Von Dagmar Henn
Beim Wetter nennt man so etwas ein Wetterleuchten: ein wenig wie ein Gewitter, aber es ist noch nicht klar, ob es wirklich gewittern wird oder sich die Spannung noch länger weiter aufbaut. Der dramatische Wert der deutschen Politik ist derzeit jedenfalls hoch; gleichzeitig mit dem Wahlergebnis aus den USA scheint sich die Auseinandersetzung in der Ampel weiter zuzuspitzen, vorangetrieben von den beiden kleinen Parteien FDP und Grüne, die darum kämpfen, den Kopf über Wasser zu halten. Aber es ist ein Spektakel, das günstigenfalls die nächste Phase politischer Stagnation, auch als Große Koalition bekannt, ankündigt, und im schlimmsten Fall eine Phase des Komas einer Ampel, die zu große Angst vor dem Untergang hat.
Klar ist, dass weder die von Habeck noch die von Lindner vorgetragenen Vorschläge die sich abzeichnende wirtschaftliche Katastrophe abwenden können. Auf der einen Seite Verluste zu erzeugen, die dann auf der anderen Seite mit Steuergeldern (über den Umweg von Schulden) wieder zugekleistert werden, während sich die Perspektiven für die normale Bevölkerung weiter verschlechtern, ist ebenso wenig ein Ausweg wie noch mehr Steuersenkungen für Reiche mit noch etwas beschleunigter Verschlechterung.
Die wirkliche Krise geht viel zu tief. Die Financial Times widmete der Frage am Dienstag einen Leitartikel: "Ist Deutschlands Geschäftsmodell zerbrochen?" Die grundsätzlichen Probleme werden darin durchaus richtig benannt: Die industrielle Produktion sei seit 2017 um 16 Prozent gesunken. Gleich drei zentrale Sektoren der deutschen Industrie haben massive Probleme: die Chemie- wie die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Wobei, das umgeht auch die Financial Times, ein Teil dieser Probleme hausgemacht ist.
"Weil sie sich auf importierte Kohlenwasserstoffe verließ, wurde die chemische Industrie – einer der größten Industriesektoren Deutschlands – durch die Steigerung der Energiepreise schwer geschädigt, die auf den russischen Einmarsch in die Ukraine folgte".
Nun, das lag wohl eher an den Sanktionen und dem freundlichen Geschenk der transatlantischen Verbündeten, aber außerhalb der deutschen Politik ist es ein Gemeinplatz, dass der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands viel mit dem Zugang zu günstigen Energierohstoffen zu tun hatte. Wobei das gemeine Volk davon nur wenig hatte und dennoch mit den höchsten Strompreisen Europas beglückt wurde; allerdings sind sie nun eben auch für die Industrie so hoch, dass Produktion in Deutschland zum riskanten Spiel wird.
Die Entscheidung, den Binnenmarkt zugunsten einer Exportorgie zu strangulieren, fiel bereits vor zwanzig Jahren. Einige Entwicklungen hätten sich voraussehen lassen können, etwa, dass China irgendwann lernt, selbst Maschinen zu bauen. Derzeit jedoch sind ganze Sektoren, wie der Fahrzeugbau, regelrecht in die Ecke gedrängt, weil der Binnenmarkt weiter einbrechen wird, aber dank EU-Sanktionspolitik auch Exportmärkte schwinden.
Dabei gibt es tiefere Gründe dafür, dass selbst die deutsche Automobilindustrie inzwischen ins Hintertreffen geraten ist, die nicht einmal mit der (von Deutschland mit vorangetriebenen) verrückten EU-Entscheidung zum Verbrennerverbot zu tun haben. Die Entwicklungsabteilung von VW für das autonome Fahren, das eigentlich der nächste technische Schritt ist, sitzt in China und nicht mehr in Deutschland, das jahrzehntelang die Forschungsabteilung für viele große Automobilkonzerne bot. Warum? Autonomes Fahren setzt ein Niveau an Vernetzung voraus, für das in Deutschland erst viel hätte investiert werden müssen, selbst für die Erprobung. Aber die Entwicklung der Kommunikationsnetze in Deutschland hinkt hinterher, seit noch unter Kohl der ganze Sektor privatisiert wurde. Das ist nicht anders als im Bahnverkehr auch.
Dass Deutschland die industrielle Dampfwalze werden konnte, die es lange war, mit einem weit überproportionalen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion, beruhte zum Teil schlicht auf der dichten Besiedlung, die die für Fahrzeug- und Elektroindustrie erforderlichen Netze relativ günstiger machte. Aber technologische Sprünge setzen in der Regel voraus, dass die Infrastruktur auf dem neuesten Stand ist; das vom heutigen Deutschland zu behaupten, wäre mehr als kühn.
Aber was hat das alles mit der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zu tun? Als die Berliner Politik die Sanktionspolitik gegen Russland unterstützte, ging sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von zwei Vermutungen aus. Die erste, dass Russland leicht zu besiegen sei, vor allem ökonomisch, und man danach einen Teil der Beute bekäme, wenn die Bruchstücke des Riesenlandes verteilt werden. Und die zweite war, dass, "solange es nötig ist", die Vereinigten Staaten den verlorenen Exportmarkt ersetzen würden.
Das mit Russland ging bekanntlich ins Auge. Trump will nun den US-Markt, so zumindest die Ankündigungen, auch gegenüber der EU, und das heißt insbesondere Deutschland, stärker abschotten, vor allem durch Importzölle. Soweit das bisher bekannt ist, dürfte das auch die Niederlassungen deutscher Automobilkonzerne in Mexiko treffen, wobei der reine Luxussektor wie Porsche sich vielleicht trotzdem noch halten kann. Jedenfalls ist ihm das bereits seit Jahrzehnten bestehende Handelsdefizit der USA ein Dorn im Auge. 1991 war das letzte Jahr, in dem die Handelsbilanz zwischen Deutschland und den USA ausgeglichen war. 2023 betrug der deutsche Überschuss 62,87 Milliarden Euro.
Nun ist Donald Trump sicher kein Held der Arbeiterklasse, auch wenn eine Reindustrialisierung der USA zu einem besseren Lebensstandard der Normalbürger beitragen würde. Aber schon 2008 zeigte sich eigentlich, dass das US-Wirtschaftsmodell, den Rest der Welt über Renten abzuschöpfen, nicht auf Dauer funktionieren würde. Die Unterschiede zwischen der von den US-Demokraten (und den Neokons) vertretenen Strategie und jener, die sich unter Trump zumindest als Möglichkeit abzeichnet, sind weit deutlicher, als es Unterschiede politischer Strategien in den USA in den letzten Jahrzehnten waren, obwohl beide jeweils Teile der Oligarchie vertreten. Denn der eine Teil setzt darauf, selbst um den Preis des globalen Untergangs die Vorherrschaft zu verteidigen; aber es wäre dumm, anzunehmen, dass es nicht auch andere Teile gibt, die stattdessen nach Möglichkeiten suchen, die denkbaren Großkatastrophen Crash und Atomkrieg zu vermeiden und stattdessen, soweit möglich, den Rückzug in sichere Gefilde anzutreten.
Eine Reindustrialisierung hat nämlich, aus Sicht der Oligarchie, den Vorteil, dass industrielle Anlagen im Vergleich zu Aktien oder gar Derivaten, ja, selbst zu Immobilien, vergleichsweise crashsicher sind. Der Versuch, wieder mehr reale Produktion in die USA zu holen, ist zum Teil zumindest eine Art Lebensversicherung. Ganz abgesehen davon, dass der Verlauf des Krieges, den man so munter in der Ukraine angezündet hatte, in Bezug auf die Bedeutung industrieller Grundlagen eine harsche Lektion war (und gleichzeitig belegte, wie wenig Ahnung große Teile der US- wie der EU-Eliten noch von ökonomischen Zusammenhängen haben).
Die deutsche Industrie hat sich einreden lassen, die USA wären der Ersatz für die Märkte, die durch die politischen Manöver im Gefolge der Biden-Regierung verloren gehen, was inzwischen nicht nur Russland, sondern auch China betrifft. Es ist aber nicht so, dass es keine Optionen gäbe. Ohne die Strangulation durch den Neokolonialismus werden sich in Afrika gigantische neue Märkte eröffnen. Die jedoch werden nicht zugänglich sein, solange politisch am kolonialen Modell festgehalten wird.
Wenn die enorme Belastung durch Sanktionen und die "Solidarität" mit der Ukraine wegfiele, wenn man die Rüstungsausgaben wieder senken und den Klimawahn beenden würde, und dann womöglich Nord Stream wieder in Betrieb nähme, ließe sich ein großer Absturz noch abfangen. Es ist nicht so schwer einzusehen, dass ein Land von etwas über 80 Millionen auf einem Planeten mit einer Gesamtbevölkerung von 8,2 Milliarden gerade mal ein Prozent darstellt und es seine Zukunft daher eher in Kooperation suchen sollte als in Dominanzvorstellungen.
Nichts allerdings läge der deutschen Politik ferner. Und zwar ohne jeden merklichen Unterschied zwischen den Ampelleuchten und der schwarzen CDU. Statt ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs, das Donald Trump als Ziel benannt hatte, als Hoffnung zu sehen, weil die verhängnisvollen Sanktionen dann endlich wegfielen und vielleicht sogar die in Deutschland untergebrachten Ukrainer zurückkehren würden (was unmittelbar die anstehende Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zumindest verringern würde), wird einstimmig beteuert, auch ohne die USA wolle man so weitermachen wie unter Biden. Dann müsse eben Deutschland mehr Verantwortung bei der "Unterstützung" der Ukraine übernehmen – und noch schneller aufrüsten.
Nicht nur die Grünen, auch SPD, FDP und CDU halten am Klimaschutz fest, und damit am fortgesetzten Angriff sowohl auf die Lebensverhältnisse der Mehrheit wie auch auf die Grundlagen der Industrie. Man muss nur einmal auflisten, was im kommenden Jahr alles auf die Menschen zukommen soll: der nächste Aufschlag auf die Benzinpreise (zwischen 15 und 17 Prozent), eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, der Kfz-Versicherung, der Heizkosten; die Inflation zieht ebenfalls wieder an, und die Mieten bewegen sich dank Wohnungsmangels kontinuierlich nach oben. Zumindest die CO₂-Abgabe ließe sich kappen. Und das Verbrennerverbot? Das würde nicht lange stehen, sollte sich eine Bundesregierung vehement dagegen einsetzen; schließlich dürfte mit einer US-Regierung unter Trump der ganze Klimazirkus ohnehin in Frage gestellt werden.
Auch die ganze Corona-Misere könnte aufgerollt werden, bis hin zur obersten Korruptionsbeauftragten Ursula von der Leyen. Das ist noch keine Lösung für die grundlegenden materiellen Probleme, aber es würde wieder etwas Luft zum Atmen verschaffen. Eine Regierung Trump wird zwar den Einfluss der Big Tech genannten Konzerne nicht abschaffen, aber sie wird das Gewebe zwischen ihnen, den Medien und den vielen Zensureinrichtungen auf jeden Fall lichten. Wer will behaupten, dass es kein Fortschritt wäre, wieder über Fragen von Krieg und Frieden sprechen zu können, ohne gleich an Strafanzeigen und Staatsanwälte zu denken?
Nichts davon dürfte bis nach Deutschland durchdringen. Für eine zukunftsweisende Industriestrategie, die BRICS als Möglichkeit sieht, nicht als Bedrohung, fehlt ebenso die politische Kraft wie für eine wirkliche Abkehr vom politischen Konfrontationskurs, nach innen wie nach außen. Ein Rückzug der USA aus Europa wird von dieser verzwergten Politmannschaft nicht als Gelegenheit gesehen, endlich einen Kurs einschlagen zu können, der dem Land nutzt und nicht schadet; nein, sie sind alle gleichermaßen traurig, weil sie mehr, nicht weniger NATO wollen, mehr, nicht weniger Klimazirkus und Zensur. Schon im Oktober hatte der Verband der Metallindustrie in Niedersachsen allein für dieses Bundesland von bis zu 100.000 bedrohten Arbeitsplätzen gesprochen; aber alle wirtschaftlichen Maßnahmen, die einfacher wären, wenn Trump in der Ukraine den Fuß vom Gas nimmt, haben unter den möglichen Regierungsparteien, ob die Koalition heute platzt oder noch bis zum kommenden September weiterröchelt, keine Vertreter.
Die Welt zitierte jüngst den Magdeburger Wirtschaftswissenschaftler Joachim Weimann, was für sich genommen schon ein wenig überrascht. Weimann hat sich schon länger kritisch über verschiedene umweltökonomische Ansätze geäußert, aber das war für den deutschen Mainstream kein Thema (mehr). Nun wurde er mit der Aussage zitiert, Deutschland befände sich derzeit "im kompletten Blindflug", weil die ganze Energiewende nicht ordentlich berechnet sei.
Weimanns Diagnose klingt wie eine Erweiterung dessen, was die Financial Times anzumerken hat:
"Deutschlands Erfolgsrezept beinhaltet drei Dinge: ein stabiles politisches System, funktionierende Staatsfinanzen und einen industriellen Kern. Alle drei Elemente sind gefährdet."
Wer die Komödie um die Produktion von 155mm-Granaten mitbekommen hat, wundert sich nicht, wenn sich der ganze Rest auch als Mischung aus Wunschdenken und Ahnungslosigkeit erweist. Weimann findet durchaus die passende Bezeichnung. Bezogen auf die möglichen Folgen einer Regierung Trump ist das so, als würden beim Blindflug plötzlich die Instrumente wieder zugeschaltet; aber die deutschen Piloten hielten inzwischen ebendiesen Blindflug so sehr für die Normalität, dass sie die Instrumente zum Teufelswerk erklären und sich weigern, auch nur einen Blick auf sie zu werfen.
Wenn die Ampel in den nächsten Tagen platzen sollte und es zu Neuwahlen käme, gäbe es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Große Koalition, die im Notfall, wenn die beiden grüngelben Farbspritzer herausfallen sollten, versuchen wird, Teile anderer Fraktionen abzuwerben. Eine Koalition, die aus einem Rückzug der USA aus der NATO Kapital schlagen kann, wird es nicht geben, weil die AfD zu viele NATO-freundliche Teile hat; eine Koalition, die sich von der Klimaerzählung löst, deshalb nicht, weil auch das BSW sie nicht lassen kann. Um den vierten Strang von Nord Stream zu öffnen, bräuchte es eine AfD-BSW-Koalition mit einer Mehrheit. Die verhältnismäßig besten Chancen hätte noch eine Teilaufklärung der Corona-Misere, vorausgesetzt, BSW und AfD …
Was es bräuchte, wäre jedoch kein Wetterleuchten, sondern ein waschechtes Gewitter, das die drückende Schwüle vertreibt und für klare Luft sorgt. Das ist nirgends in Sicht. Auch nicht mit Neuwahlen. Die Chancen, die eine Regierung Trump für Deutschland eröffnet, mögen begrenzt und auf anderen Gebieten (wie im Nahen Osten) von Risiken begleitet sein; aber man könnte entspannt darauf wetten, dass selbst diese Chancen mit Eifer verschenkt werden.
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