Von Susan Bonath
Den winzigen Gazastreifen hat Israel zu einer Trümmerwüste gebombt, zehntausende Zivilisten getötet, ein Großteil davon Kinder und Frauen. Die rund zwei Millionen Überlebenden vegetieren obdachlos und eingesperrt in dem Inferno aus Bomben, Hunger und Seuchen dahin. Derweil treibt Israels Regierung die ethnische Säuberung im Westjordanland voran, lässt tonnenschwere Bomben auf den kleinen Libanon regnen und träumt von einer Vernichtung des Irans mithilfe der USA.
Die westlichen Leitmedien diagnostizieren das bis heute als "Selbstverteidigung" und "Kampf gegen den Terror". In Israel hingegen geht der Diskurs längst weit darüber hinaus. Dort werden nicht nur Pläne zur Vertreibung aller Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss besprochen. Auch die Annexion und Besiedlung von Gebieten im Libanon wird offen diskutiert. Eine Gruppe wirbt bereits mit Grundstücken im Libanon zur Reservierung, Medien mit großer Reichweite verbreiten ungeniert Großisrael-Fantasien.
Werbung für Grundstücke im Libanon
Der Angriff am 7. Oktober letzten Jahres aus dem abgeriegelten Gazastreifen auf israelische Soldaten und Zivilisten hat messianische Expansionsfantasien in Israel weiter beflügelt. Rechtsextreme Zionisten wollen nicht nur Palästinenser, sondern auch Libanesen vertreiben und deren Gebiete besiedeln. Eine am Anfang dieses Jahres gegründete "Bewegung zur Besiedlung des Südlibanon" soll bereits mehrere Tausend Mitglieder haben und über Kontakte in Regierungskreisen verfügen.
Die "Bewegung" scheint ziemlich rege zu agieren. Vor allem bei Israelis, die wegen des Beschusses durch die Hisbollah aus dem Libanon ihre Häuser im Norden verlassen mussten, buhlt sie um Anhänger. Sie hat sogar ein Prospekt veröffentlicht, auf dem sie bereits südlibanesische Grundstücke zur Reservierung durch israelische Zionisten anpreist.
Auf ihrer Internetseite beruft sich die Bewegung auf alttestamentarische Mythen. Der Computer-Übersetzung aus dem Hebräischen zufolge schreibt sie dazu:
"Träumen Sie nach der Eliminierung der Hisbollah-Spitze (…) auch von einem großen Haus mit Blick auf schneebedeckte Berge und einer herzlichen Gemeinschaft im Land unserer Vorfahren Asher und Naftali? Wir sind nur noch eine strategische Entscheidung von diesem Traum entfernt, den Südlibanon weiter zu vernichten und seine Bewohner nicht zurückkehren zu lassen."
Rechte Propaganda-Professoren
Angeführt wird die "Bewegung" von Amos Azaria, einem Professor für Informatik an der Ariel-Universität für Siedler-Nachwuchs im besetzten Westjordanland. Die israelische Zeitung Maariv berichtete im Juni über eine Konferenz dieser Gruppe zur jüdischen Besiedlung des Libanon unter der Leitung Azarias. Unter den Teilnehmern sollen zahlreiche rechtsextreme israelische Intellektuelle gewesen sein.
Damals hatte die Bewegung demnach "Hunderte Mitglieder" und bereits zahlreiche "Demonstrationen, Seminare und andere Aktionen" organisiert. Anfang Juni habe sie mittels Ballons und Drohnen massenhaft Flugblätter in den Südlibanon geschickt, mit denen sie die dortigen Bewohner zur sofortigen Räumung ihrer Häuser und Flucht "aufforderten", da dieses Land zu Israel gehöre.
Azaria hat sogar ein Kinderbuch unter dem Titel "Alon und der Libanon" veröffentlicht, das bereits den Jüngsten die zionistische Besiedlung des Nachbarlandes propagandistisch schmackhaft machen soll.
"Jerusalem Post" diskutiert Großisrael-Pläne
Nun könnte man meinen, dass ein- oder zweitausend Großisrael-Extremisten in einem Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern, etwa drei Viertel davon Juden, kein Problem sein sollten. Doch blickt man auf die gegenwärtige Regierung, wird schnell klar: Derlei alttestamentarische Eroberungsfantasien reichen bis weit in die sogenannte Mitte des politischen Israels hinein. Erst kürzlich sprach sich die Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, gegen einen palästinensischen Staat aus – ein eindeutiges Veto für die fortgesetzte rassistische Unterdrückung der Palästinenser.
Diese "Mitte" versucht die Zeitung Jerusalem Post innerhalb und außerhalb der Grenzen Israels zu erreichen. Unter der Überschrift "Gehört der Libanon zu Israels gelobtem Land" erfuhr der Leser dort kürzlich sehr freimütig und unkritisch Erstaunliches.
Vom Sinai bis zum Euphrat
Dem Autor Mark Fish zufolge werfe "der jüngste Konflikt im Libanon die uralte Frage nach den nördlichen Grenzen des biblischen Eretz Israel" auf. Völlig ernsthaft wird dort diskutiert, "wo Gott die Grenzen des jüdischen Staats" tatsächlich gezogen habe und ob Israelis gar "verpflichtet" seien, weiteres Land zu erobern. Und das geht weit über den Libanon hinaus: Das biblische Versprechen belaufe sich "eindeutig" auf das Land zwischen dem ägyptischen Sinai und dem Fluss Euphrat. So konstatiert der Autor:
"Diese ausgedehnte Region umfasst Teile des heutigen Israels, das Westjordanland, Gaza, Libanon, Jordanien und den Irak."
Und wenn man es genau nimmt mit der genannten Flussgrenze, würden überdies Teile Syriens und sogar Saudi-Arabiens zu einem "vollständigen Land Israel" gehören. Demnach habe Gott dem jüdischen Volk zugesichert, dass "jeder Ort" in diesem Gebiet, "wohin deine Fußsohle tritt", ihm gehören solle.
Ihren Artikel vom 25. September hat die Jerusalem Post inzwischen gelöscht. Darüber berichtete unter anderem der türkische Auslandssender TRT World. Offensichtlich wollte sich das Blatt so einem entbrannten Shitstorm entziehen.
Der Skandal ist mit der Löschung nicht vom Tisch: Die Tatsache, dass eine große israelische Zeitung völlig unkritisch derartige kriegerische Expansionsfantasien diskutiert, so als wäre dies das Normalste der Welt, ist ungeheuerlich. Zumal das nicht der einzige Artikel dieser Art in dieser Zeitung war.
Am selben Tag erschien in der Jerusalem Post ein Aufruf des zionistischen Rabbiners Yitzchak Ginsburgh, den Libanon zu erobern und dessen Süden zu besiedeln. Dafür sei die Zeit nun reif, fabulierte dieser. Und das sei nur der Anfang, so Ginsburgh. Es sei Israels Pflicht, alle Gebiete bis zum Euphrat zu annektieren und "rein jüdisch" zu besiedeln, erklärte er ganz ernsthaft.
Palästinenser "vernichten oder vertreiben"
Bereits Anfang April dieses Jahres hatte die Süddeutsche Zeitung über eine erschütternde, anonyme Großanzeige in der Jerusalem Post berichtet, die Ende März eine halbe Zeitungsseite in Anspruch genommen haben soll. In dieser sei zur Vernichtung und Vertreibung aller Gaza-Bewohner aufgerufen worden. Der Gazastreifen solle vollständig zerstört und zu einem "Massenfriedhof" gemacht werden. Wer überlebt, den solle Israel nach Ägypten oder Jordanien vertreiben.
Mit Blick auf die Gegenwart kann man durchaus auf die Idee kommen, dass der Staat Israel derartige Vernichtungspläne längst umsetzt – dies nicht nur seit fast einem Jahr im Gazastreifen, sondern in allen palästinensischen Gebieten sowie nun auch im Libanon. Da sollte es nicht verwundern, wenn in den arabischen Anrainerstaaten der Widerstand wächst. Während die westliche Presse stets behauptet, diese wollten Israel vernichten, muss man sich fragen: Geschieht das nicht gerade umgekehrt?
Israel als strategische "NATO-Militärbasis"
Israel könnte seine kriegerischen Pläne kaum ohne massive Unterstützung durch den Westen umsetzen. Erst kürzlich genehmigten die USA wieder ein neues Milliardenpaket für Waffenlieferungen an den ohnehin militärisch hochgerüsteten zionistischen Staat. Nun schicken die USA überdies weitere Tausende Soldaten in den "Nahen Osten". Auch ein deutsches Unternehmen soll kürzlich tonnenweise Sprengstoff nach Israel transportiert haben.
Der Westen mit der NATO-Großmacht USA an der Spitze fördert Israel keineswegs aus reiner "Judenfreundschaft". In erster Linie dient dieser Staat seinen geostrategischen Interessen in "Nahost". Imperien haben nun einmal imperialistische Ansprüche: Marktanteile, Rohstoffe, politischen Einfluss. All die propagierten "Feinde Israels", allen voran der Iran, sind in Wahrheit Konkurrenten des Westens.
In diesem Sinne könnte man Israel als riesige und wichtige Militärbasis der NATO in der Region betrachten, welche die arabische Welt kriegerisch in Schach hält, ohne dass die USA selbst einmarschieren müssten. Eine solche wird der Westen kaum freiwillig aufgeben – komme, was wolle.
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