Wenn sich Politiker beleidigt fühlen, kennt die deutsche Justiz noch weniger Spaß, als wenn man die NATO-Propaganda in Zweifel zieht. Gerichte melden bereits, sie seien deswegen überlastet. Und jetzt soll der entsprechende Paragraf auch noch verschärft werden.
Man muss dieses Thema mit einer gewissen Vorsicht betrachten. Nicht, weil an diesen Behauptungen, wenn Politiker beleidigt würden, sei die Demokratie gefährdet, etwas dran sei. Vielmehr, weil dieses Thema, das gerade durch das Schwachkopf-Meme sehr im öffentlichen Blickfeld steht, sich selbstverständlich anbietet, um von den eigentlichen, wesentlich handfesteren Problemen abzulenken. Allerdings ist beides nicht voneinander zu trennen.
Es ist Wahlkampf, und rund um die entflammte Leidenschaft einiger Politiker, sich beleidigt zu fühlen, werden jetzt zwei entgegengesetzte Vorschläge in den Raum geworfen.
Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann will den berüchtigten Paragrafen 188 im Strafgesetzbuch weiter verschärfen und der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, möchte diesen Paragrafen wieder zum Verschwinden bringen.
Erstaunlich an der Position von Kubicki ist, dass von ihm im Verlauf der letzten Jahre so wenig zu hören war. Im Wahlkampf 2021 hatte er sicherlich mit seiner kritischen Haltung zu den Coronamaßnahmen für seine stets schmalbrüstige Partei ordentlich Stimmen gesammelt.
Aber seitdem hat die FDP brav mitgefaesert, was den starken Verdacht erweckt, auch jetzt ginge es vor allem um ein Manöver, um den Laden doch noch einmal über die fünf Prozent zu heben. Und man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass seine Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den absoluten Spitzenrang innehat, wenn es um Anzeigen wegen Beleidigung geht. (Wird das letzte Bataillon wirklich ein deutsches sein? Jan van Helsing im Interview mit Hajo von Schmidt)
Wobei es durchaus interessant ist, dass die Wähler in diesem Zusammenhang nur als diejenigen auftauchen, die etwas zu erbringen haben, nämlich einen besonderen Respekt gegenüber Politikern. Wie formulierte das Kathrin Wahlmann?
„Wer sich in besonderer Weise für das Gemeinwesen einsetzt, dem soll auch der besondere Schutz des Gemeinwesens zugutekommen.“
Der Kernbegriff im Zusammenhang mit Beleidigungen ist „Ehre“. Der Beleidigte wird in seiner Ehre gekränkt. Die früher übliche Sicht in Bezug auf Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, war, dass der Preis für die höhere Beachtung (die ja zweifellos das Ego streichelt) sei, dafür auch mehr einstecken zu müssen. Das war die private Ebene.
Aber worin besteht die Ehre eines Politikers in seiner Eigenschaft als Politiker? Einzig in seiner Nützlichkeit für jene, die zu vertreten er behauptet. Ein Nutzen, der eine objektive, messbare Seite hat.
Wahlmann ist sich wohl der Tatsache nicht bewusst, dass sie mit ihrer Formulierung hier einen deutlichen Widerspruch eröffnet. In welcher Weise hat sich beispielsweise Wirtschaftsminister Robert Habeck „für das Gemeinwesen“ eingesetzt? Indem er dazu beitrug, Deutschland zu deindustrialisieren, ganz im Sinne der einstigen Kohl’schen „blühenden Landschaften“? Mit seinen Bemühungen, essenzielle Handelsbeziehungen wie jene nach China zu kappen?
Oder mit seinem berüchtigten Heizgesetz, das eigentlich nur dazu taugt, künftigen Generationen von Juristen als abschreckendes Beispiel vorgelegt zu werden?
Wie ist es mit dieser Ansammlung von Politikern, die Deutschland lieber heute als morgen in einen Ostlandfeldzug schicken würden? Und das in einem Zeitalter atomarer Bewaffnung, in dem wir uns nach wie vor befinden?
Das, wonach Personen wie Roderich Kiesewetter oder auch Verteidigungsminister Boris Pistorius oder die oben schon erwähnte Frau Strack-Zimmermann streben, ist das extreme Gegenteil von „für das Gemeinwesen einsetzen“, außer, man hielte dessen völlige Zerstörung für irgendeine verquere Form von Nutzen.
Bei der Begründung, warum man unbedingt gegen „Hass und Hetze“ vorgehen müsse, beruft man sich gerne auf die Weimarer Republik. Die angeblich an den „Extremisten“, also Nazis und Kommunisten, untergegangen sei. Eine Erzählung, die wieder einmal entscheidende Dinge unterschlägt:
Dass sich das Land über Jahre hinweg im Grunde in einem Bürgerkrieg befand (1918 bis 1923), dessen entscheidendes Merkmal ein Bündnis zwischen der SPD-Führung und extremen Reaktionären war.
Dass der Versailler Vertrag eine Verbesserung der Lage der Normalbevölkerung fast unmöglich machte. Dass die Reaktion der Regierung Brüning (1930) auf die Weltwirtschaftskrise darin bestand, Deutschland zur Exportnation zu machen, auf Kosten der Löhne (ein Konzept, das irgendwie bekannt vorkommen sollte).
Und dass die Machtübergabe an Hitler aus der bürgerlichen Ecke erfolgte, begrüßt von der Industrie, und ziemlich wenig mit Straßenkämpfen oder gar Verbalinjurien zu tun hatte.
Auch damals war es mitnichten die Beschimpfung von Politikern, die die Demokratie gefährdete, sondern es war ganz konkretes, materielles Elend, das die politische Lage instabil werden ließ; daran hätte sich nichts geändert, auch wenn alle Deutschen gezwungen worden wären, einander nur noch höflichst anzusprechen.
Man muss nur einmal betrachten, was sich die bundesdeutschen Politiker noch in den 1970ern gegenseitig (oder auch anderen) einzuschenken beliebten. Die berühmten „Ratten und Schmeißfliegen“, mit denen dereinst Franz Josef Strauß Schriftsteller beschimpfte, waren abstoßend – aber niemand sah darin eine Gefährdung des demokratischen Gemeinwesens, höchstens einen Ausdruck einer undemokratischen Gesinnung des Redners. (Nebenbei, in der Volkskultur einiger Regionen ist der Übergang zwischen Beleidigung und Respektbekundung fließend.)
Der Unterschied zwischen jenen Jahren der alten Bundesrepublik und der Gegenwart ist unmittelbar messbar: vier Millionen Sozialwohnungen zum Beispiel. Im Jahr 1976 überschritt die Arbeitslosigkeit erstmals seit mehr als zwanzig Jahren wieder die Million.
Es war möglich, mit einem Facharbeiterlohn eine mehrköpfige Familie zu versorgen. Die Züge fuhren pünktlich, die Post kam am nächsten Tag und auch der Postbote konnte von seinem Einkommen leben.
Bei weitem noch keine paradiesischen Zustände, aber zumindest solche, dass die damaligen Politiker mit einer gewissen Berechtigung behaupten konnten, sich „für das Gemeinwesen“ eingesetzt zu haben. Heute ist es deutlich schwerer, einen derartigen Anspruch zu erheben.
Nachdem erst einmal mit den Coronamaßnahmen dem Pöbel eine Runde Demütigung verordnet wurde, folgten darauf fast übergangslos „Solidarität mit der Ukraine“, die Selbstentleibung der Volkswirtschaft durch Sanktionen und ein rasender Eifer, die vorhandenen Mittel in einem Krieg zu verfeuern, statt die dringenden Probleme des Landes anzugehen. Es ist diese materielle Entwicklung, die die Unzufriedenheit auslöst.
Es ist keine Vermutung, sondern inzwischen die Alltagserfahrung großer Teile der Bevölkerung, dass ihnen das Handeln der überwiegenden Mehrheit der Politiker nicht nur nicht nützt – es schadet ihnen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach konnte es übrigens in all dem Kriegsgetöse schaffen, die Pläne, die sein Auftraggeber Bertelsmann ausgeheckt hatte, um vom Gesundheitswesen nur noch Profitables übrigzulassen, fast unbemerkt durchs Parlament zu schieben. Die vielen kleinen Zerstörungswerke können schließlich nicht liegen bleiben, nur weil am großen gearbeitet wird.
Also auf welche Ehre kann die derzeitige Politik Anspruch erheben? Ist es nicht vielmehr ihr Handeln, das eine einzige Beleidigung des Wählers darstellt? Die dieser dann mit vergleichsweise hilflosen Wortmeldungen zu kompensieren sucht?
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock beispielsweise hatte ja gesagt, dass es ihr egal sei, was ihre Wähler denken. Ein Punkt, den sie mit ihrem Handeln unzweifelhaft belegt. Eine Missachtung, die bei ihr bis in die Gestik reicht, in den pseudoroyalen Habitus.
Man sollte bei dieser Einstellung eigentlich erwarten, dass sie dann auch hinzunehmen vermag, welche Freude dies bei den Missachteten auslöst. Da allerdings ist schnell Schluss mit egal – auch sie gehört zu den Spitzenbeleidigten.
Das, was nach Meinung von Frau Wahlmann gestrichen werden soll, ist übrigens die Einschränkung, die in besagtem Beleidigungsparagrafen steht: Die Beweggründe der Tat müssen „mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen“ und sie müsse geeignet sein, „sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“. Das „erheblich erschweren“ soll nun gestrichen werden.
Allerdings muss man ehrlicherweise sagen, dass dieses Kriterium ohnehin nicht zur Anwendung kam. Es ist kein Verfahren bekannt, in dem ein Gericht genau untersucht hat, wie viele Menschen von einer angezeigten Beleidigung überhaupt erreicht wurden, und ob diese, wenn sie denn eine gewisse Reichweite erlangt hätte, überhaupt in irgendeiner Weise das „öffentliche Wirken erschwert“ hätte.
Wenn eine Annalena Baerbock, ein Robert Habeck oder ein Karl Lauterbach auf öffentlichen Veranstaltungen ausgebuht werden, hat das eher mit ihrem tatsächlichen Wirken zu tun als mit irgendwelchen unfreundlichen Veröffentlichungen.
Wenn etwas ein Bedürfnis entstehen lässt, diese Politiker wenigstens mit bösen Worten zu bedenken, dann ist das die erstaunliche Straflosigkeit, die sie bei ihrem Handeln genießen. Ursula von der Leyen hätte wegen ihres Handelns als Verteidigungsministerin vor Gericht gehört – stattdessen wurde sie zur Königin der EU.
Ein Hamburger Bürgermeister, der leider, leider vergessen hat, ob er den Cum-Ex-Finanzverbrechern Vorteile verschafft hat, wird zum Bundeskanzler. Und über 180 Tote der Ahrtalflut führten trotz einer reichhaltigen Geschichte des Versagens (wenn es denn nur das war) bis heute zu keiner einzigen Anklage.
Dabei müssten schon die Kriegspredigten, in denen sich so viele derzeit ergehen, strafbar sein.
Die Bürger, so die Baerbock’sche Devise, sollen alle vier Jahre ihre Stimme abgeben und ansonsten die Klappe halten. Tun sie dies nicht, wird auf einer privaten Befindlichkeit bestanden, die im politischen Amt nichts zu suchen hat, und verfolgt.
Dabei ist das Recht, ein politisches Amt ausüben zu dürfen, ein Privileg, weil man das tun kann, was man zu tun liebt, und schon daher eine Verpflichtung gegenüber jenen, die einem dieses Recht gewährt haben.
Und es ist der Politiker, der den Souverän respektieren sollte, nicht dieser den Politiker.
Nein, selbst wenn an jeder deutschen Häuserwand Habeck-Schwachkopf plakatiert wäre, ja, selbst wenn es das wahrhaftigere Habeck-Landesverräter wäre, das würde die Demokratie nicht gefährden.
Was sie gefährdet, sind vor allem Politiker, die ihr Land zugrunde richten, weil ihnen der Respekt vor der Bevölkerung abgeht. Der Souverän, das Volk, die Wähler gefährden nur mit einem – indem sie solche Politiker gewähren lassen.
…
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