Von Dagmar Henn
Jetzt geht es also vors Landesverfassungsgericht mit dem Streit um den Tunnel, der in den Stuttgarter Landtag führt – weil die AfD-Abgeordneten ihn nicht nutzen dürfen. Im Kern ein Beispiel für die subtileren Varianten politischen Mobbings, die eben im Regelfall über die Geschäftsordnung oder ähnliche Tricks erfolgen.
Der Stuttgarter Landtag liegt in einer kulturell vollgepackten Umgebung – auf der einen Seite liegt das Staatstheater, schräg gegenüber die Staatsgalerie, auf der anderen Straßenseite der Konrad-Adenauer-Straße (die witzigerweise in die Willy-Brandt-Straße übergeht) das Haus der Abgeordneten, und gleich dahinter Staatliche Hochschule für Musik; neben dem Haus der Abgeordneten liegen auch noch die Württembergische Landesbibliothek und das Landesarchiv, und hinter der Landesbibliothek das Landgericht. Halb hinter dem Landtag liegen im Neuen Schloss gleich das Finanz- und das Wirtschaftsministerium. Kurze Wege jedenfalls, nur die Konrad-Adenauer-Straße mit ihren vier Spuren stört.
Nicht alle Abgeordneten sind im Haus der Abgeordneten untergebracht, das gilt nur für die Grünen und die CDU. Die SPD und die FDP haben ihre Büros hinter dem Landtag am Schlossplatz, aber dazwischen sind nur Park und kleine Straßen. Die AfD bekam ihre Büros in einem Gebäude, das vermutlich eigentlich zur Musikhochschule gehört, zwischen dem Haus der Abgeordneten und dem Landgericht.
Und dann ist da dieser Tunnel, der das Haus der Abgeordneten und den Landtag miteinander verbindet, und der es den Abgeordneten ermöglicht, in den Landtag zu kommen, ohne die Konrad-Adenauer-Straße überqueren zu müssen. Den anfänglich auch die AfD-Abgeordneten nutzen konnten, aber den sie jetzt nicht mehr nutzen dürfen.
Wie gesagt, so etwas zählt zu den subtileren Methoden des Mobbings. Wen man nicht mag, den setzt man an den Katzentisch. Der Grund dafür liegt übrigens bereits anderthalb Jahre zurück. Ein Jagdmesser. Nein, man sollte genau sein: ein Jagdmesser und Patronen.
Das war der große Skandal. Im Büro des AfD-Abgeordneten Udo Stein wurde ein Rucksack mit einem Jagdmesser und Patronen gefunden. Presseberichten zufolge hat ihn ein Mitarbeiter ins Büro gestellt. Aber er ist passionierter Jäger. Und, nicht vergessen, Baden-Württemberg wird schwarz-grün regiert.
Das Jagdmesser würde im Bayerischen Landtag zumindest zu gewissen Jahreszeiten keinerlei Aufregung auslösen – ein Hirschfänger gehört eigentlich zur Männertracht. Aber wir sind hier in Stuttgart. Wobei: Lederhosen gibt es in Württemberg auch. Was natürlich zu der Geschichte mit dem Jagdmesser dazugehört, ist, dass der besagte Abgeordnete einige Zeit in der Psychiatrie verbrachte, sich also zu diesem Zeitpunkt in einer persönlichen Krise befand, aber schlicht die falsche Person war, um diese Gelegenheit nicht auszunutzen.
Das Ergebnis war ein ganzer Stapel Strafverfahren, die am Ende eingestellt wurden. Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Bündnis 90/Die Grünen) meinte aber, wegen des Jagdmessers müsse man eine "Überprüfung der Sicherheitslage" vornehmen, was praktisch bedeutete, dass der Zugang zum Haus der Abgeordneten und damit eben auch zum Tunnel Richtung Landtag den AfD-Abgeordneten künftig verwehrt blieb.
Stein, der seit 2016 im Baden-Württemberger Landtag sitzt, hat sich übrigens schon ganz zu Anfang seiner Amtszeit durch eine Reise unbeliebt gemacht:
"Gleich nach seinem Einzug in den Landtag sorgt er ein zweites Mal für Aufregung mit einer Reise in den russisch besetzen Donbas und dubiosen Kontakten zu prorussischen Separatisten."
Das berichtete die Wochenzeitung Kontext. Das durfte man schon damals nicht.
Anfang dieses Jahres, als Stein in den Landtag zurückkehrte, war er sogar bereit, selbst jedes Mal den Landtag durch die Pforte und nicht durch den Tunnel zu betreten und sich durchsuchen zu lassen. Als wäre ein Jagdmesser in einem nicht einmal selbst deponierten Rucksack das Gleiche wie ein Jagdmesser in der Hand im Sitzungssaal.
Die Süddeutsche fand seine Rückkehr wichtig genug, um ausführlich darüber zu berichten, und gleich ein Grundsatzproblem daraus zu machen:
"Die Debatte um die Sicherheit von Parlamenten hat vor dreieinhalb Jahren Fahrt aufgenommen, als Rechtsextreme bei einer Demonstration die Treppe vor dem Reichstag besetzten. Im vergangenen Jahr beschloss der Ältestenrat, die Zugangsregeln zu verschärfen. Bundestagsabgeordnete müssen nun zum Beispiel ihre Ausweise am Eingang vorzeigen. Für mehr Personen gelten Sicherheitskontrollen. Anlass waren Störungen durch Aktivisten der 'Letzten Generation' sowie Ermittlungen in der Reichsbürgerszene, bei denen auch die ehemalige AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann festgenommen wurde."
Da ist er wieder, dieser "Sturm auf den Reichstag", alias mit Bedacht organisierter Fototermin, und dann noch der Rollator-Putsch … ja, alles so gefährlich. Dabei glich der Bundestag schon zuvor einem Hochsicherheitstrakt, mit Metalldetektoren und allem Übrigen, und wenn man Abgeordnete besuchen wollte, mussten die einen an der Pforte abholen kommen. Aber vermutlich verleihen solche Rituale ein Gefühl eigener Bedeutung. Und auch im Bundestag ist der Weg durch den Tunnel etwas, das ein Privileg der Macht ist.
Inzwischen wird auch Stein nicht mehr ständig kontrolliert und geht ganz normal seiner Tätigkeit als Abgeordneter nach. Das scheint jedoch noch lange kein Grund, um den Skandal von vorgestern zu den Akten zu legen.
Jedenfalls hat die AfD-Fraktion jetzt die Nase voll vom Tunnelspielchen und wählt den Weg vors Landesverfassungsgericht, das sich dann demnächst mit der Frage befassen darf, ob nun die Demokratie oder die Sicherheit der Abgeordneten bedroht ist, wenn die "Falschen" durch die – von den Nutzern liebevoll "Krötentunnel" genannte – Fußgängerunterführung laufen. Ein paar Wochen Zeit hat Landtagspräsidentin Aras, um jetzt zu der Klage Stellung zu nehmen. Das Thema bleibt unterhaltsam.
Mehr zum Thema – Eröffnung 2025 wackelt: Stuttgart 21 kommt später und wird teurer
Meist kommentiert