Wird die Einnahme von Pokrowsk die ukrainische Stahlindustrie "vernichten"?

Von Dmitri Lekuch

Faktisch gleichzeitig sind in den Zeitschriften Foreign Policy und The Economist umfangreiche Analysen über das Risiko der Vernichtung der ukrainischen Stahlindustrie erschienen, weil sich die Front der Stadt Krasnoarmeisk (ukrainisch: Pokrowsk) nähert. Die Artikel sind nicht nur wegen der dort angeführten recht objektiven Angaben und deren halbwegs redlichen Interpretation, sondern und vor allem wegen der Tatsache interessant, dass sich westliche Geschäftskreise überraschenderweise um den Zustand der ukrainischen Metallurgie sorgen. In westlichen Produktionsketten hing viel vom ukrainischen Stahl ab. Doch besonders amüsant erscheint, dass sich der Westen um dieses Problem tatsächlich Sorgen macht, und die Ukraine nicht.

Doch alles der Reihe nach.

Insbesondere erinnert The Economist berechtigterweise daran, dass die Ukraine noch vor Kurzem, im Jahr 2021, weltweit immerhin den 14. Platz bei der Stahlproduktion belegte. Doch schon 2023 gelang es ihr, gleich zehn Plätze tiefer auf Platz 24 abzustürzen. Dabei sind zwei Jahre für Betriebe mit langen Produktionszyklen eine winzige Frist. Mit dem Verlust des letzten großen Bergwerks, das in der Nähe von Pokrowsk liegt und wo die für die Metallurgie benötigte Kokskohle gefördert wird, werde es Russland gelingen, "die Stahlindustrie der Ukraine zu vernichten". Und wie der Literaturklassiker Michail Bulgakow seinerzeit schrieb, ist das Interessanteste an dieser Lüge, dass es eine Lüge vom ersten bis zum letzten Wort ist.

Erstens tat niemand – nicht nur Russland, sondern sogar den Westen mitgerechnet – für die Vernichtung der ukrainischen Stahlindustrie mehr, als die Ukraine selbst. Manchmal entstand sogar der Eindruck, dass diese Vernichtung des "sowjetischen Erbes" durchaus bewusst und zielgerichtet betrieben wurde, darunter auch aus rein politischen Gründen. Hier muss nichts hinzugedacht werden: Man erinnere sich nur daran, wie Kiew seit den 1990er Jahren wiederholt hatte, dass der Donbass eine uninteressante subventionsabhängige Region sei. Kiews "europäisch orientierte" Beamte redeten den Bewohnern der Industrieregion, die eine Millionenbevölkerung aufweist, ein, dass sie sekundär seien, dass sie nicht nur für die Wirtschaft, sondern gar für das ukrainische Volk selbst eine Belastung darstellten. Und nun stellt sich plötzlich heraus, dass ohne den Donbass das ganze ukrainische Industrieprojekt schlicht nicht lebensfähig ist, und zwar nicht einmal als Rohstoffbasis für Wirtschaften der entwickelten Länder – sonst würden sich Foreign Policy und The Economist nicht so viele Sorgen machen.

Im Grunde ist all das verständlich: Der Osten und der Westen der Ukraine schafften es nicht, zu einem einheitlichen Ganzen zu werden, vor allem in politischer Hinsicht. Und die "politischen Ukrainer" scheren sich um den Zusammenbruch der Industrie im Osten genau aus dem gleichen Grund nicht, aus dem das ukrainische Militär die zivile Infrastruktur in den von Russland befreiten Städten auf terroristische Art und Weise zerstört. Das Wesen dieses Phänomens ist ein und dasselbe, es bedarf keiner weiteren Beweise.

Zweitens hat Russland keinesfalls vor, die Stahlindustrie zielgerichtet zu vernichten. Hier muss man auch nichts hinzudenken – es reicht, nur zu betrachten, wie vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Ukraine die von Selenskijs Regime befreiten Territorien wiederaufgebaut werden. Und es steht außer Zweifel, dass das Bergwerk im befreiten Pokrowsk seinen Betrieb bald wiederaufnehmen wird. Kokskohle ist eine regelrechte Mangelware und wird von allen benötigt. Was kann man noch dazu sagen: Unsere Vorfahren wählten den richtigen Standort für diese Fabriken. Und Russland, wie man am Beispiel des Wiederaufbaus und der Integration der befreiten Gebiete erkennen kann, ist viel zu rational, um den Donbass und die angrenzenden Gebiete in eine "Zone des Verfalls" zurückzuversetzen.

Einen solchen Luxus konnte sich nur die Regierung in Kiew leisten.

Übersetzt aus dem Russischen. Verfasst am 14. Oktober speziell für RT.

Dmitri Lekuch ist ein russischer Journalist und Schriftsteller. Man kann ihm auf seinem Telegram-Kanal folgen.

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