Zensurheberrecht: Finanzministerium droht Attac wegen kritischer Satire-Webseite

Das Finanzministerium stört sich an einer satirischen Webseite, die eine „Bildungsinitiative“ von Finanz- und Bildungsministerium als einseitiges und parteiisches Projekt der FDP einordnet, welches Menschen zum Investieren am Finanzmarkt anregen soll. Lindners Ministerium droht nun mit rechtlichen Schritten.

Mann im Anzug vor vielen Mikrofonen, im Freien
Das Finanzministerium von Christian Lindner droht mit juristischen Schritten. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Die Nichtregierungsorganisation Attac hat die „Initiative finanzielle Bildung“ FDP-geführter Ministerien aufs Korn genommen. Dafür baute sie auf der Domain geldmitverstand.de eine Webseite, die der offiziellen Seite mitgeldundverstand.de des Finanz- und Bildungsministeriums sehr ähnlich sieht. Mit der gefälschten Webseite kritisiert Attac zusammen mit der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, dass die zur „Initiative finanzielle Bildung“ gehörige Bildungswebseite eine steuerfinanzierte Plattform sei, mit der die FDP neoliberale Wirtschaftsideologie getarnt als Bildung unter die Leute bringe. Zusätzlich veröffentlichte die NGO finanzmarktkritische Publikationen auf der eigenen Seite.

Das gefiel Lindners Finanzministerium offenkundig nicht. Am 21. Oktober verschickte es ein Schreiben an Attac, das netzpolitik.org einsehen konnte. Darin heißt es, dass die Seite „in ihrer gestalterischen Form und ihrem strukturellen Aufbau große Übereinstimmung mit der Finanzbildungsplattform mitgeldundverstand.de“ aufweise und „entsprechend urheberrechtlich geschützt“ sei. Weiter heißt es:

Wir bitten Sie, umgehend auf Veröffentlichungen in jeder Form zu verzichten, die geeignet sind, mit Veröffentlichungen des Bundesministeriums der Finanzen verwechselt zu werden. Andernfalls behalten wir uns die Prüfung rechtlicher Schritte vor.

„Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“

Attac lässt sich vom Schreiben des Ministeriums wenig beeindrucken und wird die Webseite unverändert stehen lassen. Attac-Bildungsreferent Holger Oppenhäuser sagt: „Offenbar passt es dem Lindner-Ministerium nicht, dass sein Pseudobildungsprojekt öffentlich kritisiert wird. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Die Seite gibt inhaltlich die richtige Antwort, und gestalterisch gilt einmal mehr: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt!“

Gegenüber der taz begründete ein Ministeriumssprecher die Androhung rechtlicher Konsequenzen mit dem Urheberrecht: „Die Aussage, juristische Schritte zu prüfen, bezieht sich urheberrechtlich auf die Verwendung des BMF-Designs.“ Das Ministerium bezieht sich in diesem Fall nicht auf die Nutzung von Logos wie dem Flaggenstab, der bei Aktionen des Peng-Kollektivs oder des Zentrums für politische Schönheit als Markenrechtsverletzung angemahnt wurde, die zu einer Verwechslung von Kunst-Aktion und Original führen könne. Attac hat auf der Webseite ein stark abgewandeltes Logo samt Aufschrift „Bundesmysterium“ und umgedrehtem Adler genutzt.

Webseite
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„Investitionsbereitschaft in Bevölkerung erhöhen“

In einer mehr als 100 Seiten langen Studie (PDF) der Otto-Brenner-Stiftung kommt der Erziehungswissenschaftler Thomas Höhne zum Ergebnis, dass es sich bei der von Finanz- und Bildungsministerium (beide FDP) getragenen Initiative nicht um ein „Bildungsprojekt handelt, sondern um ein aktivierungspolitisches Projekt mit dem Ziel, die private Investitionsbereitschaft beziehungsweise Investitionstätigkeit in der Bevölkerung zu erhöhen“. Die Ausrichtung des gesamten Projektes sei einseitig und würde den bildungstheoretischen Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses widersprechen, weil keine kontroversen Ansichten zugelassen würden und so eine Überwältigung der Lernenden stattfinde. Als Beispiele nennt die Studie, dass die Schuldenbremse als alternativlos dargestellt werde und dass in Videos parteipolitische Positionen einseitig vorkämen. Weiter heißt es:

Es geht nicht um Bildung als sozialer Prozess, sondern um eine Aktivierung eines individuellen und risikofreudigen Finanz- und Investitionsverhaltens, das tendenziell an die gesamte Bevölkerung adressiert ist. Damit werden in der Sprache der Bildung politische Erwartungen zweier liberaler Ministerien an das Spar- und Finanzverhalten der identifizierten Problemgruppen (konservative Sparer*innen, vulnerable Gruppen) Finanzbildung als politisches Projekt adressiert, die für sozioökonomisch schwächere Milieus aber kaum oder nicht zu erfüllen sind.

Auch die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert, dass die Ministerien Bildung auf ein „Instrument zur Wirtschafts- und Finanzmarktförderung“ reduzieren würden. Das Finanzministerium hingegen hat am 7. Oktober einen Referentenentwurf (PDF) veröffentlicht, dem zu Folge die „Initiative finanzielle Bildung“ gesetzlich verankert wird und mit neun Millionen Euro jährlich ausgestattet werden soll. Damit könnte die angebliche Bildungsinitiative auch über die Regierungszeit der FDP hinaus wirken.


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