaltsrechtlichen Status oder Sprachkenntnissen zeitnah bereitstehen. Das Angebotsnetz muss bedarfsgerecht ausgerichtet sein. Bedarfsgerechter Schutz und Beratung beinhalten die Notwendigkeit der Bereitstellung breit gefächerter Angebote, die den spezifischen Bedarfen von Personen, die Gewalt erfahren haben Rechnung trägt und die unterschiedlichen Bedarfe bestimmter Personengruppen einschließlich der mitbetroffenen Kinder berücksichtigt. Die besondere Gewaltbetroffenheit von Frauen als Zielgruppe ist hierbei ausdrücklich zu berücksichtigen. Um ein bedarfsge- rechtes Angebotsnetz sicherzustellen, müssen zum Beispiel ausreichend barrierefreie Angebote zur Verfügung stehen sowie ausreichend Angebote, die sich an Frauen mit mehreren Kindern oder mit heranwachsenden Söhnen richten. Die angemessene regionale Verteilung und Versorgungsdichte des Angebotsnetzes müssen sichergestellt werden.

Die Länder stellen ausreichend Informationen zu den Schutz- und Beratungsangeboten bereit und sind bei Bedarf Ansprechpartner für gewaltbetroffene Personen, um geeignete Angebote zu finden. Insbesondere bei der Aufnahme in Schutzeinrichtungen ist es erforderlich, diese landesweit und auch länderübergreifend sicherzustellen. Zur länderübergreifenden Aufnahme sollen die Länder untereinander Vereinbarungen schließen, soweit dies erforderlich ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Kosten für Aufenthalte in Schutzeinrichtungen von Personen, die nicht ihren bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Land der jeweiligen Einrichtung haben als pauschal zwischen den Ländern abgegolten gelten. Die normierte länderübergreifende Aufnahmebereitschaft aller Länder gemäß § 5

Absatz 2 Satz 2 führt regelmäßig zu einem automatischen Ausgleich zwischen den Bundesländern. Soweit erforderlich, das ist der Fall, wenn ein Land besonders viele Personen aus einem anderen Land aufnimmt, sind die Länder gehalten untereinander Vereinbarungen zu schließen. Fragen der Kostenerstattung bei länderübergreifender Aufnahme sind ohne Beteiligung der gewaltbetroffenen Person zu lösen. Dies gilt ebenfalls bei Sicherstellung der landesweiten Aufnahme in Schutzeinrichtungen.

Mit der Pflicht zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Schutz- und Beratungsangebote geht die Verpflichtung einher, eine entsprechende Infrastruktur zu organisieren und verlässlich zu finanzieren. Einrichtungen, die zur Sicherstellung des Angebots erforderlich sind und in der Entwicklungsplanung des Landes nach § 8 berücksichtigt werden, haben daher Anspruch auf angemessene öffentliche Förderung, die kostendeckend sein sollte. Das Gesetz macht keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Finanzierung; das Verfahren obliegt den Ländern. Um eine infrastruktursichernde Förderung zu erreichen, die die Vorhaltefunktion der Schutz- und Beratungseinrichtungen als Kriseneinrichtungen berücksichtigt, ist jedoch eine Objektförderung vorzusehen. Von einer Einzelfallfinanzierung sowie -abrechnung ist abzusehen.

Zu § 6 (Vorgaben für Einrichtungen)

Als Einrichtungen im Sinne des Gesetzes gelten Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen. Zu den Schutzeinrichtungen zählen insbesondere Frauenhäuser, Männerschutzeinrichtungen, Zufluchts- oder Schutzwohnungen, Übergangseinrichtungen, Clearingstellen.

Fachberatungsstelle im Sinne des Gesetzes sind insbesondere die auf Unterstützung bei häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt spezialisierten Fachberatungsstellen, Frauennotrufe bei sexualisierter Gewalt, Fachberatungsstellen zu Menschenhandel, zu Zwangsprostitution, zu Genitalverstümmelung, Fachberatungsstellen für Opfer von Zwangsverheiratung sowie Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt oder Stalking. Allgemeine Beratungsstellen fallen unter die Begrifflichkeit der Fachberatungsstelle, sofern sie auf Unterstützung bei häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt spezialisierte Fachberatung anbieten. Da aufgrund der gewachsenen Strukturen in der Schutz- und Beratungspraxis unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden, ist die Aufzählung nicht abschließend. Entscheidend ist das inhaltliche Angebot der Einrichtung.

Die Einrichtungen müssen den dargestellten Vorgaben genügen; es wird eine Übergangszeit normiert, um den Einrichtungen die Gelegenheit zu geben, die Vorgaben nach Inkrafttreten umzusetzen. Die Länder gestalten die Vorgaben durch Landesrecht näher aus.

Einrichtungen, die Schutz- und Beratungsangebote nach diesem Gesetz anbieten, müssen durch einen anerkannten Träger betrieben werden oder einem solchen angeschlossen sein. Die Vorgabe nach Nummer 1 dient der Qualitätssicherung, denn die Träger unterliegen einem Anerkennungsverfahren und bieten Gewähr, dass die gesetzlichen Vorgaben des § 6 durch die Einrichtungen eingehalten werden. Die Vorgabe ermöglicht eine strukturierte Sicherstellung von Angeboten in den Ländern.

Die jeweilige Einrichtung muss über eine für ihre fachliche Ausrichtung und Bandbreite der Schutz- und Beratungsangebote angemessene Personalausstattung verfügen. Die Bedarfe der gewaltbetroffenen Personen einschließlich der mitbetroffenen Kinder sowie etwaige spezifische Bedarfe unterschiedlicher Personengruppen sind hierbei maßgeblich zu berücksichtigen. Das Personal ist hinreichend und damit den anfallenden Aufgaben angemessen qualifiziert. Zu den anfallenden Aufgaben gehören insbesondere die Beratung und Unterstützung der betroffenen Personen, Unterstützung und Betreuung der (mit-)betroffenen Kinder sowie gegebenenfalls Umfeldberatung, Präventionsarbeit, Vernetzungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus fallen leitende Aufgaben, Verwaltungstätigkeiten sowie Aufgaben des Gebäudemanagements an.

Die Regelung sieht den regelhaften Einsatz von hauptamtlichen Personen vor. Hierdurch wird der Einsatz von neben- oder ehrenamtlichem Personal oder Honorarkräften nicht ausgeschlossen. Die Hauptverantwortung in der Einrichtung muss jedoch bei hauptamtlichem Personal liegen; ehrenamtliche Kräfte dürfen nicht auf Personalschlüssel angerechnet werden. Der Verweis auf § 72 a Achtes Buch Sozialgesetzbuch begründet einen Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen. In den Einrichtungen dürfen für die Wahrnehmung der Aufgaben aus dem Gewalthilfegesetz keine Personen beschäftigt werden, die rechtskräftig wegen einer in § 72 a Absatz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch genannten Straftat verurteilt worden ist. Zu diesem Zweck sollen sich Träger beziehungsweise die Einrichtung von den betroffenen Personen ein Führungszeugnis nach § 30 Absatz 5 und § 30a Absatz 1 des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen. Dies gilt entsprechend für hauptamtliches, wie auch für neben- oder ehrenamtliches Personal und Honorarkräfte.

Die Arbeit der Einrichtungen erfolgt auf der Grundlage eines fachlichen Konzepts, das die Ausrichtung, die Bandbreite der Schutz- und Beratungsangebote sowie die fachliche Arbeitsweise der Einrichtung darstellt. Die fachliche Arbeitsweise orientiert sich maßgeblich an den Bedarfen der gewaltbetroffenen Personen und der (mit-)betroffenen Kindern und stellt diese Bedarfe in den Vordergrund aller Erwägungen. Das Konzept befasst sich mit den unterschiedlichen Bedarfen verschiedener Personengruppen, wie zum Beispiel Frauen, schwangere Frauen, Frauen mit Flucht- oder Migrationsbiographie, Frauen mit Behinderung, trans-, intergeschlechtliche oder nicht-binäre Menschen, und beschreibt gegebenenfalls eine Spezialisierung der fachlichen Arbeit. Insbesondere in Schutzeinrichtungen befasst sich das Konzept mit den besonderen Bedarfen und dem besonderen Sicherheitsbedürfnis der (mit-)betroffenen Kinder sowie der Sicherung des Kinderschutzes, da in Schutzeinrichtungen regelmäßig die gewaltbetroffene Person von Kindern begleitet werden. Die Konzepte umfassen die Kooperation und den Austausch mit der Kinder- und Jugendhilfe.

Das Konzept soll die fachliche Unabhängigkeit der Einrichtung darstellen sowie sich anhand der Prinzipien „Hilfe zur Selbsthilfe“ sowie „der freiwilligen Inanspruchnahme der Schutz- und Beratungsangebote“ ausrichten. Das fachliche Konzept enthält Angaben zu den Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Beratungs- und Unterstützungsleistungen im Sinne von persönlicher, telefonischer oder digitaler Beratung und Unterstützung. Es informiert zur Erreichbarkeit der Einrichtung, zu Rufbereitschaft und zu Kooperationen mit anderen Hilfsdiensten oder der zuständigen Stelle im Land. Ein Sicherheitskonzept, das objektive wie auch subjektive Sicherheitsaspekte der betroffenen Personen mit ihren Kindern, aber auch des Personals umfasst, ist Teil des fach- lichen Konzepts. Das Konzept beschreibt die Maßnahmen einer strukturierten internen und externen Qualitätssicherung und -kontrolle in der jeweiligen Einrichtung, die ggfs. auch in Zusammenarbeit mit dem Träger erfolgen. Zur Qualitätssicherung gehören neben einer transparenten Prozessstruktur u.a. geeignete Fortbildungs- und Supervisionsangebote für das Personal. Zur Qualitätskontrolle gehören z.B. anonymisierte jährliche Erfahrungsberichte, die über Art und Umfang der gewährten Leistungen berichten.

Die Einrichtungen verfügen über Räumlichkeiten, die die fachgerechte Leistungserbringung ermöglichen. Hierzu gehören zum Beispiel auch Räume für die Arbeit mit Kindern oder Räume für Gruppenangebote. In Schutzeinrichtungen bedeutet es insbesondere die Möglichkeit der Aufnahme z.B. einer Frau mit mehreren Kindern oder mit heranwachsenden Söhnen. Die Räumlichkeiten haben sowohl das subjektive als auch objektive Sicherheitsbedürfnis der gewaltbetroffenen Personen und der Kinder als auch des Personals zu berücksichtigen. In Fachberatungsstellen bedeutet dies zum Beispiel gut erreichbare Räumlichkeiten ohne großen Publikumsverkehr und mit möglichst nicht einsehbarem Eingangsbereich. In Schutzeinrichtungen bedeutet dies z.B. eine geeignete Lage und geeignete Sicherheitsausstattung. Die Räumlichkeiten müssen die Privatsphäre der gewaltbetroffenen Personen unter Einbezug der begleitenden Kinder wahren; Beratungsgespräche müssen in geschützter Atmosphäre stattfinden können. In Schutzeinrichtungen stehen möglichst Einzelzimmer mit eigenem Sanitärbereich oder abgegrenzte Wohneinheiten für die gewaltbetroffene Person mit ihren Kindern zur Verfügung.

Die räumliche Ausstattung unterstützt barrierefreie Angebote im Sinne des § 4 Behindertengleichstellungsgesetzes. Die Einrichtungen wirken darauf hin, möglichst umfangreich barrierefreie Angebote anzubieten.

Die Länder können durch Landesrecht die räumlichen Vorgaben näher ausformulieren und z.B. in Schutzunterkünften eine Mindestgröße an Unterkunftsplätzen, Vorgaben zu deren Ausgestaltung, zu Barrierefreiheit oder auch Ausnahmen für zB die Anmietung von Ausweichquartieren vorsehen. Bei Fachberatungsstellen können ebenfalls Kapazitätsgrößen festgelegt werden.

Die Einrichtungen stellen eine einfache und soweit möglich unmittelbare Kontaktaufnahme sicher. Verschiedene Wege der Kontaktaufnahme sollen möglich sein. Für Schutzeinrichtungen gilt eine qualifizierte Rufbereitschaft und damit die Möglichkeit der Kontaktaufnahme und grundsätzlicher Aufnahmebereitschaft rund um die Uhr. Hierzu ist keine Anwesenheit von Mitarbeitenden in der Einrichtung rund um die Uhr erforderlich, es muss aber deren Erreichbarkeit und ggfs. schnelle Handlungsfähigkeit für eine Aufnahme sichergestellt sein.

Die 24-stündige Rufbereitschaft kann auch über Träger sichergestellt werden. Entsprechend Absatz 2 kann das Land Ausnahmen zulassen, so dass nicht jede Einrichtung die 24-stündige Rufbereitschaft an jedem Wochentag gewährleisten muss. Ausnahmen sind möglich, wenn es im Land Erstanlaufstellen bei akuter Gefährdung gibt, die durchgehend erreichbar sind oder aber ein Bereitschaftsplan der Einrichtungen und Träger für eine 24-stündige Aufnahme in Schutzeinrichtungen abgestimmt ist.

Die Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen kooperieren miteinander sowie mit anderen Hilfsdiensten, z.B. der Polizei und den Ordnungsbehörden, medizinischen Einrichtungen, Kinder- und Jugendhilfe oder Institutionen, wie z.B. Ausländerbehörden, Jobcentern, Kindertagesstätten, Wohnungsbaugesellschaften, Aufnahmeeinrichtungen und Unterkünfte für Geflüchtete. Sie bauen regelmäßige und verbindliche Kooperationen auf und pflegen sie.

Zu § 7 (Trägeranerkennung)

Die Trägeranerkennung dient einerseits der Qualitätssicherung sowie der Steuerung und Sicherstellung von Angeboten in den Ländern. Durch die Anerkennung der Träger wird die staatliche Kontrolle über nicht-staatliche Stellen sichergestellt, die Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes wahrnehmen. Länder und Kommunen sind selbst staatliche Stellen, so dass sie dieser Kontrolle nicht bedürfen. Sie sind qua Gesetz als Träger anerkannt. Andererseits soll sie die derzeitige Trägervielfalt mit ihren unterschiedlichen Konzepten und Angeboten erhalten, sicherstellen und für die Zukunft weiterentwickeln.

Die Anerkennung gilt unbefristet und bundesweit, um den administrativen Aufwand sowohl für die Träger als auch die Länder zu minimieren.

Sind die Voraussetzungen für die Anerkennung erfüllt, kann das Land den Träger anerkennen. Es besteht kein Anspruch. Im Rahmen der Ermessensausübung können so die Besonderheiten jedes Einzelfalls berücksichtigt werden. Hierzu gehören insbesondere die Mitgliedschaft in einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege oder einem etablierten Fachverband sowie die Förderung durch einen anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege. Anerkannte Verbände der freien Wohlfahrtspflege sind die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände. Fachverbände sind insbesondere die Frauenhauskoordinierung e.V., ZIF e.V., bff e.V., BFKM e.V., KOK e.V..

Für die Feststellung der Gemeinnützigkeit gilt der Maßstab des § 52 AO. Nach § 52 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Als Förderung der Allgemeinheit anerkannt ist u.a. die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Darüber hinaus kann jede Förderung als gemeinnützig anerkannt werden, die darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.

Eine förmliche Anerkennung als gemeinnützig ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung als Träger im Sinne von § 8. Die Feststellung der Gemeinnützigkeit im Anerkennungsverfahren durch die zuständige Landesbehörde ist ausreichend. Hierbei kann auf steuerrechtliche Entscheidungen Bezug genommen werden.

Die Regelung in Absatz 5 soll den speziellen Gegebenheiten im jeweiligen Sitz-Land Rechnung tragen. Die gemeinsame Regelung des Anerkennungsverfahrens oder der Anerkennungsstelle durch mehrere Länder gemeinsam wird durch diese Regelung nicht ausgeschlossen.

Zu § 8 (Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung)

Die Länder führen zunächst landesweite Analysen der Ausgangssituation an bestehenden Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen unter Berücksichtigung der konkreten Schutz- und Beratungsangebote, der jeweiligen Kapazitäten sowie deren regionalen Verteilung durch. In einem weiteren Schritt ermitteln sie den tatsächlichen Bedarf der erforderlichen Schutz- und Beratungsangebote im Land und erarbeiten auf dieser Grundlage die Planung zur notwendigen Entwicklung der Schutz- und Beratungsangebote einschließlich Kapazitäten und Verteilung. Die Entwicklungsplanung kann ein schrittweises Vorgehen bzw. Ausbau vorsehen. Referenzpunkt für die Feststellung des tatsächlichen Bedarfs ist § 5 dieses Gesetzes sowie die Art. 23 und 23 der Istanbul-Konvention unter Berücksichtigung der Ausführungen im erläuternden Bericht zur Istanbul-Konvention. Hiernach sind geeignete, bedarfsgerechte und leicht zugängliche Angebote in ausreichender Zahl und in angemessener geografischer Verteilung bereitzustellen. Es gilt, die spezifischen Bedarfe der gewaltbetroffenen Personen einschließlich der unterschiedlichen und gegebenenfalls besonderen Bedarfe bestimmter Personengruppen, wie zum Beispiel von (mit-)betroffenen Kindern, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrations- oder Fluchtbiographie, Schwangere zugrunde zu legen. Die besondere Betroffenheit von Frauen ist hierbei schwerpunktmäßig zu berücksichtigen. Darüber hinaus müssen zum Beispiel ausreichend barrierefreie Angebote zur Verfügung stehen sowie Angebote, die sich an Betroffene mit mehreren Kindern oder an Frauen mit heranwachsenden Söhnen richten. Die angemessene regionale Verteilung und Versorgungsdichte müssen bei der Planung berücksichtigt werden, Ballungsräume sind hierbei zu berücksichtigen sowie der Zugang zu Schutz- und Beratungsangeboten auch in ländlichen Regionen sicherzustellen. Dabei ist die regionale Struktur zu berücksichtigen. Dem dient die Einbeziehung der jeweils relevanten Gebietskörperschaften (Gemeinden und Gemeindeverbände) in den Planungsprozess. Bei Festlegung der notwendigen Kapazitäten in Schutzeinrichtungen im Rahmen der Bedarfsermittlung sollten die Länder für einen Familienplatz einen Richtwert zugrunde zu legen, der sich an einem Platz plus Kinderplätze entsprechend der einer durchschnittlichen Geburtenrate eines zB fünfjährigen Zeitraums orientiert. Aufgrund der Eigenschaft von Schutzeinrichtungen als Kriseneinrichtungen und der damit verbundenen Vorhaltenotwendigkeit, empfiehlt es sich bei der Analyse der erforderlichen Kapazitäten eine Auslastungsquote von max. 85% festzulegen.

Die Länder beziehen die Expertise der regionalen Ebene, der anerkannten Träger von Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen, der Fachverbände sowie bestehende Landesarbeitsgemeinschaften in den Prozess ein.

Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung erfolgen alle fünf Jahre zu einem durch Landesrecht bestimmten Stichtag. Absatz 3 gibt vor, dass der erste Durchgang vor dem 31.12.2026 abgeschlossen sein muss und jedes Land dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bis zum 30.06.2029 einen Bericht vorlegt, der Angaben zur Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung sowie deren Umsetzungsstand enthält. Die Länder bestimmen die Einzelheiten des Verfahrens durch Landesrecht.

Zu § 9 (Verhältnis zu anderen Rechtsnormen)

Zu Absatz 1

Die Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch gehen den Leistungen nach dem Gewalthilfegesetz vor.

Die Schutzeinrichtungen dieses Gesetzes unterliegen nicht der Erlaubnispflicht nach § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch Zusätzlicher administrativer Aufwand für die Schutzeinrichtungen soll vermieden werden. Eine Qualitätssicherung erfolgt bereits durch die Regelungen dieses Gesetzes und die Einbindung der Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

Zu Absatz 2

Absatz 2 regelt den Vorrang der Sach- und Dienstleistungsansprüche aus dem Gewalthilfegesetz vor Ansprüchen aus dem Zweiten und Zwölften Büchern Sozialgesetzbuch sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz. Damit findet eine Abkehr der bislang gängigen Praxis einer Finanzierung von Frauenhausaufenthalten über das Zweite oder Zwölfte Buch Sozi algesetzbuch sowie das Asylbewerberleistungsgesetz statt, die nicht der Zielsetzung der genannten Gesetze entspricht, nicht auf die tatsächlichen Bedarfe gewaltbetroffener Personen ausgerichtet ist und zu Hindernissen im Gewaltschutz bis hin zum Ausschluss von betroffenen Personen führt. Durch die Vorrangregelung werden Leistungsausschlüsse und Zugangshürden für etwa Studierende, Auszubildende, Personen mit eigenem geringem Einkommen, EU-Bürger und -Bürgerinnen oder Asylbewerber und -bewerberinnen beseitigt. Satz 3 stellt klar, dass Leistungen aus den genannten Gesetzen von der Vorrangregelung des Gewalthilfegesetzes unberührt bleiben, soweit ein anderes Leistungsziel besteht. Zu nennen sind Leistungen zur materiellen Existenzsicherung, wie der Sicherung des Lebensunterhaltes, aber z.B. auch Leistungen für Unterkunft und Heizung des jeweiligen Fürsorgesystems, die für die bisherige – weiter zu bezahlende – Wohnung gewährt werden.

Zu Absatz 3

Die Pflicht zur Teilnahme am Integrationskurs wird für die Zeit ausgesetzt in der eine Person Rechte aus diesem Gesetz wahrnimmt. Im Einzelfall kann effektiver Schutz nur dann gewährleistet werden, wenn die schutzsuchende Person und ihre Kinder sich gänzlich in eine Schutzeinrichtung zurückziehen kann. Eine Teilnahme am Integrationskurs ist in dieser Zeit zum Schutz von Leib und Leben regelmäßig nicht möglich.

Zu Absatz 4

Die Regelungen des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch dienen der Entschädigung der Opfer und nicht dem Schutz vor (weiteren) Gewalttaten. Die Leistungen nach SGB XIV gehen zudem über die Leistungen dieses Gesetzes hinaus. Eine Begrenzung der Rechte auf Opferentschädigung ist nicht beabsichtigt. Sollten im Einzelfall Anspruch auf identische Leistungen nach beiden Gesetzen bestehen, besteht ein Wahlrecht der Betroffenen. Die Ansprüche können in diesem Fall nicht parallel geltend gemacht werden.

Zu Absatz 5

Die Verpflichtung der Leistungserbringer nach § 37a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch geeignete Maßnahmen zum Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu ergreifen, wird durch dieses Gesetz nicht berührt.

Zu § 10 (Statistik)

Zur Beurteilung der Auswirkungen der Bestimmungen dieses Gesetzes und zu seiner Fortentwicklung sind laufende Erhebungen über die im Gesetz getroffenen Maßnahmen, etwa die Inanspruchnahme von Schutz und Beratung als Bundesstatistik durchzuführen.

Zu § 11 (Evaluierung)

Eine Evaluierung der Auswirkungen dieses Gesetzes ist gesetzlich vorgesehen. Die Evaluierung erfolgt auf wissenschaftlicher Grundlage unter Einbeziehung der Anwendungspraxis.

Die Bewertung der Auswirkungen des Gesetzes soll acht Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen. Dieser Zeitrahmen berücksichtigt, dass fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die Berichte der Länder zur Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung vorliegen. Erst nach diesem Zeitpunkt tritt der Rechtsanspruch nach § 3 in Kraft. Ein angemessener Zeitraum ist erforderlich, um eine etablierte Anwendungspraxis als Grundlage für die Evaluierung heranziehen zu können.

Die Evaluierung zielt darauf ab, die Wirksamkeit des Gesetzes hinsichtlich der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Hilfesystems bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt zu überprüfen. Zu diesem Zwecke werden neben wissenschaftlichem Sachverstand,

die durch die eingeführte Bundesstatistik nach § 10 erhobenen Daten sowie die Berichte der Länder nach § 8 herangezogen. Zur Bewertung der Auswirkungen dieses Gesetzes ist die Anwendungspraxis, etwa Träger und Einrichtungen des Hilfesystems, die zuständigen Landesministerien sowie Vertreter der örtlichen Verwaltung, einzubeziehen. Auf dieser Grundlage wird das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jungend darlegen, wie sich das Schutz- und Beratungsangebot für Betroffene von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt im Kontext des vorliegenden Gesetzes entwickelt hat.

Zu § 12 (Eröffnung des Sozialrechtswegs)

Es wird der Rechtsweg vor den Sozialgerichten für Streitigkeiten nach diesem Gesetz eröffnet.

Zu § 13 (Sachliche und örtliche Zuständigkeit)

Die Länder bestimmen die zuständige Stelle, die sachlich zuständig ist und erlassen ebenfalls Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit, soweit nicht durch dieses Gesetz geregelt.

Zu Artikel 2 (Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch)

§ 36 a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch wird aufgehoben, da die Vorschrift aufgrund des Vorrangs den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch obsolet wird.

Zu Artikel 3 (Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch)

Soweit einschlägig und anwendbar, gehen die Vorschriften der Kinder- und Jugendhilfe dem Gewalthilfegesetz vor.

Zu Artikel 4 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Die Pflicht zur Teilnahme am Integrationskurs wird für die Zeit ausgesetzt in der eine Person Rechte aus diesem Gesetz wahrnimmt. Im Einzelfall kann effektiver Schutz nur dann gewährleistet werden, wenn die schutzsuchende Person und ihre Kinder sich gänzlich in ein Frauenhaus zurückziehen. Eine Teilnahme am Integrationskurs ist in dieser Zeit zum Schutz von Leib und Leben regelmäßig nicht möglich.

Zu Artikel 5 (Änderung des Asylgesetzes)

Beschränkungen des Aufenthaltsortes können im Einzelfall dazu führen, dass kein Schutz im Sinne dieses Gesetzes gewährt werden kann. Zum einen kann das Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsbereichs aus Kapazitätsgründen notwendig sein, zum anderen kann auch der Schutz von Leib und Leben einen solchen Umzug erforderlich machen.

Zu Artikel 6 (Änderung des Finanzausgleichsgesetzes)

Zu Artikel 7 (Inkrafttreten)

Zu Absatz 1

Artikel 1 (Gewalthilfegesetz) tritt gemäß Absatz 1 überwiegend in Kraft. § 36 a des zweiten Buches Sozialgesetzbuch tritt zeitgleich außer Kraft, da die Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Gewalthilfegesetzes gegenüber den Vorschriften des zweiten Buches Sozialgesetzbuch obsolet wird.

Zu Absatz 2

Der Rechtsanspruch nach Artikel 1 § 3 tritt gemäß Absatz 2 am in Kraft.

Damit wird den Ländern die Gelegenheit gegeben, die sachlichen, personellen und rechtlichen Voraussetzungen für die Erfüllung des Rechtsanspruchs zu schaffen.


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