Datenschutz und Informationsfreiheit: Drei Großbaustellen für die neue Bundesbeauftragte

Nach der Hängepartie um Ulrich Kelber hat die Ampel-Koalition heute eine neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit gewählt. Auf Louisa Specht-Riemenschneider warten zahlreiche Herausforderungen, von der Gesundheitsdigitalisierung bis zur staatlichen Überwachung.

Eine junge Frau mit Brille lächelt in die Kamera. Sie trägt ein dunkles Jacket und ein weißes Hemd.
Louisa Specht-Riemenschneider – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / IPON

Der Bundestag hat heute Louisa Specht-Riemenschneider zur neuen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) gewählt. Die Zeit drängte, denn in spätestens sechs Wochen würde Ulrich Kelber, der das Amt seit Anfang des Jahres nur noch kommissarisch ausübt, endgültig aus dem Amt scheiden. „Bleiben Sie entschlossen“, mit diesen Worten gratulierte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt der Juristin zur Wahl.

Specht-Riemenschneider war die einzige Kandidatin, die heute zur Wahl vorgeschlagen war. Nach der für alle Beteiligten äußerst peinlichen Hängepartie um eine mögliche zweite Amtszeit Kelbers, ist den Grünen und der FDP mit dieser Personalie ein kleiner Coup gelungen. Die 39-jährige Professorin erhielt deutlich mehr Stimmen, als die Ampel Mandate hat, wurde also auch Abgeordneten anderer Parteien mitgewählt.

Louisa Specht-Riemenschneider gilt gemeinhin als herausragende Juristin, bestens vernetzt und starke Kommunikatorin. Als Leiterin der Forschungsstelle Datenrecht an der Uni Bonn ist sie nicht nur Expertin für Datenschutz, sondern auch für das Teilen von Daten. So hat sie kein Problem damit, das Innovationspotenzial von Daten zu betonen, hat als Vorsitzende des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen aber auch bei vielen Datenschützer:innen einen Stein im Brett.

Wie viel Pragmatismus verträgt das Amt?

Ein Wort fällt in Regierungskreisen in Zusammenhang mit der neuen BfDI besonders häufig: „pragmatisch“. Damit scheint oft der Wunsch der Regierenden verbunden zu sein, endlich weniger vom Datenschutz gestört zu werden. Leiser soll es zugehen. Digitalisierung first – Sie wissen schon.

Doch wer auf eine handzahme Datenschutzbeauftragte hofft, könnte trotzdem bald enttäuscht werden, das Amt erlaubt qua Definition nur ein gewisses Maß an Pragmatismus. Denn die Bundesregierung lieferte sich mit Amtsvorgänger Kelber ja nicht vor allem deshalb zahlreiche Auseinandersetzungen, weil dieser ein besonders streitbarer Typ ist, sondern weil sie selbst so wenig Wert darauf legte, die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen Datenschutz und Informationsfreiheit einzuhalten.

In der Frage, ob etwa Bundesbehörden angesichts eklatanter Datenschutzmängel überhaupt offizielle Seiten auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder TikTok unterhalten dürfen, hatte Specht-Riemenschneider in der Vergangenheit ähnlich argumentiert wie ihr Amtsvorgänger. Dass sie nun – mitten in einem laufenden Gerichtsverfahren ihres Hauses gegen die Bundesregierung – ihre Meinung ändert, ist unwahrscheinlich.

Baustelle Gesundheitsdaten

Spannender wird, wie sich die neue BfDI in Sachen Gesundheitsdigitalisierung positioniert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat bekanntlich den Stil seines Amtsvorgängers Jens Spahn übernommen und setzt auf Tempo statt auf Sicherheit und Datenschutz. Die elektronische Patientenakte soll im Januar 2025 für alle Bürger:innen kommen. Im selben Jahr ist der Start des Europäischen Gesundheitsdatenraums geplant.

Abgesehen von den Sicherheitsrisiken und der schlecht funktionierender Hardware-Infrastruktur steht das Vorhaben auch deshalb in der Kritik, weil es die Sorgen vieler Menschen und insbesondere die Verletzlichkeit vulnerabler Gruppen kaum adressiert. Wer die eigenen Daten nicht freigeben will, muss sich künftig aktiv dagegen entscheiden. Das ist ein mächtiger Hebel, um mehr Daten für die medizinische Forschung bereitzustellen. Nicht nur netzpolitik.org-Kolumnistin Bianca Kastl kritisiert diesen Ansatz als „Zentralisierung der Daten bei gleichzeitiger Individualisierung der Risiken“.

Auch Ulrich Kelber hatte diesen Paradigmenwechsel vom Opt-in zum Opt-out gerügt und lag deshalb regelmäßig mit dem Gesundheitsminister über Kreuz. Gerüchten zufolge soll dies einer der Gründe gewesen sein, warum die SPD-Fraktion ihren ehemaligen Kollegen nicht erneut für das Amt vorgeschlagen hat.

Wie beides zusammengeht, ist derzeit offen: eine skalierende Digitalisierung im Gesundheitssektor und gleichzeitig der Schutz von sensiblen Daten und Menschengruppen, ohne einer weiteren Ökonomisierung Vorschub zu leisten.

Baustelle staatliche Überwachung

Louisa Specht-Riemenschneider steht darüber hinaus vor der Herausforderung, die Befugnisse strategisch klug einzusetzen, die ihr Haus im Rahmen neuer EU-Verordnungen wie dem Digital Services Act oder der Verordnung über politische Werbung erhält. Die Datenschutzaufsicht über Unternehmen unterliegt in Deutschland bislang nämlich überwiegend den Landesbehörden. Zentrale Aufgabe der BfDI hingegen ist die Kontrolle von Bundesbehörden, auch solcher wie des BKA und in Teilen auch der Geheimdienste. Auf diesem Feld hat sich die Privatrechtlerin Specht-Riemenschneider bisher kaum geäußert.

Eine starke Stimme wird im öffentlichen Diskurs und in der Beratung der Bundesregierung jedenfalls dringend gebraucht. Da ist die Dauerbaustelle Nachrichtendienstrecht. Auch die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes zur Speicherung von Fluggastdaten hat die Ampel bislang nicht umgesetzt. Und natürlich kann die BfDI weder den Streit zwischen dem Justiz- und dem Innenministerium um die Vorratsdatenspeicherung entscheiden noch den um die Nutzung von Big Data und Diensten wie Palantir durch Polizeibehörden. Aber sie kann und muss die Bundesregierung an die Maßgaben der Verfassungsgerichte erinnern – und im Zweifelsfall stärker als ihre Vorgänger:innen mit Anordnungen gegen unrechtmäßige Datenpraktiken staatlicher Stellen vorgehen.

Die demokratische Kontrolle des Sicherheitsapparates kann mit der rasanten Ausweitung der Überwachungsbefugnisse und den technischen Möglichkeiten der Behörden nach wie vor nicht Schritt halten. Auch die Ampel sieht hier ein Problem. Im Koalitionsvertrag verabredete sie, eine Überwachungsgesamtrechnung durchzuführen und eine Freiheitskommission einzusetzen. Beide Vorhaben kommen aber nur schleppend voran. Die BfDI muss hier Druck machen und sich auch dafür einsetzen, dass beide am Ende nicht zu Feigenblättern verkommen.

Baustelle Informationsfreiheit

Eine weitere Großbaustelle ist die Informationsfreiheit. Denn auch dafür ist Louisa Specht-Riemenschneider zuständig. Ulrich Kelber hatte hier eigene Akzente gesetzt – nicht nur, indem er proaktiv Dokumente veröffentlichte und in seiner Behörde das Prinzip „Acces for one – acces for all“ etablierte. Er legte sich auch mit dem notorisch IFG-feindlichen Innenministerium an und erstritt vor Gericht unter anderem, dass das Haus von Innenministerien Nancy Faeser bei IFG-Anfragen nicht standardmäßig Adressen verlangen darf.

Ausgerechnet dieses Ministerium soll nun ein neues Transparenzgesetz verfassen und damit das in die Jahre gekommene Informationsfreiheitsgesetz ablösen. Das ist ein wichtiges Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Doch das Innenministerium schiebt das Vorhaben auf die lange Bank. Zivilgesellschaftliche Organisationen befürchten, dass am Ende – wenn überhaupt – ein Transparenzgesetz herauskommt, das diesen Namen nicht verdient.

An wichtigen Aufgaben für die neue Bundesbeauftragte mangelt es also nicht. Ihre größte Herausforderung aber dürfte es sein, dass die Bundesregierung Datenschutz und Informationsfreiheit wieder mit mehr Prirotität behandelt.


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