Verhandlungen von Rat und Parlament: EU-Gesetze zu „elektronischen Beweismitteln“ angeblich auf der Zielgeraden

Mit Anordnungen zur Sicherung und Herausgabe von Daten ihrer Nutzer:innen sollen Internetdienstleister die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden erleichtern. Mit einer zusätzlichen Richtlinie müssen die Firmen eine rechtliche Vertretung benennen und Kontaktstellen einrichten.

Lötstellen eines Motherboards in den Farben grün und schwarz.
Die Gesetzgebungen enthalten Bestimmungen zu Bestands- und Verkehrsdaten sowie Inhalten der Kommunikation. CC-BY 2.0 Creativity103

Die Verhandlungen über die EU-Vorschläge zu „elektronischen Beweismitteln“ („E-Evidence“) könnten noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Das geht aus einem Vermerk des damaligen französischen Ratsvorsitzes hervor, der am 16. Juni an Delegationen der EU-Mitgliedstaaten verteilt wurde. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch, die das Dokument veröffentlicht hat, spricht deshalb von einem „Endspiel“.

Nach französischer Ansicht sei der zweite politische Trilog von Rat und Parlament vom 14. Juni ein „Wendepunkt“ gewesen. Die beiden Gesetzgeber waren sich vor allem in der Frage uneinig, ob ein Staat der Anordnung eines anderen Landes zur Herausgabe „elektronischer Beweismittel“ widersprechen darf.

„Einigung über die Kernelemente“

In einem dritten politischen Trilog am 28. Juni erzielten die Parteien schließlich „eine Einigung über die Kernelemente“ der vorgeschlagenen Gesetzgebung. Dies geht aus sogenannten Vier-Spalten-Dokumenten hervor, die Statewatch ebenfalls veröffentlicht hat. Dazu hat sich der Rat intensiv mit der Berichterstatterin des Parlaments Birgit Sippel (SPD) ausgetauscht. Daran waren auch die Justizminister aus Frankreich und Tschechien beteiligt.

Den Vorschlag für eine Verordnung zur Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel in Strafsachen hat die Europäische Kommission vor über vier Jahren vorgelegt. Die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sollen damit Internetdienstleister, die sich in einem anderen EU-Staat befinden, nach einer Anforderung zur Übermittlung von Daten ihrer Nutzer:innen verpflichten können. Die Verordnung enthält Bestimmungen zu Bestands- und Verkehrsdaten sowie zu Inhalten der Kommunikation.

Mit einer zusätzlichen Richtlinie werden die Firmen außerdem zur Ernennung von Rechtsvertreter:innen verpflichtet. Betroffen sind auch Unternehmen, die in Drittstaaten ansässig sind, aber ihre Dienste in der EU anbieten. Sie müssen einen „Ansprechpunkt“ innerhalb der EU benennen, an den die Anordnungen aus einem EU-Land geschickt werden können. Die Regierungen, auf deren Hoheitsgebiet sich die Firmen befinden, bleiben dabei mit ihren eigenen Justizbehörden außen vor. Die Ersuchen werden lediglich im Anordnungsstaat durch einen Gerichtsbeschluss autorisiert.

Priorität der tschechischen Ratspräsidentschaft

Tschechien, das den halbjährigen EU-Vorsitz von Frankreich übernahm, räumt dem E-Evidence-Dossier hohe Priorität ein. Anfang September soll es einen letzten politischen Trilog geben, bis 19. August sollen die Justizministerien der Mitgliedstaaten dazu ihre Position zu den Verhandlungen mitteilen. Diese werden am 1. September in einer Sitzung der Ratsarbeitsgruppe „Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ diskutiert. Einzelheiten sollen dann in zwei weiteren technischen Trilogen geklärt werden, von denen es bereits sechs Treffen gegeben hat.

Eine der immer noch offenen Fragen ist das sogenannte Wohnsitzkriterium. Es soll regeln, wer unter den Anwendungsbereich der geplanten Verordnung fällt. Das Parlament schlägt dazu ein Jahr als Zeitraum für die Festlegung des ständigen Wohnsitzes einer Person vor. Nach Definition des Rates soll hierzu der „gewöhnliche Aufenthalt“ ausschlaggebend sein.

Auch die Anwendung der geplanten Verordnung für „Notsituationen“ ist strittig. Die Mitgliedstaaten im Rat fordern die sofortige Herausgabe ohne die in der Verordnung beschriebenen Umwege. Das Parlament besteht indes auf einer „aufschiebenden Wirkung“.

Neues „Austauschsystem“ für Anordnungen und Daten

Neu ist der Vorschlag für ein dezentrales „Gemeinsames Europäisches Austauschsystem“, über das der Austausch von Anordnungen und herausgegebenen Daten abgewickelt wird. Über nationale Kontaktstellen in allen EU-Ländern soll es ab 2026 die zuständigen Behörden vernetzen. Jeder Mitgliedstaat muss hierfür die Kosten für die Einrichtung, den Betrieb und die Wartung übernehmen und sicherstellen, dass die Schnittstellen mit jenen in anderen Ländern interoperabel sind.

Einzelheiten soll die EU-Kommission in Durchführungsrechtsakten konkretisieren. Die über das Austauschsystem verteilten digitalen Dokumente sollen beispielsweise im Rahmen von grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren mit elektronischen Unterschriften und Siegeln als rechtssicher eingestuft werden. Auch die Internetdienstleister werden mit ihren benannten Niederlassungen angeschlossen. Ist die elektronische Kommunikation über das „Austauschsystem“ gestört, muss die Übermittlung über andere Kanäle erfolgen.

Das neue IT-System soll auch die Erstellung von Statistiken zu Sicherungs- und Herausgabeanordnungen ermöglichen. Daraus soll hervorgehen, welche davon für Notfälle ausgestellt und welche abgelehnt wurden, außerdem wird die Dauer für die Bearbeitung dokumentiert. Bis zum 30. Juni eines jeden Jahres soll die Kommission dann einen Bericht mit den Daten über das Vorjahr veröffentlichen.

Ähnliche Gesetzgebungen bei Europarat und Vereinten Nationen

Parallel zu den Verhandlungen um die E-Evidence-Verordnung hat die EU-Kommission mit den Vereinigten Staaten über Anordnungen auch über EU-Grenzen hinweg diskutiert. Zur Debatte steht eine Aufnahme in den sogenannten CLOUD Act, mit dem die US-Regierung Herausgabeanordnungen an einheimische Internetdienstleister erlassen kann.

Mit einem zweiten Zusatzprotokoll zur Budapester Konvention hat auch der Europarat die Herausgabe elektronischer Beweismittel neu geregelt. Das über mehrere Jahre verhandelte Abkommen wurde im Mai zur Zeichnung aufgelegt. Zuerst haben es 22 Mitgliedsstaaten des Europarates gezeichnet, Deutschland war nicht darunter.

Schließlich verhandeln auch die Vereinten Nation über ein solches Abkommen zur Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für kriminelle Zwecke. Weil der Vorschlag im Juli 2021 von der Russischen Föderation stammte, gaben sich viele westliche VN-Mitglieder zunächst reserviert. Inzwischen hat bereits die zweite Verhandlungsrunde stattgefunden.


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