Der renommierte französische Historiker, Anthropologe und Demograf, Emmanuel Todd ist für seine präzisen Analysen bekannt. Sein neuestes Werk, „Der Westen im Niedergang“ legt schonungslos die Wurzeln westlicher Fehlentwicklungen offen. Das Buch wurde in 20 Sprachen übersetzt, nur nicht ins Englische. Das englischsprachige Publikum hat keine Wahl, doch hat weiterhin nur der eigenen Propaganda zu glauben.

Teil 1: Das Interview zum neuen Buch von Emmanuel Todd
Flavio von Witzleben: Ich begrüße den französischen Historiker und Anthropologen Emmanuel Todd auf meinem Kanal … … wir treffen uns heute im Zuge der Frankfurter Buchmesse, auf der Ihr neues Buch vom Westend Verlag vorgestellt wurde. In Frankreich wurde es bereits Anfang 2024 veröffentlicht:
La Défaite de l’occidente – Der Westen im Niedergang –
Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall!
Heute wollen wir über Ihre Ideen sprechen und warum der Westen sich im Niedergang befinde.
Doch, bevor wir anfangen, ein paar Sätze zu Ihrer Person: Sie sind vielleicht einer der bekanntesten Historiker und Anthropologen in Frankreich. Sie haben an der berühmten Universität Sorbonne in Paris Geschichte und Anthropologie studiert und an der Universität Cambridge in Großbritannien promoviert. Anschließend haben Sie am Nationalen Institut für Demografische Studien, INED, in Paris zu Fragen der Demografie, Familienstrukturen, Religion und Bildung geforscht. Danach waren Sie etwa sieben Jahre lang Literaturkritiker für die berühmte französische Zeitung Le Monde. Damals haben Sie wahrscheinlich, Ihr bis jetzt berühmtestes Buch „La Chute final“ veröffentlicht.
Emmanuel Todd: … Das war mein erstes Buch. Ich war 25 Jahre alt und bin sehr stolz und ein bisschen traurig, wenn die Leute zuerst dieses Buch zitieren, weil ich inzwischen so viele andere Bücher geschrieben habe …
Flavio von Witzleben: … genau, Sie haben auch so viele andere Bücher geschrieben: Über das amerikanische Imperium, über Charlie Hebdo. Sie sind hauptsächlich für dieses Buch berühmt …
Emmanuel Todd: Ja, aber im Allgemeinen bin ich für politische Essays berühmt. Denn ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, sehr dicke Bücher über Familienstrukturen zu schreiben – über den Zusammenhang zwischen allgemeiner Geschichte und Familiensystemen – Bücher mit 500 bis 700 Seiten, die weniger bekannt sind.
Flavio von Witzleben: … damals, 1976, haben Sie das Buch „La Chute finale“ veröffentlicht und den Untergang der Sowjetunion vorhergesagt. Das ist jetzt fast 50 Jahre her. Jetzt, 48 Jahre später, haben Sie – so könnte man sagen – dieses Buch „Der Niedergang des Westens, Ökonomie, Kultur und Religion in freien Fall,“ veröffentlicht. Schließt sich damit ein Kreis, denn Sie sagten, dies sei Ihr letztes Werk?
Emmanuel Todd: Ja, was politische Essays angeht. Das Buch dazwischen 2After the Empire, 2002″, das auf Deutsch „Weltmacht USA – Ein Nachruf, 2004″ heißt, war in Deutschland ein großer Erfolg. Das waren andere Zeiten. Es wurde zu einer Zeit veröffentlicht, als alle von den USA als der absoluten Supermacht oder Hypermacht sprachen und niemand es jemals wagen wollte, sich mit der USA anzulegen. Damals sagten wir nur: „Nein – so einfach geht das nicht!“
Nun, was darin Russland betraf: Ich hatte dort ein Kapitel mit dem Titel „Die Wiederkehr Russlands“, das ein sehr interessantes Kapitel darstellt, eingebaut und sich mit der Entstehung Europas befasst. Einige konnten es kritisieren. Das war also das zweite und jetzt haben wir das dritte und letzte über den Zusammenbruch des amerikanischen Systems.
Flavio von Witzleben: Der Zusammenbruch des amerikanischen Systems findet also gerade statt. Aber es ist mehr als der Zusammenbruch des amerikanischen Systems, denn Sie haben den Zusammenbruch unseres Systems – des westlichen Systems – vorausgesagt?
Emmanuel Todd: Ja!
Flavio von Witzleben: Aber bevor wir darauf eingehen. Ein sehr interessanter Aspekt, den Sie kürzlich in einem Interview fallen liessen, wonach Ihr neuestes Buch in 20 Sprachen übersetzt werde, aber nicht ins Englische?
Emmanuel Todd: Ja, darauf bin ich sehr stolz!
Flavio von Witzleben: Sie sind sehr stolz darauf?
Emmanuel Todd: … das stimmt: Das vorherige Buch „After the Empire“ wurde ins Englische übersetzt, aber zu der Zeit von „After the Empire“ lag es mental sehr stark auf Linie des amerikanischen Zeitgeistes. Man hätte mich leicht als linksgerichteten Demokraten einstufen können, der in der Hoffnung lebte, um eine Art Rückkehr der USA zu nationaler Größe oder ein Verhalten mit einer Abkehr von der Position des Imperiums , zu erwarten. Das war akzeptabel.
Aber diese Position scheint inakzeptabel.
Weil ich auf die Unvermeidbarkeit des Niedergangs, auf die Selbstzerstörung amerikanischer Werte, auf dem nihilistischen Element in der amerikanischen Außenpolitik bestehe!
Ich denke, das ist zu viel!
Aber ich bin sehr stolz darauf, dass die Übersetzung ins Englische bisher nicht erfolgt ist!
Flavio von Witzleben: Aber meine Frage wäre eigentlich gewesen: Ist es vergleichbar mit dem Untergang, dem Niedergang der Sowjetunion? Was wir gerade jetzt beim Niedergang des Westens beobachten können: Sehen Sie da eine Analogie?
Emmanuel Todd: Nun, das ist keine Analogie! Wir sind Teil derselben Geschichte: Ich denke, es gab ein großes Missverständnis in Bezug auf den UdSSR-Zusammenbruch. Das hatte ich im Sinn, als ich La Chute finale schrieb – ich hatte eine deutliche Analyse : Ich stellte fest, dass die Sterblichkeitsrate von Säuglingen in der UdSSR zwischen 1970 und 1974 gestiegen war. Für einen Demografen ist das von großer Bedeutung. Es bedeutet, dass das gesamte System in die falsche Richtung läuft. Ich konnte sehen, dass die Fruchtbarkeitsrate sank, was mir als Historiker bewies, dass die Russen nicht mehr dem Homo Sowjeticus entsprachen. Sowjetologie sagte, dass man mit Menschen einfach nur spielen könne und die Dinge ihren Lauf nehmen würden und ich schrieb das Buch dazu. Aber das Moment, woran das System zusammenbrach, wurde durch etwas anderes definiert: Ich denke, Kommunismus war das Produkt einer sehr einfachen Bildungssituation, als jeder lesen und schreiben konnte und die Elite sehr klein war. Dazu lag ein spezifisch russisches Gefühl für Demokratie vor. Doch dann kam Aufstieg durch Hochschulbildung, eine neue Schichtung der Gesellschaft – der Kommunismus schien dafür zu einfach – man bekam neue gebildete Mittelschichten und das System brach zusammen. Dies geschah kurz vor dem Fall des Kommunismus in der UdSSR.
Aber wir hatten im Westen bereits ähnliche Probleme! Wenn man sich die Entwicklung der Bildung in den USA ansieht, stellt man fest, dass diese Phase der Schichtung bereits 1965 erreicht worden war und man bereits 1965 einen Rückgang des Anteils der Schüler pro Altersgruppe sowie einen Rückgang des Bildungsniveaus beobachten konnte. Dazu kamen die Schwierigkeiten der Amerikaner bei der Ausbildung von Ingenieuren und die Globalisierung – mit dem Zusammenbruch der Industrie.
Ich meine, dass des Zusammenbruches der Sowjetunion ein großes Missverständnis vorlag:
Denn Tatsache ist, dass der Niedergang des Westens bzw. der USA Mitte der 1960er Jahre einsetzte, doch der Zusammenbruch der Sowjetunion für den falschen Eindruck eines Sieges der USA sorgte.
Was wir also historisch durchlebten, war die sehr seltsame Situation, bei der die NATO Expansion als Speerspitze nach Osteuropa hinein zu expandieren begann, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen war, während die USA und wir dies auf vielschichtige Weise als Sieg auffassten. Doch, die Wahrheit ist, dass es vielmehr diesen Leerraum im Zentrum zukam, wovon ich ausgehe. Es kommt Physikern zu, das Problem expandierender Systeme zu beschreiben, die zentral auf einen wachsenden Leerraum treffen.
Und wenn Sie sich nun das industrielle System im Westen betrachten, dann finden Sie, was von unserer Industrie übrig ist in Deutschland, Osteuropa, Korea, Japan und Taiwan, aber in den USA ist nur noch sehr wenig vorhanden.
Sehen Sie, so ist es: Ich untersuche Geschichte langfristig. Es ist nicht…
Flavio von Witzleben: … und was sind Ihrer Meinung nach, die Hauptprobleme des Westens? Warum befindet sich der Westen, wie Sie sagen, wahrscheinlich schon seit den 60er Jahren im Niedergang, indem Sie den Niedergang des Westens an drei Hauptaspekten festmachen. Entspricht es noch immer dem, wie Sie es einst für den Untergang der Sowjetunion prognostiziert hatten? Sie sagten, es sei der Anstieg der Kindersterblichkeit und der Rückgang der Fruchtbarkeit? Nun, ich denke, wir befinden uns in einer komplexeren Situation. Was würden Sie also sagen, wenn Sie gefragt würden, warum der Westen im Niedergang begriffen sei?
Emmanuel Todd: Gut – konzentrieren wir uns also auf die USA. Man kann mehrere soziologische Ebenen dafür ausmachen:
- Zunächst einmal gibt es den Niedergang der amerikanischen Industrie. Dies hat unmittelbare Auswirkungen:
Die Unfähigkeit der USA, die Ukrainer oder die Israelis etc. mit Waffen zu versorgen. Das sieht man auf den ersten Blick!
- Dann findet man, dass sie nicht ausreichend Ingenieure ausbilden. Ich meine, wenn man bedenkt, dass die USA zweieinhalb Mal bevölkerter als Russland ist:
Es ist faszinierend zu erfahren, dass Russland mehr Ingenieure hervorbringt als die USA!
- Dann muss man noch tiefer gehen und man wird finden, dass es einen Rückgang des gesamten Bildungssystems und intellektuellen Niveaus gibt.
- Doch dann komme ich zu dem, was für mich zum Wichtigsten zählt, nämlich:
Das völlige Verschwinden protestantischer Werte!
Ich bin kein religiöser Mensch. Ich predige nicht für eine Rückkehr der Religion. Ich beklage mich nicht, weil niemand an Gott glaubt. Ich glaube auch nicht an Gott. Ich bin wie jeder andere auch, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Religion in der Matrix westlicher Gesellschaften, wie in jeder Gesellschaft verankert war und dass der Protestanismus der Hauptgrund für den Aufstieg des Westens gewesen ist.
Ich trete hier einfach als ein Schüler von Max Weber auf. Er schrieb und veröffentlichte 1904/1905, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Für Weber ist der Aufstieg des Westens der Aufstieg Großbritanniens, Deutschlands, der USA und Frankreichs mit kleinen Abstrichen. Wir hatten das Glück, der protestantischen Welt nahe zu sein, aber der Aufstieg des Westens war in hohem Maße das Ergebnis des Erfolgs des Protestantismus. Wenn man sich also an Weber hält und das mit der Situation ein Jahrhundert später vergleicht, wird man bemerken, dass die protestantischen Werte völlig verschwunden sind: Disziplin, Investition in Bildung und viele andere Dinge.
Das Verschwinden des Protestantismus ist für den Niedergang des Westens verantwortlich. Es ist so einfach, wenn man darüber nachdenkt. Es ist vielleicht sogar ein Witz – ein historischer Witz mit vielen Konsequenzen, aber es scheint zu einfach.
Flavio von Witzleben: Ist das ggfs. durch die Transgender-Ideologie bedingt?
Emmanuel Todd: Nein – ich spreche zwar über die Transgender-Ideologie, aber ich versuche in dem Buch sehr deutlich zu machen, dass ich kein Moralist bin. Sie haben diese LGBT …
Flavio von Witzleben: … mit «Q plus»!
Emmanuel Todd: Vergessen wir das «Q plus» – ich bin zu alt, um «Q plus» zu berücksichtigen. Ich sage ganz klar, dass LGBT für mich völlig in Ordnung geht. Ich bin ein Liberaler… Meine englische Urgroßmutter war eine ziemlich berühmte englische Lesbe. Sie sehen, wir waren das in der Familie gewohnt.
Aber Transgender ist etwas anderes. Es ist die Vorstellung, dass man einen Mann in eine Frau oder eine Frau in einen Mann verwandeln kann: Doch das ist Nihilismus! Denn das ist einfach nicht wahr. Meiner Meinung ist es in Ordnung, dass z.B. ein Mann, der so denkt, dazu berechtigt ist, dies zu tun und vor Angriffen zu schützen ist. Aber die gesamte obere Mittelschicht im Westen nimmt die Transgender-Sache nicht ernst, sondern als Ziel oder etwas Wichtiges wahr.
Flavio von Witzleben: Auch als etwas Religiöses?
Emmanuel Todd: Nun, vielleicht ist es ihre Religion. Für mich ist es eine Religion des Nichts: Es ist Nihilismus. Aber ich betrachte es im Grunde als Indikator für Dinge. Wenn man Geschichte und Trends studiert, muss man in der Lage auch viele andere Indikatoren für Nihilismus zu bestimmen: Wie das Konzept, diesen Krieg zu beenden. Aber die Transgender-Sache ist interessant – denke ich. Weil sie einfach ist und man sie direkt im Zentrum der Geopolitik findet. Ich meine, was ist die Verbindung zwischen Transgenderismus und Geopolitik? Ich meine, das wirft eine große Frage auf.
Flavio von Witzleben: Darüber können wir später noch reden, aber zuerst möchte ich auf den aktuellen Stand der Dinge zurückkommen, denn wir befinden uns in Deutschland und dieses Buch wurde auf Deutsch veröffentlicht. Im Vorwort der deutschen Version weisen Sie darauf hin, dass Deutschland sich im Zentrum des Konflikts befinde. In der Ukraine und in der Geopolitik und Sie sagten, ich glaube, es war in einem Interview mit der Berliner Zeitung, dass Europa tatsächlich darauf wartet, dass Berlin bzw. Deutschland den Krieg in der Ukraine beende. Jetzt sind wir, glaube ich, nach zweieinhalb Jahren Krieg in der Ukraine an einem sehr interessanten Punkt angelangt, weil jetzt auch im Westen alle über Frieden reden. Das hat es in den letzten zweieinhalb Jahren nicht gegeben. Jetzt wollte unser deutscher Bundeskanzler Scholz eine Friedenskonferenz unter Einbeziehung Russlands organisieren. Das wäre auch das erste Mal, dass Russland an einer westlichen Friedenskonferenz teilnimmt.
So, lautet meine Frage: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Deutschland in diesem Konflikt eine Schlüsselrolle einnehme, aber Russland hat einen Anruf beim russischen Präsidenten Putin, gemäss den Vorstellungen von Scholz, abgelehnt. Dmitri Peskow, der Sprecher des Kremls, teilte mit, dass es keine gemeinsame Basis gäbe – keine gemeinsamen Themen, über die man sprechen könne. Sie sagen also, wir könnten den Krieg beenden, doch Russland sagt, es gäbe eigentlich keine gemeinsame Basis und es gäbe nichts, worüber man sprechen könnte. Wie glaubwürdig ist also der Versuch Deutschlands, im Moment Frieden zu stiften?
Emmanuel Todd: … Ich muss sehr präzise sein: Für mich ist die deutsche Ausgabe des Buches sogar noch wichtiger als die französische. Ich bin mir nicht ganz sicher, obsies Erfolg haben wird. Aber es ist wichtiger, weil ich denke, dass die Amerikaner in gewisser Weise mit dem Versuch angefangen haben, um über die Ukraine Russland von Deutschland zu trennen. Ich meine, das ist es, was man von amerikanischen Geopolitikern liest. Wir sehen sofort, dass die Verhinderung guter Beziehungen zwischen Russland und Deutschland – ich würde sagen – rationales US-Ziel darstellt. Denn, wenn wir eine solche Zusammenarbeit hätten, was der natürliche Zustand der Dinge wäre und wir uns mit der Nord Stream in diese Richtung bewegen würden, bevor sie explodierte …
Flavio von Witzleben: … durch wen?
Emmanuel Todd: Durch die Amerikaner: Warum? Ich bin Historiker. Historiker haben Daten – doch, die Leute sagen dann, dass man sich nicht ganz sicher wäre und dass man offensichtlich über keine konkreten Daten verfüge. Doch, uns macht es so wütend, dass wir seit Beginn des Krieges Geschichten über die Russen erfahren, wonach diese das Atomkraftwerk zerstörten oder zu zerstören versuchten, die Pipelines sprengten, die sie gebaut und kontrolliert haben – es ist also völlig offensichtlich. Bisher hatte die amerikanische Politik großen Erfolg: Ich meine, man bekam Deutschland und Russland dorthin, wonach sie vermeintlich in gegnerischen Lagern stehen. Das ist also die Situation. Natürlich wird die NATO, sobald die Ukraine zusammengebrochen sein würde, bewiesen haben, dass sie nicht in der Lage war, die Ukrainer zu unterstützen. Dann erreichen wir eine andere Phase, in der die Amerikaner lächerlich und nicht vertrauenswürdig erscheinen werden, um darüber zum natürlichen Zustand der Dinge zurückzukehren, der darin besteht, dass es zwei sehr große Nationen gibt: Deutschland und Russland, die sich in der Wirtschaft und im Potenzial ergänzen. Denn die Russen haben nicht die Bevölkerung und den Willen, sich über den Dnepr hinaus zu bewegen. Nun, so würde es zu Frieden und Zusammenarbeit kommen und Normalität einkehren.
Nun zu Ihrem eigentlichen Punkt: Die Russen wollen nicht über Frieden sprechen, weil sie zum einen aufgehört haben die Westmächte als vertrauenswürdig anzusehen – das ist ein Euphemismus – ich meine, sie haben keine Lust mehr, irgendwelche Papiere oder Verträge zu unterzeichnen seit das Minsker Abkommen vom Westen selbst zerstört worden war. So wie das Atomabkommen – vor der US-Kündigung – zwischen dem Iran und den Amerikanern ausgehandelt worden war. Die Russen haben kein Interesse mehr an Papieren, die vom Westen unterzeichnet würden. Sie sind also nicht an der Vorstellung interessiert, dass Scholz und Putin .
In der deutschen Einleitung zu meinem Buch habe ich Folgendes hinzugefügt: Ich versuche mir vorzustellen, was die Russen jetzt tun wollten? Sie gewinnen den Krieg – die ukrainische Armee steht kurz vor dem Zusammenbruch! Das Kiewer Regime wird zusammenbrechen. Denn für die Russen war das ein schwieriger Krieg: Aus ihrer Sicht ist er ihnen aufgezwungen worden, verstehen Sie das? Und sie wollen keinen zweiten Krieg nach diesem. Also wollen sie ein strategisches, geografisches Ergebnis erzielen. Also sagte ich, dass sie bis zum Dnepr vorstossen müssen. Sie müssen nach Odessa gehen, um sicherzustellen, dass Sewastopol sicher sei. Sie werden wahrscheinlich ein Marionettenregime in Kiew errichten wollen und dann wird es eine Diskussion oder auch keine Diskussion geben, das macht keinen Unterschied – es wird Frieden geben. Sie sind also nur im Moment nicht daran interessiert, über diese Dinge zu diskutieren. Natürlich sage ich nicht das, was Putin sagt. Die Leute sagen immer, dass ich ein Putin- bzw. Kreml-Agent wäre. Doch über mein Buch, gebe ich jetzt meine Anweisungen an Putin!
Flavio von Witzleben: Wahrscheinlich hat er Ihr Buch bereits gelesen. Wird es auf Russisch erscheinen?
Emmanuel Todd: Es ist bereits auf Russisch erschienen. Ich sagte Ihnen: In allen Sprachen, außer Englisch.
Flavio von Witzleben: Genau – aber dann stellt sich doch die Frage: Wenn Sie sagen, dass die Russen kein Interesse mehr hätten – ist der Westen dann für Russland nicht mehr vertrauenswürdig? Wie wäre es dann für Deutschland möglich, den Krieg zu beenden, wie Sie es im Interview mit der Berliner Zeitung gesagt haben?
Emmanuel Todd: Das ist ganz einfach. Wir haben jetzt ein großes Problem. Dies ist ein Wendepunkt – das ist ein sehr gefährlicher Moment. Denn, wenn der Westen in dieser Situation nicht neue Waffen und neue gefährliche Dinge liefert, dann würden die Russen siegen und die Dinge werden zu Ende sein! Aber eine Niederlage zu akzeptieren, ist schwierig: Es wäre natürlich für den Westen im Allgemeinen schwierig. Aber es wäre für die Amerikaner noch viel schwieriger.
Denn, eine Niederlage zu akzeptieren, würde meiner Meinung nach sehr schnell zum Zerfall der NATO führen. Vor allem, nachdem die Menschen erkannt hätten, dass die NATO machtlos und auch völlig nutzlos sei und nicht mehr gebraucht würde.
Sobald wir erkennen, dass die Russen nicht daran interessiert wären, in Europa einzumarschieren und wir keinen Schutz benötigten, würde man erkennen, dass die NATO nicht dazu da ist, uns zu schützen, sondern uns zu kontrollieren. Was sehr gut auf die NATO in Deutschland zutrifft. Die NATO ist demnach zweierlei:
Sie kann ein Militärbündnis zwischen befreundeten Ländern sein. Aber man kann sie vernünftigerweise auch als das Instrument betrachten, mit dem die USA Westeuropa kontrollieren!
Meine Befürchtung ist also, dass die USA keinen Frieden akzeptieren und versuchen werden, uns – die Europäer und mit Europäern meine ich Franzosen, Deutsche, Russen, in einen viel gefährlicheren Krieg zu verwickeln, der zu einem nuklearen Schlagabtausch führen könnte!
Die Russen haben uns das wissen lassen – ich meine, sie haben nicht die Mittel, um in einem konventionellen Krieg es mit allen NATO-Staaten aufzunehmen. Wir müssen also Widerstand leisten und natürlich steht Deutschland im Mittelpunkt der Dinge. Aber in dieser Situation braucht man nur eine Entscheidung und den Willen, denn technisch gesehen brauchte man nichts tun, um diese Entscheidung zu erwirken: Man muss nur sagen, dass das Spiel vorbei sei!
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FORTSETZUNG FOLGT
Übersetzung: UNSER- Mitteleuropa
- Das Interview im Original auf Englisch: Hier
- Zum Thema Glaubensprinzipien der Pilgrims für US-Aufstieg: Hier
- Interview von Emmanuel Todd durch den Corriere di Bologna: Hier
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