Die täglichen Lügen über den Ukrainekrieg einfach nicht mehr hinnehmen
Gastbeitrag und Meinungskolumne von Felix Perrefort
IZ 17.3. 25
KI
„Die bittere Wahrheit der Ukraine-Verhandlungen ist: Deutsche Medien lügen, Putin ist rational – meine Desillusionierung und Neubewertung der NATO-Außenpolitik.
In unseren Medien wird man von „Experten“ und Journalisten systematisch über den Ukrainekrieg getäuscht, wie sich im Kontrast zur reinen Nachrichtenlage zeigt. Ich habe mich nochmals intensiv mit dem Thema beschäftigt und breche es auf zehn kompakte Punkte herunter. Im Ergebnis komme ich zu einer Sichtweise, von der ich überrascht bin, dass ich sie nun vertrete. Die Überschrift klingt vordergründig „anti-westlich“, was ich nicht bin, doch sie stimmt. Sie ist das Ergebnis einer nüchternen Bestandaufnahme der Tatsachenlage, die Lichtung eines Propaganda-Nebels, der auf westlicher Seite systematisch erzeugt wird. Dabei liegen die Dinge verblüffend einfach, sofern man unsere bisherige NATO-Außenpolitik gegenüber Russland verantwortungs- statt gesinnungsethisch analysiert.
1. Das Grundproblem der Medien ist, dass sie zu Beginn der zweiten Kriegsphase (Februar 2022) ein Zerrbild Russlands in die Welt setzten, hinter das sie nicht mehr zurückkönnen und wollen: „Aggressor“ Putin will aus imperialistischem Dominanzstreben die gesamte Ukraine unterwerfen, vertritt damit kategorisch keine legitimen Interessen – und kann deshalb keinen Frieden wollen. Aus diesem Zerrbild folgt die überall zu lesende Desinformation, wonach Russland sich nur mit einer „Kapitulation“ der Ukraine zufriedengibt, also der Preisgabe nationaler Souveränität. Sie ist das Kernelement des deutschen, europäischen Blicks. Es gibt keine Nachrichten, die dieses Gerücht beweisen – es handelt sich um eine grobe Verzerrung der offiziellen Äußerungen des Kremls, die man nur unvoreingenommen lesen muss.
2. Die westliche Verzerrung: Der Trump-Deal sehe „nichts anderes als die Kapitulation der Ukraine vor“, so die ehemalige Nato-Chefstrategin Stefanie Babs im ZDF. Die von Russland gestellten Bedingungen seien der „Weg zur Kapitulation der Ukraine“, zitiert Tagesschau Tatiana Stanovaya, Sprachrohr einer 2023 gegründeten Ukraine-Russland-NGO, hinter der Stiftungsgelder stehen, die in Richtung des US- und EU-Deep States weisen. „Putins Forderungen seien eine „existenzielle Bedrohung für Kiew“, insinuiert der Tagesspiegel. Diese „Einordnungen“ lassen sich auf die einfache, dauerwiederholte, aber unbelegte Formel bringen: „Putin will keinen Frieden. Er will die Ukraine“, so das mutmaßliche Deep-State-Gewächs Lena Berger (+36.400 Follower). Es sind dreiste Kriegslügen, die von der Realität widerlegt werden.
3. Die unverzerrte Nachrichtenlage: Die Ausgangsbasis für die kommenden Verhandlungen sind nämlich jene Istanbul-Verhandlungen aus dem Frühjahr 2022, die –nachweislich – am Westen scheiterten und von ukrainischen Unterhändlern gegenüber WELT als „der beste Deal, den wir hätten haben können“, bezeichnet wurden. (Selbst diese „Istanbul Plus“-Grundlage würde „Russland als Weg zur Kapitulation Kiews“ betrachten, so erwähnte NGO-Expertin Tatiana Stanovaya.) Wie Reuters unter Verweis auf amerikanische und russische Beamte berichtet, seien „die Bedingungen des Kreml“ jedoch „ähnlich den Forderungen, die er zuvor an die Ukraine, die USA und die NATO gestellt hatte“ – also schon vor 2022. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: „Auch in Washington haben wir Aussagen gehört, dass dies eine Grundlage, ein Ausgangspunkt für Verhandlungen werden könnte. Und natürlich hat Präsident (Wladimir) Putin gesagt, dass die Istanbuler Abkommen als Ausgangspunkt für die Verhandlungen dienen könnten.“ (Reuters, 7.3.25)
4. Die alten, rationalen Forderungen Russlands: Zu ihnen, so Reuters, „gehörten die Nichtmitgliedschaft Kiews in der NATO, die Vereinbarung, keine ausländischen Truppen in der Ukraine zu stationieren, und die internationale Anerkennung von Präsident Wladimir Putins Anspruch, dass die Krim und vier Provinzen zu Russland gehören. Russland hat in den letzten Jahren zudem von den USA und der NATO gefordert, sich mit den sogenannten ‚Grundursachen‘ des Krieges zu befassen, darunter die NATO-Osterweiterung.“ (Reuters, 13.3.25)
Russland wiederholt demnach aktuell nur, was es seit jeher forderte: „Der Schlüssel zu allem ist die Garantie, dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnt“, so Außenminister Sergej Lawrow am 14. Januar 2022. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, die Putin vor Kriegsbeginn äußerte: „Was sie in der Ukraine tun oder versuchen oder planen, geschieht nicht Tausende von Kilometern von unserer Landesgrenze entfernt. Es liegt vor der Tür unseres Hauses. Sie müssen verstehen, dass wir einfach nirgendwo anders hingehen können. Glauben sie wirklich, dass wir diese Bedrohungen nicht sehen? Oder glauben sie, dass wir einfach tatenlos zusehen werden, wie diese Bedrohung für Russland entsteht?“ (eine Liste verwendeter Quellen folgt)
5. Die US-Außenpolitik, die zur Alternative stand: Mehrere hochrangige US-Diplomaten und Strategen warnten früh vor den Folgen der NATO-Osterweiterung und einer konfrontativen Russland-Politik. William J. Burns, heutiger CIA-Direktor und ehemaliger Botschafter in Moskau, machte unmissverständlich klar: „Ich habe noch nicht einen einzigen Gesprächspartner in Russland getroffen, der eine NATO-Erweiterung auf Georgien und die Ukraine nicht als eine direkte Herausforderung an russische Interessen betrachtet.“ Auch Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister, mahnte früh zur Diplomatie. „Die Ukraine sollte nicht das westliche Vorposten gegen Russland werden“, sagte er bereits 2014. „Sie sollte eine Brücke zwischen Ost und West sein.“
6. Die NATO-Provokation durch Anti-Diplomatie: Für die NATO war eine solche Position unmittelbar vor Kriegsbeginn nicht einmal verhandlungsfähig: „Am 17. Dezember 2021 schickte Putin einen Brief an Präsident Joe Biden und NATO-Chef Stoltenberg, in dem er eine Lösung der Krise auf der Grundlage einer schriftlichen Garantie vorschlug, dass 1) die Ukraine nicht der NATO beitreten würde, 2) keine Offensivwaffen in der Nähe der russischen Grenzen stationiert würden und 3) NATO-Truppen und -Ausrüstung, die seit 1997 nach Osteuropa verlegt worden war, nach Westeuropa zurückverlegt würden“, so der amerikanische Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer. Sein Fazit: „Was auch immer man von der Machbarkeit eines Abkommens auf der Grundlage von Putins anfänglichen Forderungen halten mag, über die die Vereinigten Staaten nicht verhandeln wollten, es zeigt, dass er versuchte, einen Krieg zu vermeiden.“
Der Spiegel interviewte Mearsheimer zuletzt, woraufhin die dubiose NGO „Unlimited Democracy“ mit Einschüchterungsmethoden reagierte, vorgetragen von einem Mann namens Dietmar Pichler, dessen Tweet aber inzwischen gelöscht ist, und unterstützt vom hochaktiven Social-Media-Influencer „Lena Berger“. Das ist wichtig, denn das sind mutmaßlich die autoritären Angriffe des Deep States, die das Interesse jener NATO-Kräfte vertreten, die auf Anti-Diplomatie und Russlandfeindschaft setzen – und deren Politik gescheitert ist.
7. Der Dreh- und Angelpunkt der Forderungen Russlands war seit den Neunzigern bis heute die Osterweiterung der NATO, auf welche der Westen aber starrhalsig, ja geradezu bockig bestand – bis hin zu dem Punkt, dass auch die Ukraine in das Militärbündnis aufgenommen werden sollte (ukrainischer Parlamentsbeschluss 2019). – Nüchtern betrachtet, ist es schlicht lächerlich, dass der Westen Zugeständnisse an Russland kategorisch verweigerte. Interessenausgleich und Kompromiss sind die Grundlage der Zivilisation, gegenüber Russland beanspruchte man jedoch unipolare Hegemonie und Unterordnung; wir reden uns ein, dass das irgendwie selbstverständlich ist, doch das ist es nicht. Es war die Entscheidung für einen bestimmten politischen Kurs, zu dem es Alternativen gegeben hätte, die im Interesse der Mehrheit sämtlicher Länder gewesen wären – so wie es auch zu Merkels Migrationspolitik Alternativen gegeben hätte.
8. Die geopolitische Schuld des Westens ergibt sich jenseits des Völkerrechts. Der Westen hatte es wiederholt in der Hand, jenen – im Grundsatz nun erneut anstehenden – Deal abzuschließen, mit dem der Krieg verhindert worden wäre. „Wenn die NATO darauf verzichtet hätte, die Ukraine zu einem Teil ihres militärischen Dispositivs zu machen, hätte es diesen Krieg nicht gegeben“, so der französische Historiker Emmanuel Todd. Westliche Eliten hielten es aber für ihr offenbar gottgegebenes Vorrecht, die Ukraine in ihr Militärbündnis einzubinden, was man genauso gut hätte unterlassen können. Für diese Selbstgerechtigkeit nahmen sie die unausweichliche Barbarei des Krieges nachweislich in Kauf, Tod und Verderben einer Million Opfer, um danach ihre Hände in Unschuld zu waschen: Herrschender infantiler Logik nach liegt die Schuld schließlich kategorisch nur bei demjenigen, der den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ begonnen hat. Über Fragen von Schuld und Verantwortung entscheide also keine Geopolitik – die wahlweise aggressiv, unterwürfig, aber auch umsichtig sein kann –, sondern restlos das Völkerrecht. Das ist die Sackgasse und Regression des etablierten außenpolitischen Denkens.
9. Der westliche Verblendungszusammenhang, der in Amerika nicht mehr besteht: Grundsätzlich ist zu sagen, dass die NATO-Propaganda auf groben, durch Recherche leicht zu erkennenden Lügen beruht, mit denen die Medien uns nach wie vor im großen Stil täuschen: Putin wollte und will nicht die ganze Ukraine, sein Hauptziel war und ist die Neutralität der Ukraine. Nachrichtenagenturen berichten solche Tatsachen, die dann aber von „Experten“, „Aktivisten“ und „Journalisten“ verzerrt sowie in Begriffe und Darstellungen gebettet werden, die Entscheidendes weglassen; auch werden die Bilder der Kriegsversehrten und Verstümmelten uns nicht präsentiert, weil sie statt Kriegsbegeisterung Ernüchterung einkehren ließen; Widerspruch wird zur Feindpropaganda erklärt und tabuisiert, die Öffentlichkeit tendenziell gleichschaltet. So entsteht ein geschlossener Verblendungszusammenhang, der den Blick auf die Realität auf extreme Weise verzerrt. Nichts deutet darauf hin, dass Europa da aus eigener Kraft herausgefunden hätte.
Kurzum: Der NATO-Westen hält seit drei Jahren einen Abnutzungskrieg unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aufrecht, schloss damit einen diplomatischen Ausweg kategorisch aus, verheizte Ukrainer mit einer Selbstverständlichkeit und Besinnungslosigkeit, als handelte es sich um „slawische Untermenschen“, und verkaufte das alles als Ausdruck von „Solidarität mit der Ukraine“ – es ist ein bigottes, (fast) gesamtgesellschaftliches Totalversagen, das bislang nicht ansatzweise begriffen wird.
10. Der Kurswechsel der Republikaner, die unter der ersten Amtszeit Trumps Teil des Problems waren (also auch nicht auf Kissinger-Kurs), ist nun Teil der Lösung. Zu hoffen bleibt, dass jene in der Vergangenheit unberücksichtigt gebliebene US-Linie aufgegriffen wird, die die aggressive Haltung pro NATO-Osterweiterung beendet und stattdessen die Ukraine als neutralen Brückenkopf zwischen den beiden Supermächten festlegt. Lichtet sich in Europa der Propagandanebel, wird sich zeigen, dass diese Konstellation ausgewogen, historisch erfahrungsgesättigt und auch für einen selbstbewussten Westen leicht zu akzeptieren wäre.“
(Foto: KI)
Dank an Frank Thieme
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