Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump spitzt sich in Deutschland die Debatte um „digitale Souveränität“ zu. Allerdings bleibt meist unklar, was der Begriff genau meint. Dabei gibt es bereits Ideen, wie wir digitale Autonomie etwa in der öffentlichen Verwaltung effektiv erreichen können.

Kaum war US-Präsident Donald Trump im Amt, setzte er – im Schulterschluss mit Unternehmen aus dem Silicon Valley – engste Partner der Vereinigten Staaten unter Druck. Auch der Europäischen Union droht er mit deftigen Strafzöllen. Vor allem zwei EU-Gesetze, die die Geschäfte amerikanischer Tech-Konzerne regulieren, sind ihm dabei offenbar ein Dorn im Auge: der Digital Markets Act und der Digital Services Act.
Das Agieren der US-Administration befeuert die Debatte um Europas Abhängigkeit von US-amerikanischer Plattformtechnologie, Software und Cloud-Speichern. Der Staat müsse digital souverän werden, lautet eine zentrale Forderung auf dieser Seite des Atlantiks.
Oft aber ist unklar, was hier das Ziel sein soll. Denn zum einen gerät der Begriff „digitale Souveränität“ allmählich zum Gemeinplatz. Und zum anderen läuft der Ruf nach ihr auf eine Zentralisierung der Kontrolle über den digitalen Raum hinaus. Ins Hintertreffen gerät dabei die Frage, wie digitale Autonomie etwa in der öffentlichen Verwaltung effektiv erreicht werden kann.
Wie abhängig ist der Staat?
Das Thema „digitale Souveränität“ diskutiert die bundesdeutsche Politik schon seit Jahren. Zu Ampel-Zeiten stand dabei regelmäßig die Abhängigkeit von Technologie aus dem Nicht-EU-Ausland im Fokus: Hardware von Huawei für das 5G-Mobilfunknetz, Software von Microsoft, Oracle und Broadcom oder Cloud-Dienste von Microsoft und Google.
Noch zu Merkel-Zeiten definierte der IT-Planungsrat vage, was unter „digitaler Souveränität“ zu verstehen ist. In seiner „Strategie zur Stärkung der Digitalen Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (PDF)“ legte der Rat folgende Ziele fest, um unabhängiger von bestimmten IT-Lösungen zu werden: „Wechselmöglichkeit, Gestaltungsfähigkeit, Einfluss auf IT-Anbieter“.
Getan hat sich seitdem wenig: Nach wie vor sorgt der sogenannte Vendor-Lockin-Effekt dafür, dass öffentliche Verwaltungen nur mit großem technischen und finanziellen Aufwand auf alternative IT-Lösungen umsteigen können.
Dieses Versäumnis treffe die öffentliche IT in Deutschland ins Mark und bedrohe die Handlungsfähigkeit des Staates, sagt Jutta Horstmann, Chefin des Zentrum für digitale Souveränität in der öffentlichen Verwaltung (ZenDiS). Dies betreffe nicht nur die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, sondern umfasse alle Politikbereiche von der Innen- und Außenpolitik, über die Verteidigungsfähigkeit und wirtschaftliche Stabilität bis zur Daseinsvorsorge und die Bildung. „Für all das ist bei uns der Staat zuständig und alles ist mit Softwarelösungen unterfüttert“, so Horstmann gegenüber netzpolitik.org.
Begriff mit Beifracht
So klar die Versäumnisse sind, so vielfältig sind in der aktuellen Debatte die Bedeutungen, was „digitale Souveränität“ im Kern bedeutet. Ist damit vor allem die Abhängigkeit staatlicher Einrichtungen von privaten IT-Herstellern gemeint? Oder bezieht sich der Begriff auf die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Landes von einem anderen, weil dieses Hauptproduzent und -entwickler von IT ist? Verfolgt digitale Souveränität gar das Ziel, Ressourcen-Autarkie zu erreichen? Oder geht es vor allem darum, eigene rechtliche Regularien durchzusetzen?
„Digitale Souveränität“ sei längst ein „Catch-all“-Begriff, sagt Stefan Kaufmann gegenüber netzpolitik.org, der seit vielen Jahren als Civic-Tech-Aktivist unterwegs ist. Das lege den Verdacht nahe, „dass es ein Marketingbegriff ist“. Außerdem könne man nicht von digitaler Souveränität sprechen, „ohne die anderen Seiteneffekte territorialer Souveränität einzubeziehen – bis hin zur Abschottung an den Außengrenzen dieses Territoriums, mit allen damit verbundenen Folgen“, sagt Kaufmann.
Besser wäre es, einen alternativen Begriff zu finden, der klar macht, dass sich Staat und öffentliche Verwaltung vom privaten Sektor emanzipieren und zugleich im Sinn der Zivilgesellschaft handeln sollten.
Mit Open Source aus der Abhängigkeit?
Um dieses Ziel zu erreichen, setzt das ZenDiS auf Open Source. Ebendies haben das Bundesinnenministerium und der IT-Planungsrat dem Zentrum auch in die Gründungsstatuten geschrieben. Die Idee dahinter schließe einen Vendor-Lockin aus, sagt Jutta Horstmann.
Das Zentrum entwickelt unter anderem openDesk. Der „souveräne Arbeitsplatz“ hält verschiedene Office-Anwendungen bereit und dient der behördlichen Zusammenarbeit. OpenDesk erhalte aus dem Inland und Ausland großen Zuspruch, sagt Horstmann. Frankreich und die Niederlande kooperieren bereits mit ZenDIS, Tschechien und weitere Länder hätten Interesse an dem Vorhaben geäußert.
ZenDiS will die öffentliche Verwaltung außerdem dazu befähigen, Open-Source-Software zu nutzen. Horstmann berät Behörden, wenn diese IT-Lösungen beschaffen oder selbst entwickeln wollen.
Hilfreich ist hier die Plattform openCode. Das Software-Verzeichnis listet sichere und „souveräne“ Programme für Verwaltungsbehörden auf. Den dort veröffentlichen Software-Code können Verwaltungen auch gemeinsam weiterentwickeln. Seit kurzem zeigen sogenannte Badges auf einen Blick an, wie sicher und aktuell der jeweilige Code ist.
Für ein Ökosystem des Austauschs
Bei allen Vorzügen, die offene Software hat, ist sie aus Sicht von Stefan Kaufmann aber noch kein Garant dafür, dass die öffentliche Verwaltung tatsächlich unabhängiger wird. Dafür müsse diese eigenständig darüber entscheiden können, ob bestimmte Produkte für ihre Ziele geeignet sind. „Die Kunst einer souveränen Entwicklung staatlicher IT-Architektur“ liege darin, entsprechende Kompetenzen in die Verwaltung zu bringen, betont Kaufmann. Sie müsse in die Lage versetzt werden, die notwendigen Schritte beschließen und „mit den Angeboten des privaten Sektors abgleichen zu können“.
Dafür müssten neben klassischen Unternehmen auch andere Produktionsformen mitgedacht werden. „Es braucht ein Ökosystem des Austauschs und Anerkennung sowie neuer Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichem Sektor und nicht kommerziell auftretenden Akteuren“, sagt Kaufmann. Um ein solches Ökosystem zu stärken, müsse die Bundesregierung etwa das digitale Ehrenamt fördern.
Damit öffentlich finanzierte Software langfristig ein Gemeingut bleibt, müsse die Regierung außerdem dafür sorgen, dass sie später nicht privatisiert werden kann. „Bei den permissiven Open-Source-Lizenzen kannst du alles nehmen, weiterentwickeln und du musst es nicht wieder mit der Gemeinschaft teilen“, gibt Kaufmann zu bedenken. Die Vorarbeit anderer kann so im Nachhinein privatisiert werden.
Anders sieht es bei den klassischen Freie-Software-Lizenzen mit Share-Alike-Klausel aus. Sie sehen vor, dass ein Werk geändert und dann veröffentlicht werden darf, allerdings nur unter der ursprünglichen oder einer kompatiblen Lizenz. Das ist aber nicht der Fall, wo Unternehmen die Open-Source-Software nicht mit Lizenz verkaufen, sondern nur die Nutzung der Software als Dienstleistung anbieten. Dabei übernehmen sie den Betrieb der Software und der IT-Infrastruktur.
Wer hat die Kontrolle?
In der aktuellen Debatte um digitale Souveränität sind öffentlich einsehbarer Code und die gestalterische Rolle von Zivilgesellschaft jedoch kaum ein Thema.
Das hält der Kulturwissenschaftler Michael Seemann für wenig überraschend. Ideengeschichtlich habe der Begriff „Souveränität“ seine Wurzeln in dem absolutistischen Anspruch, ein Herrschaftsgebiet klar abzustecken. Es gehe weniger um Unabhängigkeit, sondern vielmehr um Kontrolle eines Staatsgebiets, aber auch eines Handlungsspielraums. „Wenn du in diesem Sinne digitale Souveränität schaffen willst, brauchst du die volle Kontrolle“, so Seemann. Und das widerspreche nicht nur dem Open-Source-Prinzip, sondern auch der Beteiligung mehrerer Akteure.
Seemann spricht sich daher für Dienste aus, die nicht der Kontrolle durch staatliche oder private Akteuren bedürfen. Ein Beispiel dafür sei das dezentral organisierte Fediverse, zu dem auch Mastodon gehört.
Die Idee dahinter berücksichtige den transnationalen Aufbau des Internets und lasse sich entsprechend weiterdenken – hin zu einer digitalen Welt, in der die globale Zivilgesellschaft Produktionsmittel demokratisiert und damit auch Clouds als vergesellschaftete öffentliche Infrastruktur betreibt. Das wäre nicht nur ressourcenschonender, so Seemann, sondern auch ein effektiver Schutz gegen staatlichen Machtmissbrauch und Überwachung.
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