Angriff auf Kiesewetter: Der Totschläger des Argumentierens

Von Tom J. Wellbrock

Sollten Politiker durch Gesetze besonders geschützt werden? Diese Frage geistert durch die Medien, seit von Vorfällen berichtet wird, bei denen Politiker angegriffen oder auch verbal beschimpft wurden. Der jüngste Fall betrifft den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Es wird Zeit, einmal über die massiven Angriffe zu sprechen, die Kiesewetter selbst zu verantworten hat.

Whataboutism!

Wer auch immer im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg auf die unzähligen illegalen Kriege der USA hinweist, kriegt sofort die Whataboutism-Keule über den Schädel gezogen. Der Whataboutism-Vorwurf ist die wirksamste Waffe gegen Kritik, seit es Polit-Talkshows gibt.

Ignorieren wir das einmal und fragen uns, was passiert ist. Kiesewetter wollte Wahlkampf machen. Er stand also an seinem Stand und war ganz sicher hoch motiviert, den Menschen klarzumachen, dass Krieg, Tod und Leid ein hervorragendes Mittel sind, um Frieden herzustellen. Ein Mann sah das offenbar anders und schrie Kiesewetter an, ein Kriegstreiber sei er!

Ganz offenkundig hat Kiesewetter kein Problem damit, als Kriegstreiber bezeichnet zu werden, denn was ihn an der Verbalattacke des Mannes so sehr störte, war die Tatsache, dass er ihn geduzt hatte. Also ging Kiesewetter dem Mann hinterher, um herauszufinden, was ihn zu der Einschätzung kommen ließ, ihn duzen zu dürfen.

Gut möglich, dass der Mann Kiesewetters Whataboutism nicht so toll fand und ob seiner Verbalattacke noch schlechtere Laune bekam als er ohnehin schon hatte. Die Tatsache, dass Kiesewetter auch noch sein Handy eingeschaltet hatte (nur zur Sicherheit, man weiß ja nie) dürfte dem Mann ebenfalls nicht zugesagt haben. Und so kam eins zum anderen, der Mann schubste Kiesewetter, schlug ihn auch, so zumindest beschreibt es der CDU-Politiker. Nun muss man aber bei genauer Betrachtung erwähnen, dass der Kriegstreiber für seine Behauptung keine Beweise hat, und bisher ist auch kein Exemplar von Kiesewetters Video aufgetaucht (oder doch?), das womöglich Beweisstück A hätte werden können.

Aber noch mal zurück zur Ausgangssituation: Man stelle sich eine Kneipenschlägerei vor. Bis das gegenseitige Verprügeln beginnt, besprechen sich die beiden Kontrahenten nicht in höflicher Sie-Anrede, um ihre Argumente auszutauschen. Sie werfen sich eher verbale Faustschläge zu, bis sie zur Tat schreiten. Eine Wahlkampfveranstaltung ist dem nicht ganz unähnlich. Da steht ein Kriegstreiber an seinem Wahlstand und will seinen potenziellen Wählern klarmachen, dass Krieg Frieden ist und Waffen Menschenleben retten. Dann schaukelt sich die Sache hoch und am Ende landet der Kriegstreiber in einer Pfütze.

Rund 1.600 Kilometer entfernt liegen tote Soldaten auch in Pfützen. Sie wurden erschossen, ihrer Gliedmaßen beraubt oder wurden Opfer von sonstigem Beschuss. Auch darüber könnte man sich – Whataboutism hin oder her – vortrefflich aufregen. Nur ist das eben nicht erlaubt.

"Streit in der Sache, ja. Aber niemals Gewalt"

Dieser Satz entstammt der X-Feder eines weiteren Kriegstreibers, Michael Roth, SPD. Das ist der Mann, der gern rumjammert, dass manchmal Leute ihn nicht mögen oder nicht grüßen, der ansonsten aber in Sachen Kriegshetze und Unterstützung von Regime Changes immer in der ersten Reihe steht. Zwischendurch postet er Fotos, wie er Brot backt.

Dieser Michael Roth sagt also, dass man sich in der Sache ja gern streiten dürfe, aber doch nicht mit Gewalt, wo kämen wir da denn hin? Und er hat natürlich recht, Gewalt ist keine Problemlösung. Moment, doch, schon, ja! Wenn die Gewalt eines Krieges zur Sprache kommt, ist die Sache eine ganz andere. Die ist dann notwendig, nicht zu verhindern, es nützt ja alles nichts, Kriegsgewalt muss man einfach anders bewerten, besonders wenn man die besseren Argumente hat.

Halten wir also fest: Gewalt geht in Ordnung, wenn die "Richtigen" sie predigen. Und wer damit ein Problem hat, kann ja immer noch streiten, hart in der Sache, wie man so schön sagt. Allerdings, und dieser Hinweis sei gestattet, dem Streiten folgen keine Verhaltensänderungen derer, die weiterhin für den Krieg trommeln und dabei nebenbei Wirtschaft und Wohlstand des eigenen Landes gegen die Wand fahren. Leute, Ihr könnt streiten, bis die Drohne kommt, aber findet euch damit ab, dass sich dadurch nichts, aber auch gar nichts ändert.

Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen diese schreckliche Weiterführung und Verlängerung des Krieges, sie wollen, dass das aufhört, sie wollen auch keinen Stress mit Russland, sondern stellen sich mindestens eine friedliche Koexistenz vor, vielleicht sogar Freundschaft. Unerhört, ich weiß.

Diese Mehrheit aber hat nichts zu melden, sie wird diffamiert, ausgegrenzt, verurteilt und beleidigt. Und damit komme ich zum Schluss: Nein, ich heiße die Gewalt gegen Kiesewetter oder andere Politiker nicht gut, ganz sicher nicht. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass sie im Falle Kiesewetters Ausdruck einer kompletten Hilflosigkeit ist. Der Mann hetzt und hetzt, er bekommt große Bühnen, keinen Widerspruch, er ist einer der Mitverantwortlichen für massenhaftes Sterben, das schon längst hätte beendet werden können.

Ich betone also zur Sicherheit noch einmal: Ich lehne diese Form der Auseinandersetzung ab, Gewalt löst keine Probleme. Ich betone aber ebenso: Diejenigen, die maßgeblich für Leid und Tod und Qual verantwortlich sind, dürfen das nicht weiterhin vor großem Publikum tun. Wenn die gesellschaftliche Debatte die ganze Breite der Meinungen abbilden würde, wenn also die Kritiker des Krieges mindestens ebenso viel Spielraum bekämen wie die Kriegstreiber, wäre das allgemeine Klima ein anderes, würden Vorfälle wie die der jüngeren Zeit ganz sicher seltener werden.

Und wenn dann womöglich – man darf ja noch träumen – die Mehrheit der Gesellschaft sich durchsetzen und die Politik endlich Gespräche beginnen würde, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, wäre es gleich noch ein bisschen friedlicher. Und das wollen wir doch alle, oder?

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

Mehr zum Thema – Causa Strack-Zimmermann: Kranke Diagnosen einer Kriegstreiberin

 

 

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