Viele globale Projekte, die sich für die Internetfreiheit einsetzen, stehen vor einer ungewissen Zukunft. Ohne Mittel aus US-Töpfen können sie kaum arbeiten – und die streicht Donald Trump derzeit rabiat zusammen. Der Schaden könnte sich als enorm erweisen.

Es wirkt wie eine Nachricht aus einer anderen Welt. Vor wenigen Monaten appellierte die US-Regierung noch an große Tech-Unternehmen wie Amazon und Microsoft, Menschen in autoritär geführten Ländern bei der Umgehung von Zensur zu helfen. Dabei sollten sie auf Tools zurückgreifen, die von der US-Regierung mitfinanziert werden.
Die Liste dieser Tools kann sich sehen lassen: Staatliche Förderung aus diversen US-Töpfen haben etwa der Anonymisierungsdienst Tor erhalten, der verschlüsselte Messenger Signal oder der OpenVPN-Dienst. Neben diesen klingenden Namen finanziert die US-Regierung unzählige weitere, in der Regel quelloffene Projekte.
Der Auftrag war bislang klar: Im Namen von Demokratie und Freiheit lassen sich mit den Tools beispielsweise Netzsperren oder Zensur im Internet umschiffen, vertraulich Menschenrechtsverletzungen dokumentieren oder IT-Angriffe forensisch untersuchen.
Dies dürfte in der bisherigen Form bald ein Ende haben, zur Freude autoritärer Staaten. Seit Donald Trump Ende Januar seine zweite Amtszeit angetreten hat, überschlagen sich die Hiobsbotschaften. Gleich in der ersten Woche hatte etwa das US-Außenministerium einen radikalen Ausgabestopp verkündet, während Elon Musks DOGE-Gremium auf rechtlich fragwürdiger Basis die Staatsfinanzen umpflügt.
Gefährlicher öffentlicher Pranger
Besonders bemerkbar macht sich das bei der untergeordneten Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID). Offenbar ist sie zumindest teilsweise ins Visier von Elon Musk geraten, weil Rechtsaußen-Aktivist:innen in einschlägigen Podcasts und auf seiner Plattform X gezielt und meist unbelegt Stimmung gegen sie machen.
„USAID war ein Schlangennest radikaler linker Marxisten, die Amerika hassen“, kommentierte der Tech-Oligarch etwa ein Posting des rechten Influencers Mike Benz. Langjährigen republikanischen Politiker:innen wie Pete Marocco, denen Auslandshilfe schon seit Langem ein Dorn im Auge ist und die nun maßgeblich an der Demontage der Behörde beteiligt sind, dürfte die öffentliche Abkanzelung vor einem Millionenpublikum nur recht sein. Humanitäre Hilfsprojekte in aller Welt stehen nun unvermittelt vor dem Aus, ungeachtet laufender Gerichtsverfahren über die Rechtmäßigkeit des Kahlschlags.
Beschädigtes Ökosystem
Das Chaos ist nun auch bei den Projekten angekommen, die sich der Internetfreiheit verschrieben haben. „Das gesamte Ökosystem wird gerade zerstört“, sagt Paul*, der aus Furcht vor Pranger-Aktionen und Vergeltungsmaßnahmen der Trump-Administration anonym bleiben möchte. Obwohl einer der wichtigsten Geldgeber in dem Bereich, der Open Technology Fund (OTF), bislang noch nicht direkt betroffen ist, „haben wir jetzt schon extreme Verluste für die Internetfreiheitsbewegung erlitten“, sagt der Entwickler gegenüber netzpolitik.org.
Neben dem OTF vergibt auch das Außenministerium unmittelbar Mittel, oder es nutzt Strukturen und Töpfe untergeordneter Behörden wie USAID oder der Behörde für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit (Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor – DRL), um Projekte mit Digitalbezug zu fördern.
Dies alles ist derzeit in Auflösung begriffen: „Die stop-work order ist nicht an uns vorbeigegangen“, sagt Peter*, der seinen echten Namen ebenfalls nicht in der Öffentlichkeit sehen möchte. Mit dieser „stop-work order“ hatte die Trump-Administration praktisch sämtliche internationale Hilfsprogramme unilateral auf Eis gelegt, die juristische Auseinandersetzung ist inzwischen vor dem Supreme Court angekommen.
Ausgedünnte Behörden
In vielen Fällen ist der Schaden jedoch bereits angerichtet. Nicht direkt beim Staat angestellte Mitarbeitende, „die sehr viel Arbeit geleistet haben, die wurden alle gefeuert“, sagt der Entwickler über seine Ansprechpartner:innen in US-Behörden. Die Vollzeit-Angestellten seien zwar alle noch da, so Peter, aber die seien nun völlig überlastet.
Wo sich früher drei Leute um seine Projekte gekümmert hätten, ist „heute nur mehr eine Person übrig geblieben“, berichtet Paul. Diese Leute müssten nun „extrem viel Fleißarbeit“ erledigen und seien „nur mit Papierkram“ beschäftigt. „In Kontakt treten ist unheimlich schwierig“.
Die chaotische Lage scheint viele Beteiligte zu überfordern. „Vom Außenministerium erhält man manchmal Antworten, die jüngsten Gerichtsurteilen widersprechen“, klagt ein anderer, ebenfalls anonymer Entwickler, nennen wir ihn Philipp*. Und der Mehraufwand setzt sich bei den Projekten selbst fort. „Eine Hälfte des Teams beschäftigt sich damit, Anträge umzuschreiben, die andere Hälfte sucht nach neuen Finanzmitteln“, sagt Paul.
America First – und bitte nicht zu divers
Derzeit kursieren Dokumente mit Formulierungshilfen, die netzpolitik.org einsehen konnte. Die sollen die Chancen auf Förderung steigern. In Einklang mit jüngsten Trumpschen Erlassen sollten Antragsteller:innen Begriffe wie „Nationales Interesse“, „Amerikanischer Prosperität“ oder auch „Freie Meinungsäußerung“ nutzen – aber nur, wenn sich mit Beispielen belegen lasse, dass dabei „alle Narrative“ berücksichtigt würden. Vermeiden sollten sie hingegen Begriffe wie „Diversity, Equity & Inclusion (DEI)“ oder Andeutungen, die sich als Einmischung in innenpolitische Belange des Landes interpretieren ließen.
Dabei stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich die Arbeit letztlich als umsonst herausstellt. Zwar hat die Haushaltssperre den OTF noch nicht erreicht, von ihm bewilligte Projekte laufen bis auf Abruf weiter. Das muss aber nichts heißen: Zum einen brechen viele angrenzende Strukturen weg, was Schaden genug verursacht. Zum anderen können es sich Trump, Musk oder sonst jemand aus der Exekutive jederzeit anders überlegen und kurzerhand den Stecker ziehen, wie es in anderen Behörden passiert ist.
Nicht der erste Angriff auf den OTF
Eigentlich sollte genau das nicht möglich sein. Schon in seiner letzten Amtszeit hatte Trump für beträchtliche Irritationen gesorgt, als er den konservativen Aktivisten Michael Pack zum Chef der US Agency for Global Media (USAGM) bestellte. Diese Regierungsbehörde finanziert und beaufsichtigt unter anderem international operierende US-Medien wie Voice of America, Radio Free Europe/Radio Liberty – und eben auch den OTF, der ursprünglich aus diesem Umfeld heraus entstanden war und der seit dem Jahr 2019 als unabhängige, gemeinnützige Organisation aufgestellt ist.
Pack konnte sich gerade Mal ein halbes Jahr im Amt halten, Spuren hat er trotzdem hinterlassen: Unter anderem entließ er die damalige OTF-Chefin Libby Liu – unrechtmäßig, wie ein Gericht später feststellte – und leitete Fördermittel aus undurchsichtigen Gründen zu Closed-Source-Projekten um. Zugleich schüttete er 20 Millionen US-Dollar nicht aus, obwohl diese der Kongress ausdrücklich bewilligt hatte. Der von Pack angerichtete Schaden war so groß, dass selbst Trump-Verbündete und einflussreiche Senator:innen, darunter Linsday Graham und Marco Rubio, inzwischen Außenminister, scharfe Kritik übten.
Tatsächlich hat der Kongress seitdem die Mittel für Internetfreiheitsprojekte fast jährlich erhöht. Für das Jahr 2023 standen laut OTF für den Bereich insgesamt rund 90 Millionen US-Dollar zur Verfügung, knapp die Hälfte davon war für den OTF bestimmt – eine Vervierfachung seit dem Jahr 2019, im Vergleich zu anderen US-Staatsausgaben aber kaum mehr als ein Rundungsfehler.
Vertrauen nachhaltig beschädigt
Viele Projekte erhalten jedoch nur einen Teil ihres Budgets aus OTF-Töpfen, entsprechend bemerkbar macht sich vor allem der Ausgabestopp des Außenministeriums. Der Entwickler Patrick*, dessen Projekt in Asien sensitive Menschenrechtsarbeit durchführt und der nicht identifiziert werden will, musste schon Leute entlassen. Gerade in heiklen Umgebungen ist das doppelt bitter: Es sei unheimlich schwierig und zeitaufwändig, gute Mitarbeiter:innen für diese Art aktivistischer Arbeit zu gewinnen, so Patrick.
Selbst wenn irgendwann wieder alle Mittel fließen sollten, könne man nicht „einfach wieder den Schalter umlegen“. Vieles laufe über Vertrauen, und das sei nun nachhaltig beschädigt, sagt Patrick. Derzeit könne sein Projekt „gerade mal die Lichter anlassen“, damit die Website online bleibt. Zwei bis vier Monate blieben noch unter den gegenwärtigen Umständen, schätzt der Entwicker, dann müssten sie ganz zusperren. „Unsere Landebahn ist nicht sehr lang“.
Ähnliches berichtet Peter. Das Budget für seine Projekte kam bislang zu rund drei Vierteln vom Außenministerium. Mit dem sei die Zusammenarbeit bislang hervorragend gewesen, nun sei alles eingefroren. „Die Auswirkungen auf uns sind enorm“, sagt der Entwickler. Verträge waren unterschrieben, Strukturen aufgebaut, Leute eingestellt. Das alles steht nun auf der Kippe. „Wenn das Geld ausläuft, dann müssen wir den Laden dichtmachen“, sagt er.
Trump als Vorbild für Reaktionäre
Der radikale Richtungsschwenk der US-Regierung war heiß diskutiertes Thema auf der Menschenrechtskonferenz RightsCon, die letzte Woche in Taiwan stattgefunden hat. Dabei ging es nicht nur um Finanzierungsfragen, sondern auch um ganz konkrete Bedrohungen: Mit Hinweis auf Donald Trump, der USAID als „inkompetent und korrupt“ bezeichnet hatte, durchsuchte etwa die serbische Polizei Ende Februar die Büros mehrerer Nichtregierungsorganisationen, die Mittel von der Behörde erhalten hatten.
Auch in Afrika, Südamerika und anderen Kontinenten sind die weitgehend haltlosen Anschuldigungen ein gefundenes Fressen für Reaktionäre. Sie würden etwa dazu genutzt, um „Festnahmen, Einschüchterungen und die anhaltende Unterdrückung von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu rechtfertigen“, zitiert Technology Review eine Projektmanagerin aus Uganda. Davon profitieren dürften Länder wie China oder Russland, sagte der ehemalige USAID-Chef Steven Feldstein gegenüber Tech Policy: „Diese Gruppen im Regen stehen zu lassen, schadet nicht nur ihnen, es ist auch äußerst schädlich für die Interessen der USA.“
Ende kaum absehbar
Dass sich das Chaos bald legt, damit rechnen nur wenige. Erst am Mittwoch hat etwa der Supreme Court den Stopp bestimmter Zahlungen für nicht rechtens erklärt und den weiter laufenden Rechtsstreit an ein untergeordnetes Gericht zurücküberwiesen. Und seit Neuestem fragt das DRL im Auftrag des Office of Management and Budget (OMB), das unter anderem über den Haushalt von Bundesbehörden wacht und inzwischen vom ultrakonservativen Project-2025-Ko-Autor Russell Vought geleitet wird, in einem längeren Fragebogen ihre „Implementierungspartner“ ab.
Angeblich freiwillig sollen sie darin etwa beantworten, ob ihr Projekt irgendetwas mit Umweltschutz zu tun hat oder sich für Diversität stark macht. Viele Projekte vermuten eine Falle und beraten derzeit intensiv, ob sie die am Freitag auslaufende Antwortfrist einhalten. Gleichwohl weist ein Beamter aus dem Außenministerium in einer E-Mail, die netzpolitik.org einsehen konnte, darauf hin, dass der Fragebogen sonst „nach bestem Wissen und Gewissen“ von der Behörde selbst ausgefüllt werde – um anschließend durch den Muskschen KI-Wolf gedreht zu werden, wie manche vermuten.
In einer anderen internen E-Mail führt die Behörde, die zudem personell zunehmend ausgedünnt zu sein scheint, zumindest aus, was das Ziel sein soll: Es gehe darum, die „Auslandshilfe der US-Regierung an der ‚America First‘-Außenpolitik des Präsidenten“ auszurichten. Diese erfordere, „dass jeder Dollar Auslandshilfe Amerika sicherer, stärker und wohlhabender macht“.
*Namen geändert, echte Namen der Redaktion bekannt.
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